Urteil des SozG München vom 28.06.2007

SozG München: referat, bedingter vorsatz, verjährungsfrist, aufschub, kauf, finanzen, unterlassen, fahrlässigkeit, beitragspflicht, abrechnung

Sozialgericht München
Urteil vom 28.06.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 17 R 5469/04
I. Der Bescheid vom 27. August 2004 wird aufgehoben. II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. III. Die
Revision zum Bundessozialgericht wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Säumniszuschläge wegen verspätet geleisteter
Nachversicherungsbeiträge zahlen muss.
Der 1946 geborene Versicherte war von 01.07.1968 bis 07.06.1999 beim Kläger in einem versicherungsfreien
Beschäftigungsverhältnis als Hauptsekretär im Justizvollzugsdienst beschäftigt. Er wurde auf eigenen Antrag aus
dem Beamtenverhältnis entlassen. Die Nachversicherung für die Beschäftigungszeit wurde im Juli 2004 durchgeführt.
Mit Schreiben vom 02.07.2004 wurden der Beklagten die Nachversicherungsdaten mitgeteilt, die Wertstellung der
Nachversicherungsschuld in Höhe von 185.471,04 EUR (362.749,83 DM) erfolgte am 09.07.2004.
Mit Bescheid vom 27.08.2004 machte die Beklagte Säumniszuschläge auf Nachversicherungsbeiträge in Höhe von
100.860,50 EUR geltend und forderte den Kläger zur Überweisung dieses Betrags auf. Auf der Basis eines
Fälligkeitstags am 08.06.1999 und unter Berücksichtigung einer Drei-Monats-Frist zum Zweck der Klärung von Fragen
eines etwaigen Aufschubs (Rundschreiben des Bundesministers des Innern vom 27.04.1999) wurden der Berechnung
59 Monate Säumnis zugrunde gelegt.
Am 10.09.2004 legte der Kläger gegen diesen Bescheid Klage ein und erhob die Einrede der Verjährung. Zur
Anwendung komme die vierjährige Verjährungsfrist gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV; bei Fälligkeit der
Nachversicherungsbeiträge am 08.06.1999 sei Verjährung am 31.12.2003 eingetreten.
Auf den Einwand der Beklagten, dass der Anspruch auf den Säumniszuschlag auf verspätet gezahlte Pflichtbeiträge
in 30 Jahren verjähre, weil die entsprechenden Beiträge bedingt vorsätzlich vorenthalten worden seien, macht der
Kläger geltend, dass ein vorsätzliches bzw. ein bedingt vorsätzliches Vorenthalten der Beiträge nicht vorliege. Dazu
wird folgender Sachverhalt geschildert und auf diverse Anlagen Bezug genommen (insbesondere Schreiben des
Bayerischen Justizministeriums an die Bezirksfinanzdirektion München vom 02.09.1999, vom 09.06.1999 und vom
24.06.2004, Organisationsplan der Bezirksfinanzdirektion München Stand 01.06.1999, Kopien aus der
Besoldungsakte des Versicherten, Auszug aus dem von der Bezirksdirektion Würzburg erarbeiteten "Leitfaden für die
Nachversicherung" vom 19.07.1999):
Das Bayerische Staatsminsterium der Justiz habe die Bezirksfinanzdirektion München - Bezügestelle Besoldung - mit
Schreiben vom 02.06.1999 und 09.06.1999 über die Entlassung des Versicherten informiert "mit der Bitte um
Einstellung der Dienstbezüge und weitere Veranlassung hinsichtlich der Nachversicherung". Die
Bezirksfinanzdirektion München sei zuständig gewesen für die Entscheidung über den Aufschub der Beitragszahlung
bzw. die Durchführung der Nachversicherung des Versicherten (§ 3 Nr. 3 Verordnung über Zuständigkeiten für die
Entscheidung über den Aufschub der Beitragszahlung). Für die Festsetzung und Abrechnung der Beamtenbezüge des
Versicherten sei das Referat 51/2 der Abteilung V/2 "Bezüge" zuständig gewesen, für die Nachversicherung das
Referat 55 derselben Abteilung. Die Schreiben vom 02.06.1999 und 09.06.1999 seien beim Referat 51/2 in Einlauf
gelangt und dort bearbeitet worden im Hinblick auf die umgehend gebotene und auch veranlasste Einstellung der
Dienstbezüge ab Juli 1999. In der Folgezeit sei vom Referat 51/2 gegenüber dem Versicherten eine Rückforderung in
Höhe von 1024,81 DM wegen der für die Zeit von 08.06. bis 30.06.1999 ohne Rechtsgrund gezahlten Beamtenbezüge
geltend gemacht worden, und zwar zunächst mit Einschreiben vom 13.10.1999 und anschließend mit
Rückforderungsbescheid vom 20.12.1999. Nach Eintritt der Bestandskraft dieses Bescheids sei bis Ende 2000
versucht worden, den Rückforderungsbetrag im Wege der Zwangsvollstreckung vom Versicherten, der
zwischenzeitlich seinen Wohnsitz nach Italien verlegt hatte, beizutreiben. Die Sachbearbeiter des Referats 51/2
hätten es nach Eingang des Schreibens vom 02.06.1999 und auch in der Folgezeit schlichtweg übersehen, das für die
Durchführung der Nachversicherung zuständige Referat 55 vom Eintritt des Nachversicherungsfalls zu unterrichten
und dieses zu bitten, die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten. Mangels Kenntnis vom Nachversicherungsfall
habe das zuständige Referat 55 die Durchführung der Nachversicherung nicht veranlassen können. Erfolgt sei die
Nachversicherung erst nach einem weiteren Schreiben des Justizministeriums vom 24.06.2004, motiviert durch eine
Beanstandung des Versicherten im Juni 2004.
Eine Dienstanweisung für das Aufgabengebiet Nachversicherung gebe es nicht und habe es auch 1999 nicht gegeben.
Die Arbeiten zu einem "Leitfaden für die Nachversicherung", durch den den Nachversicherungssachbearbeitern ohne
Anspruch auf Vollständigkeit eine Hilfe für die tägliche Arbeit an die Hand gegeben werden sollte, seien im Juli 1999
zum Abschluss gebracht worden, eine Fortschreibung sei durch zwei Ergänzungslieferungen vom 01.07.2001 und
23.07.2001 erfolgt. Dieser Leitfaden enthalte unter Gliederungsziffer 8 einschlägige Schreiben und Bekanntmachungen
des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen zu aktuellen Problemen und Entwicklungen im Recht der
Nachversicherung, u.a. auch das Schreiben des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen vom 23.10.1998, mit dem
die Obersten Dienstbehörden des Freistaats Bayern über das Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.07.1998
informiert und gebeten worden waren, entsprechend den vom Bundessozialgericht im besagten Urteil aufgestellten
Grundsätzen zu verfahren. Wie das Bundessozialgericht entschieden habe, komme es für den Aufschub der
Beitragszahlung nach § 184 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI darauf an, ob im Zeitpunkt des Ausscheidens eine
hinreichend sichere, auf objektiven Merkmalen beruhende Erwartung besteht, dass der Nachzuversichernde innerhalb
der Zwei-Jahres-Frist eine erneute entsprechende versicherungsfreie Beschäftigung aufnimmt. Der Dienstherr müsse
demnach beim Ausscheiden beurteilen, ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Betroffene
innerhalb von zwei Jahren erneut eine versicherungsfreie Beschäftigung aufnimmt. Gemäß diesen Vorgaben sei im
vorliegenden Fall verfahren worden.
Der Kläger steht auf dem Standpunkt, dass die zunächst nicht erfolgte Nachversicherung allenfalls auf einem
möglicherweise auch grob fahrlässigen Organisationsverschulden der Bezügestelle der Bezirksfinanzdirektion
München beruhen könne; dies reiche aber für Vorsatz im Sinn des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV nicht aus. Zum
Vorsatz gehöre ein Wissens- und ein Willenselement. Das Bundessozialgericht habe im Urteil vom 30.03.2000 (B 12
KR 14/99 R) ausgeführt, dass zum Vorsatz das Vorliegen des inneren (subjektiven) Tatbestands festgestellt werden
müsse, d.h. anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls und bezogen auf den betreffenden Beitragsschuldner
durch Sachverhaltsaufklärung individuell ermittelt werden müsse. Im Zweifel trage der Versicherungsträger die
Feststellungs- bzw. Beweislast für das Vorliegen des subjektiven Tatbestands des Vorsatzes. Die Beklagte könne
also nicht, wie im vorliegenden und in zahlreichen anderen Fällen, pauschal und generell vom Vorliegen einer
30jährigen Verjährungsfrist ausgehen.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 27.08.2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.
Für die Frage der Anwendung der 30jährigen Verjährungsfrist kommt es aus ihrer Sicht nicht auf die individuellen
Gegebenheiten des Einzelfalls an. Im Ergebnis spiele es deshalb keine Rolle, aus welchen Gründen die
Nachversicherungsbeiträge nicht rechtzeitig gezahlt worden seien. Die Grundsätze im Urteil des BSG vom 30.03.2000
seien erkennbar auf private Arbeitgeber ausgerichtet. Die Frage nach den Anforderungen an den Tatbestand des
vorsätzlichen Vorenthaltens von Beiträgen bei öffentlich-rechtlichen Arbeitgebern bedürfe als Rechtsfrage noch
höchstrichterlicher Entscheidung. Das gelte umso mehr, als die unterinstanzliche Rechtsprechung hierzu uneinheitlich
sei. Während z.B. das Sozialgericht für das Saarland den Vorsatz aus der Sicht des mit der Beitragszahlung beim
Arbeitgeber betrauten Sachbearbeiters beurteile (Urteile vom 16.02.2001, S 9 RA 323/99, und vom 18.10.2002, S 9
RA 45/02), betrachte das Sozialgericht Düsseldorf den Arbeitgeber insoweit als Ganzes ohne Rücksicht auf die
Handlungen des einzelnen Sachbearbeiters (mehrere Urteile vom 28.10.2004, u.a. S 27 RA 57/02). Auch die Beklagte
sei der Auffassung, dass bei öffentlichen Arbeitgebern, insbesondere bei der Zahlung von
Nachversicherungsbeiträgen, der Arbeitgeber im Ganzen zu betrachten sei. Ob der einzelne Sachbearbeiter fahrlässig
oder vorsätzlich handelt, sei insoweit nicht von Bedeutung. Entscheidend sei die Außenwirkung. Der Arbeitgeber
handele bedingt vorsätzlich, wenn er nach Ablauf von drei Monaten nach dem Ausscheiden des Beschäftigten noch
keine Entscheidung über den Aufschub der Nachversicherung oder die Zahlung der Beiträge getroffen hat. Der
bedingte Vorsatz werde durch die Tatsache begründet, dass er zu diesem Zeitpunkt von der Möglichkeit der
Beitragspflicht ausgehen müsse und die rechtswidrige Unterlassung der Beitragszahlung billigend in Kauf nehme
(BSG vom 21.06.1990, 12 RK 13/89).
Vorgebracht wird außerdem, dass die verspätete Nachversicherung auf einem Organisationsverschulden des
Dienstherrn beruhe. Wenn die für die Durchführung der Nachversicherung zuständige Stelle (Referat 55) auf eine
entsprechende Information der Bezügestelle (Referat 51/2) angewiesen gewesen sei, wäre es angezeigt gewesen, in
den Bezügestellen zum Beispiel eine Art Schlussverfügungsvordruck vorzusehen, mit dem die Information über das
unversorgte Ausscheiden des Beamten an die für die Durchführung der Nachversicherung zuständigen Stellen
veranlasst wird.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte der Beklagten sowie
der beigezogenen Nachversicherungsakte der Bezirksfinanzdirektion München (jetzt Landesamt für Finanzen) Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Erhebt ein Land Klage, muss ein Vorverfahren nicht durchgeführt werden (§ 78 Abs. 1 Satz 2
Nr. 3 SGG).
Die Klage ist auch begründet.
Der Bescheid vom 27.08.2004 ist rechtswidrig und aufzuheben. Der von der Beklagten geltend gemachte Anspruch
auf Säumniszuschläge in Höhe von 100.860,50 EUR besteht zwar, er ist aber nicht durchsetzbar, weil der Kläger die
Einrede der Verjährung erhoben hat. Der Anspruch ist verjährt. Nach Eintritt der Verjährung ist der Schuldner
berechtigt, die Leistung zu verweigern, § 214 Abs. 1 BGB.
Der Anspruch auf Zahlung von Säumniszuschlägen richtet sich nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist für
Beiträge, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstags gezahlt hat, für jeden angefangenen
Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von eins vom Hundert des rückständigen, auf 50 Euro nach unten
abgerundeten Betrags zu zahlen. Diese Regelung ist auch im Fall verspätet entrichteter Nachversicherungsbeiträge
anwendbar (BSG vom 12.02.2004, B 13 RJ 28/03, mit ausführlicher und zutreffender Begründung). Die
Nachversicherungsbeiträge wurden nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstags am 08.06.1999 beglichen, sondern erst
am 09.07.2004. Die Höhe der erhobenen Säumniszuschläge ist nicht streitig, diesbezügliche Fehler sind nicht
ersichtlich. Keiner Vertiefung bedarf auch die Frage, ob die Beklagte zu Recht auf den 08.09.1999 als dem für die
Säumniszuschlags-Berechnung maßgeblichen Datum abgestellt hat oder ob richtigerweise der 08.06.1999 - bei
unversorgtem Ausscheiden des Versicherten am 07.06.1999 - hätte zugrunde gelegt werden müssen.
Streitgegenstand sind nur die mit Bescheid vom 27.08.2004 geltend gemachten Säumniszuschläge.
Die Erhebung der Säumniszuschläge ist nicht durch § 24 Abs. 2 SGB IV ausgeschlossen. Diese Vorschrift lautet:
Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf entfallender
Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine
Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte." Möglicherweise wird man die Anwendung dieser Regelung bei
Nachversicherungsfällen nicht schon daran scheitern lassen können, dass hier die Beitragsschuld typischerweise
nicht durch Bescheid der Beklagten als Beitragsgläubigerin festgestellt wird, sondern die Nachversicherungsbeiträge
vom Beitragsschuldner selbst ermittelt und eigeninitiativ gezahlt werden (§ 184 Abs. 1 und 3, § 185 Abs. 1 SGB VI).
Dies kann aber dahingestellt bleiben. Die Rechtsfolge des § 24 Abs. 2 SGB IV tritt jedenfalls deswegen nicht ein, weil
der Kläger nicht glaubhaft gemacht hat, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Im Fall
des unversorgten Ausscheidens eines Beschäftigten aus einem versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnis hat der
Nachversicherungsschuldner regelmäßig Kenntnis von seiner Zahlungspflicht. Diffizile Rechtsfragen wie sie oftmals
bei sozialversicherungsrechtlichen Beitragsansprüchen gegenüber privaten Arbeitgeben entstehen und zu klären sind,
gibt es bei der Nachversicherung grundsätzlich nicht. Im Angelegenheiten der Nachversicherung sind Unklarheiten
und daraus resultierend eine unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht noch am ehesten vorstellbar im
Zusammenhang mit der Frage des Bestehens von Aufschubgründen (dazu BSG vom 12.02.2004, B 13 RJ 28/03),
was bei der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung allerdings keine Rolle spielt.
Der Durchsetzung des Anspruchs auf Säumniszuschläge steht die Einrede der Verjährung entgegen. Die Verjährung
richtet sich nach der vierjährigen Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV und nicht, wie die Beklagte meint,
nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, wonach Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in 30 Jahren nach Ablauf
des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind, verjähren. Bei Fälligkeit am 08.06.1999 begann die Vier-Jahres-
Frist am 01.01.2000 und lief am 31.12.2003 ab. Geltend gemacht hat die Beklagte den Anspruch auf
Säumniszuschläge erst mit Bescheid vom 27.08.2004 und damit nach Eintritt der Verjährung.
Ansprüche auf Beiträge im Sinn des § 25 SGB IV sind auch Ansprüche auf Nebenleistungen (Nebenforderungen) wie
Säumniszuschläge, Verzugszinsen, Mahngebühren, Kosten der Vollstreckung. Die Anwendung der 30jährigen
Verjährungsfrist auf Nebenforderungen setzt nicht voraus, dass die Nebenforderungen vorsätzlich vorenthalten worden
sein müssten. Entscheidend ist, ob die Beitragsansprüche vorsätzlich vorenthalten wurden (vgl. BSG vom
08.04.1992, 10 RAr 5/91).
Nach dem vom Kläger geschilderten, von der Beklagten nicht bestrittenen und vom Gericht zugrunde gelegten
Sachverhalt liegt eine vorsätzliche Vorenthaltung von Beiträgen nicht vor.
Für Vorsatz im Sinn des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV ist das Bewusstsein und der Wille erforderlich, die Abführung der
fälligen Beiträge zu unterlassen. Dabei reicht es für das Eingreifen der 30jährigen Verjährungsfrist aus, wenn der
Schuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, er also seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die
Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat. Fahrlässigkeit, auch in den Erscheinungsformen
der bewussten oder der groben Fahrlässigkeit, genügt nicht. Notwendig ist die Feststellung des inneren (subjektiven)
Tatbestands des Vorsatzes; er muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls und bezogen auf den
betreffenden Beitragsschuldner individuell ermittelt werden (BSG vom 30.03.2000, B 12 KR 14/99 R; BSG vom
21.06.1990, 12 RK 13/89). Für den Vorsatz der Personen, deren sich der Beitragsschuldner zur Erfüllung seiner
Verbindlichkeiten bedient, hat er nach § 278 BGB einzustehen (vgl. Urteil des Sozialgerichts München vom
28.06.2006, S 17 R 5626/04).
Diese Grundlage der Beurteilung, die auch für die Nachversicherung gilt, verkennt die Beklagte, wenn sie geltend
macht, ein bedingt vorsätzliches Vorenthalten von Beiträgen sei stets anzunehmen, wenn der Arbeitgeber nach Ablauf
von drei Monaten seit dem Ausscheiden des Beschäftigten noch keine Entscheidung über den Aufschub der
Nachversicherung oder die Zahlung der Beiträge getroffen hat. Diese Auffassung läuft darauf hinaus, dass der Vorsatz
unterstellt oder fingiert wird, was weder Wortlaut noch Sinn und Zweck des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV zulassen, der
ein vorsätzliches Fehlverhalten mit einer langen Verjährungsfrist sanktioniert. Die Vorschrift lässt auch keinen Raum
für eine Sonderbehandlung staatlicher Stellen.
Vorsatz kann hier nicht festgestellt werden, auch nicht in Form des bedingten Vorsatzes. Es ist nicht ausreichend,
dass die zuständigen Sachbearbeiter allgemein die Verpflichtung zur Durchführung der Nachversicherung bei
unversorgtem Ausscheiden eines Beamten kannten. Entscheidend ist, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass
die Nichtabführung der Beiträge in diesem Einzelfall billigend in Kauf genommen worden wäre oder gar wissentlich und
willentlich betrieben worden wäre. Die Sachbearbeiter in dem für die Nachversicherung zuständigen Referat 55 haben
von dem Vorgang 1999 keine Kenntnis bekommen, weil die Sachbearbeiter des Nachbarreferats 51/2, zuständig für
die Festsetzung und Abrechnung der Beamtenbezüge, es versäumt haben, die Schreiben des Justizministeriums vom
02.06.1999 und 09.06.1999, in denen "um Einstellung der Dienstbezüge und weitere Veranlassung hinsichtlich der
Nachversicherung" gebeten worden war, an das Referat 55 weiterzuleiten. Dieses Versäumnis ist als schlichtes
Versehen und damit als fahrlässiges Verhalten einzuordnen (vgl. LSG für das Saarland vom 11.11.2004, L 1 RA
65/02, zum Fall einer "lediglich fehlerhaften Sachbearbeitung"). Es wäre lebensfremd anzunehmen, die Sachbearbeiter
des Referats 51/2 hätten die Weiterleitung der Schreiben des Justizministeriums mit Bedacht unterlassen und dabei
die Nichtabführung von Nachversicherungsbeiträgen zumindest billigend in Kauf genommen. Ursächlich für das
Versagen der Sachbearbeiter des Referats 51/2 war allem Anschein nach, dass es sich um eine ungewöhnlich zügige
Entlassung aus dem Staatsdienst mitten im Kalendermonat handelte und über längere Zeit hinweg ein
Rückforderungsanspruch wegen des überzahlten Gehalts zu bearbeiten war.
Dahin stehen kann, ob dem Kläger der Vorwurf eines Organisationsmangels gemacht werden kann, weil er keine
Vorkehrungen getroffen hat, um ein Versehen der Sachbearbeitung beispielsweise der hier vorliegenden Art zu
vermeiden. Denn es lässt sich jedenfalls nicht Vorsatz oder bedingter Vorsatz bezüglich der Nichtabführung von
Beiträgen an die Beklagte feststellen. Das theoretisch vorstellbare Unterlassen von organisatorischen Maßnahmen
zur Optimierung der Arbeitsabläufe und zur Verhinderung von Fehlern wäre mit Sicherheit nicht von der Intention
getragen, der Beklagten Nachversicherungsbeiträge vorzuenthalten. Der hier zu beurteilende Sachverhalt
unterscheidet sich grundlegend von den Gegebenheiten in dem Fall, den das LSG Rheinland-Pfalz mit Urteil vom
16.10.2006 (L 2 R 129/05) entschieden hat. Der vorliegende Fall und übrigens auch andere der 17. Kammer bekannte
Fälle (z.B. Urteil des Sozialgerichts München vom 29.06.2006, S 17 R 5626/04) lassen durchaus nicht vermuten,
dass der Kläger nicht stets bemüht (gewesen) wäre, in Nachversicherungsangelegenheiten gesetzestreu und korrekt
zu verfahren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Kammer lässt die Sprungrevision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 161 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 2 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).