Urteil des SozG München vom 07.08.2008

SozG München: rentner, rücknahme, kiesgrube, rentenanspruch, altersrente, verpachtung, rückforderung, datum, form, mindestdauer

Sozialgericht München
Urteil vom 07.08.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 30 LW 94/07
I. Der Bescheid vom 10.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2007 wird aufgehoben. II. Die
Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist eine Rücknahme des an den verstorbenen Ehemann der Klägerin ergangenen
Rentenbescheides mit der Folge einer Rückforderung von EUR 49.167,64. Der Ehemann der Klägerin war geboren
1928. Mit Bescheid vom 23.08.1996 bewilligte ihm die Beklagte eine am 01.04.1996 beginnende Altersrente in einer
Höhe von monatlich DM 933,01. Auf Widerspruch des Rentners verlegte die Beklagte mit Bescheid vom 18.09.1996
den Rentenbeginn auf den 01.01.1996 vor. 2007 verstarb der Rentner. In einem Aktenvermerk vom 28.03.2007 stellte
die Beklagte intern fest, dass der Rentner bei der Antragstellung auf Altersrente unter anderem die in seinem
Eigentum befindlichen Flurnummern 907, 920, 921, 922 und 923 mit insgesamt 11,45 ha als Kiesgrube nachge-wiesen
und nicht abgegeben hatte. Aufgrund von Bestätigungen der Stadt Wasserburg sei die gesamte Fläche als Kiesgrube
in den Rückbehalt eingerechnet und mit 0,00 % der Mindestgröße bewertet worden. Aus einem am 27.03.2007
eingegangenen Übergabever-trag vom 17.06.2005 gehe hervor, dass eine Teilfläche von 2,8 ha aus den zitierten Flur-
nummern an Herrn B. S.zur landwirtschaftlichen Nutzung verpachtet sei. Es sei zu prüfen, ab wann eine Änderung der
Kulturart stattgefunden habe bzw. ob die Leistung bereits von Anfang an zu Unrecht gewährt worden sei. Die Klägerin
erwiderte auf entsprechende An-frage, diese Fläche werde schon seit der Übergabe vom 31.12.1995 von B. S. als
Wiese bewirtschaftet. Die Beklagte resümierte intern, dass der für den Rentner zulässige Selbst-behalt überschritten
sei. Erst mit dem Übergabevertrag vom 17.06.2005 seien die Abga-bevoraussetzungen erfüllt worden, so dass ein
Rentenanspruch erst ab 01.07.2005 gege-ben sei. Am 11.06.2007 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer Rücknahme
des Bescheides vom 23.08.1996 und einer Rückforderung der gesamten seit 01.01.1996 ausgezahlten Ren-tenbeträge
an. Sie legte dar, dass der Rentner die zitierten Flurnummern als Kiesgrube ohne landwirtschaftliche
Nutzungsmöglichkeit deklariert und hierbei verschwiegen hatte, dass eine Teilfläche von ca. 2,8 ha mündlich an B. S.
zur landwirtschaftlichen Nutzung verpachtet gewesen sei. Die notwendige Laufzeit von neun Jahren sowie die
Schriftform seien hierbei nicht gewahrt gewesen. Mit Bescheid vom 10.07.2007 an die Klägerin verwirklichte die
Beklagte ihre Absicht, nahm den Rentenbescheid vom 23.08.1996 mit Wirkung für die gesamte Vergangenheit zurück
und forderte die Erstattung von EUR 49.167,64 einschließlich der gezahlten Zu-schüsse für die Aufwendungen zur
Kranken- und Pflegeversicherung. Zur Begründung führte sie an, der Rentner habe im Sinne der Rücknahmevorschrift
des § 45 Sozialge-setzbuch X (SGB X) vorsätzlich falsch angegeben, keine Unternehmensteile zurückbehal-ten zu
haben. Er habe zu keiner Zeit mitgeteilt, dass Teile der als Kiesgrube deklarierten Flächen als landwirtschaftliche
Flächen verpachtet waren. Bei der Ausübung ihres Er-messens könne sie keine Gründe feststellen, die eine
Rücknahme verhindern müssten. Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch und führte u. a. aus: Die als
landwirtschaftlich genutzt beanstandeten Teilflächen hätten nach Ende des Kiesabbaus renaturiert werden müssen,
befänden sich im Umgriff eines geplanten Badesees und müssten als effektiv stillgelegt gelten. Im übrigen habe die
Beklagte nicht geprüft, ob es sich bei der Nutzung durch B. S.um eine Erstaufforstung handele. Die Beklagte wies
den Widerspruch zurück und führte im Widerspruchsbescheid zusätz-lich aus, die Frist für die Rücknahme des
Bescheides für die Vergangenheit nach § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X sei noch nicht abgelaufen, weil sie erst am
27.03.2007 Kenntnis von den Tatsachen erhalten habe, die die Rücknahme rechtfertigen. Die Klage bestreitet falsche
Angaben des Rentners. Die gesamten Flurnummern 907, 920, 921, 922 und 923 seien als reine Kiesabbauflächen
nicht bewirtschaftbar gewesen. Ihre ausschließliche Nutzung durch B. S. könne belegt werden. Hintergrund der
Vereinba-rungen zwischen dem Rentner und Herrn S. sei gewesen, dass der Letztere die Pachtung der genannten
Flächen nachweisen und die entsprechende jährliche Förderung habe er-halten können. Zusätzlich sei vereinbart
gewesen, dass die Verpachtung der Flächen bis zur Übertragung des Unternehmens an den Sohn des Rentners
andauern sollte. Mit der langjährigen Verpachtung habe der Rentner in einer der Abgabe gleichstehenden Weise die
landwirtschaftliche Nutzung seiner Flächen auf eigenes Risiko auf längere Dauer un-möglich gemacht. Zwischen den
Beteiligten wurde noch erörtert, ob der Rentner nach Erfüllung der Voraus-setzungen ab 01.07.2005 weiterhin einen
Rentenanspruch gehabt habe. Die Beklagte wies darauf hin, dass er nach ihrer Interpretation der materiellen Lage ab
1996 keinen Rentenanspruch gehabt habe. Anders als im Falle eines nachträglich eintretenden Ru-henstatbestandes
könne der Rentenanspruch nicht nach Behebung des Anspruchshin-dernisses wieder aufleben. Zur Realisierung des
mit 01.07.2005 erstmals entstehenden Rentenanspruches sei ein zeitgerechter Antrag erforderlich gewesen. Die
Klägerin beantragt die Aufhebung des Bescheides vom 10.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom
20.09.2007. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur
Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsver-fahrens form- und fristgerecht
beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig. Sie ist in der Sache auch begründet. Die Beklagte hat
materiell zutreffend festgestellt, dass der verstorbene Rentner von An-fang an keinen Anspruch auf Altersrente hatte.
Um einen Anspruch auf Altersrente von der Landwirtschaftlichen Alterskasse zu erwerben, muss ein Versicherter
nicht nur eine Altersgrenze überschritten haben und das gesetzliche Mindestmaß an Pflichtbeiträgen entrichtet haben.
Er muss vielmehr des weiteren nachweisen, dass er in einer den Anfor-derungen des § 21 des Gesetzes über die
Alterssicherung der Landwirte (ALG) genügen-den Form und Endgültigkeit sein landwirtschaftliches Unternehmen bis
auf einen un-schädlichen Rückbehalt aufgegeben hat. Verpachtungen müssen hierbei nach Abs.2 der Vorschrift mit
schriftlichem Vertrag und über eine Mindestdauer von neun Jahren erfolgen. Der Versicherte hat fälschlich die zitierte
Gruppe von Flurstücken insgesamt als nicht landwirtschaftlich nutzbare Kiesgrube deklariert, in Wirklichkeit jedoch
2,8 ha davon als landwirtschaftliche Nutzfläche mündlich und ohne Festlegung einer Mindestdauer ver-pachtet. Die
Behauptung des Klägervertreters, diese Flächen seien nicht landwirtschaft-lich nutzbar gewesen, widerlegt er sogleich
selbst, indem er ausführt, B. S.habe für ihre landwirtschaftliche Nutzung Subventionen beantragt und erhalten. Es
geht nicht an und mündet in strafrechtlich relevanten Betrug, gegenüber verschiedenen Behörden durch einander
widersprechende Sachdarstellungen Leistungsansprüche zu optimieren. Entwe-der konnte der Ehemann der Klägerin
trotz eines unschädlichen Rückbehalts nicht nutz-barer Flächen Rente beziehen oder B. S.konnte sich die durchaus
stattfindende Nutzung derselben Flächen subventionieren lassen. Beide Vorteile gleichzeitig zu genießen, konn-te
rechtlich nicht zulässig sein. Angesichts der aktenkundigen Subventionsvorgänge musste und muss die Beklagte von
einer Nutzbarkeit der Flächen ausgehen und durfte die gegenteilige Behauptung des Versicherten als vorsätzlich
falsch beanstanden. Vor-gänge der Stilllegung und Aufforstung landwirtschaftlicher Nutzflächen bedürfen der vor-
herigen Genehmigung und der zeitnahen Dokumentation; der rein tatsächliche Verzicht auf optimalen Ertrag oder
irgendwelche tatsächlichen Umstände, die den wirtschaftlichen Wert von Flächen mindern, stehen solchen
Rechtsakten nicht gleich. Zutreffend hat die Beklagte ausgeführt, dass die tatsächlich erfolgte Verpachtung der
schädlichen Flächen am 17.06.2005 den zuvor ausgeschlossenen Rentenanspruch nicht nachträglich automatisch
entstehen lässt. Die ursprüngliche Leistungsantrag ist mit der wenn auch fälschlichen Zusprache einer Rente
verbraucht und kann nicht erneut heran-gezogen werden, wenn die Voraussetzungen für diese Rente nachträglich
tatsächlich ein-treten. Bescheide können nur zurückgenommen werden, wenn kein schutzwürdiges Vertrauen in ihren
Bestand zu beachten ist, § 45 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch X (SGB X). Wenn wie im Falle des Versicherten über
Jahre hinweg Leistungen zum Lebensunterhalt erbracht wurden, besteht kein vernünftiger Zweifel, dass diese
Leistungen im Sinne von Satz 2 der Vorschrift verbraucht sind. Dies nennt das Gesetz als Regelfall der
Schutzwürdigkeit des Vertrauens. Die Berufung auf dieses Vertrauen scheitert jedoch, wenn Ausschlussgründe nach
§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 vorliegen. Der Versicherte hat im Sinne der Nr. 2 vor-sätzlich falsche Angaben gemacht
und daraufhin als Rentner nach Empfang detaillierter Merkblätter und eines ausführlichen Bescheides auch im Sinne
der Nr. 3 gewusst, dass ihm keine Rente zusteht. Die Rücknahme scheitert aber am Ablauf der nach § 45 Abs. 3
SGB X zu beachtenden Fristen ab Bekanntgabe des zurückzunehmenden Bescheides. Mit Blick auf die Zugangs-
fiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X ist das maßgebliche Datum der 26.08.1996. Die nach § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X
reguläre Frist von zwei Jahren lief am 26.08.1998 ab. Wegen vor-sätzlicher Falschangaben des Versicherten war sie
jedoch nach § 45 Abs. 3 S. 3 in Ver-bindung mit Abs. 2 S. 3 auf zehn Jahre verlängert und wäre am 26.08.2006
abgelaufen. Dies war ein Samstag, so dass die Frist tatsächlich am 28.08.2006 abgelaufen ist. Nach § 45 Abs. 3 S. 4
wäre eine Rücknahme auch nach diesem Datum noch möglich gewesen, wenn sie eine noch laufende Leistung
betroffen hätte. Dies war jedoch nicht der Fall: Als die Beklagte am 11.06.2007 mit der Anhörung das
Rücknahmeverfahren eröffnete, war der Kläger bereits verstorben und war die Rentenzahlung an ihn mit Ablauf des
Monats Februar 2007 bereits beendet. Wiederaufnahmegründe nach § 580 Zivilprozessordnung (ZPO), die nach § 45
Abs. 3 S. 2 eine unbefristete (nach herrschender Rechtsprechung auf 30 Jahre nach Bescheidsertei-lung begrenzte)
Rücknahmemöglichkeit eröffnen, liegen nicht vor. Insbesondere ist gegen den verstorbenen Versicherten kein
Strafurteil ergangen, ist kein Verwaltungsakt einer anderen Behörde aufgehoben worden, der die Grundlage des
Rentenbescheides gewe-sen wäre, und ist der Beklagten keine bereits vor 1996 erstellte Urkunde zugänglich ge-
worden. Mit der Verfristung der Rücknahmemöglichkeit entfällt die Befugnis zur Rücknahme des Rentenbescheides,
ohne dass weitere Kriterien noch zu prüfen wären. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz
(SGG).