Urteil des SozG München vom 19.06.2008

SozG München: verwaltungsakt, feststellungsklage, nichtigkeit, öffentlich, entzug, auskunft, beschränkung, vertragsklausel, waffengleichheit, rechtsschutz

Sozialgericht München
Urteil vom 19.06.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 19 AS 923/08
I. Es wird festgestellt, dass die Eingliederungsvereinbarung vom 28.01.2008 insoweit unwirksam ist, als darin die
Verpflichtung des Klägers festgelegt wird, eine Arbeitsgelegenheit bei "JOB.IN Weilheim-Schongau" auszuüben. II. Im
Übrigen wird die Klage abgewiesen. III. Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu
erstatten.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Eingliederungsvereinbarung. Am 28.01.2008 unterzeichnete der
Kläger eine ihm vom Beklagten unterbreitete Eingliederungsvereinbarung.
Diese Eingliederungsvereinbarung sah vor, dass der Kläger an einer Arbeitsgelegen-heit mit
Mehraufwandsentschädigung durch "JOB.IN Weilheim-Schongau" teilzunehmen hätte. Zum Wesen von "JOB.IN" hieß
es: "JOB.IN ist eine Koordinierungs-, Vermittlungs-, und Begleitungsstelle für Arbeitsgelegenheiten." Der Einsatz bei
JOB.IN sollte am 12.02.2008 beginnen und nach sechs Monaten enden. Die Zuweisung zu geeigneten Arbeitsstellen
sollte durch JOB.IN erfolgen. Die Festlegung der Einsatz-stelle sollte sich nach den Stärken, Ressourcen und
festgelegten Zielen des Klägers richten. Als durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit wurden 20 Stunden festgelegt,
die Verteilung der Stunden sollte der Arbeitgeber entsprechend seines Einsatzbedar-fes festlegen bzw. mit dem
Kläger vereinbaren. Als Mehraufwandsentschädigung für jede geleistete und vom Arbeitgeber abgerechnete
Arbeitsstunde wurden 1,25 EUR vereinbart. Diese Mehraufwandsentschädigung sollte dem Kläger von JOB.IN monat-
lich nachträglich ausgezahlt werden; eine Anrechnung dieses Betrages auf die laufenden Leistungen sollte nicht
erfolgen.
Bevor der Kläger die Eingliederungsvereinbarung am 28.01.2008 unterschrieb, hatte er gegenüber der
Sachbearbeiterin des Beklagten darauf hingewiesen, dass er gegen die Teilnahme an der Arbeitsgelegenheit
Bedenken habe, da er morgens von 04:00 Uhr bis 06:00 Uhr auf 400,00-EUR-Basis Zeitungen austrage und in den
Stunden da-nach wegen möglicher Reklamationen von Kunden sich zur Verfügung halten müsse. Der Kläger bringt
vor, er habe die Unterschrift nur deshalb geleistet, weil ihm die Sachbearbeiterin die Auskunft gegeben habe, dass er
die Wirksamkeit der Eingliede-rungsvereinbarung gerichtlich überprüfen lassen könne.
Am 08.02.2008 legte der Kläger gegen die Eingliederungsvereinbarung Widerspruch ein mit der Begründung, dass er
seine Tätigkeit als Zeitungsausträger mit der Arbeits-gelegenheit zeitlich nicht vereinbaren könne. Diesen Widerspruch
verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2008 als unzulässig.
Mit Bescheid vom 04.04.2008 senkte der Beklagte die Regelleistung des Klägers um 30 Prozent, also um 94,00 EUR
monatlich, für den Zeitraum vom 01.05. bis zum 31.07.2008 ab, weil er entgegen der Eingliederungsvereinbarung nicht
an der Arbeits-gelegenheit "JOB.IN" teilgenommen habe. Mit Bewilligungsbescheid vom selben Tag wurden die dem
Kläger zustehenden Leistungen für die Zeit vom 01.03. bis zum 30.06.2008 neu festgesetzt.
Am 15.04.2008 erhob der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid vom 14.03.2008 Klage mit dem Antrag, die
Eingliederungsvereinbarung für ungültig zu erklären.
Am 18.04.2008 legte der Kläger gegen den Absenkungs- und Bewilligungsbescheid vom 04.04.2008 Widerspruch ein,
den der Beklagte am 22.04.2008 als unbegründet zurückwies. Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger
keine Klage erhoben.
Der Kläger beantragt,
1. den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 14.03.2008 aufzuheben und
2. festzustellen, dass die Eingliederungsvereinbarung vom 28.01.2008 insoweit unwirksam ist, als darin die
Verpflichtung des Klägers festgelegt wird, eine öf-fentlich geförderte Beschäftigung bei "JOB.IN Weilheim-Schongau"
auszu-üben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bringt vor, jedenfalls nachmittags sei dem Kläger ein Einsatz bei "JOB.IN" zumutbar.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Akte des Be-klagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage war als unbegründet abzuweisen, soweit sie auf die Aufhebung des Widerspruchsbescheides des Beklagten
vom 14.03.2008 gerichtet war. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 14.03.2008 war rechtmäßig. Ein
Widerspruch gegen die Eingliederungsvereinbarung vom 28.01.2008 war unzulässig, da es sich dabei um einen
öffentlich-rechtlichen Vertrag und nicht um einen Verwaltungsakt handelte.
Soweit dagegen die Klage auf die Feststellung gerichtet war, dass die Eingliederungsver-einbarung vom 28.01.2008
insoweit unwirksam ist, als darin die Verpflichtung des Klägers festgelegt wird, eine Arbeitsgelegenheit bei "JOB.IN
Weilheim-Schongau" auszuüben, war die Klage zulässig und begründet.
Die Zulässigkeit der Feststellungsklage ergibt sich aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichts-gesetz (SGG). Danach kann
mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbe-stehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn
der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Das berechtigte Interesse an der baldigen
Fest-stellung der Unwirksamkeit der Eingliederungsvereinbarung ergibt sich aus der in § 31 SGB II festgelegten
Möglichkeit der Sanktionierung von Verstößen gegen die Eingliede-rungsvereinbarung, die bei wiederholten
Pflichtverletzungen bis zum vollständigen Entzug des Arbeitslosengeldes II gehen kann. Die reine Feststellungsklage
war auch nicht subsidiär gegenüber einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage: Der Kläger war nicht
darauf zu verweisen, zunächst die Feststellung der Unwirksamkeit der Vereinbarung durch feststellenden
Verwaltungsakt bei dem Beklagten zu beantragen und gegen einen Ablehnungsbescheid Widerspruch und später
kombinierte Anfechtungs- und Feststel-lungsklage zu erheben. Der Beklagte ist nämlich nicht befugt, die sich aus
einer von ihm selbst abgeschlossenen öffentlich-rechtlichen Vereinbarung ergebenden Rechte und Pflichten durch
Verwaltungsakt festzustellen. Die Handlungsform des Verwaltungsaktes ist im Vollzug der sich aus einem
Verwaltungsvertrag ergebenden Rechte und Pflichten unzulässig (vgl. Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, 5. A.
2005, § 60 Rdnr. 4).
Die Vereinbarung der Verpflichtung des Klägers, an Arbeitsgelegenheiten durch "JOB.IN" teilzunehmen, war unter
mehreren Gesichtspunkten rechtswidrig:
1. Obwohl der Kläger mit seiner Tätigkeit als Zeitungszusteller ein berechtigtes An-liegen vorgebracht hat, das für die
Teilnahme an der Arbeitsgelegenheit von Be-lang war, hat es der Beklagte unterlassen, in irgendeiner Weise in der
Eingliede-rungsvereinbarung auf diesen Belang einzugehen. Es genügt nicht als Rechtferti-gung, dass der Beklagte in
einem Aktenvermerk intern niederlegt, dass ein Einsatz am Nachmittag ohne Weiteres möglich wäre. Vielmehr hätte
eine solche Beschränkung auf den Nachmittag Inhalt der Eingliederungsvereinbarung werden müssen, um die Rechte
des Klägers auch gegenüber dem Maßnahmeträger, der in der Eingliederungsvereinbarung die unbeschränkte
Befugnis zur Arbeitszutei-lung erhalten hat, zu wahren. Dass dies nicht geschehen ist, stellt einen Verstoß gegen das
in § 15 SGB II enthaltene Verhandlungsgebot dar.
2. Die Eingliederungsvereinbarung ist inhaltlich zu unbestimmt, was den Maßnahme-träger betrifft, dem ein
unbeschränktes Weisungsrecht bei der Zuteilung der Auf-gaben eingeräumt wird. Der Maßnahmeträger "JOB.IN
Weilheim-Schongau" wird in der Eingliederungsvereinbarung nicht weiter spezifiziert. Auf Nachfrage des Vorsitzenden
in der mündlichen Verhandlung erklärte der Bevollmächtigte des Beklagten, dass Träger der Maßnahme "JOB.IN" die
ökumenische Sozialstation im Landkreis Weilheim-Schongau gGmbH in Kooperation mit dem Caritasverband für den
Landkreis Weilheim-Schongau e.V. im Auftrag der Beklagten sei. Diese Trä-gerschaft hat in der
Eingliederungsvereinbarung keinerlei Niederschlag gefunden. Auch lässt die Angabe des Bevollmächtigten der
Beklagten immer noch nicht er-kennen, wer nun genau der Maßnahmeträger ist, die ökumenische Sozialstation
gGmbH oder der Caritasverband.
3. Da für die Arbeitsgelegenheit eine zuzüglich zum Arbeitslosengeld II zu zahlende Mehraufwandsentschädigung
vorgesehen ist, ist die Arbeitsgelegenheit gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II nur dann rechtmäßig, wenn es sich um
im öffentlichen In-teresse liegende, zusätzliche Arbeiten handelt. Ob es sich um solche Arbeiten handelt, muss aus
der Eingliederungsvereinbarung selbst ersichtlich sein. Es ist nicht zulässig, die Bestimmung der Art der Arbeiten
allein dem Maßnahmeträger zu überlassen.
Der Verstoß gegen die genannten Rechtsvorschriften führt gemäß § 58 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 134 BGB zur
Nichtigkeit der entsprechenden Vertragsklausel. Wegen der fehlen-den Waffengleichheit zwischen dem Kläger und
dem Beklagten, der eine Weigerung, die Eingliederungsvereinbarung abzuschließen oder die darin festgelegten
Pflichten zu erfül-len, mit dem Entzug des Existenzminimums ahnden kann, gebietet es der effektive Rechtsschutz
des Klägers, die hier vorliegenden Rechtsverstöße als qualifizierte Rechtsverstöße (vgl. Engelmann, in: Wulffen, SGB
X, 5. A. 2005, § 58 Rdnr. 6) anzusehen, die gemäß § 58 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 134 BGB zur Nichtigkeit
der Vereinbarung führen (für ein vollständiges Entfallen der Wirksamkeitsvermutung nach § 58 SGB X wegen des
Fehlens eines freien Aushandelns bei der Eingliederungsvereinbarung Eicher/ Spellbrink, SGB II, 2. A. 2008, § 15
Rdnr. 11).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.