Urteil des SozG München vom 15.01.2009

SozG München: einkommen aus erwerbstätigkeit, einfluss, geburt, gutachter, krankenversicherung, versuch, beruf, öffentlich, beendigung, bezahlung

Sozialgericht München
Urteil vom 15.01.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 30 EG 37/08
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 04.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 12.03.2008 verurteilt, dem Klä-ger für den 1. Lebensmonat seines Sohnes Elterngeld in Höhe von 1.800,00 EUR
zu erbringen. II. Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. III. Gegen dieses Urteil
ist ohne vorherige Berufung die Revision zum Bundessozialgericht zulässig.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Elterngeldes. Der 1978 geborene und als selbstständiger
Unternehmensberater tätige Kläger beantragte am 26.09.2007 beim Beklagten die Zahlung von Elterngeld wegen
Erziehung seines am 2007 geborenen Sohnes X. L. für die Lebensmonate 1 und 13. Mit Bescheid vom 04.12.2007
bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 12.07.2007 bis 11.08.2007 ein Elterngeld in Höhe von EUR 300,00
und für die Zeit vom 11.07.2008 bis 11.08.2008 in Höhe von EUR 1800,00. Der Zahlbetrag für den erstgenannten
Zeitraum wurde unter Berücksichtigung von Gesamteinkünften aus einer Teilzeittätigkeit berechnet. Der Kläger erhob
insoweit Widerspruch. Er räumte ein, im Juli 2007 Einnahmen gehabt zu haben. Allerdings seien diese auf die
Begleichung von Rechnungen aus seiner selbst-ständigen Tätigkeit in einem früheren Zeitraum zurückzuführen. So
habe er im Juli einen Betrag von EUR 22.393,42 für eine Rechnung vom 31.05.2007 aufgrund von Beratungs-
leistungen im Mai 2007 erhalten. In der Elternzeit vom 12.07. bis 12.08.2007 habe er kei-ne selbstständige Tätigkeit
ausgeführt und somit auch keinen Leistungen in Rechnung stellen können. Der Einnahmeausfall habe sich erst in den
folgenden Monaten bemerkbar gemacht. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom
12.03.2008 zurück. Er verwies auf das steuerliche Zuflussprinzip nach § 11 Einkommensteuergesetz (EStG), wonach
allein die Einnahmen bzw. Ausgaben entscheidend seien und nicht, wann die Ar-beitsleistung erbracht worden sei.
Das zu berücksichtigende Einkommen aus der selbst-ständigen Tätigkeit sei insoweit zu hoch angesetzt worden, als
ein Betrag von EUR 22.393,42 bereits am 04.07.2007, also vor dem Bezugszeitraum, zugeflossen sei. Auch nach
einer Neuberechnung würde es jedoch bei Mindestbetrag von 300 Euro verbleiben, so dass eine Neuberechnung nicht
veranlasst sei. Die Klage hält am Begehren eines Elterngeldes von EUR 1800,00 auch für den Zeitraum vom
12.07.2007 bis 11.08.2007 fest. Der Kläger sei entgegen der Annahme des Beklagten in diesem Zeitraum keinerlei
beruflicher Tätigkeit nachgegangen. Er bot Zeugen für die Tatsache an, in dieser Zeit nicht an seinen üblichen
Projekten und an seinen üblichen Arbeitsplätzen und auch nicht in seiner Wohnung gearbeitet zu haben. Die in diesem
Monat zugeflossen Bezüge stammten aus Arbeitsleistungen vor der Geburt des Kindes. Der Kläger habe keinen
Einfluss darauf, wann die Rechnungen für seine früheren Tätigkeiten bezahlt würden. Der Beklagte verweist auf eine
am 02.08.2007 den Kläger zugeflossene Zahlung von EUR 19.161,38.
Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 04.12.2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 12.03.2008 zur Zahlung eines Elterngeldes in Höhe des Höchstbetrages von EUR
1800,00 abzüglich der bereits bezahlten EUR 300,00 für den Zeitraum 12.07.2007 bis 11.08.2007 zu verurteilen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Akten des Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte
sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsver-fahrens form- und fristgerecht
beim zuständigen Gericht erhoben und ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage auch statthaft. Die
zulässige Klage ist auch in der Sache begründet. Der Beklagte hatte § 1 Abs. 1 Nr. 4 des Bundeselterngeld- und
Elternzeitgesetzes (BEEG) anzuwenden, wonach Anspruch auf Elterngeld nur hat, wer keine oder keine volle
Erwerbstätigkeit ausübt. Nach Abs. 6 S. 1 der Vorschrift ist eine Person nicht oder nicht voll erwerbstätig, wenn ihre
wöchentli-che Arbeitszeit 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats nicht übersteigt. Diese Voraussetzung ist
beim Kläger in den Lebensmonaten 1 und 13 seines Sohnes erfüllt. Der Beklagte kam nur deswegen zu einem
anderen Ergebnis, weil er den Zufluss von Er-trägen aus einer vor der Phase der Kindererziehung ausgeübten
Tätigkeit mit dieser Tä-tigkeit gleichsetzt. Die Worte "kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt" in der Vorschrift
des § 2 Abs. 1 S. 1 BEEG bzw. "ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt, das durchschnittlich geringer ist als das
nach Abs. 1 berücksichtigte durchschnittlich erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt" in § 2 Abs. 3
S. 1 BEEG müssen jedoch dahingehend ausgelegt werden, das der reine Zufluss von Einkommen aus einer aktuell
nicht ausgeübten Tätigkeit außer Betracht bleibt. Ein selbstständig oder freiberuflich täti-ger Elternteil könnte sonst
mindestens für kürzere Bezugszeiträume zwischen einem und etwa drei Monaten niemals Elterngeld erlangen. Der
selbstständiger Handwerksmeister oder Bauunternehmer, die Architektin, Rechtsanwältin, Ärztin, Psychotherapeutin
oder Bildhauerin können es schlechthin nicht vermindern, dass auch Wochen und Monate nach der unstreitigen
Beendigung jeder beruflichen Tätigkeit noch Kaufpreise, Vergütungen und Honorare auf ihrem Konto oder in bar
eintreffen. Beispielsweise der im System der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogene oder für das
Sozialgericht als Gutachter tätige Arzt hat keinen Einfluss auf den Zeitpunkt seiner Bezahlung. Ein Versuch, die Zah-
lung zu beschleunigen oder zu verzögern, würde als unzulässige Manipulation öffentlich-rechtlicher
Verfahrenshandlungen zurückgewiesen werden. Nach alledem muss für den Anspruch auf Elterngeld genügen, dass
der Kläger im geltend gemachten Zeitraum jede Berufstätigkeit eingestellt hat. In dieser Zeit noch zugeflossene
Gelder sind nicht schädlich, weil er eine Tätigkeit nicht ausgeübt hat und der Zusammen-hang der Zahlungen mit einer
vorher ausgeübten Tätigkeit außer Betracht zu bleiben hat. Der Kläger hat das Anliegen des Gesetzgebers erfüllt,
seine zeitliche Inanspruchnahme vom Beruf auf die Kindererziehung zu verlagern. Die Kostenentscheidung beruht auf
§ 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gegen dieses Ur-teil war die sofortige Revision zuzulassen, weil die Auslegung
der zitierten Vorschriften von grundsätzlicher Bedeutung ist. Zusätzlicher Ermittlungsbedarf zum Sachverhalt ist nicht
erkennbar, weil der Beklagte die vollständige Einstellung der Berufstätigkeit des Klä-gers im streitgegenständlichen
Zeitraum und der Beklagte den Zufluss der vom Beklagten angesetzten Einnahmen nicht bestreiten.