Urteil des SozG München vom 07.08.2008

SozG München: grobe fahrlässigkeit, rentenanspruch, altersrente, kiesgrube, rentner, rücknahme, verpachtung, vertrauensschutz, form, mindestdauer

Sozialgericht München
Urteil vom 07.08.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 30 LW 93/07
I. Der Bescheid vom 03.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2007 wird aufgehoben. II. Die
Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist eine Rücknahme des an die Klägerin ergangenen Rentenbescheides mit der
Folge einer Rückforderung von EUR 17.324,96. Die Klägerin ist geboren 1933. Sie beantragte bei der Beklagten am
23.02.1998 eine Al-tersrente. Zu den hierfür notwendigen Voraussetzungen verwies sie auf den Rentenvor-gang ihres
Ehemanns J. I. (1928, verstorben 2007). Mit Bescheid vom 20.03.1998 bewil-ligte ihr die Beklagte eine am 01.05.1998
beginnende Altersrente in einer Höhe von mo-natlich DM 347,43. In einem Aktenvermerk vom 28.03.2007 stellte die
Beklagte intern fest, dass J. I. bei der Antragstellung auf Altersrente unter anderem die in seinem Eigentum
befindlichen Flur-nummern 907, 920, 921, 922 und 923 mit insgesamt 11,45 ha als Kiesgrube nachgewie-sen und
nicht abgegeben hatte. Aufgrund von Bestätigungen der Stadt Wasserburg sei die gesamte Fläche als Kiesgrube in
den Rückbehalt eingerechnet und mit 0,00 % der Mindestgröße bewertet worden. Aus einem am 27.03.2007
eingegangenen Übergabever-trag vom 17.06.2005 gehe hervor, dass eine Teilfläche von 2,8 ha aus den zitierten Flur-
nummern an Herrn B. S. zur landwirtschaftlichen Nutzung verpachtet sei. Es sei zu prü-fen, ab wann eine Änderung
der Kulturart stattgefunden habe bzw. ob die Leistung bereits von Anfang an zu Unrecht gewährt worden sei. Die
Klägerin erwiderte auf entsprechende Anfrage, diese Fläche werde schon seit der Übergabe vom 31.12.1995 von B. S.
als Wie-se bewirtschaftet. Die Beklagte resümierte intern, dass der für Rentner zulässige Selbst-behalt überschritten
sei. Erst mit dem Übergabevertrag vom 17.06.2005 seien die Abga-bevoraussetzungen erfüllt worden, so dass ein
Rentenanspruch erst ab 01.07.2005 gege-ben sei. Am 11.06.2007 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer Rücknahme
des Bescheides vom 20.03.1998 und einer Rückforderung der gesamten seit 01.05.1998 ausgezahlten Ren-tenbeträge
an. Sie legte dar, dass der J. I. die zitierten Flurnummern als Kiesgrube ohne landwirtschaftliche Nutzungsmöglichkeit
deklariert und hierbei verschwiegen hatte, dass eine Teilfläche von ca. 2,8 ha mündlich an B. S. zur
landwirtschaftlichen Nutzung ver-pachtet gewesen sei. Die notwendige Laufzeit von neun Jahren sowie die Schriftform
sei-en hierbei nicht gewahrt gewesen. Mit Bescheid vom 03.07.2007 an die Klägerin verwirklichte die Beklagte ihre
Absicht, nahm den Rentenbescheid vom 20.03.1998 mit Wirkung für die gesamte Vergangenheit und die Zukunft
zurück und forderte die Erstattung von EUR 17.324,96 einschließlich der gezahlten Zuschüsse für die Aufwendungen
zur Kranken- und Pflegeversicherung. Zur Begründung führte sie an, J. I. und die Klägerin hätten im Sinne der
Rücknahmevorschrift des § 45 Sozialgesetzbuch X (SGB X) vorsätzlich falsch angegeben, keine Unterneh-mensteile
zurückbehalten zu haben. Man habe zu keiner Zeit mitgeteilt, dass Teile der als Kiesgrube deklarierten Flächen als
landwirtschaftliche Flächen verpachtet waren. Bei der Ausübung ihres Ermessens könne sie keine Gründe feststellen,
die eine Rücknahme ver-hindern müssten. Mit Bescheid vom 04.07.2007 gewährte die Beklagte der Klägerin auf einen
erneuten An-trag hin eine am 01.03.2007 beginnende neuberechnete Altersrente im Hinblick auf die zwischenzeitlich
tatsächlich erfüllten Voraussetzungen. Die Klägerin erhob gegen den Bescheid vom 03.07.2007 Widerspruch und
führte u. a. aus, mindestens am 17.06.2005 habe sie durch Überlassung der zitierten Flurnummern ihren Sohn
unzweifelhaft einen Rentenanspruch erworben. Die Beklagte wies den Wider-spruch zurück. Die Klage bestreitet
falsche Angaben von J. I ... Die gesamten Flurnummern 907, 920, 921, 922 und 923 seien als reine Kiesabbauflächen
nicht bewirtschaftbar gewesen. Ihre ausschließliche Nutzung durch B. S. könne belegt werden. Hintergrund der
Vereinbarun-gen zwischen dem Rentner und Herrn S. sei gewesen, dass der Letztere die Pachtung der genannten
Flächen nachweisen und die entsprechende jährliche Förderung habe er-halten können. Zusätzlich sei vereinbart
gewesen, dass die Verpachtung der Flächen bis zur Übertragung des Unternehmens an den Sohn des Rentners
andauern sollte. Mit der langjährigen Verpachtung habe der Rentner in einer der Abgabe gleichstehenden Weise die
landwirtschaftliche Nutzung seiner Flächen auf eigenes Risiko auf längere Dauer un-möglich gemacht. Zwischen den
Beteiligten wurde auch noch das Widerspruchsvorbringen erörtert, ob die Klägerin nach Erfüllung der Voraussetzungen
ab 01.07.2005 weiterhin einen Rentenan-spruch gehabt habe. Die Beklagte wies darauf hin, dass sie nach ihrer
Interpretation der ab 1998 bestehenden materiellen Lage keinen Rentenanspruch gehabt habe. Anders als im Falle
eines nachträglich eintretenden Ruhenstatbestandes könne der Rentenanspruch nicht nach Behebung des
Anspruchshindernisses wieder aufleben. Zur Realisierung des mit 01.07.2005 erstmals entstehenden
Rentenanspruches sei ein zeitgerechter Antrag erforderlich gewesen. Die Klägerin beantragt die Aufhebung des
Bescheides vom 03.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 19.09.2007. Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen. Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird
auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsver-fahrens form- und fristgerecht
beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig. Sie ist in der Sache auch begründet. Die Beklagte hat
materiell zutreffend festgestellt, dass die Klägerin vor 2005 keinen An-spruch auf Altersrente hatte. Um einen
Anspruch auf Altersrente von der Landwirtschaftli-chen Alterskasse zu erwerben, muss ein Versicherter nicht nur eine
Altersgrenze über-schritten haben und das gesetzliche Mindestmaß an Pflichtbeiträgen entrichtet haben. Er muss
vielmehr des weiteren nachweisen, dass er in einer den Anforderungen des § 21 des Gesetzes über die
Alterssicherung der Landwirte (ALG) genügenden Form und End-gültigkeit sein landwirtschaftliches Unternehmen bis
auf einen unschädlichen Rückbehalt aufgegeben hat. Verpachtungen müssen hierbei nach Abs.2 der Vorschrift mit
schriftli-chem Vertrag und über eine Mindestdauer von neun Jahren erfolgen. J. I. hat fälschlich die zitierte Gruppe
von Flurstücken insgesamt als nicht landwirtschaftlich nutzbare Kies-grube deklariert, in Wirklichkeit jedoch 2,8 ha
davon als landwirtschaftliche Nutzfläche mündlich und ohne Festlegung einer Mindestdauer verpachtet. Die
Behauptung des Klä-gervertreters, diese Flächen seien nicht landwirtschaftlich nutzbar gewesen, widerlegt er sogleich
selbst, indem er ausführt, B. S. habe für ihre landwirtschaftliche Nutzung Sub-ventionen beantragt und erhalten. Es
geht nicht an und mündet in strafrechtlich relevanten Betrug, gegenüber verschiedenen Behörden durch einander
widersprechende Sachdar-stellungen Leistungsansprüche zu optimieren. Entweder konnte der Ehemann der Kläge-rin
trotz eines unschädlichen Rückbehalts nicht nutzbarer Flächen Rente beziehen oder B. S. konnte sich die durchaus
stattfindende Nutzung derselben Flächen subventionieren lassen. Beide Vorteile gleichzeitig zu genießen, konnte
rechtlich nicht zulässig sein. An-gesichts der aktenkundigen Subventionsvorgänge musste und muss die Beklagte
von ei-ner Nutzbarkeit der Flächen ausgehen und durfte die gegenteilige Behauptung des Versi-cherten als vorsätzlich
falsch beanstanden. Vorgänge der Stilllegung und Aufforstung landwirtschaftlicher Nutzflächen bedürfen der
vorherigen Genehmigung und der zeitnahen Dokumentation; der rein tatsächliche Verzicht auf optimalen Ertrag oder
irgendwelche tat-sächlichen Umstände, die den wirtschaftlichen Wert von Flächen mindern, stehen solchen
Rechtsakten nicht gleich. Zutreffend hat die Beklagte ausgeführt, dass die tatsächlich erfolgte Verpachtung der
schädlichen Flächen am 17.06.2005 den zuvor ausgeschlossenen Rentenanspruch nicht nachträglich automatisch
entstehen lässt. Die ursprüngliche Leistungsantrag ist mit der wenn auch fälschlichen Zusprache einer Rente
verbraucht und kann nicht erneut heran-gezogen werden, wenn die Voraussetzungen für diese Rente nachträglich
tatsächlich ein-treten. Rechtswidrige begünstigende Bescheide können nur zurückgenommen werden, wenn kein
schutzwürdiges Vertrauen in ihren Bestand zu beachten ist, § 45 Abs. 2 Satz 1 Sozi-algesetzbuch X (SGB X). Wenn
wie im Falle der Klägerin über Jahre hinweg Leistungen zum Lebensunterhalt erbracht wurden, besteht kein
vernünftiger Zweifel, dass diese Leis-tungen im Sinne von Satz 2 der Vorschrift verbraucht sind. Dies nennt das
Gesetz als Re-gelfall der Schutzwürdigkeit des Vertrauens. Die Berufung auf dieses Vertrauen scheitert jedoch, wenn
Ausschlussgründe nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 vorliegen. J. I. hat im Sinne der Nr. 2 vorsätzlich falsche
Angaben gemacht und daraufhin als Rentner nach Empfang detaillierter Merkblätter und eines ausführlichen
Bescheides auch im Sinne der Nr. 3 gewusst, dass ihm keine Rente zusteht. Zu Gunsten der Klägerin muss jedoch
an-genommen werden, dass sie beim Ausfüllen und bei der Unterzeichnung einer am 02.08.1996 eingegangenen
formblattmäßigen Erklärung zu den zurückbehaltenen Unter-nehmensteilen noch nicht an einen eigenen erst knapp
zwei Jahre später entstehenden Rentenanspruch dachte. Ein Vorsatz oder eine grobe Fahrlässigkeit bezogen sich
damals allenfalls auf die Erlangung eines Rentenanspruchs für ihren Ehemann, noch nicht jedoch auf die
Herbeiführung eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes zu ihren eigenen Gunsten. Bei der eigenen
Rentenantragstellung am 23.02.1998 bezog sie sich lediglich auf die bereits 1996 gemachten Angaben. Deren
ausdrückliche Wiederholung, Aktualisierung oder nochmalige Bestätigung wurde ihr nicht abverlangt. Von daher kann
hier der Vorwurf vorsätzlicher oder grob fahrlässig falsche Angaben nicht mit der notwendigen Beweiskraft gemacht
werden. Desgleichen kann der Klägerin nicht mit hinreichen-der Sicherheit vorgeworfen werden, dass sie sich bei
Erhalt ihres eigenen Rentenbescheides an den Schriftwechsel von 1996 erinnerte und demgemäß wusste oder nur
grob fahrlässig nicht wusste, dass ihr Rentenbescheid rechtswidrig war. Im Ergebnis muss der Klägerin ein
Vertrauensschutz für die Vergangenheit zugesprochen werden. Nach Bewilligung eines neuerlichen Anspruchs auf
Altersrente ist nur eine Rück-nahme für die Vergangenheit strittig. Diese ist bei gegebenem Vertrauensschutz nicht
zu-lässig. Weitere Kriterien wie Rücknahmefristen oder Ermessensgesichtspunkte sind in einer solchen Lage nicht
mehr zu prüfen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).