Urteil des SozG München vom 14.07.2008

SozG München: auflage, materielles recht, vorläufige einstellung, strafverfahren, darlehen, strafprozessordnung, akte, kündigung, form, sozialhilfe

Sozialgericht München
Beschluss vom 14.07.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 51 AS 1487/08 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 7 B 634/08 AS ER
Bundessozialgericht B 14 AS 72/08 S
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob die Antragsgegnerin vorläufig verpflichtet ist, dem Antragsteller 1500,- Euro für die Zahlung einer
Auflage für die Einstellung eines Strafverfahrens und 851,- Euro für die Kosten des Strafverteidigers in Form eines
Darlehens zu gewähren.
Der 1973 geborene Antragsteller bezieht seit 15.11.2007 Arbeitslosengeld II von der Antragsgegnerin. Den ersten
Leistungsantrag stellte er, nachdem sein Arbeitsverhältnis von seinem Arbeitgeber zum 27.10.2007 außerordentlich
und fristlos gekündigt wurde. Hiergegen erhob der Antragsteller eine Kündigungsschutzklage.
Der Arbeitgeber stellte in Zusammenhang mit der Kündigung eine Strafanzeige. Im Strafverfahren ließ sich der
Antragsteller durch einen Strafverteidiger vertreten. Mit Schreiben vom 16.04.2008 übermittelte dieser Rechtsanwalt
dem Antragsteller eine Kostennote für das strafrechtliche Verfahren in Höhe von 851,03 Euro mit dem Hinweis, dass
die Zahlung bis spätestens 02.05.2008 erwartet werde. Mit Schreiben vom 17.04.2008 beantragte der Antragsteller bei
der Antragsgegnerin ein Darlehen für diese Kosten. Die Vertretung durch den Strafverteidiger sei erforderlich, um das
Strafverfahren und das arbeitsgerichtliche Verfahren unbeschadet zu überstehen.
Mit Bescheid vom 25.04.2008 wurde der Antrag abgelehnt. Neben der Regelleistung bestehe ein Anspruch auf
einmalige Leistungen nur nach § 23 Abs. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Kosten eines
Strafverteidigers seien hiervon nicht erfasst. Ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II komme nicht in Betracht, weil die
Anwaltskosten weder von der Regelleistung umfasst seien noch ein unabweisbarer Bedarf seien. Gegen diesen
Bescheid erhob der Antragsteller am 15.05.2008 Widerspruch. Es handle sich bei diesen Kosten um Kosten zur
Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes.
Am 14.05.2008 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Übernahme von 1500,- Euro für die Zahlung
einer Auflage für die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a Abs. 2 Strafprozessordnung. Mit Beschluss vom
29.05.2008 stellte das Amtsgericht München die Strafsache vorläufig gemäß § 153a Strafprozessordnung (StPO) ein
unter der Auflage, dass der Antragsteller 1500,- Euro ab Juli 2008 in drei Raten von je 500,- Euro an eine
gemeinnützige Einrichtung bezahlt.
Mit Bescheid vom 20.05.2005 wurde der Antrag zur Begleichung der Auflage des Strafverfahrens abgelehnt. Es
handle sich weder um einmalige Leistungen nach § 23 Abs. 3 SGB II noch um einen Fall nach § 23 Abs. 1 SGB II.
Mit Urteil des Arbeitsgerichts vom 27.05.2008 wurde festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die
Kündigung beendet wurde, sondern unverändert fortbestehe.
Am 18.06.2008 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht einen Antrag auf einstweilige Anordnung. Er begehre die
darlehensweise Kostenübernahme in Höhe von 2351,- Euro. Das gewährte Arbeitslosengeld II reiche nicht aus, um die
Auflage aus dem Strafverfahren und die Rechnung des Strafverteidigers zu begleichen. Die Einstellung des
Strafverfahrens sei förderlich für sein weiteres Berufsleben.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Antragsgegnerin durch einstweilige Anordnung vorläufig zu verpflichten,
dem Antragsteller 2351,- Euro darlehensweise zur Verfügung zu stellen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin trägt vor, dass die strittigen Leistungen nicht von der Regelleistung umfasst seien und auch
keine einmalige Leistungen hierfür vorgesehen seien.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands wegen der Einzelheiten auf die Akte des Gerichts und die Akte der
Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Da der Antragsteller eine Erweiterung seiner Rechtsposition anstrebt, ist eine einstweilige Anordnung in Form einer
Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes mit Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Eine solche Anordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch (materielles Recht, für das einstweiliger
Rechtsschutz geltend gemacht wird) als auch einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit im Sinne der Notwendigkeit
einer vorläufigen Regelung, weil ein Abwarten auf eine Entscheidung nicht zuzumuten ist) voraus. Sowohl
Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920
Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung).
Es besteht hier schon kein Anordnungsanspruch für die begehrten Leistungen. Hinsichtlich der Kosten für den
Strafverteidiger besteht auch kein Anordnungsgrund.
Ein Anspruch auf ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II besteht nicht. Nach § 23 Abs. 1 SGB II ist für einen von der
Regelleistung umfassten Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts ein Darlehen zu gewähren, wenn der Bedarf nach
den Umständen unabweisbar ist und weder durch das Vermögen aus dem Anschaffungsfreibetrag (§ 12 Abs. 2 S. 1
Nr. 4 SGB II) noch auf andere Weise gedeckt werden kann. Es ist fraglich, ob die begehrten Leistungen von der
Regelleistung nach § 20 SGB II umfasst sind, weil die Kostenentlastung Hilfebedürftiger in gerichtlichen Verfahren in
den einzelnen Verfahrensordnungen jeweils spezialgesetzlich geregelt ist. Das kann aber offen bleiben, ob weil es
sich jedenfalls nicht um unabweisbare Bedarfe nach handelt.
Ein unabweisbarer Bedarf läge nur vor, wenn dieser ohne zeitliche Verzögerung zu decken wäre und es ohne die
Bedarfsdeckung zu einer erheblichen Beeinträchtigung des existenznotwendigen Bedarfs kommen würde. Es müsste
sich um einen Bedarf handeln, der zur Führung eines menschenwürdigen Daseins notwendig und unerlässlich ist (vgl.
Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 23 Rn. 27, 29, 31 f).
Für die Kosten eines Strafverteidigers gibt es gesonderte Regelungen innerhalb der Strafprozessordnung, namentlich
die Bestellung eines Verteidigers durch das Gericht (vgl. § 140 StPO). Es handelt sich bei der damit möglichen
Kostenbefreiung um vorrangige Sonderregelungen mit sozialhilferechtlichem Charakter (vgl. Grube/Wahrendorf, SGB
XII, 2. Auflage, § 73 Rn. 3 a.E.). Wenn das zuständige Strafgericht in Hinblick auf die einschlägigen Regelungen
(insbesondere § 140 Abs. 2 S. 1 StPO) von der Bestellung eines Verteidigers absieht, hat es damit sein Bewenden.
Ein Rückgriff auf Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe wegen eines unabweisbaren Bedarfs ist ausgeschlossen.
Die Bezahlung der Auflage nach § 153a StPO ist ebenfalls kein unabweisbarer Bedarf nach § 23 Abs. 1 SGB II. Wenn
der Antragsteller die Auflage nicht bezahlen kann, ist die vorläufige Einstellung hinfällig und das Strafverfahren wird
fortgeführt. Dass der Antragsteller dies vermeiden will, ist nachvollziehbar. Es führt aber nicht zu einer erheblichen
Beeinträchtigung des existenznotwendigen Bedarfs, wenn der Antragsteller das Strafverfahren nicht auf diese Weise
beenden kann und sich seiner strafrechtlichen Verantwortung in einem rechtsstaatlichen Verfahren weiter stellen
muss.
Die begehrten Leistungen fallen auch nicht in den Katalog der Einmalleistungen nach § 23 Abs. 3 SGB II
(Erstausstattung Wohnung und Bekleidung, mehrtägige Klassenfahrten).
Der Antragsteller geht davon aus, dass die Einstellung des Strafverfahrens für sein weiteres Berufsleben förderlich
wäre. Ein Anspruch auf weitere Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach § 16 Abs. 2 SGB II kann schon deswegen
nicht bejaht werden, weil es sich dabei um Ermessensleistungen handelt und eine Ermessensreduzierung auf Null
nicht im Ansatz erkennbar ist.
Bei den Kosten für den Strafverteidiger fehlt es auch an einem Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit einer
gerichtlichen Entscheidung. Es ist nicht erkennbar, dass eine vorläufige Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.