Urteil des SozG München vom 14.07.2006

SozG München: versicherungspflicht, freiwillige versicherung, erwerbsunfähigkeit, nichtigkeit, beendigung, verwaltungsakt, merkblatt, auflage, rente, vollmacht

Sozialgericht München
Urteil vom 14.07.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 17 R 5384/02
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Beendigung der Antragspflichtversicherung für Selbstständige.
Der 1959 geborene Kläger ist Ingenieur und beendete sein Ende 1977 begonnenes Hochschulstudium im März 1982.
Versicherungspflichtig beschäftigt war er von 28.08.1978 bis 19.01.1979, von 01.01.1983 bis 31.12.1990 und von
01.05.1991 bis 31.12.1993, Arbeitslosigkeit bestand von 01.01.1991 bis 30.04.1991 und von 01.01.1994 bis
26.12.1994. Seit 1983 versteuert er Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit.
Die Mutter des Klägers ließ sich am 17.01.1995 bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten einen Termin
zur Beratung für 07.02.1995 geben. Am 07.02.1995 unterschrieb sie folgende Erklärung: "Die Versicherungspflicht für
meinen Sohn P. soll im Januar 1995 beginnen. Der Antrag wurde mündlich mit der Terminvergabe zur Beratung am
17.01.1995 gestellt. Ein Nachweis über den Beginn der selbständigen Tätigkeit wird nachgereicht."
Anlässlich der Beratung erhielt sie den Vordruck "Antrag auf Beitragszahlung" und die Erläuterungen zum Antrag auf
Beitragszahlung" (6. Auflage 04/94) ausgehändigt. In den Erläuterungen ist unter "Pflichtversicherung für selbständig
Tätige" u.a. folgendes ausgeführt: "Selbständig Tätige, die nicht zu den kraft Gesetzes pflichtversicherten
Selbständigen zählen, sind nicht versicherungspflichtig. Sie können jedoch die Versicherungspflicht beantragen ... Die
Pflichtversicherung für die selbständig Tätigen tritt nur auf Antrag ein. Sie muß innerhalb von 5 Jahren nach
Aufnahme der selbständigen Tätigkeit ... beim Rentenversicherungsträger beantragt werden. Die Versicherungspflicht
beginnt mit dem Tag nach Eingang des Antrags, frühestens mit dem Tag, an dem die Voraussetzungen für die
Versicherung erfüllt sind. Ein Verzicht, d.h. ein Ausscheiden aus der Versicherungspflicht ist nicht möglich, solange
die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird."
Der Kläger stellte mit dem von der Mutter ausgefüllten und von ihm selbst unterschriebenen Antragsvordruck Antrag
auf Pflichtversicherung für selbstständig Tätige, der bei der Beklagten am 14.02.1995 eingegangen ist. Im Anschluss
an den Text "Wir bitten, vor dem weiteren Ausfüllen des Antrags die beigefügten Erläuterungen zu lesen, aus denen
Sie ersehen können, ob für Sie die Pflichtversicherung auf Antrag oder die Pflichtversicherung kraft Gesetzes in
Betracht kommt. (Bitte Nachweise beifügen, z.B. Gewerbeanmeldung)" ist angekreuzt "Pflichtversicherung auf Antrag
als selbständig Tätiger". Dann folgen die Angaben "(Selbständig tätig seit) 01.01.1995 (Art der Tätigkeiten)
Ingenieurbüro f. Entwicklung v. Hochfrequenz- und Laseroptischen Komponenten (wöchentliche Arbeitszeit in
Stunden) 40"
Mit Schreiben vom 28.02.1995 (Eingang 02.03.1995) übersandte der Kläger "den noch fehlenden Nachweis seiner
selbstständigen Tätigkeit für den laufenden Antrag zur Sozial-/Rentenversicherung" in Form einer Bestätigung des
Steuerberaters vom 17.02.1995: "Herr Dipl-Ing ..., geb ... 1959 führt die bis Ende 1994 lediglich nebenberuflich
ausgeübte selbständige Tätigkeit seit Beginn 1995 nun hauptberuflich aus. Herr ... ist Entwicklungsingenieur und
betreibt ein Ingenieurbüro in München."
Die Landesversicherungsanstalt Oberbayern (LVA Obb.) erteilte den an den Kläger gerichteten Bescheid vom
05.05.1995 mit folgendem Inhalt: "Aufgrund Ihres Antrages vom 17.01.1995 sind Sie ab 18.01.1995 nach § 4 Abs. 2
des Sozialgesetzbuchs - Sechstes Buch (SGB VI) - versicherungspflichtig. Die Versicherungspflicht beginnt mit dem
Tag, der dem Eingang des Antrags folgt, frühestens jedoch mit dem Tag der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit.
Die Versicherungspflicht endet mit Ablauf des Tages, an dem die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht
wegfallen. Wir bitten Sie daher, uns die Aufgabe Ihrer selbständigen Tätigkeit unverzüglich mitzuteilen. Die Höhe des
Monatsbeitrags ..."
Im Juli 1995 übersandte der Kläger der LVA Obb. eine Einzugsermächtigung und fügte hinzu: "Da der
Beratungstermin Ihrerseits erst um den 17.1.1995 erfolgen konnte wir jedoch einen lückenlosen Versicherungsverlauf
anstreben, bitten wir Sie freundlichst den Beginn der selbständigen Sozialversicherung auf den Januar, 1, 95
abzuändern."
Pflichtbeiträge auf der Grundlage der Antragspflichtversicherung leistete der Kläger von 18.01.1995 bis 31.12.2000.
Beitragsanpassungen erfolgten mit Bescheiden vom 07.01.1998, 06.11.1998 und 24.11.2000.
Am 01.12.2000 nahm der Kläger ein Beschäftigungsverhältnis auf. Die selbstständige Tätigkeit übt er seither weiterhin
aus.
Mit Schreiben vom 29.11.2000 (Eingang 30.11.2000) wendete er sich an die LVA Obb.: "Zwecks Aufgabe meines
bisherigen selbstständigen Geschäftsvorhabens und meinem Wechsel in das Angestelltenverhältnis zum 1.12.2000
kündige ich hiermit meine freiwillige Rentenversicherung mit Wirkung zum Monatswechsel Nov./Dez. 2000. Das
Angestelltenverhältnis beginnt zum 1.12.2000 bei folgendem Arbeitgeber: ... Ich bin vom Arbeitgeber als Angestellter
und nicht als Arbeiter übernommen, und wechsele somit zur Rentenversicherung für Angestellte Berlin."
Die LVA Obb. wies mit Schreiben vom 02.02.2001 darauf hin, dass, nachdem die selbständige Tätigkeit nach wie vor
ausgeübt werde, eine Mehrfachversicherung entstehe und aus beiden Tätigkeiten Beitragspflicht bis zur Höhe der
Beitragsbemessungsgrenze bestehe.
Am 22.01.2001 erteilte der Kläger seiner Mutter Vollmacht, ihn "in allen Belangen bei der Sozialversicherungsanstalt"
zu vertreten, im Fax vom 12.03.2002 nahm er auf die Bevollmächtigung Bezug.
Mit Schreiben vom 15.03.2001, gerichtet sowohl an die Beklagte als auch an die LVA Obb. (Eingang jeweils am
19.03.2001) stellte die Mutter des Klägers den Antrag, ihren Sohn aus der freiwilligen Pflichtversicherung zu
entlassen. Am 07.02.1995 habe sie im Auftrag ihres Sohnes den Antrag auf eine freiwillige Pflichtversicherung zum
Zweck der Absicherung bei Erwerbsunfähigkeit gestellt; dieses Risiko habe nur mit Pflichtbeiträgen abgedeckt werden
können. Es sei auf den von ihr vorgetragenen Zweck des Antrags weder eine Aufklärung noch Hinweise über Vor- und
Nachteile sowie über zukünftige Festlegungen und Verpflichtungen, die mit diesem Antrag einhergehen, gegeben
worden. Erst nach ihrer Unterschrift auf der Antragserklärung sei ihr ein Merkblatt vom 04.1994 (6. Auflage) übergeben
worden. Aus diesem Merkblatt sei ihres Erachtens für den Laien in keiner Weise erkenntlich, welche zukünftigen
Konsequenzen mit dieser Versicherung verbunden sind. Erst in einem Gespräch im Nov./Dez. 2000 mit einer
Vertreterin der LVA sei sie über die zukünftigen Auswirkungen aufgeklärt worden. Wäre ihr dies zum Zeitpunkt der
Antragstellung mitgeteilt worden, hätte sie von dieser Versicherung abgesehen. Ferner weise sie auf die Entscheidung
des Bundessozialgerichts (BSG) B 13 RJ 87/98 R hin.
Nachdem der Kläger die alleinige Zuständigkeit der Beklagten gefordert (Schreiben vom 22.01.2001 und 27.02.2001),
die Einzugsermächtigung für die LVA Obb. widerrufen und der Beklagten eine Einzugsermächtigung erteilt hatte, gab
die LVA Obb. mit Schreiben vom 29.05.2001 den Vorgang an die Beklagte unter Hinweis darauf ab, dass der letzte
Beitrag als Mehrfachversicherter zur Beklagten entrichtet worden sei.
Mit Bescheid vom 20.02.2002 (Zugang 28.02.2002) lehnte die Beklagte den Antrag vom 15.03.2001 auf Beendigung
der Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs. 2 SGB VI ab. Dem Antrag könne nicht entsprochen werden, weil die
selbstständige Tätigkeit noch ausgeübt werde. Der mit Schreiben vom 15.03.2001 geltend gemachte
Beratungsmangel habe aus den vorliegenden Unterlagen nicht nachvollzogen werden können.
Mit einem weiteren Bescheid vom 20.02.2002 wurde aufgrund des Antrags vom 07.02.1995 Versicherungspflicht ab
01.01.2001 gemäß § 4 Abs. 2 SGB VI festgestellt und die Zahlung rückständiger Beiträge ab 01.01.2001 gefordert.
Diesen Bescheid hob die Beklagte im Erörterungstermin am 11.03.2004 auf.
Den vom Kläger am 12.03.2002 eingelegten Widerspruch begründete die Mutter des Klägers mit Schreiben vom
10.04.2002 (unterschrieben auch vom Kläger). Sie habe im Beratungsgespräch am 07.02.1995 den Wunsch ihres
Sohnes vorgetragen, dass er sich gegen Erwerbsunfähigkeit absichern möchte, da er nach einer unselbstständigen
Tätigkeit jetzt einen freien Beruf ausübt. Ihr sei erklärt worden, dass er eine freiwillige Pflichtversicherung abschließen
müsste, da eine freiwillige Versicherung nicht mehr ausreiche als Absicherung gegen das Risiko der
Erwerbsunfähigkeit. Weitere Auskünfte und Hinweise, dass mit dem Abschluss auch Auswirkungen in die Zukunft wie
Versicherungspflicht für das gesamte Berufsleben einhergingen, habe es nicht gegeben. So habe sie ruhigen
Gewissens den Antrag stellen können. Auch ein beim Hinausgehen überreichtes Merkblatt (Erläuterungen zum Antrag
auf Beitragszahlung 6. Auflage 04/94) könne die Versäumnisse der Beratung nicht aufheben, insbesondere dann,
wenn in einem Merkblatt eine gravierende Bestimmung in verharmlosender Form dargestellt, nicht hervorgehoben
werde und in den allgemeinen Dingen untergehe. Außerdem bittet sie um Klärung, ob im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses im Jahre 1995 eine Absicherung auf Erwerbsunfähigkeit überhaupt möglich war oder nur gegen
Berufsunfähigkeit. Schließlich weist sie erneut auf die Entscheidung des BSG B 13 RJ RJ 87/98 hin.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2002 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Dem Begehren, Beendigung der
bestehenden Pflichtversicherung i.S.d. § 4 Abs. 2 SGB VI, könne nicht entsprochen werden. Über die Aufgabe der
selbstständigen Tätigkeit liege kein Nachweis vor. Bereits im Bescheid der LVA Obb. vom 05.05.1995 sei darauf
hingewiesen worden, dass eine Beendigung der Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 SGB VI nur bei Aufgabe der
hingewiesen worden, dass eine Beendigung der Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 SGB VI nur bei Aufgabe der
selbstständigen Erwerbstätigkeit erfolgen könne. Ein Beratungsmangel sei nicht nachgewiesen. Da nach Angaben des
Widerspruchführers der Antrag auf Beitragsentrichtung vom 17.01.1995 mit dem Ziel der Absicherung bei
Erwerbsunfähigkeit gestellt wurde und er vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren belegt mit
Pflichtbeiträgen nicht erfüllt habe, sei eine Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente
wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bzw. teilweiser/voller Erwerbsminderung nur durch die Entrichtung von
Pflichtbeiträgen möglich gewesen.
Die am 07.11.2002 erhobene Klage wird damit begründet, dass die Antragspflichtversicherung jedenfalls ab
01.01.2001 nicht mehr bestehe, da der Kläger seinen ursprünglich geäußerten Willen, nämlich die Versicherungspflicht
durchzuführen, eindeutig widerrufen habe. Rückwirkend für die Zeit ab 01.01.1995 sei dem Antrag auf Beendigung der
Versicherungspflicht stattzugeben, weil ein offensichtlicher Beratungsmangel vorliege, der für die getroffene
Entscheidung maßgebend gewesen sei. Die Mutter des Klägers sei am 17.01.1995 unvollständig beraten worden. Sie
sei nicht darüber aufgeklärt worden, dass ein Schutz für den Fall des Eintritts von Erwerbsunfähigkeit gar nicht
möglich gewesen sei, ferner sei sie nicht darüber aufgeklärt worden, dass ein Ausscheiden aus der freiwilligen
Pflichtversicherung nur für den Fall einer endgültigen Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit möglich sei. Unter
den Voraussetzungen des sogenannten Herstellungsanspruchs könne der Betroffene verlangen, so gestellt zu
werden, wie es bei fehlerfreier Beratung der Fall gewesen wäre. Bei korrekter Beratung hätte der Kläger zweifelsohne
den Antrag auf freiwillige Pflichtversicherung nicht gestellt. Gerügt wird ergänzend, dass der Bescheid vom
05.05.1995 wegen falscher Zustellung nicht rechtswirksam sei. Er hätte an die Mutter, nicht an den Kläger geschickt
werden müssen. Die Mutter sei bevollmächtigt gewesen, was sich nicht zuletzt aus dem Beratungsvermerk vom
07.02.1995 ergäbe. Grundsätzlich könne bei Ehegatten und Verwandten in gerader Linie gemäß § 73 Abs. 2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) eine Bevollmächtigung unterstellt werden. Schließlich wird geltend gemacht, dass es an
einem Antrag auf Pflichtversicherung fehle, wenn der Einwand der Beklagten zutreffe, dass eine Vollmacht für die
Mutter nicht vorgelegen habe.
Nach einem Erörterungstermin am 11.03.2004 wird die Klage dahingehend erweitert, dass die Nichtigkeit oder die
Unwirksamkeit des Bescheids vom 05.05.1995 festgestellt werden soll. Der Bescheid vom 05.05.1995 hätte nicht
ergehen dürfen. Die Fünf-Jahres-Frist des § 4 Abs. 2 SGB VI sei nicht gewahrt gewesen, weil der Kläger bereits seit
1983 durchgehend selbstständig tätig gewesen sei. Deswegen sei der Bescheid nichtig im Sinn von § 40
Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), in jedem Fall aber wegen Unwirksamkeit aufzuheben.
Mit Bescheid vom 02.06.2004 machte die Beklagte aufgrund der von der LVA Obb. mit Bescheid vom 05.05.1995
festgestellten Versicherungspflicht nach § 4 Abs. 2 SGB VI Pflichtbeiträge für die Zeit von 01.01.2001 bis 30.04.2001
in Höhe von 16.980,73 EUR geltend.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.02.2002 in Gestalt des
Widerspruchbescheids vom 27.09.2002 zu verpflichten, die Beendigung der Antragspflichtversicherung vorzunehmen,
hilfsweise die gerichtliche Feststellung, dass der Bescheid vom 05.05.1995 nichtig oder unwirksam ist.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Unter Bezugnahme auf den eindeutigen Hinweis im Bescheid der LVA Obb. über den Wegfall der Versicherungspflicht
macht sie geltend, dass der Kläger diesen Bescheid mit einem Widerspruch hätte anfechten können, wenn er mit der
festgestellten Versicherungspflicht nicht einverstanden gewesen wäre. Sie stellt klar, dass nach dem vor dem
01.01.2001 geltenden Recht ein Selbstständiger bei Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit durchaus einen Anspruch
auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit haben konnte. Zum Zeitpunkt des Beginns der Versicherungspflicht auf Antrag
seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit erfüllt
gewesen, da innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beginn der Antragspflichtversicherung mindestens 36 Monate mit
Pflichtbeiträgen belegt waren. Dieser Versicherungsschutz habe nur mit Pflichtbeiträgen aufrecht erhalten werden
können. Außerdem könne nicht nachvollzogen werden, warum in der ausführlichen Beratung kein Hinweis auf die
Voraussetzungen für das Ende der Versicherungspflicht als Selbstständiger gegeben worden sein sollte. Weitere
Hinweis habe auch das Merkblatt enthalten, das der Mutter des Klägers im Beratungsgespräch zusammen mit dem
Formblattantrag ausgehändigt worden sei. Trotz vorliegenden Merkblatts habe der Kläger nach Erhalt des LVA-
Bescheids nicht widersprochen.
Zum Petitum der Nichtigkeit des Bescheids vom 05.05.1995 weist sie darauf hin, dass der Kläger im Formantrag
selbst angegeben habe, erst seit 01.01.1995 selbstständig tätig zu sein und bis 31.12.1994 bereits Beiträge gezahlt
zu haben. Darüber hinaus habe der Steuerberater des Klägers am 17.02.1995 bescheinigt, dass der Kläger seine
selbstständige Tätigkeit seit 1995 hauptberuflich ausübe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Beklagtenakte
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Streitgegenstand ist der angefochtene Bescheid vom 20.02.2002 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom
27.09.2002, mit dem der Antrag des Klägers auf Beendigung der Antragspflichtversicherung für Selbstständige
abgelehnt worden ist. Im Wege der Klageänderung ist außerdem Streitgegenstand der Bescheid der LVA Obb. vom
05.05.1995, dessen Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit geltend gemacht wird. Die Klageänderung ist zulässig, weil sich
die Beklagte auf die abgeänderte Klage eingelassen hat, ohne der Klageänderung zu widersprechen (§ 99 Abs. 1 und
2 SGG); im übrigen liegt auch Sachdienlichkeit im Sinn von § 99 Abs. 1 SGG vor. Gegenstand des Verfahrens ist
außerdem der Beitragsbescheid vom 02.06.2004 (§ 96 Abs. 1 SGG analog).
Der Hauptantrag des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid vom 20.02.2002 in Gestalt des
Widerspruchbescheids vom 27.09.2002 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen
Anspruch auf Beendigung der Antragspflichtversicherung, sei es ab 01.01.2001, sei es rückwirkend ab 01.01.1995.
Es gibt keine Rechtsgrundlage für die Beendigung einer Antragspflichtversicherung gemäß § 4 Abs. 2 SGB VI durch
Kündigung oder sonstige Gestaltungserklärung bei fortbestehender, aber in geringerem Umfang ausgeübter
selbstständiger Tätigkeit. Die Antragspflichtversicherung für Selbstständige wurde durch den wirksam gestellten
Antrag des Klägers vom 14.02.1995 begründet und mit Bescheid vom 05.05.1995 bestandskräftig festgestellt. Sie
kann, ebenso wie die durch Gesetz begründete Versicherungspflicht, weder durch den Versicherten gekündigt noch
widerrufen noch sonst durch eine Willenserklärung beendet werden (BSG vom 22.06.2005, B 12 RA 2/04 R; vom
26.01.2005, B 12 RA 3/03 R; Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Januar 2006, § 4 SGB VI Rn.
29). Gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 SGB VI endet die Antragspflichtversicherung vielmehr (nur) mit Ablauf des Tages, an
dem die Voraussetzungen weggefallen sind, also die selbstständige Tätigkeit beendet wird. Diese Regelung
korrespondiert mit § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, wonach die Versicherungspflicht mit dem Tag beginnt, der dem
Eingang des Antrags folgt, frühestens jedoch mit dem Tag, an dem die Voraussetzungen eingetreten sind. In diesem
Kontext nicht rechtserheblich ist die Frage, ob die Versicherungspflicht im Hinblick auf den vom Kläger am
14.02.1995 gestellten Antrag erst mit Wirkung ab 15.02.1995 hätte bestätigt werden dürfen oder zu Recht ab
18.01.1995 auf der Grundlage des von der Mutter am 17.01.1995 gestellten Antrags festgestellt wurde.
Ohne Erfolg beruft sich der Kläger darauf, dass er den Antrag auf Antragspflichtversicherung nie gestellt hätte, wenn
er bzw. seine Mutter zutreffend beraten worden wäre. Er macht damit einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch
geltend, aus dem er das Recht auf Rückgängigmachung der mit Bescheid vom 05.05.1995 festgestellten
Antragspflichtversicherung herleitet. Die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch liegen
nicht vor.
Der richterrechtlich entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur
Herstellung des Zustands gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aus dem
Versicherungsverhältnis erwachsende Pflicht, insbesondere zur Betreuung und Beratung, ordnungsgemäß
wahrgenommen hätte. Er hat nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folgende Voraussetzungen: Es
muss eine Pflichtverletzung vorliegen, die dem Sozialleistungsträger zuzurechnen ist. Beim Versicherten muss ein
rechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein. Zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt muss
ein Kausalzusammenhang bestehen. Außerdem muss durch Vornahme einer Amtshandlung der Zustand hergestellt
werden können, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre (vgl. z.B. die vom Kläger zitierte Entscheidung des
BSG vom 17.08.2000, B 13 RJ 87/98).
Die Behauptung, im Beratungstermin am 07.02.1995 sei falsch bzw. unvollständig beraten worden, ist nicht plausibel.
Fest steht nach den Einlassungen des Klägers und seiner Mutter (Schreiben zur Begründung des Widerspruchs),
dass es ihnen im Januar/ Februar 1995 um die Absicherung des Risikos wegen Erwerbsunfähigkeit/Berufsunfähigkeit
bei nunmehr ausschließlich ausgeübter selbstständiger Tätigkeit ging. Dieses Ziel konnte tatsächlich nur durch die
Antragspflichtversicherung gemäß § 4 Abs. 2 SGB VI erreicht werden. Die künftige Absicherung des Risikos der
Erwerbsminderung über Zahlung von freiwilligen Beiträgen scheiterte daran, dass der Kläger vor dem 01.01.1984 die
allgemeine Wartezeit von fünf Jahren nicht zurückgelegt hatte (bis 31.12.1983 nur 18 Monate Beitragszeiten) und
deswegen § 240 Abs. 2/§ 241 Abs. 2 SGB VI in der damaligen Fassung nicht zur Anwendung kommen konnten.
Nicht zutreffend ist die klägerseits aufgestellte Behauptung, ein Schutz für den Fall des Eintritts von
Erwerbsunfähigkeit sei gar nicht möglich gewesen. Das damalige Recht enthielt zwar die Einschränkung, dass Rente
wegen Erwerbsunfähigkeit erst nach Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit bezogen werden konnte (§ 44 Abs. 2 Satz
2 Nr. 1 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung), mit dieser Maßgabe waren aber durchaus auch
Selbstständige gegen das Risiko der Erwerbsunfähigkeit abgesichert.
Den Vorwurf der unvollständigen Beratung stützt der Kläger vor allem darauf, dass seine Mutter im Beratungstermin
am 07.02.1995 nicht darüber aufgeklärt worden sei, dass ein Ausscheiden aus der Antragspflichtversicherung nur für
den Fall der endgültigen Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit möglich sei. Viel spricht für die Annahme, dass
sich die Mutter an einen entsprechenden Hinweis hierzu im Beratungsgespräch am 07.02.1995 nur nicht mehr erinnern
konnte, weil dieser Punkt aus ihrer damaligen Warte nebensächliche Bedeutung hatte, nachdem ihr Interesse ganz
auf das Risiko der Erwerbsminderung fokussiert war und dieses Risiko eben nur mit der Antragspflichtversicherung
abgesichert werden konnte, die wiederum nur nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu haben war. Auch nimmt
das Gericht dem Kläger nicht ab, dass er bei Antragstellung keine Vorstellung davon gehabt haben will, dass ihn eine
Pflichtversicherung, wenn auch freiwillig begründet, ganz anders bindet als eine hier für den gewünschten
Versicherungsschutz gerade nicht ausreichende freiwillige Versicherung. Letztlich kann die Frage eines
Beratungsfehlers im Beratungsgespräch am 07.02.1995 aber dahingestellt bleiben. Eine Beweisaufnahme durch
Einvernahme der Mutter des Klägers als Zeugin ist entbehrlich, da ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch aus
anderen Gründen nicht gegeben ist.
Durch den behaupteten Beratungsfehler ist ein rechtlicher Nachteil oder Schaden nicht eingetreten. Der Kläger selbst
sieht den rechtlichen Nachteil bzw. Schaden jetzt darin, dass er die Antragspflichtversicherung nicht beenden konnte,
nachdem er sie nach Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses im Dezember 2000 nicht mehr benötigte, vielmehr
antragspflichtversichert bleibt, solange er die selbstständige Tätigkeit ausübt. Er lässt dabei den entscheidenden
Punkt unberücksichtigt. Entsprechend seinem Anliegen und seiner Interessenlage bei Antragstellung Anfang 1995 hat
ihm die in den Jahren 1995 bis 2000 durchgeführte Antragspflichtversicherung den rechtlichen Vorteil des
Versicherungsschutzes bezüglich des Risikos der Erwerbsminderung gebracht.
Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ist insbesondere deswegen nicht begründet, weil es an dem notwendigen
Kausalzusammenhang zwischen (behauptetem) Beratungsfehler und "Schaden" fehlt. Auch wenn im
Beratungsgespräch am 07.02.1995 nicht mitgeteilt worden wäre, dass eine Antragspflichtversicherung nicht nach
Belieben des Versicherten beendet werden kann, sondern nur mit Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit endet, wäre
der vom Kläger jetzt gesehene Schaden nicht unausweichlich gewesen. Denn er hatte Gelegenheit, den "Schaden" zu
erkennen und ihn zu verhindern, bevor es zu spät war, hat hiervon aber keinen Gebrauch gemacht.
Vor Beantragung der Pflichtversicherung für Selbstständige hatte der Kläger die Möglichkeit der Information nicht nur
durch den Bericht seiner Mutter über das Beratungsgespräch. Seine Mutter hatte aus dem Beratungsgespräch
zusammen mit dem Antrag auf Beitragszahlung" auch die Erläuterungen zum Antrag auf Beitragszahlung" (6. Auflage
04/94) mitgebracht. Auf dem Antrag auf Beitragszahlung, der mit Unterschrift des Klägers bei der Beklagten am
14.02.1995 eingegangen ist, wird aufgefordert, "vor dem weiteren Ausfüllen des Antrags die beigefügten Erläuterungen
zu lesen, aus denen Sie ersehen können, ob für Sie die Pflichtversicherung auf Antrag oder die Pflichtversicherung
kraft Gesetzes in Betracht kommt." Die Erläuterungen enthalten unter der Überschrift Pflichtversicherung auf Antrag"
unmissverständliche Informationen auch zur hier entscheidenden Frage:
"Selbständig Tätige, die nicht zu den kraft Gesetzes pflichtversicherten Selbständigen zählen, sind nicht
versicherungspflichtig. Sie können jedoch die Versicherungspflicht beantragen ... Die Pflichtversicherung für die
selbständig Tätigen tritt nur auf Antrag ein. Sie muß innerhalb von 5 Jahren nach Aufnahme der selbständigen
Tätigkeit ... beim Rentenversicherungsträger beantragt werden. Die Versicherungspflicht beginnt mit dem Tag nach
Eingang des Antrags, frühestens mit dem Tag, an dem die Voraussetzungen für die Versicherung erfüllt sind. Ein
Verzicht, d.h. ein Ausscheiden aus der Versicherungspflicht ist nicht möglich, solange die selbständige Tätigkeit
ausgeübt wird."
Im übrigen enthält auch der dann antragsgemäß von der LVA Obb. am 05.05.1995 erteilte Bescheid entsprechende
Erläuterungen:
"Die Versicherungspflicht beginnt mit dem Tag, der dem Eingang des Antrags folgt, frühestens jedoch mit dem Tag
der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit. Die Versicherungspflicht endet mit Ablauf des Tages, an dem die
Voraussetzungen für die Versicherungspflicht wegfallen. Wir bitten Sie daher, uns die Aufgabe Ihrer selbständigen
Tätigkeit unverzüglich mitzuteilen."
Ein durchschnittlich aufmerksamer Leser kann diesem Text entnehmen, dass der für das Ende der
Antragspflichtversicherung allein maßgebliche Gesichtspunkt die Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit ist. Der
fehlende Protest des Klägers nach Erhalt des Bescheids vom 05.05.1995 lässt darauf schließen, dass der Bescheid
für den Kläger keine Neuigkeiten gebracht hat und ein Informationsdefizit schon vorher nicht vorlag.
Auch die letzte Voraussetzung für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist nach Überzeugung des Gerichts
nicht gegeben. Die tatsächliche Durchführung der Antragspflichtversicherung über Jahre hinweg und die damit
erreichte versicherungsrechtliche Absicherung gegen das Risiko der Erwerbsminderung während der selbstständigen
Tätigkeit kann nicht durch Vornahme einer Amtshandlung beseitigt werden (vgl. auch LSG Baden-Württemberg vom
21.01.2003, L 13 RA 3150/01).
Der Hilfsantrag des Klägers ist zulässig (§ 55 Abs. 1 Nr. 4, § 89 SGG), aber nicht begründet. Der Bescheid der LVA
Obb. vom 05.05.1995 ist weder unwirksam noch nichtig.
Der Bescheid der LVA Obb. vom 05.05.1995 ist durch Bekanntgabe gegenüber dem Kläger wirksam geworden (§ 39
Abs. 1, § 37 SGB X). Fehl geht der Einwand des Klägers, der Bescheid hätte an seine Mutter geschickt werden
müssen und sei wegen falscher Zustellung unwirksam. Es bedarf insoweit keiner Klärung, ob und gegebenenfalls ab
wann eine Bevollmächtigung der Mutter durch den Kläger angenommen werden kann. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1
SGB X ist ein Verwaltungsakt demjenigen gegenüber bekannt zu geben, für den er bestimmt oder der von ihm
betroffen ist. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X eröffnet zwar die Möglichkeit, dass bei Bestellung eines Bevollmächtigten die
Bekanntgabe gegenüber dem Bevollmächtigten erfolgt, sieht dies aber nicht zwingend vor. Vielmehr liegt es im
Ermessen der Behörde, ob sie den Verwaltungsakt dem Bevollmächtigten bekannt gibt. Wenn wie hier zum damaligen
Zeitpunkt eine schriftliche Vollmacht nicht vorliegt, ist eine Bekanntgabe gegenüber dem Betroffenen selbst
keinesfalls ermessensfehlerhaft.
Der Bescheid vom 05.05.1995 ist nicht nichtig.
Nichtigkeitsgründe im Sinn von § 40 Abs. 2 SGB X kommen nicht in Betracht und werden vom Kläger auch nicht
geltend gemacht.
Nichtigkeit gemäß § 40 Abs. 1 SGB X liegt ebenfalls nicht vor. Danach ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an
einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden
Umstände offensichtlich ist. Der Kläger beruft sich darauf, dass der Bescheid vom 05.05.1995 nicht hätte ergehen
dürfen, weil die Fünf-Jahres-Frist des § 4 Abs. 2 SGB VI nicht gewahrt gewesen sei, da er schon seit 1983
durchgehend selbstständig tätig gewesen sei. Deswegen mag vielleicht Rechtswidrigkeit des Bescheids vom
05.05.1995 gegeben sein. Nichtigkeit lässt sich damit aber nicht begründen. Für Nichtigkeit reicht die bloße
Abweichung vom Gesetz nicht aus. Erforderlich wäre vielmehr ein besonders schwerwiegender Fehler. Ein solcher
könnte beispielsweise vorliegen, wenn ein Bescheid dieser Art und dieses Inhalts schlechterdings nicht vorstellbar ist
oder wenn ein Bescheid völlig unklar, unverständlich, unsinnig oder widersprüchlich ist bzw. nicht erkennen lässt, an
wen er sich richtet und was er von seinem Adressen fordert (vgl. Kasseler Kommentar, a.a.O. § 40 SGB X Rn. 13 ff.).
Bloße Rechtswidrigkeit hindert im Unterschied zur Nichtigkeit die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts nicht, mit der
Folge, dass der Verwaltungsakt ungeachtet einer etwaigen Rechtswidrigkeit beachtet werden muss, wenn mit
Unanfechtbarkeit Bestandskraft eingetreten ist.
Mit einem Verstoß gegen die Fünf-Jahres-Frist des § 4 Abs. 2 SGB X lässt sich Nichtigkeit des Bescheids vom
05.05.1995 schon deswegen nicht begründen, weil der Kläger bei Antragstellung im Februar 1995 selbst angegeben
hat, erst seit 01.01.1995 selbstständig tätig zu sein. Dies schließt Offensichtlichkeit im Sinn von § 40 Abs. 1 SGB X
aus. Im übrigen käme es zu einem Wertungswiderspruch zu § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X, wenn bei diesen
Gegebenheiten Nichtigkeit angenommen würde. Nach dieser Vorschrift ist ein "Zugunsten-Antrag" gemäß § 44 SGB X
ausgeschlossen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher
Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.