Urteil des SozG München vom 28.02.2007

SozG München: krankenkasse, befristung, abmeldung, versichertenkarte, einzug, sozialhilfe, missbrauch, zink, ausstellung, sicherheit

Sozialgericht München
Urteil vom 28.02.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 47 KR 1033/06
I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.274,49 EUR zu zahlen. II. Der Beklagte
trägt die Kosten des Verfahrens. III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, wer für die Kosten einzustehen hat, die durch die Verwendung einer vom Träger der
Sozialhilfe (Beklagter) nicht eingezogenen Krankenversichertenkarte entstanden sind, wenn die Krankenkasse
(Klägerin) die Gültigkeit der Krankenversichertenkarte nicht entsprechend der Anmeldung des Beklagten von
vorneherein befristet ausstellte.
Die Klägerin begehrt die Erstattung ihrer Leistungs- und Verwaltungsaufwendungen für Frau N. T. gemäß § 264 Abs. 5
Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) durch die Beklagte. Der Beklagte meldete Frau T. bei der Klägerin für
den Zeitraum vom 01.01.2004 bis 30.06.2004 an, nachdem diese ihr Wahlrecht nach § 264 Abs. 3 Satz 1 SGB V mit
Schreiben vom 29.11.2003 entsprechend ausgeübt hatte. Der Beklagte hatte die Bedürftigkeit von Frau T. für den
genannten Zeitraum festgestellt und beendete die Leistungen auch entsprechend.
Frau T. erhielt von der Klägerin eine Krankenversichertenkarte ab 01.10.2004. Eine der Anmeldung entsprechende
Befristung durch die Klägerin wurde nicht vorgenommen. Vielmehr stattete die Klägerin Frau T. - wie alle von ihr nach
§ 264 SGB V Betreuten - mit einer bis Jahresende 2004 befristeten Versichertenkarte aus. Hintergrund dafür war u.a.
die Einführung des ALG II zum 01.01.2005.
Eine gesonderte Abmeldung zum 30.06.2004 durch den Beklagten erfolgte nicht. Die Krankenversichertenkarte wurde
nicht eingezogen. Frau T. nahm mit der überlassenen Karte in der Zeit ab dem 01.07.2004 bis zum 31.01.2005 noch
Leistungen bei der Klägerin in Anspruch. In der Zeit vom 01.07.2004 bis 06.03.2005 war Frau T. bei der Klägerin nicht
versichert. In dem genannten Zeitraum wurden über die Krankenversichertenkarte Gesamtkosten in Höhe von
2.274,49 EUR verursacht. Die Summe setzt sich aus den Leistungsausgaben und den Verwaltungskosten der
Klägerin in Höhe von 5 % der Leistungsausgaben zusammen (vgl. die Aufstellung der Klägerin).
Die Klägerin machte diese Kosten im Rahmen der üblichen Quartalsabrechnungen bei der Beklagten geltend. Diese
verweigerte den Ausgleich der streitgegenständlichen Kosten unter Hinweis auf die lediglich befristet ausgesprochene
Anmeldung und berief sich zunächst auf eine Rahmenvereinbarung mit anderen Krankenkassen. Danach sei die
Gültigkeit der Krankenversicherungskarte entsprechend der Anmeldung zu befristen. Der Karteneinzug sei dann nicht
relevant.
Eine letztmalige Aufforderung vom 15.05.2006 wies die Beklagte telefonisch zurück.
Daraufhin erhob die Klägerin am 24.08.2006 Klage beim Sozialgericht München und beantragte, die Beklagte zu
verurteilen, an die Klägerin einen Betrag vom 2.274,49 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragte die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist insbesondere der Auffassung, dass der Wortlaut des § 264 Abs. 5 SGB V eindeutig sei. Danach habe
am Ende der Anspruchsberechtigung immer eine Abmeldung durch den Sozialhilfeträger zu erfolgen. Dieser müsse
die Karte einziehen und an die Krankenkasse übermitteln. Es bestehe keine Pflicht der Krankenkasse, die
Krankenversicherungskarte mit beschränkter Gültigkeitsdauer auszustellen. Soweit die Karte nicht eingezogen werde,
falle dieses Versäumnis ausschließlich dem Sozialhilfeträger zur Last. Der Höhe nach rechtfertige sich die
Klageforderung aus § 264 Abs. 7 Satz 2 SGB V. Sollte man eine Verpflichtung der Krankenkassen zur Befristung der
Versichertenkarte nach den Vorgaben des Sozialhilfeträgers annehmen, hätte es der Sozialhilfeträger in der Hand,
sich seiner Verpflichtung zum Einzug der Versichertenkarte zu entziehen. Dies entspreche nicht dem
gesetzgeberischen Willen und sei auch kaum praktikabel.
Der Beklagte macht geltend, dass er erst bei dem Abrechnungsverlangen der Klägerin Kenntnis erlangt habe, dass
keine Befristung erfolgt sei. § 291 Abs. 1 SGB V lasse zu, dass die Gültigkeit der Versichertenkarte befristet werde.
Die Krankenkassen seien gehalten, im Sinne des Erstattungspflichtigen zu handeln. Die Klägerin hätte die
Versichertenkarte daher mit beschränkter Gültigkeitsdauer ausstellen müssen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 124 SGG) erklärt.
Zur Ergänzung wird auf die Akten der Klägerin, des Beklagten und des Sozialgerichts verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) zulässig. Zwischen den Beteiligten besteht ein
Gleichordnungsverhältnis, in dem der Erstattungsanspruch nicht durch Verwaltungsakt geltend gemacht wird. Ein
Rechtsschutzbedürfnis besteht aufgrund der Zahlungsweigerung des Beklagten.
Die Klage ist begründet.
Der Erstattungsanspruch beruht auf § 264 Abs. 5 Satz 3 SGB V. Danach hat der Träger der Sozialhilfe die
Aufwendungen, die der Krankenkasse nach Abmeldung durch eine missbräuchliche Verwendung der Karte entstehen,
zu erstatten. § 264 Abs. 5 Satz 2 SGB V legt dem Träger der Sozialhilfe neben der Abmeldung die Verpflichtung auf,
die Karte einzuziehen und an die Krankenkasse zu übermitteln. Damit sind die Zuständigkeiten und die
Aufgabenverteilung gesetzlich klar geregelt. Entgegen der gesetzlichen Regelungen erfolgte hier keine Einziehung der
Karte durch den Sozialhilfeträger. Nach der Abmeldung zum 30.06.2004, die zugleich mit der Anmeldung
vorgenommen wurde, wurde die Karte noch bis 31.01.2005 benutzt. Es handelte sich um einen missbräuchliche
Verwendung, da Frau T. in dieser Zeit auch kein Mitglied der Klägerin war. Erst ab dem 07.03.2005 bestand eine
Versicherung bei der Klägerin.
Das Risiko, dass nach der Abmeldung noch weitere Leistungen in Anspruch genommen werden, trägt nach der
gesetzlichen Regelung der Sozialhilfeträger. Dabei liegt es in seiner Verantwortung, dieses Risiko durch den Einzug
der Krankenversichertenkarte auszuschließen. Die Befristung der Karte mag zwar das Risiko des Missbrauchs
verringern, kann aber einen fortgesetzten Gebrauch der Karte trotz abgelaufenen Datums in der Praxis nicht völlig
verhindern. Auch hier wurden noch im Jahr 2005 Leistungen mit der bis Ende 2004 gültigen Karte in Anspruch
genommen. Mit der befristeten Gültigkeit wird daher noch nicht dieselbe Wirkung erreicht wie mit einem Einzug der
Karte. Auch deshalb erscheint es nicht überzeugend, dass allein die Befristungsmöglichkeit eine Verlagerung der
Risiken bewirken soll.
Eine Risikoverlagerung auf die Krankenkasse entspräche auch nicht der systematischen Konstruktion, dass die
Krankenkasse den Leistungsempfänger nur auf Veranlassung und auf Kosten des Sozialhilfeträgers überhaupt betreut
und der Betreute kein Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung wird. Die Ausstellung der
Krankenversichertenkarte erfolgt nur zu dem Zweck, dass die nach § 264 SGB V Betreuten dieselben Leistungen in
Anspruch nehmen können wie versicherte Mitglieder (vgl. Gesetzbegründung zum GKV-Modernisierungsgesetz; BT-
Drucks. 15/1525).
§ 264 SGB V trifft eine abschließende Regelung. Die Vorschriften zum gesetzlichen Auftrag (§ 93 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch - SGB X in Verbindung mit § 91 SGB X) sind nicht anwendbar (Mergler/Zink, SGB XII, § 48 SGB
XII, Rn. 85). Insbesondere gilt damit nicht § 91 Abs. 1 Satz 3 SGB X, wonach eine Erstattungspflicht bei zu Unrecht
erbrachten Sozialleistungen nicht besteht, wenn den Beauftragten hierfür ein Verschulden trifft. § 264 Abs. 5 Satz 4
SGB V sieht nämlich nur bestimmte Ausnahmen von der Erstattungspflicht des Trägers der Sozialhilfe vor. Die
Haftung des Satz 3 entfällt danach in Fällen, in denen die Krankenkasse auf Grund gesetzlicher Vorschriften oder
vertraglicher Vereinbarungen verpflichtet ist, ihre Leistungspflicht vor der Inanspruchnahme zu prüfen. Für die Frage
der Befristung lässt sich daraus nichts herleiten. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten liegt keine Vereinbarung
vor, wie es sie mit anderen Krankenversicherungsträgern gibt. Eine gesetzliche Pflicht zur Befristung ist nicht
normiert. Nach § 291 Abs. 1 Satz 6 SGB V "kann" die Krankenkasse die Gültigkeit der Krankenversichertenkarte
befristen. Diese Regelung im Zehnten Kapitel des SGB V (Versicherungs- und Leistungsdaten, Datenschutz,
Datentransparenz) ist als Befugnis im Zusammenhang mit der Datenspeicherung anzusehen. Ob die Befristung
erfolgt, liegt im Ermessen der Krankenkasse. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten vorgetragen, dass sie nicht
die technische Möglichkeit eingerichtet habe, eine monatsweise Gültigkeit in die EDV einzugeben.
Nach Ansicht der Kammer kann sich der Beklagte auch nicht auf ein anspruchsminderndes Mitverschulden der
Klägerin berufen. Zwar hat die Klägerin selbst mangels fehlender Befristung nicht alle Möglichkeiten der
Missbrauchsabwehr ausgeschöpft. Die Eindämmung von Missbrauch liegt wegen des Wirtschaftlichkeitsgebots an
sich auch im eigenen Interesse der Klägerin. Grundsätzlich sind die Leistungsträger nach § 86 SGB X auch zu einer
engen Zusammenarbeit verpflichtet. Dennoch erscheint hier der Kammer die Heranziehung des allgemeinen
Rechtsgedankens des § 254 BGB nicht möglich: Es handelt sich wie bereits ausgeführt bei § 264 SGB V um eine
abschließende Regelung, die ihrerseits keine verschuldensabhängige Haftung vorsieht, sondern für den
Missbrauchsfall eine klare Erstattungsregelung trifft. Für die Abwägung von Verschuldens- und
Verursachungsbeiträgen bleibt hier kein Raum. Im Übrigen wäre der Missbrauch mit Sicherheit durch den Einzug der
Karte ausgeschlossen worden. Dann hätte sich auch die nur spekulativ zu beantwortende Frage, in welchem Umfang
die Befristung den Missbrauch verhindert hätte, erübrigt.
Der Umfang der Erstattung richtet sich nach § 264 Abs. 7 SGB V.
Der Klage war nach alledem vollumfänglich mit der Kostenfolge für den Unterliegenden aus § 197a SGG i.V.m. § 154
Verwaltungsgerichtsordnung stattzugeben.
Die Berufung bedurfte wegen § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG der Zulassung. Diese erfolgte, da eine offenbar bisher nicht
geklärte Rechtsfrage aufgeworfen wurde, die grundsätzlich mehrere Fälle betreffen kann.