Urteil des SozG München vom 23.03.2010

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Sozialgericht München
Gerichtsbescheid vom 23.03.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 19 P 206/09
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Parteien ist streitig, ob dem Kläger Leistungen der Pflegestufe I zustehen.
Nach einem Aktenvermerk der Beklagten rief der Kläger am 09.05.2008 bei der Beklagten an und bat um
Übersendung eines Antragsformulars für Leistungen der Pflegeversicherung. Am 30.01.2009 ging dann bei der
Beklagten der schriftliche Antrag des Klägers auf Leistungen der Pflegeversicherung ein.
Der MDK Bayern stellte in einem Gutachten vom 30.03.2009 einen Grundpflegebedarf von 17 Min täglich fest.
Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 02.04.2009 ab.
Den dagegen am 30.04.2009 eingelegten Widerspruch leitete die Beklagte wiederum dem MDK Bayern zu, der am
20.05.2009 nach Aktenlage feststellte, dass das Erstgutachten in sich schlüssig sei und neue pflegerische Aspekte
mit dem Widerspruch nicht vorgetragen worden seien.
Dagegen hat der Kläger am 22. Juli 2009 beim Sozialgericht München Klage erhoben.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 02.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
23.06.2009 zu verurteilen, dem Kläger seit 01.05.2008 Leistungen der Pflegeversicherung entsprechend der
Pflegestufe I zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakte und auf die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch
Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art
aufwies und der Sachverhalt geklärt war. Der Kläger wurde dazu durch gerichtliches Schreiben vom 18.12.2009
angehört und erhielt bis zum 29.01.2010 Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.
Für die Entscheidung über die zulässige Klage war das Sozialgericht München örtlich (§ 57 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) und sachlich (§ 8 SGG) zuständig. Die Klage wurde gemäß §§ 87, 90, 92 SGG form- und fristgerecht erhoben.
Die Klage war unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung entsprechend der
Pflegestufe I. Gemäß § 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB XI setzt der Anspruch auf Leistungen der Pflegestufe I voraus,
dass ein Grundpflegebedarf von täglich mehr als 45 Min besteht. Der MDK Bayern hat in seinem Gutachten vom
30.03.2009 jedoch lediglich einen Grundpflegebedarf von 17 Min täglich festgestellt, was weit unterhalb der
Mindestgrenze von täglich 46 Min liegt. Das Gutachten des MDK Bayern ist in sich schlüssig und widerspruchsfrei,
so dass das Gericht von Amts wegen keinen Anlass sieht, an der Richtigkeit des Gutachtens zu zweifeln.
Auch aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen der Pflegestufe I, die das
Gericht hätten veranlassen müssen, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Der Kläger hat in seiner Klageschrift
vom 22.07.2009 zunächst lediglich mitgeteilt, die Klagebegründung werde nachgereicht. Durch Schreiben vom
14.10.2009 forderte das Gericht den Kläger auf, die noch immer ausstehende Klagebe-gründung bis spätestens zum
27.11.2009 dem Gericht vorzulegen. Dabei übermittelte das Gericht dem Kläger die beiden Gutachten des MDK
Bayern vom 30.03.2009 und vom 25.05.2009 in Abschrift. Das Gericht gab dem Kläger ausführliche Hinweise, wie
eine plausible Klagebegründung auszusehen hätte. Mit Schreiben vom 17.11.2009 begründete der Kläger seine Klage
durch detaillierte Angabe der nach Meinung der Pflegeperson A. M. erforderlichen Pflegezeiten. Mit Schreiben vom
27.11.2009 übermittelte das Gericht dem Kläger eine Gegenüberstellung der von ihm angegebenen Pflegezeiten, die
sich auf insgesamt 48,5 Min beliefen, und den nach Ansicht des Gerichts davon rechtlich anzuerkennenden Zeiten,
die sich auf lediglich 21 Min beliefen. Gleichzeitig wurde dem Kläger erläutert, aus welchen Gründen welche der von
ihm angegebenen Zeiten rechtlich nicht zu als Grundpflege zu werten seien. Der Kläger hat hierzu trotz Fristsetzung
keinerlei relevante Ausführungen mehr gemacht.
Der von der Pflegeperson A. M. angegebene Grundpflegebedarf beläuft sich auf insgesamt 48,5 Min, von denen
jedoch nur 21 Min rechtlich als Grundpflege zu werten sind:
Angaben der Pflegeperson, Frau A. M. davon ist - die tatsächliche Richtigkeit unterstellend - aus rechtlichen Gründen
anzuerkennen
Als Grundpflegebedarf angegebener Grund angegebener täglicher Zeitaufwand in Minuten - Begründung, sofern nicht
anzuerkennen anzuerkennender täglicher Zeitaufwand in Minuten
An- und Ausziehen 5 - 5 Bad ein- und aussteigen 2 - 2 Rücken und Schultern waschen 0,5 - 0,5 Haare waschen und
abtrocknen 1 - 1 Körper und Füße abtrocknen und eincremen 0,5 - 0,5 Rasieren 1 - 1 Reinigung von Toilette und
Umfeld wegen Spritzern 1 - betrifft hauswirtschaftliche Versorgung 0 Kleidung richten nach Toilettengang 7 - 7
Herrichten und Besorgen von Medikamenten, Ausmachen von Arztterminen 2 - betrifft Kranken-, nicht Grundpflege 0
Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung: 19,5 - Spaziergänge, auch soweit sie ärztlich empfohlen sind, sind
nicht grundpflegerelevant 0
2x monatliche Besuche beim Hausarzt 3 - berücksichtigungsfähig sind nur Termine, die mindestens einmal
wöchentlich anfallen 0
Haare schneiden alle 4 Wochen 1 stellt keine grundpflegerische Verrichtung dar und wird auch nicht mind. 1x
wöchentlich erbracht 0
Fuß- und Handpflege alle 4 Wochen 1 - stellt keine grundpflegerische Verrichtung dar und wird auch nicht mindestens
1x wöchentlich erbracht 0
Herrichten von Mahlzeiten 4 - betrifft hauswirtschaftliche Versorgung 4
Summe 48,5 21
Insbesondere stellt das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zum Zwecke von Spaziergängen, auch wenn
diese gesundheitlich geboten sind, keinen Grundpflegebedarf i.S.d. SGB XI dar. Es sind hier nur solche Maßnahmen
außerhalb der Wohnung zu berücksichtigen, die unmittelbar für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause
not-wendig sind und das persönliche Erscheinen des Hilfebedürftigen erfordern. Berücksichti-gungsfähige Maßnahmen
sind das Aufsuchen von Ärzten zu therapeutischen Zwecken oder die Inanspruchnahme vertragsärztlich verordnete
Therapien. Nicht zu berücksichtigen sind Leistungen zur primären Prävention. Unter die so genannte "primäre
Prävention" fallen Maßnahmen - wie im vorliegenden Fall die Spaziergänge oder das Trainieren des Treppensteigens -
die darauf abzielen, die Neuerkrankungsrate von Krankheiten zu senken und die Gesundheit durch Maßnahmen wie
optimale Ernährung, physische Aktivität usw. zu fördern und zu erhalten. Auch wenn die Pflegeperson Frau M. den
zeitlichen Hilfebedarf beim Waschen und Baden eher bescheiden geschätzt haben dürfte (für das Haarewaschen und
Abtrocknen so-wie das Abtrocknen und Eincremen von Körper und Füßen könnten möglicherweise sogar noch einige
Minuten mehr als angegeben berechnet werden), liegt auch bei einer etwas großzügigeren Bemessung einzelner
Zeitwerte das Erreichen der für die Pflegestufe I maßgeblichen Grenze von 46 Min außerhalb des Möglichen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.