Urteil des SozG Meiningen vom 31.05.2007

SozG Meiningen: gesetzliche vermutung, stationäre behandlung, verschlechterung des gesundheitszustandes, beweis des gegenteils, witwenrente, heirat, hausarzt, tod, geburt, hochzeit

Sozialgericht Meiningen
Urteil vom 31.05.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Meiningen S 12 R 1195/05
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Witwenrente nach dem Versicherten R. N. streitig.
Die Klägerin ist Witwe des Versicherten R. N. Sie beantragte am 23. November 2004 eine Witwenrente. Der
Versicherte war seit 2001 an einem Lungenleiden erkrankt, im August 2002 wurde ein Bronchialkarzinom mit
Lebermetastase histologisch gesichert, dabei wurde Stadium IV festgestellt. Es folgten verschiedene Therapien. Vom
08. Juli bis 09. August 2004 befand sich der Versicherte wegen einer zunehmenden Verschlechterung des
Allgemeinzustandes mit Leistungsminderung, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Inappetenz, diffusem Bauchschmerz,
Völlegefühl und Luftnot bei geringer Belastung in stationärer Behandlung. Es wurden ein metastasierendes Karzinom,
progredierendes Leberversagen und weitere Krankheiten festgestellt. Der Versicherte hatte eine Ascites
(Bauchwasser), die während des stationären Aufenthaltes unverändert war. Die Entlassung erfolgte "mobil im Sinne
selbständigen Waschens und Aufstehens bis zur Toilette" in die ambulante Pflege. Unter dem 25. August 2004
bescheinigte der Hausarzt dem Versicherten, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte zu sein. Am 27. August 2004
heiratete der Versicherte die Klägerin, am 08. September 2004 verstarb er. Vorangegangen war der Ehe eine
Partnerschaft, die nach Angaben der Klägerin 1987 begann. Einzelheiten hierzu konnten im Gerichtsverfahren trotz
Nachfrage nicht aufgeklärt werden. Aktenkundig sind Angaben des Versicherten in einem Reha-Entlassungsbericht
vom März 2002, wonach er vier Kinder habe, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ferner Angaben in einem
Reha-Entlassungsbericht vom November 2002, wonach er drei erwachsene Kinder habe und geschieden sei. Eine
Lebensgemeinschaft wurde jeweils nicht mitgeteilt. Im März 2002 und auch im September 2002 gab der Versicherte
als Wohnanschrift die R.-straße in S. an, ebenfalls in seinem eigenen Rentenantrag vom August 2002. Auch das
MdK-Gutachten vom Dezember 2001 und das ärztliche Attest vom 25. August 2004 bescheinigten als Wohnanschrift
die R.-straße in S. Die Klägerin lebte hingegen im B. Weg in V. Unter dieser Anschrift war der Versicherte selbst vom
21. Januar 1993 bis zum 16. Januar 1995 gemeldet. Fest steht, dass der Verstorbene und die Klägerin Eltern zweier
Söhne, geboren 1989, sind. Die Klägerin selbst bezieht eine Rente in Höhe von monatlich 650 EUR, ferner Kindergeld
für die beiden Söhne (308 EUR) und Wohngeld (123 EUR), die Miete beträgt mit Nebenkosten etwa 340 EUR.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 25. Januar 2005 und Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2005 ab.
Dagegen richtet sich die Klage.
Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe eine Witwenrente zu. Sie habe nicht damit gerechnet, dass ihr Mann so
schnell sterben würde. Wunsch zum Zeitpunkt der Eheschließung sei es gewesen, den zukünftigen Lebensweg
gemeinsam zu gehen und auch die Geburt der Kinder zu legalisieren. Keinesfalls sei die Ehe aus Versorgungsgründen
geschlossen worden. Außerdem gäbe es Entscheidungen, dass auch nach kurzer Ehedauer ein Anspruch auf
Witwenrente bestehen kann.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 25. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2005 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Witwenrente nach dem Versicherten R. N. ab dem 01. Oktober 2004 zu
gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung der baldige Tod des Versicherten absehbar gewesen
sei. Die Versorgungsehe sei nicht widerlegt.
Das Gericht hat verschiedene Krankenunterlagen beigezogen. Der Chefarzt Dr. A., Klinik am L. gGmbH in Z., hat
mitgeteilt, dass der Versicherte und auch die Klägerin über den Gesundheitszustand informiert waren, ebenfalls über
den bösartigen Charakter des Grundleidens und die begrenzte Lebenserwartung. Während des stationären
Aufenthaltes sei nur eine kurzfristige Besserung des Allgemeinbefindens erwartet und erreicht worden. Beigefügt war
die Epikrise des stationären Aufenthaltes vom Juli/August 2004. Der behandelnde Hausarzt Herr OMR Dr. L. teilte
mit, dass die Klägerin und der Versicherte über den Gesundheitszustand informiert gewesen seien, ebenfalls darüber,
dass die Erkrankung keine Überlebenschance habe. Die stationäre Behandlung habe nur bezweckt, den damaligen
sehr schlechten Zustand vorübergehend zu stabilisieren.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat zur Begründung der Klage einen Zeitungsausschnitt zur Akte gereicht,
wonach das Sozialgericht Koblenz einer Witwe die Rente zugesprochen hat.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und der
Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Witwenrente nach dem Versicherten.
Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Witwen, die nicht wieder geheiratet
haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente, wenn der versicherte Ehegatte
die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift besteht unter gewissen Voraussetzungen ein
Anspruch auf große Witwenrente. Nach § 46 Abs. 2 a SGB VI haben Witwen keinen Anspruch auf Witwenrente, wenn
die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die
Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf
Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Die Klägerin ist Witwe des Versicherten. Allerdings hat die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert. Besondere
Umstände, die die Annahme nicht rechtfertigen, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen
Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen, finden sich nicht. Bei Abs. 2 a handelt es sich um eine
gesetzliche Vermutung, mit der unterstellt wird, dass beim Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der
Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war. Diese gesetzliche Vermutung ist
widerlegbar. Die Widerlegung erfordert den vollen Beweis des Gegenteils. Grundsätzlich ist insoweit bei kurzer
Ehedauer vom Vorliegen einer Versorgungsehe auszugehen. Wenn sich im konkreten Einzelfall nicht genügend
beweiskräftige Anhaltspunkte gegen diese Annahme finden, besteht kein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung.
Besondere Umstände des Einzelfalls sind alle Gründe, die geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat
zuzulassen. Es kommt insoweit auf die Motive beider Ehegatten an. Der Leistungsträger soll im Bereich der
Intimsphäre nicht ausforschen. Das gilt jedoch auch für die Widerlegung der Rechtsvermutung, so dass auch hier die
außerhalb der Intimsphäre liegenden objektiven Umstände zur Beurteilung heranzuziehen sind. Der
Versorgungszweck kann unter anderem dann als widerlegt angesehen werden, wenn keinerlei Anhaltspunkte für die
Besorgnis eines vorzeitigen Ablebens des Versicherten bestanden haben, die Ehe also ihrem Wesen entsprechend
auf Dauer eingegangen war.
Vorliegend ergibt sich folgendes Bild:
Die Klägerin und der Versicherte hatten eine Partnerschaft, aus der im Jahr 1989 zwei Söhne hervorgingen. Von
Januar 1993 bis Januar 1995 lebten die beiden offensichtlich unter derselben Adresse. Wie sich die Partnerschaft
danach gestaltete, ist unklar. Der Bevollmächtigte hat trotz ausdrücklicher Nachfrage des Gerichts hierzu keine
Erklärungen abgegeben. Die Angaben des Versicherten selbst bei den Reha-Maßnahmen sind widersprüchlich, lassen
aber keinen Hinweis auf eine dauerhafte Lebensgemeinschaft mit der Klägerin zu. Der Versicherte und die Klägerin
hatten bis zur Hochzeit offensichtlich eigene Wohnungen. Wenn tatsächlich, wie seitens der Klägerin angegeben, die
Partnerschaft seit 1987 bestanden hat, ist nicht erkennbar, warum die beiden von 1993 bis 1995 unter einer Adresse
gemeldet waren, danach nicht mehr. Selbst wenn die Wohnung in S. dem Versicherten, aus welchen Gründen auch
immer, nicht als dauerhafter Wohnsitz gedient haben sollte, ist nicht nachzuvollziehen, warum er dann nicht mit
Erstwohnsitz bei der Klägerin gemeldet geblieben ist.
Die gemeinsamen Söhne waren zum Zeitpunkt der Hochzeit 15 Jahre alt. Warum ausgerechnet in diesem Alter noch
eine nachträgliche Legitimation durch Eheschließung erforderlich gewesen sein soll, wurde nicht erklärt. Wenn die Ehe
in zeitlicher Nähe zur Geburt oder vielleicht zur Schuleinführung geschlossen worden wäre, könnte man dies anders
beurteilen. Im Alter von 15 Jahren und in Anbetracht des fehlenden Zusammenlebens mit dem Vater dürften sich die
Söhne jedoch an die "Nichtehelichkeit" ihrer Geburt gewöhnt haben.
Die Klägerin verfügt über ein Einkommen in Höhe von etwa 1080 EUR monatlich, mit dem sie ihre und die Kosten der
beiden Söhne bestreiten muss. Von einer ausreichenden eigenen finanziellen Absicherung kann hier nicht
ausgegangen werden, vielmehr wird die eigene Rente der Klägerin mit Wohngeld aufgestockt, damit der Bedarf
überhaupt gedeckt wird.
Die im Gerichtsverfahren beigezogenen medizinischen Unterlagen ergeben, dass der Versicherte seit 2001 an einem
Lungenleiden erkrankt war, seit 2002 war ein Bronchialkarzinom mit Lebermetastase bekannt. Der Versicherte befand
sich vom 08. Juli bis 09. August 2004 in stationärer Behandlung. Einweisungsgrund war eine zunehmende
Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Versicherten. Während des stationären Aufenthaltes war der
Zustand wellenförmig, in der letzten Woche wurde eine gewisse Stabilisierung festgestellt, die Ascites (Bauchwasser)
war unverändert. Der Versicherte wurde "mobil im Sinne selbständigen Waschens und Aufstehens bis zur Toilette" in
die ambulante Pflege entlassen. Am 25. August 2004 bescheinigte der Hausarzt dem Kläger, im Vollbesitz seiner
geistigen Kräfte zu sein. Die behandelnden Ärzte teilten mit, dass der Versicherte und die Klägerin über die
Unheilbarkeit der Krankheit und die fehlenden Überlebenschancen aufgeklärt waren. Die stationäre Behandlung diente
allein der Stabilisierung des damals sehr schlechten Zustandes.
Hiernach liegen für die Beurteilung, ob eine Versorgungsehe als widerlegt gilt, folgende objektiven Anhaltspunkte vor:
Ein Zusammenleben mit dem Willen des Füreinander Einstehens konnte nicht festgestellt werden. Die gemeinsamen
Söhne waren bereits 15 Jahre alt, es ist unwahrscheinlich, dass ihre Legitimation Grund für die Eheschließung war.
Die Klägerin war selbst nicht ausreichend finanziell abgesichert. Der Versicherte war zum Zeitpunkt der Heirat schwer
krank.
Die vorstehenden Gegebenheiten können die Annahme der Versorgungsehe nicht erschüttern. Der übliche Zweck für
eine Eheschließung, nämlich die Zukunft gemeinsam zu verbringen und eine Familie nach außen zu manifestieren,
war durch die Heirat zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu erreichen.
An dieser Beurteilung ändert auch das Argument nichts, dass das Sozialgericht Koblenz anders entschieden hätte.
Bei der Frage, ob die gesetzliche Vermutung des Abs. 2 b widerlegt ist, muss eine Einzelfallprüfung vorgenommen
werden. Diese kann selbstverständlich unterschiedlich ausfallen.
Die Klage war nach alledem abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.