Urteil des SozG Marburg vom 23.03.2011

SozG Marburg: diskette, vertragsarzt, form, datum, ausnahmefall, zugang, verfahrenskosten, verantwortlichkeit, hessen, entschlüsselung

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Gericht:
SG Marburg 12.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 12 KA 173/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 85 Abs 4 SGB 5
Vertragsarzt - Verantwortlichkeit für korrekte und
vollständige Abrechnung - Nachweispflicht bei nicht
lesbaren Abrechnungsunterlagen
Leitsatz
Ein Vertragsarzt ist für die korrekte und vollständige Abrechnung verantwortlich, dies
gilt auch für eventuelle Korrekturen. Reicht er eine korrigierte Abrechnung mit einer für
die Kassenärztliche Vereinigung nicht lesbaren Abrechnungsdiskette ein, so bleibt die
Nachweispflicht bei ihm.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Honorarbescheide für die Quartale II und III/08 und
hierbei insbesondere um die nachträgliche Berücksichtigung von
Abrechnungsdaten.
Der Kläger war als Facharzt für Chirurgie zur vertragsärztlichen Versorgung mit
Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Er hat seine Zulassung aus Altersgründen zum
02.01.2009 aufgegeben.
Die Beklagte setzte mit Honorarbescheid vom 27.10.2008 für das Quartal II/08 das
Nettohonorar auf insgesamt 55.512,90 € fest. Für den Primär- und
Ersatzkassenbereich setzt sie das Bruttohonorar bei 1.238 Behandlungsfällen auf
54.636,46 € fest.
Hiergegen legte der Kläger unter Datum vom 10.12.2008 Widerspruch ein.
Unter Datum vom 10.03.2009, bei der Beklagten am 16.03. eingegangen, reichte
er eine Diskette mit geänderten Abrechnungsziffern bei der Beklagten ein. Die
Beklagte wies den Kläger unter Datum vom 03.06.2009 darauf hin, dass diese
Diskette in einem für sie nicht einlesbaren Format erstellt worden sei. Sie
übermittle deshalb die Diskette zur ihrer Entlastung zurück und bitte um erneute
Widerspruchsbegründung.
Die Beklagte setzte mit Honorarbescheid vom 12.01.2009 für das Quartal III/08
das Nettohonorar auf insgesamt 67.430,20 € fest, das Bruttohonorar für den
Primär- und Ersatzkassenbereich bei 1.296 Behandlungsfällen auf 66.924,32 €.
Hiergegen legte der Kläger am 16.03.2009 Widerspruch ein, dem er zur
Begründung eine Diskette mit den geänderten Abrechnungsziffern beilegte.
Die Beklagte wies den Kläger unter Datum vom 20.07.2009 darauf hin, dass diese
Diskette in einer für sie nicht einlesbaren Form erstellt worden sei und sie deshalb
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Diskette in einer für sie nicht einlesbaren Form erstellt worden sei und sie deshalb
die Diskette zurücksende.
Der Kläger begründete sodann seine beiden Widersprüche und trug vor, die Form
der Verschlüsselung werde den Softwarehäusern von der KV vorgeschrieben,
damit alle Arztprogramme die Abrechnung in der gleichen Form einreichten. Es sei
also die Aufgabe der KV, auch ältere Versionen zu bearbeiten. Er habe die zwei
Disketten von seinem früherem Softwarebetreuer prüfen lassen. Sie seien lesbar,
das heißt bis hin zur der KV-Verschlüsselung, die nur die KV öffnen könne. Er
könne die Haltung der Beklagten nicht verstehen, zumal diese seine Abrechnung
vom Quartal IV/08 auf der gleichen „älteren Version“ habe lesen können.
Die Beklagte verband beide Widerspruchsverfahren und wies mit
Widerspruchsbescheid vom 13.07.2010 den Widerspruch als unbegründet zurück.
Zur Begründung führte sie aus, die Abrechnungsunterlagen seien für jedes
abgelaufene Quartal zu einem festgesetzten Termin bei der zuständigen
Abrechnungsstelle einzureichen. Zum Quartal I/08 habe sie die
Abrechnungsbearbeitung neu organisiert, als die Ärzte nunmehr an Hand eines
übermittelten Arztinfobriefes quartalsweise über vorgenommen Änderungen
ausführlich schriftlich informiert würden. Diese neue Vorgehensweise habe sie mit
Rundschreiben vom 26.03.2008 erläutert. Durch die Arztinfobriefe bestehe
nunmehr die Möglichkeit, die Abrechnung noch innerhalb einer 10-Tages-Frist
nachträglich zu korrigieren. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass nach
den maßgeblichen Bestimmungen des Honorarverteilungsvertrages die
weitergehende Möglichkeit einer nachträglichen Korrektur der Abrechnung nicht
mehr vorgesehen sei, habe ihr Vorstand beschlossen, dass Korrekturen im
Hinblick auf die eingenommene Praxisgebühr ab den Quartalen I/08 grundsätzlich
nur innerhalb der vorgenanten Frist bzw. im Einzelfall bis zum Ende der
Abrechnungskorrektur möglich seien. Im Übrigen gelte im Quartal I/08 die
Maßgabe, dass die nachträgliche Korrektur intrabudgetärer Leistungen innerhalb
einer Frist von 8 Wochen so wie extrabudgetärer Leistungen bis zum Zugang des
jeweiligen Honorarbescheides möglich sei. Mit weiterem Vorstandsbeschluss vom
22.09.2008 seien ferner ab dem Quartal II/08 alle sonst geltenden Regelungen zur
Möglichkeit einer nachträglichen Korrektur der Abrechnung für hinfällig erklärt
worden. Darüber hinaus könne die geltende Frist somit nur noch im Ausnahmefall
verlängert und eine Korrektur der Abrechnungsunterlagen zugelassen werden. Ein
solcher Ausnahmetatbestand sei schließlich nur dann gegeben, wenn der sich
ergebene Korrekturbedarf nicht den Ärzten bzw. Psychotherapeuten angelastet
werden könne. Mit dem Arztinfobrief für das Quartal II/08 vom 28.07.2008 und für
das Quartal III/08 vom 04.11.2008 seien dem Kläger die Änderungen der
Abrechnungen mitgeteilt worden. Erst nach Zugang der Honorarbescheide habe er
nachträgliche Korrekturen der Abrechnungen entsprechend der beigefügten
Diskette angestrebt. Es scheide aber eine nachträgliche Korrektur grundsätzlich
aus. Auch für eine Ausnahmeregelung lasse sich im vorliegenden Fall keine
Begründung anführen. Hierfür müssten Gründe vorliegen, die vom Kläger selbst
nicht verschuldet seien. Eventuelle Softwarefehler gingen zu Lasten des
Vertragsarztes.
Hiergegen hat der Kläger am 12.02.2010 die Klage erhoben. Er trägt vor, eine
anderweitige Begründung könne er nicht geben, er habe seine Praxis zum
02.01.2009 aufgegeben und die Nachfolger benutzen ein anderes System, das
heißt seine alten Festplatten seien vernichtet worden. Die Disketten seien lesbar,
er habe den Eindruck, dass es der Beklagten zu viel Arbeit sei, die frühere
Verschlüsselung wieder zu reaktivieren. Einen Arztinfobrief habe er nicht erhalten.
Er habe im Nachhinein festgestellt, dass er für das Quartal II/08 falsche – viel zu
niedrige – Ziffern berechnet habe. Aus diesem Grund habe er die korrigierte
Diskette vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung der Honorarbescheide für die Quartale II und III/08, beide in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2010, die Beklagte zu
verpflichten, ihn über seinen Honoraranspruch für die Quartale II und III/08 unter
Berücksichtigung der nachgereichten Abrechnung neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und
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Sie verweist auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und
trägt ergänzend vor, es liege ein begründeter Ausnahmefall für eine nachträgliche
Korrektur nicht vor. Die Änderungswünsche des Klägers seien damit jedenfalls zu
spät bei ihr eingegangen. Über die 10-Tages-Frist hinaus sei eine Korrektur nur
noch im Ausnahmefall möglich gewesen. Am 10.03.2009 sei die
Abrechnungsbearbeitung für das Quartal II/08 lange abgeschlossen gewesen. Auch
bei Entschlüsselung der Diskette läge ein Anspruch auf Korrektur der
Abrechnungen und damit die Berichtigung des Honorarbescheides nicht vor. Der
Kläger habe mit der Sammelerklärung selbst bestätigt, dass die Abrechnung
sachlich-richtig und vollständig sei. Der Kläger habe offensichtlich die mitgeteilten
Änderungen zu den Abrechnungsunterlagen II/08 zunächst nicht überprüft und erst
Monate später ohne weitere Begründung eine Diskette mit den geänderten Ziffern
eingereicht. Der Wert der abgesetzten Leistungen, wie im Infobrief mitgeteilt,
betrage nach Abzug der Verwaltungskosten für das Quartal II/03 417,27 € und für
das Quartal III/03 1.436,11 €. Ob sich auf der Diskette des Klägers diese
Leistungspositionen auch zur Änderung befunden hätten, könne sie aufgrund der
mangelnden Lesbarkeit nicht sagen. Die Lesbarkeit der Abrechnung für das
Quartal IV/08 sage nichts über die Lesbarkeit der geänderten Disketten aus. Es
könne nur gemutmaßt werden, dass bei der Änderung der Abrechnungsdiskette
Fehler unterlaufen seien und diese die mangelnde Lesbarkeit verursacht hätte.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und
beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem
ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und
Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine
Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12
Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem
zuständigen Sozialgericht erhoben worden.
Die Klage ist aber unbegründet. Die Honorarbescheide für die Quartale II und III/08,
beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2010, sind, soweit sie
angefochten sind, rechtmäßig und waren nicht abzuändern. Der Kläger hat keinen
Anspruch darauf, die Beklagte zu verpflichten, ihn über seinen Honoraranspruch
für die Quartale II und III/08 unter Berücksichtigung der nachgereichten
Abrechnung neu zu bescheiden. Die Klage war abzuweisen.
Streitig ist zwischen den Beteiligten lediglich die Frage, ob die Beklagte die
nachträgliche Änderung der Abrechnung zu berücksichtigen hat. Es kann hier
dahinstehen, ob hierfür Ausschlussfristen gelten, die der Kläger nicht eingehalten
hat. Jedenfalls fehlt es bereits an der Konkretisierung dessen, was der Kläger
geändert haben möchte.
Soweit der Kläger Disketten mit der korrigierten Abrechnung eingereicht hat, die
nach Auskunft der Beklagten nicht lesbar sind, wäre es Sache des Klägers
gewesen, entweder eine neue Abrechnungsdiskette einzureichen oder die
Korrekturen in anderer Form, z. B. durch einen Ausdruck vorzulegen. Der Kläger ist
als (ehemaliger) Vertragsarzt für die korrekte und vollständige Abrechnung
verantwortlich, dies gilt auch für eventuelle Korrekturen. Jedenfalls wenn wie hier
kein Anzeichen für ein willkürliches Handeln der Beklagten vorliegt, bleibt die
Nachweispflicht bei dem Kläger. Der insoweit mit einer Vertragsärztin und einem
Vertragsarzt besetzten Kammer ist es bekannt, dass Abrechnungsdisketten
schadhaft sein können, wofür die Verantwortung der die Diskette einreichende
Vertragsarzt trägt. Die Kammer hat dem Kläger bereits mit Verfügung vom
20.09.2010 aufgegeben darzulegen, welche Leistungen fehlerhaft abgerechnet
wurden und wie hoch er den Wert dieser Leistungen beziffert. Dem ist er nicht
nachgekommen. Sein Prozessbevollmächtigter sah sich auch in der mündlichen
Verhandlung nicht in der Lage, auch nur ansatzweise anzugeben, um welche
Leistungen es sich überhaupt gehandelt haben soll. Von daher kann auch
dahinstehen, welchen Beweiswert eine evtl. lesbare Abrechnungsdiskette haben
würde.
Nach allem war die Klage abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung in § 155 Abs. 1
Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende Teil hat die Verfahrenskosten zu
tragen.
Die Streitwertfestsetzung erfolgte durch Beschluss des Vorsitzenden.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den gesetzlichen Vorgaben.
In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes
bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn
ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der
Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden
Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1
und 2 GKG).
Der Streitwert für eine Klage auf höheres Honorar ist pro Quartal auf den
Regelstreitwert festzusetzen, soweit – was vorliegend der Fall ist - keine
hinreichenden Anhaltspunkte für eine konkrete Abschätzung des wirtschaftlichen
Werts des Begehrens ersichtlich sind (vgl. BSG, Beschl. v. 28.01.2009 – B 6 KA
66/07 B – juris).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.