Urteil des SozG Marburg vom 07.07.2010

SozG Marburg: labor, grundsatz der gleichbehandlung, kommission, einheit, zahnarztpraxis, abrechnung, vergütung, werkvertrag, abholung, stadt

Sozialgericht Marburg
Urteil vom 07.07.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 664/09
Hessisches Landessozialgericht L 4 KA 64/10 NZB
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
3. Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Absetzung von Versandkosten im Rahmen der ZE Abrechnung April 2009 in zwei
Abrechnungsfällen.
Der Kläger ist als Zahnarzt zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Nach seinen
Angaben betreibt er ein eigenes Praxislabor in C-Stadt, das ca. 204 km entfernt vom Praxisstandort liegt.
Mit Bescheid vom 11.05.2009 setzte die Beklagte in den zwei strittigen Behandlungsfällen DD und EE von den vom
Kläger eingereichten Heil- und Kostenplänen Versandkosten in Höhe von 26,80 EUR und 39,00 EUR Versandkosten
ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, Versandkosten für das Eigenlabor seien nicht berechenbar. Sie verweise
auf die BEMA-Bestimmungen.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den er nicht weiter begründete.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 03.09.2009 den Widerspruch als unbegründet zurück. Darin führte
sie aus, die Voraussetzungen für die Abrechnungen von Versandkosten seien bei Erbringung zahntechnischer
Leistungen im eigenen Praxislabor nicht gegeben. Der krankenversichertenrechtliche Leistungsanspruch der
Versicherten richte sich nach § 55 Abs. 2 Satz 1 SGB V auf einen Betrag in Höhe der tatsächlich angefallenen
Kosten. Eine vertragszahnärztliche Vergütung auf Grundlage der Vorschriften des einheitlichen
Bewertungsmaßstabes für zahnärztliche Leistungen komme nicht in Betracht. Versandkosten seien als Auslagen dem
zahntechnischen Bereich zuzuordnen, weswegen sich die Vergütung gem. 88 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V nach der
Vereinbarung über das bundeseinheitliche Leistungsverzeichnis der abrechnungsfähigen zahntechnischen Leistungen
(BEL II) richte. Nach Nr. 933 BEL II seien Versandkosten abrechnungsfähig. Nr. 19 der Richtlinie der Technischen
Kommission (gemeinsame Auffassungen der Vertragspartner auf Landesebene vom 01.03.2006) bestimme die
näheren Voraussetzungen für die Abrechnung von Versandkosten. Nach Nr. 19 Ziffer 1 sei Voraussetzung für den
Ansatz der Versandkosten, dass der Versand der zahntechnischen Arbeiten an das gewerbliche Labor und/oder die
Abholung vom gewerblichen Labor durch die Praxis erfolge. Die Abrechnung der Versandkosten sei daher auf
gewerbliche Labore beschränkt. Versandkosten könnten bei praxiseigenen Laboren nicht abgerechnet werden. Die
Auffassung der Technischen Kommission sei von ihr zu befolgen. Ihr sei auch zuzustimmen. Unabhängig davon, ob
ein Praxislabor räumlich an eine Vertragszahnarztpraxis angeschlossen sei oder nicht, bildeten Praxis und Praxislabor
eine organisatorische Einheit, gleich einem ausgelagerten Praxisraum gem. § 24 Abs. 5 Zahnärzte-ZV oder einer
überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft. Auch wenn zahntechnische Arbeiten tatsächlich mit der Post zwischen
Praxis und Praxislabor versandt würden, handele es sich hier um einen rein internen organisatorischen Vorgang.
Daneben sei zu berücksichtigen, dass die Beschränkung auf gewerbliche Labore insbesondere auch vor dem
Hintergrund steuerrechtlicher Unterschiede zwischen gewerblichen Laboren und Praxislaboren gesehen werden
müsse.
Hiergegen hat der Kläger am 18.09.2009 die Klage erhoben. Er trägt vor, die zahntechnischen Arbeiten würden in der
Regel durch Postversand und in ganz dringenden Fällen mit praxiseigenem PKW erfolgen. Bei den pauschalierten
Versandkosten handele es sich um tatsächliche Kosten. Diese seien genauso zu behandeln wie z. B. Kosten für
Zähne, Metalle und sonstige Materialien. Diese Kosten würden von gewerblichen und praxiseigenen Dentallaboren
jeweils in gleicher Höhe abgerechnet werden. Der Verweis auf steuerrechtliche Unterschiede zwischen gewerblichen
und Praxislaboren gehe ins Leere, da es bei Kosten keine Unterschiede gebe. Im Übrigen seien die pauschalierten
Versandkosten nicht kostendeckend. Zahnarztpraxen könnten Versandkosten abrechnen, wenn sie Arbeiten an ein
gewerbliches Labor versenden würden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum diese Versandkosten an ein
praxiseigenes Labor nicht abzugsfähig sein sollten. Zahnarztpraxis und praxiseigenes Labor seien keine
organisatorische Einheit, zumal das Praxislabor ca. 200 km von der Praxis entfernt liege. Die Leitung des
Praxislabors unterliege einer Zahntechnikermeisterin. Die Auffassung der Beklagten verstoße gegen den Grundsatz
der Gleichbehandlung. Sofern er sein Praxislabor in eigene Rechtsform überführe, wäre die Abrechnung von BEL 933
möglich. Er habe im Monat ca. 400,00 EUR Versandkosten und im Falle der Nichtabrechenbarkeit dieser Kosten
müsste das Praxislabor nach A Stadt verlegt werden und die Mitarbeiter in Dortmund würden ihren Arbeitsplatz
verlieren.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 21.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.09.2009
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend führt sie aus, die angegriffene
Regelung sei auch sachlich gerechtfertigt. Praxislabor und Zahnarztpraxis bildeten, auch wenn sie räumlich getrennt
seien, eine organisatorische Einheit. Die Tatsache, dass dem Kläger tatsächlich Versand- und Abholungskosten
entstünden, heiße nicht, dass sie auch verpflichtet sei, diese zu vergüten. Sie dürfe nur Leistungen vergüten, für die
eine Anspruchsgrundlage bestehe. Denselben Rechtsgedanken finde man auch in § 10 Abs. 3 GOÄ. Danach sei der
Versand von Untersuchungsmaterial innerhalb einer Laborgemeinschaft oder zu einem beauftragten Arzt ebenfalls
nicht gesondert berechnungsfähig. Der Kläger müsse für den Gewinn aus der Lieferung zahntechnischer Arbeiten, die
er in seinem Praxislabor für die eigene Praxis herstelle, im Gegensatz zu einem gewerblichen (Fremd-)Labor auch
keine Gewerbesteuer entrichten. Das Steuerrecht behandele Praxis und Praxislabor des Klägers insofern ebenfalls als
organisatorische Einheit. Die Lieferung/Abholung zwischen Praxis und Eigenlabor folge auch anderen zivilrechtlichen
Regelungen, als der Versand zwischen einer Zahnarztpraxis und einem gewerblichen (Fremd-)Labor. Die Herstellung
von zahntechnischen Leistungen sei zivilrechtlich ein Werkvertrag. Erfüllungsort sei das Labor, § 644 Abs. 2 BGB. D.
h., ein (Fremd-)Labor sei rechtlich nicht verpflichtet, zahntechnische Leistungen auf eigene Kosten zu versenden,
sondern der Zahnarzt habe grundsätzlich die Kosten für den Transport zu übernehmen. Beim Kläger liege die Situation
jedoch grundsätzlich anders. Er schließe keinen Werkvertrag mit seinem eigenen Praxislabor. Ihn treffe insofern auch
keine unmittelbare Rechtspflicht zur Übernahme der Lieferungskosten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte
verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den
Kreisen der Vertragszahnärzte verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragszahnärzte
handelt (§ 12 Abs. 3 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 11.05.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
03.09.2009 ist rechtmäßig und war daher nicht aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung der hier
strittigen Versandkosten.
Für die vom Kläger geltend gemachten Versandkosten fehlt es an einer Anspruchsgrundlage. Ein entsprechender
Gebührentatbestand ist nicht ersichtlich.
Soweit Versandkosten grundsätzlich berechnungsfähig sind, gilt dies nicht für den Versand zwischen Praxis und
Labor in Form eines Eigenbetriebes.
Nach Nr. 5 der Allgemeinen Bestimmungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für zahnärztliche Leistungen
gem. § 87 Abs. 2 und 2d SGB V in der 01.01.2004 gültigen Fassung (BEMA-Z) sind die allgemeinen Praxiskosten in
den abrechnungsfähigen Leistungsansätzen enthalten. Nicht in den Leistungsansätzen enthalten sind u. a. die
Versand- und Portokosten. Nach dem bundeseinheitlichen Verzeichnis der abrechnungsfähigen zahntechnischen
Leistungen nach § 88 Abs. 1 SGB V in der ab 01.04.2006 gültigen Fassung (BEL II) sind Versandkosten abrechenbar
(Nr. 9333). Zutreffend weist die Beklagte auf Nr. 19 der Richtlinien der Technischen Kommission hin. Danach ist
Voraussetzung für den Ansatz der Versandkosten, dass der Versand der zahntechnischen Arbeiten an das
"gewerbliche" Labor und/oder die Abholung vom "gewerblichen" Labor durch die Praxis erfolgen. Damit können
Versandkosten bei praxiseigenen Laboren nicht abgerechnet werden. Insofern handelt es sich um eine von der
Zahnarztpraxis allein zu verantwortende interne Arbeitsorganisation mit der eigenen Entscheidung, wo ein Labor
betrieben wird. Die hierdurch entstehenden Mehrkosten sind Betriebskosten, die nicht erstattungsfähig sind. Eine
Ungleichbehandlung liegt darin nicht. Zum einen handelt es sich bei der Versendung an Fremdlabore um Kosten, die
unabhängig von Organisationsentscheidungen der Vertragszahnarztpraxis entstehen. Zum anderen weist die Beklagte
auf die steuerrechtlichen und zivilrechtlichen Unterschiede hin. Eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigt
insbesondre der Umstand, dass die Herstellung von zahntechnischen Leistungen zivilrechtlich ein Werkvertrag ist, bei
dem Erfüllungsort das Labor ist (§ 644 Abs. 2 BGB). Bei Beauftragung eines (Fremd-)Labors entstehen daher
Versandkosten, da dieses rechtlich nicht verpflichtet ist, zahntechnische Leistungen auf eigene Kosten zu versenden.
Im Eigenlabor fällt eine Zahlungspflicht nicht an. Es handelt sich vielmehr um betriebswirtschaftliche Kosten, die auf
der Entscheidung für einen verlagerten Laborstandort beruhen.
Von daher liegt auch wirtschaftlich betrachtet keine Benachteiligung der Zahnarztpraxen vor, die die Labore selbst
betreiben.
Die Entscheidung der Technischen Kommission ist auch für die Beteiligten und das Gericht bindend. Das
Bundessozialgericht hat diesbezüglich bereits dargelegt, dass die allgemeinen Bestimmungen des BEMA-Z und das
Leistungsverzeichnis ein zusammengehöriges Ganzes bilden. Hiernach besteht ein Vergütungsanspruch nur dann,
wenn es sich aus dem Leistungsverzeichnis klar ergibt. Bestehen Zweifel, kann Abhilfe nur durch eine Entscheidung
des Bewertungsausschusses bzw. der Technischen Kommission nach der Anlage V zum BMV-Z erfolgen (vgl. BSG,
Urt. v. 03.12.1997 6 RKa – 74/96 – juris Rdnr. 21). Die Entscheidung der Technischen Kommission ist auch insofern
bindend, als es sich bei den beiden strittigen Behandlungsfällen um Versicherte der AOK Hessen handelt und damit
der Bundesmantelvertrag – Zahnärzte bzw. die Entscheidung der Technischen Kommission maßgebend ist.
Nach allem war der angefochtene Bescheid rechtmäßig und die Klage daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil hat die
Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§§ 143, 144 SGG).