Urteil des SozG Marburg vom 21.05.2008
SozG Marburg: vergleich, wachstum, hessen, referenz, vertragsarzt, daten, abrechnung, ausgabe, ausnahme, stadt
Sozialgericht Marburg
Urteil vom 21.05.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 273/07
1. Unter Abänderung des Bescheids vom 17.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 10.05.2007 wird
die Beklagte verurteilt, die Klägerin hinsichtlich ihres Antrags bzgl. der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV für die
Quartale II bis IV/06 unter Beachtung der Rechtsauffassung der Gerichts neu zu bescheiden.
2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenkosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um eine Sonderregelung bezüglich der Ausgleichsreglung nach Ziffer 7.5 HVV noch für die
Quartale II bis IV/06.
Die Klägerin ist als Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten mit der Zusatzbezeichnung Allergologie seit
08.04.2005 mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie hat ihre Praxis von Herrn D
übernommen, dessen Zulassung zum 31.12.2004 endete. Nach Übernahme der Praxis hat sie den Praxissitz
innerhalb von A-Stadt verlegt (Entfernung ca. 3 km). Die Beklagte setzte das Honorar der Klägerin für die Quartale ab
II/05 jeweils mit Honorarbescheid fest. Im Einzelnen ergeben sich die Festsetzungen aus nachfolgender Tabelle:
II/05 III/05 IV/05 I/06 II/06 Honorarbescheid v. 23.01.2006 12.08.2006 28.11.2006 04.02.2007 Bruttohonorar PK + EK
in Euro 4.281,62 4.757,35 5.965,20 10.389,84 Fallzahl Kl. 256 340 303 638 Fallzahl Fachgruppe 1.951 1.872
RLV Ziff. 6.3 HVV Abgerechnetes Honorarvolumen in Punkten 235.902 242.407,0 174.950,0 410.165 Überschreitung
in Punkten 92.560 50.545,0 4.512,5 46.505
Ausgleichsregelung Ziff. 7.5 HVV Fallzahl Referenzquartal 1.087 965 0 256 Fallwert Referenzquartal in Euro 15,9286
14,1710 0 14,5303 Aktueller Fallwert in Euro 19,7530 17,2225 19,1395 21.4596 Kürzungsbetrag pro Fall in Euro
3,0280 3,6216 - 5,5637 Kürzungsbetrag gesamt in Euro 775,17 1.231,36 3.549,66 Fallwert nach Ausgleich- 16,725
13,5949 15.8959 Fallwert nach Ausgleich im Verhältnis zum Referenzfallwert- 105,0 % 95,9 % 109,4 % Abhilfe
Ausgesetzt durch B. v. 26.06.2006 Ausgesetzt durch B. v. 26.06.2006 Ausgesetzt durch B. v. 26.06.2006 Ausgesetzt
durch B. v. 26.06.2006
III/06 IV/06 I/07 II/07 III/07 Honorarbescheid v. 17.03.2007 18.04.2007 17.07.2007 17.10.2007 17.01.2008
Bruttohonorar PK + EK in Euro 13.752,13 10.585,66 13.112,26 19.023,43 14.933,66 Fallzahl Kl. 661 500 717 990 806
Fallzahl Fachgruppe
RLV Ziff. 6.3 HVV Abgerechnetes Honorarvolumen in Punkten 440.875,0 354.529,0 443.152,0 584.491,0 542.917,0
Überschreitung in Punkten 65.625,3 70.229,0 34.605,4 20.191,0 82.288,0
Ausgleichsregelung Ziff. 7.5 HVV Fallzahl Referenzquartal 340 303 412 256 340 Fallwert Referenzquartal in Euro
17,2225 19,1395 17,4154 14,5303 17,2225 Aktueller Fallwert in Euro 20,1026 21,0671 17,3201 18,9495 18,1989
Kürzungsbetrag pro Fall in Euro 0,8470 1,6858 - - - Kürzungsbetrag gesamt in Euro 559,87 842,91 Fallwert nach
Ausgleich- 19,2556 19,3813 Fallwert nach Ausgleich im Verhältnis zum Referenzfallwert- 111,8 % 101,3 % -
Berechnungen der Kammer
Am 17.02.2006 wandte sich die Klägerin an die Beklagte wegen erheblicher Kürzungen des Honorars in den Quartalen
II und III/05 im Vergleich mit den Abschlagszahlungen. Dies liege an der extrem niedrigen Honorierung pro Schein, die
unter dem Fachgruppendurchschnitt liege und aus der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV resultiere. Ihr
Vorgänger habe im Vergleichsquartal in einer wirtschaftlich sehr schwachen Praxis eine sehr niedrige Honorierung
erzielt, die sie nun mit starken Kürzungen treffe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom
21.10.1998 "B 6 KA 71/97")sei eine Beschränkung des Vergütungsanspruchs eines Vertragsarztes auf das in früheren
Zeiträumen erreichte Leistungsvolumen mit dem Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit unvereinbar, soweit
Vertragsärzte mit unterdurchschnittlicher Fallzahl, insbesondere Inhaber neugegründeter Praxen, ihren Unsatz durch
eine Erhöhung der Zahl der von ihnen behandelten Patienten nicht zumindest bis zum durchschnittlichen Umsatz der
Facharztgruppen steigern könnten. Praxisneugründungen müssten durch eine Steigerung ihrer Fallzahlen zumindest
den durchschnittlichen Umsatz ihrer Fachgruppe erreichen können. Der im Abrechungsbescheid zugrunde gelegte
Referenzfallwert liege unterhalb des Fachgruppendurchschnitts und widerspreche damit dem Grundsatz der
Verteilungsgerechtigkeit. Sie beantrage daher die Anpassung auf den Fachgruppendurchschnitt, hilfsweise die
Ermittlung der Bemessungsgrundlage und rein vorsorglich stelle sie einen Antrag auf sonstige Ausnahme oder
Härtefallregelung. Ihre Praxis befinde sich in der Gründungsphase und könne auf Dauer nicht wirtschaftlich erfolgreich
geführt werden. Aufgrund der Verlegung des Praxissitzes handele es sich um eine Neugründung der Praxis. Sie habe
nur neue Patienten und niedrige Fallzahlen. Die Diagnostik sei aufwendiger als bei "Altpatienten". Dadurch sei auch
eine Erhöhung des Regelleistungsvolumens geboten, was sie gleichfalls beantrage.
Mit Bescheid vom 26.06.2006 half die Beklagte dem Antrag insoweit ab, als sie die Ausgleichsregelung nach Ziffer
7.5 HVV aussetzte, soweit ihre Anwendung in den Quartalen II/05 bis I/06 zu einem Kürzungsbetrag führen würde.
Den darüber hinausgehenden Antrag lehnte sie ab. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass aufgrund des Status
"junge Praxis" die Fallzahlabhängige Quotierung nach Ziffer 5.2 HVV nicht durchgeführt werde. Da eigene Daten der
Klägerin aus den Quartalen II/04 bis I/05 nicht vorhanden seien, seien im Rahmen der Ausgleichsregelung nach Ziffer
7.5 HVV als Ausgangsdaten die Daten des Praxisvorgängers eingestellt worden. Es sei eine Korrektur im Quartal
II/05 auf den maximal zulässigen Wert von 5 % erfolgt. Diese Regelung sei zwar korrekt umgesetzt worden, bedeute
aber für die Praxis der Klägerin einen erheblichen Honorarverlust. Da diese Regelung jedoch nur unter der Maßgabe
gleicher Rahmenbedingungen – sowohl praxisspezifisch als auch allgemein – durchgeführt werden solle, im Fall der
Klägerin ein entsprechender Vergleichbarkeit der Fallwerte "insbesondere aufgrund des differentialen
Leistungsspektrums zu dem Praxisvorgänger" nicht gegeben sei, da die Klägerin unter anderem vermehrt Leistungen
der hoch bewerteten Allergologiediagnostik erbringe, erscheine eine Ausnahmeregelung in Form des Verzichts auf die
Durchführung der Ausgleichsregelung in den Quartalen II/05 bis I/06 als sachgerecht. Eine darüber hinausgehende
Regelung komme nicht in Betracht. Ab dem Quartal II/06 dürfte sich das Problem nicht mehr stellen, da in den
entsprechenden Vergleichquartalen ab II/05 die eigene Praxis bereits existiere, sodass formal Ausgangswerte der
Praxis vorhanden seien.
Die Beklagte teilt der Klägerin unter Datum vom 24.10.2006 mit, aufgrund der Korrektur der Honorarunterlagen für die
Quartale II und III/05 ergebe sich nach Abzug des gültigen Verwaltungskostensatzes eine Gutschrift in Höhe von
397,55 EUR bzw. 1.194,83 EUR.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid vom 26.06.2006 am 27.07.2206 Widerspruch ein. Sie legte dar, aufgrund des
Status als "junge Praxis" könnten die Quartale 2005 nicht als repräsentativ betrachtet werden und sei eine
Fallzahlbegrenzung nicht angemessen und nicht sachgerecht. Sie habe einen Anspruch darauf, ihren Umsatz bis zum
durchschnittlichen Umsatz der Fachgruppe zu steigern.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2007, der Klägerin am 15.05. zugestellt, den weitergehenden
Widerspruch als unbegründet zurück. Über die Begründung des Ausgangsbescheids hinaus führte sie aus, im Quartal
II/06 habe die Ausgleichsregelung bei Zugrundelegung eigener Daten des Vergleichsquartals II/05 zu einem
Belastungsbetrag in Höhe von 3.549,66 EUR geführt, da der aktuelle Fallwert mehr als 5 % vom Referenzfallwert des
entsprechenden Quartals II/05 noch oben abweiche. Ihre Entscheidung gewährleiste die Gleichstellung der Praxis der
Klägerin mit anderen jungen Praxen. Eine andere Regelung sei nach den Vorgaben des Honorarverteilungsvertrages
nicht möglich.
Hiergegen hat die Klägerin am 15.06.2007 die Klage erhoben.
Die Klage bzgl. der Quartale II/05 bis I/06 hat sie in der mündlichen Verhandlung zurückgezogen.
Sie trägt ergänzend zu ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren vor, bei Festsetzung des Honorars für das Quartal
II/06 sei die Ausgleichsregelung erneut angewandt worden und habe sich auch nicht an dem angehobenen
Referenzfallwert orientiert. Gegen diesen Bescheid habe sie Widerspruch eingelegt. Die Anwendung der +/- 5 %
Ausgleichsregelung unter Anwendung von Vorjahreswerten führe zu einer dauerhaften Stagnation der Entwicklung der
noch im Aufbau befindlichen Arztpraxis. Sie habe im Vergleich zum Vorjahr die Fallzahl von 256 Fällen auf 638 Fälle
im Quartal II/06 zwar steigern können, der relevante Fallwert habe jedoch 21,596 EUR betragen. Der Referenz-Fallwert
sei für das Ausgangsquartal II/05 mit 14,5305 EUR angesetzt worden. Maßgeblich sei der Fallwert von 17,9547 EUR.
Dies habe zu einer Kürzung von 3.549,66 EUR geführt. Sie habe sich auch gegen die Festsetzung des
Regelleistungsvolumens gewandt. Für das Quartal III/04 sei ein Referenz-Fallwert von 14,1710 EUR des Vorgängers
und nach Korrektur ein relevanter Fallwert für das Quartal III/05 von nun 17,2225 EUR angesetzt worden. Es würden
ab dem Quartal II/06 nun nicht etwa die nachträglich nach oben angepassten Werte der Quartale II und III/05
zugrunde gelegt werden.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 17.02.2006 in der Gestalt des
Widerspruchbescheids vom 10.05.2007 zu verurteilen, sie hinsichtlich ihres Antrags bzgl. der Ausgleichsregelung
nach Ziffer 7.5 HVV für die Quartale II/06 bis IV/06 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu
bescheiden.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides. Weiter trägt sie vor, gem. Ziffer 7.5.1. HVV
erfolge zur Vermeidung von praxisbezogenen Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2005 nach Feststellung
der Punktwerte und Quoten gem. Ziffer 7.2 ein Vergleich des für das aktuelle Abrechungsquartal berechneten
fallbezogenen Honoraranspruchs der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen Honorarzahlung im entsprechenden
Anrechungsquartal des Jahres 2004, ausschließlich beschränkt auf Leistungen, die dem budgetierten Teil der
Gesamtvergütung unterlägen und mit Ausnahme der zeitbezogenen genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen
Leistungen. Bei der Ermittlung des Fallwerts blieben Fälle, die gem. Anlage 1 bzw. 2 zu Ziffer 7.1. zur Honorierung
kämen, unberücksichtigt. Es erfolge ein Ausgleich von Fallwertminderungen bis zur Grenze von 5 % grundsätzlich auf
der Basis vergleichbarer Praxisstrukturen maximal bis zu der Fallzahl, die im entsprechenden Quartal des Jahre 2004
zur Abrechnung gekommen seien. Ein Ausgleich sei ausgeschlossen, wenn im aktuellen Quartal im Vergleich zum
Vorjahresquartal erkennbar (ausgewählte) Leistungsbereiche nicht mehr erbracht würden oder sich das
Leistungsspektrum der Praxis, unter anderem als Folge einer geänderten personellen Zusammensetzung der Praxis,
verändert habe. Er sei des Weiteren ausgeschlossen, wenn sich die Kooperationsform der Praxis entsprechend Ziffer
5.2. Buchstabe g) im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresquartal geändert habe. Der HVV stelle somit klar, dass
als Ausgangsdaten entweder praxiseigene Werte oder repräsentative Werte einer Vorgängerpraxis zugrunde zu legen
seien. Ein Abstellen auf Fachgruppenwerte sehe der HVV indes nicht vor. Nach Heranziehung der eigenen
Ausgangswerte der Klägerin ab dem Quartal II/06 sei eine Honorarkürzung von 3.549,66 EUR (II/06), von 559,87 EUR
(III/06) und von 842,91 EUR (IV/06) erfolgt. Im Quartal I/07 habe die Ausgleichregelung keine Anwendung gefunden.
Ein Anspruch bis zum Wachsen auf das Durchschnittshonorar der Vergleichsgruppe bestehe nicht. Sie trage dem
Anspruch durch Aussetzen der fallzahlabhängigen Quotierung bis einschließlich dem Quartal I/08 Rechung. Diese
Fallzahl werde im Rahmen der Maßnahme des Regelleistungsvolumens entsprechend anerkannt. Der Klägerin werde
damit die Möglichkeit des Wachsens eingeräumt. Die Ausgleichsregelung sei in ihrer konkreten Ausgestaltung als
Erprobungsregelung zulässig. Sie sei ordnungsgemäß umgesetzt worden. Der Referenz-Fallwert im korrigierten
Honorarbescheid für das Quartal II/05 betrage 17,9547 EUR. Der Wert 19,7530 EUR entstamme dem alten
Honorarbescheid. Es sei auch nicht der Referenz-Fallwert im korrigierten Honorarbescheid für das Quartal II/05 von
17,9547 EUR für das Quartal II/06 herangezogen worden, da für die korrigierte Abrechnung Zusätzliches zugeführt
worden sei. Da dieses Honorarvolumen im Quartal II/06 nicht mehr zur Verfügung gestanden habe, seien für die
Ausgleichsregelung praxisindividuelle fiktive Honorarzahlungen für das Basisquartal II/05 ermittelt worden, die von der
Annahme ausgingen, die Gesamtvergütung sei nicht künstlich erhöht worden. Die Frage des Regelleistungsvolumens
und der Fallzahlbegrenzung bleibe einem gesonderten Verfahren vorbehalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei Vertretern der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt
und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12
Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 17.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom
10.05.2007 ist, soweit er noch angefochten wird, rechtswidrig und war daher aufzuheben. Die Klägerin hat einen
Anspruch auf Neubescheidung bzgl. der Anwendung der Ausgleichsregelung für die Quartale II bis III/06. Die Beklagte
hat die Klägerin hinsichtlich ihres Antrags bzgl. der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV für die Quartale II/06 bis
IV/06 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und den Verbänden der Krankenkassen zur
Honorarverteilung für die Quartale 2/2005 bis 4/2005, bekannt gemacht als Anlage 2 zum
Landesrundschreiben/Bekanntmachung vom 10.11.2005 (HVV) sieht in Ziffer 7.5 eine Regelung zur Vermeidung von
Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2005 vor:
Im Einzelnen bestimmt Ziffer 7.5 HVV:
7.5.1 Zur Vermeidung von praxisbezogenen Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2000plus erfolgt nach
Feststellung der Punktwerte und Quoten gemäß Ziffer 7.2 ein Vergleich des für das aktuelle Abrechnungsquartal
berechneten fallbezogenen Honoraranspruches (Fallwert in EUR) der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen
Honorarzahlung in EUR im entsprechenden Abrechnungsquartal des Jahres 2004 ausschließlich beschränkt auf
Leistungen, die dem budgetierten Teil der Gesamtvergütung unterliegen und mit Ausnahme der zeitbezogenen
genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen. Bei der Ermittlung des Fallwertes bleiben Fälle, die
gemäß Anlage 1 bzw. 2 zu Ziffer 7.1 zur Honorierung kommen, unberücksichtigt. Zeigt der Fallwertvergleich eine
Fallwertminderung oder Fallwerterhöhung von jeweils mehr als 5% (bezogen auf den Ausgangswert des Jahres 2004),
so erfolgt eine Begrenzung auf den maximalen Veränderungsrahmen von 5%. Die für eine Stützung bei
Fallwertminderungen – Einzelheiten siehe Ziffer 7.5.2 – notwendigen Honoraranteile gehen zu Lasten der jeweiligen
Honorar(unter)gruppe, der die Praxis im aktuellen Quartal zugeordnet ist, und sind gegebenenfalls durch
weitergehende Quotierung der Bewertungen bzw. Punktwerte zu generieren, falls die aus der Begrenzung der Fallwerte
auf einen Zuwachs von 5% resultierende Honoraranteile hierfür nicht ausreichend sein sollten. Sollte durch eine
solche Quotierung die Fallwertminderung (wieder) auf einen Wert oberhalb von 5% steigen, führt dies zu keinem
weitergehenden Ausgleich.
7.5.2 Ein Ausgleich von Fallwertminderungen bis zur Grenze von 5% erfolgt grundsätzlich auf der Basis
vergleichbarer Praxisstrukturen und maximal bis zu der Fallzahl, die im entsprechenden Quartal des Jahres 2004 zur
Abrechnung gekommen ist. Ein Ausgleich ist in diesem Sinne u. a. dann ausgeschlossen, wenn im aktuellen Quartal
im Vergleich zum Vorjahresquartal erkennbar (ausgewählte) Leistungsbereiche nicht mehr erbracht wurden oder sich
das Leistungsspektrum der Praxis, u. a. als Folge einer geänderten personellen Zusammensetzung der Praxis,
verändert hat. Er ist des weiteren ausgeschlossen, wenn sich die Kooperationsform der Praxis entsprechend Ziffer 5.2
Buchstabe g) im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresquartal geändert hat. Beträgt die Fallwertminderung mehr
als 15%, ist eine auf die einzelne Praxis bezogene Prüfung im Hinblick auf vorstehend aufgeführte Kriterien
durchzuführen, bevor eine Ausgleichszahlung erfolgt. Ausgleichsfähige Fallwertminderungen oberhalb von 15%
müssen vollständig ihre Ursache in der Einführung des EBM 2000plus haben.
7.5.3 Die vorstehende Ausgleichsvorschrift steht im Übrigen unter dem Vorbehalt, dass von Seiten der Verbände der
Krankenkassen mindestens eine gegenüber dem Ausgangsquartal vergleichbare budgetierte
Gesamtvergütungszahlung geleistet wird und die aufgrund der Beschlussfassung des Bewertungsausschusses vom
29.10.2004 vorzunehmenden Honorarverschiebungen nach Abschluss des Abrechnungsquartals – siehe Ziffer 2.5 der
Anlage 1 bzw. 2 zu Ziffer 7.2 – noch ein ausreichendes Honorarvolumen für diese Maßnahme in der einzelnen
Honorar(unter)gruppe belassen.
Es kann hier dahinstehen, ob die Beklagte diese Vorgaben sowie das übrige Regelwerk zutreffend angewandt hat.
Insofern bestehen Bedenken, ob die Beklagte berechtigt war, ohne Änderung des Honorarverteilungsvertrages eine
Korrektur der Fallwerte für das Quartal II/05 vorzunehmen. Der Honorarverteilungsvertrag trifft hierfür keine
Regelungen, wie auch die Prozessvertreterin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat. Aber auch unterstellt,
dieses Vorgehen der Beklagten ist rechtmäßig, so ist die Festsetzung des Kürzungsbetrages bereits insofern
rechtswidrig, als sie eine im Wachstum befindliche sog. junge Praxis betrifft und die Kürzung gegen den Grundsatz
der Honorarverteilungsgerechtigkeit verstößt.
Die Kammer hat bereits für eine sich im Wachstum aufgrund einer allmählichen Fallzahlsteigerung befindlichen sog.
junge Praxis entschieden, für die die Beklagte die Ausgleichsregelung nur bis zur Fallzahl des Vorjahresquartals
angewandt hatte, dass es gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit verstößt, wenn bei gleicher
Leistung im aktuellen Abrechnungsquartal die Ausgleichsregelung nach Ziff. 7.5 HVV zu einer Benachteiligung junger
Praxen führt, die ihre Wachstumsphase im Referenzquartal nicht abgeschlossen hatten (vgl. SG Marburg, Urt.
16.01.2008 - S 12 KA 188/07 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris (Berufung anhängig bei dem LSG Hessen - L 4
KA 14/08 -). Hieran anschließend hat die Kammer weiter einen Verstoß gegen den Grundsatz der
Honorarverteilungsgerechtigkeit ferner dann als gegeben angesehen, wenn trotz gravierender Fallwertverluste im
Vergleich zum Quartal I/05 die Beklagte wegen Fehlens von Abrechnungswerten im Jahr 2004 von der Anwendung
nach der Ausgleichsregelung nach Ziff. 7.5 HVV absieht (vgl. SG Marburg, Urt. v. 12.03.2008 – S 12 KA 236/07 –
www.sozialgerichtsbarkeit.de). Über honorarbegrenzende Maßnahmen nach der Ziffer 7.5 HVV hat die Kammer bisher
nicht entschieden.
Ziffer 7.5 HVV führt mit der Ausgleichsregelung bei Fallwertsteigerungen zu einer Individualbudgetierung. Ein
Vertragsarzt wird auf den Fallwert des Referenzquartals beschränkt, wobei eine Fallwertsteigerung von maximal 5 %
zulässig ist. Die Art und Weise der Durchführung der Ziffer 7.5 HVV kann jedoch dazu führen, dass in den Fällen, in
denen die Summe der Honorarkürzungen die Summe der Ausgleichsbeträge innerhalb der Fachgruppe nicht erreicht
und ein Teil der Ausgleichsbeträge aus dem Fachgruppentopf generiert werden muss mit der Folge, dass der
zunächst errechnete Punktwert weiter absinkt mit der weiteren Folge, dass auch der zunächst angenommene Fallwert
weiter absinkt, der Fallwert nach Durchführung der Kürzung auf einen Wert unter 105 % fällt. Im Fall der Klägerin ist
dies im Quartal IV/06 der Fall, hier beträgt der Fallwert nach Kürzung nur noch 101,3 % des Referenzfallwertes. Eine
klare Vorgabe, in welchem Umfang das abgerechnete Honorarvolumen anerkannt wird, enthält Ziffer 7.5 HVV nicht, da
dies vom im Vorhinein nicht feststehenden Punktwert, dem Umfang der Ausgleichbeträge und Kürzungsbeträge
abhängt. So erfolgte für die Klägerin die Kürzung im Quartal II/06 auf 109,4 % des Referenzfallwertes, im Quartal
III/06 auf 111,8 %. Eine Begrenzung der Kürzung sieht die Regelung ebf. nicht vor. Für die Klägerin beträgt der Anteil
der Kürzung, bezogen auf das festgesetzte Bruttohonorar im Primär- und Ersatzkassenbereich, im Quartal II/06 34,2
%, im Quartal III/06 4,1 % und im Quartal IV/06 8,0 %. Bezogen auf den eigentlichen Honoraranspruch im Quartal
II/06 in Höhe von 13.939,50 EUR (10.389,84 EUR + 3.549,66 EUR) beträgt die Kürzung in Höhe von 3.549,66 EUR
noch 25,5 %.
Soweit durch Ziff. 7.5 HVV Verwerfungen in der Honorarverteilung aufgrund des zum Quartal II/05 eingeführten neuen
EBM 2005, von der Beklagten als EBM 2000plus bezeichnet, verhindert werden sollen und aus Sicht der Beklagten
die Regelung dem Bestandsschutz einer Praxis dient, kann sie aber im Ergebnis, jedenfalls bei Kürzungen, zu einer
Konterkarierung der gesetzlichen Vorgaben zur Einführung von Regelleistungsvolumen, wie sie der
Bewertungsausschuss mit Beschluss vom 29.10.2004 zur Festlegung von Regelleistungsvolumen durch die KVen
gemäß § 85 Abs. 4 SGB V mit Wirkung zum 01.01.2005 (DÄ 101, Ausgabe 46 v. 12.11.2004, Seite A 3129 = B-2649
= C-2525) eingeführt hat, führen. Nach der Rechtsprechung der Kammer sind die Vertragsparteien des
Honorarverteilungsbetrages hieran gebunden (vgl. SG Marburg, Urt. v. 26.09.2007– S 12 KA 822/06 –
www.sozialgerichtsbarkeit.de, Berufung zurückgewiesen durch LSG Hessen, Urt. v. 23.04.2008 - L 4 KA 69/07 -). Die
nach der Honorarberechnung auf der Grundlage der Regelleistungsvolumina ansetzende Ausgleichsregelung nach
Ziffer 7.5 HVV kann aber im Ergebnis zu völlig veränderten Honoraransprüchen führen, wie insb. die
Honorarfestsetzung für die Klägerin im Quartal II/06 zeigt. Soweit das BSG honorarbegrenzende Maßnahmen als mit
dem Gebot leistungsproportionaler Vergütung vereinbar angesehen hat, so waren dies Bestimmungen, die
Vertrags(zahn)ärzte mit kleinerem bis durchschnittlichem Praxisumfang geringer, diejenigen mit größerem dagegen
mehr belastet hatten (vgl. BSG, Urt. v. 14.12.2005 - B 6 KA 17/05 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 22 = BSGE 96, 1 =
Breith 2006, 715 = MedR 2006, 542 = GesR 2006, 499 = USK 2005-130, juris Rdnr. 30). Vor allem ist diese
Rechtsprechung vor der gesetzlichen Vorgabe von Regelleistungsvolumina ergangen.
Es kann hier aber ebf. letztlich dahinstehen, ob die Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV, soweit sie zu
Honorarkürzungen führt, generell oder im Rahmen einer Anfangs- und Erprobungsregelung (vgl. BSG, Urt. v.
08.03.2000 - B 6 KA 8/99 R - USK 2000-110, juris Rdnr. 23; BSG, Urt. v. 29.01.1997 - 6 RKa 18/96 - SozR 3-2500 §
87 Nr. 16, juris Rdnr. 14; Freudenberg in: jurisPK-SGB V, online-Ausgabe, § 85, Rdnr. 129; Engelhard in: Hauck-
Haines, SGB V, § 85, Rdnr. 165) für einen begrenzten Zeitraum zulässig ist. Gerade der Gesichtspunkt des
Bestandsschutzes verdeutlicht, dass sog. junge Praxen in ihrer Entwicklung über die Bindung an die
Regelleistungsvolumina hinaus behindert werden. Dies ist mit dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit
nicht vereinbar. Bei honorarbegrenzenden Maßnahmen muss kleinen Praxen zumindest ein Wachstum bis zum
Umsatz einer für ihre Fachgruppe typischen Praxis gestattet werden. Anfängerpraxen muss danach zumindest für
einen begrenzten Zeitraum ein unbeschränktes Wachstum zugestanden werden (vgl. Freudenberg in: jurisPK-SGB V,
online-Ausgabe, § 85, Rdnr. 142). Umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen - dabei insbesondere, aber
nicht nur, neu gegründete Praxen – müssen die Möglichkeit haben, durch Erhöhung der Zahl der von ihnen
behandelten Patienten den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Jedem Vertragsarzt muss
grundsätzlich die Chance bleiben, durch Qualität und Attraktivität seiner Behandlung oder auch durch eine bessere
Organisation seiner Praxis neue Patienten für sich zu gewinnen und so legitimerweise seine Position im Wettbewerb
mit den Berufskollegen zu verbessern. Das gilt für die damit verbundenen Umsatzsteigerungen allerdings nur bis zum
Durchschnittsumsatz der Fachgruppe. Dabei muss der HVM es dem einzelnen Vertragsarzt in effektiver Weise
ermöglichen, den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Das bedeutet nicht, dass alle Praxen mit
unterdurchschnittlichem Umsatz von jeder Begrenzung des Honorarwachstums verschont werden müssten, wie dies
den neu gegründeten Praxen einzuräumen ist, solange diese sich noch in der Aufbauphase befinden, die auf drei bis
fünf Jahre bemessen werden kann (vgl. BSG v. 10.03.2004 - B 6 KA 3/03 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 9 = BSGE 92,
233 = GesR 2004, 393 = MedR 2004, 639, juris Rdnr. 25).
Zum Schutz einer sog. jungen Praxis ist es daher erforderlich, dass die Beklagte von Begrenzungsmaßnahmen
gegenüber der Klägerin absieht, soweit diese jedenfalls das Durchschnittshonorar der Fachgruppe nicht erreicht hat,
wovon die Kammer hier für alle drei streitbefangenen Quartale ausgeht. Der Regelungsmechanismus nach der Ziff. 7.5
HVV führt zu einer Ungleichbehandlung der Klägerin. Von daher wird die Beklagte bei einer Neubescheidung bei
Anwendung der Regelung nach Ziff. 7.5 HVV zu prüfen haben, ob die Klägerin vor Kürzung des Honorars das
Durchschnittshonorar der Fachgruppe erreicht. Sollte dies nicht der Fall sein, so hat sie von einer Kürzung
abzusehen. Sollte dies der Fall sein, so ist eine Kürzung nur bis zum Durchschnittshonorar der Fachgruppe, bezogen
auf die nach Ziffer 7.5 HVV zu berücksichtigenden Leistungen, zulässig.
Einer Änderung des Honorarverteilungsvertrages bedarf es hierzu nicht. Insofern handelt es sich nicht um einen
strukturellen Fehler des Honorarverteilungsvertrages, sondern fehlt lediglich eine Sonderregelung für atypische Fälle.
Diese kann der Vorstand der Beklagten hier selbst treffen (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 09.08.2006 – L 4 KA 7/05 –
www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Im Ergebnis war der Klage daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten
des Verfahrens.