Urteil des SozG Marburg vom 19.01.2011

SozG Marburg: mitarbeit, eltern, krankenkasse, therapie, befund, kieferorthopädie, unterlassen, behandlungskosten, rka, niedersachsen

Sozialgericht Marburg
Urteil vom 19.01.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 262/10
1. Die Klage wird abgewiesen
2. Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Regress wegen kieferorthopädischer Behandlung der bei der Beigeladenen
versicherten und 1987 geborenen Patientin C. in Höhe von 60 % der Behandlungskosten bzw. 2.561,01 EUR.
Die Klägerin war im strittigen Zeitraum als Fachzahnärztin für Kieferorthopädie zur vertragszahnärztlichen Versorgung
mit Praxissitz in X-Stadt zugelassen.
Die Klägerin behandelte die Versicherte vom 17.05.1999 bis zum 14.12.2006 kieferorthopädisch. Die Versicherte
brach die Behandlung ab und begab sich ab dem 12.07.2007 in die Behandlung der Fachzahnärztin für
Kieferorthopädie Frau Dr. med. dent. D.
Dr. E. vom medizinischen Dienst der Krankenkassen fertigte für die Beigeladene unter Datum vom 29.10.2007 ein
Gutachten an. Darin gelangte er zu dem Ergebnis, dass ein erneuter kieferorthopädischer Behandlungsbedarf bei der
Versicherten bestehe (schwere Zahnstellungsanomalie). Im Rahmen der Untersuchung habe die Versicherte
umfangreiche Probleme bezüglich der bisher vorgenommenen kieferorthopädischen Behandlung bzw. dem bisherigen
Ergebnis geäußert. Insbesondere habe sich im Bereich der oberen Schneidezähne eine dauerhafte Zahnlockerung
infolge Wurzelresorption ergeben; gleichfalls sei eine erhebliche Funktionsstörung infolge des verbliebenen Tiefbisses
vorhanden. Die Patientenangaben hätten sich bei der Untersuchung und Unterlagensichtung bestätigt. Aus allgemein
zahnmedizinischer Sicht stelle sich im Bereich der Zähne 12 – 22 und auch bei 16 die Situation mit extrem
fragwürdiger Prognose bezüglich einer weiteren Zahnerhaltung dar, da die resorptionsbedingten Veränderungen der
Zahnwurzel nicht reversibel bzw. nicht therapierbar erschienen. Die Patientin wünsche nunmehr eine
erfolgversprechenden Behandlung sowie Korrektur der vorgenannten Probleme. Mangels eigener Fachkompetenz
werde vorgeschlagen, eine erneute kieferorthopädische Begutachtung (nach Aktenlage) bzgl. des Ergebnisses der
ausgeführten kieferorthopädischen Behandlung sowie auch zur Notwendigkeit und den Umfang einer erneuten
kieferorthopädischen Behandlung sowie eine sozialmedizinische Beurteilung bezüglich einer möglichen
Kostenübernahmeverpflichtung der GKV einzuleiten.
Die Beigeladene wandte sich unter Datum vom 08.09.2008 an die Beklagte mit der Bitte um Prüfung eines
Behandlungsfehlers sowie der Möglichkeit der Geltendmachung einer Forderung gem. § 21 Ersatzkassenvertrag-
Zahnärzte. Für die Behandlung der Versicherten bei der Klägerin seien zwei Verlängerungsanträge über jeweils sechs
Behandlungsquartale gestellt worden. Die Klägerin habe mit Schreiben vom 14.12.2006 angezeigt, dass die
Behandlung abgebrochen werde. Die Behandlung sei jedoch von der Nachfolgerin, Frau Dr. D. bis zum Quartal III/07
fortgeführt worden. Nach Auffassung der Versicherten sowie in den beigefügten MDK-Gutachten bestätigt seien durch
die Behandlung der Klägerin die Zahnwurzeln der Front- und Seitenzähne geschädigt worden. Dadurch sei eine
erneute kieferorthopädische Behandlung erforderlich geworden, die mittlerweile bei Frau F. begonnen worden sei.
Die hierüber informierte Klägerin trug gegenüber der Beklagten vor, während der gesamten Behandlung sei die
Mitarbeit der Versicherten deutlich reduziert gewesen. Es seien mehrfach Termine nicht wahrgenommen worden. Dies
sei in entsprechenden Mitteilungen der Krankenkasse erstmals im Juni 2000 mitgeteilt worden. Weitere Mitteilungen
wegen schlechter Mitarbeit der Versicherten sowie Terminsversäumnissen seien im Februar 2001, am 28.08.2001
sowie am 24.06.2002 erfolgt. Der letzte Kontakt sei am 29.06.2004 erfolgt. Obwohl weitere Termine vereinbart
gewesen seien, sei die Versicherte ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Praxis erschienen. Es dürfte auf jeden Fall
Verjährung eingetreten sein.
Die Beklagte legte eine fachliche Stellungnahme ihres Beauftragten für Kieferorthopädie mit Datum vom 10.12.2008
vor. Dieser gelangte in seiner fachlichen Stellungnahme zu dem Ergebnis, die Anfangsdiagnostik sei im Umfang
unvollständig, da die Befundmodelle fehlten. Die vorgelegten Anfangsunterlagen seien in der Qualität ausreichend und
belegten die Beschreibung des Krankheitsbildes im Behandlungsplan. Der Therapieplan sei in seiner Grundaussage
fehlbildungsgerecht. Die Behandlungsdurchführung sei aufgrund der Karteieintragungen nur oberflächlich
nachvollziehbar, da die therapeutischen Ziele der abgerechneten Einzelleistungen nicht dargestellt seien. Die
Behandlung sei mit aktiven Platten im Mai 1999 begonnen worden. Im Dezember 1999 seien festsitzende Apparaturen
in beiden Kiefern eingesetzt worden, obwohl sie im Behandlungsplan nicht vorgesehen gewesen seien und nach den
vorliegenden Unterlagen nicht beantragt worden seien. Die eigentlich geplante Behandlung mit einem
funktionskieferorthopädischen Gerät sei unterlassen worden. Seit Juli 2000 sei die Anwendung von Klasse II-
Gummizügen dokumentiert. Bis Mai 2004 seien regelmäßige Kontrollen mit Bogenwechseln, Reparaturen und
Anwendung von Gummizügen notiert. Eine Verschlechterung der Mitarbeit der Versicherten sei seit März 2005 in der
Kartei vermerkt. Seitdem sei es häufiger zu Terminabsagen gekommen. Letztmals habe laut Kartei eine Kontrolle am
23.02.2006 stattgefunden. Nach Beratung beim Kieferchirurgen hätte sich die Patientin wieder vorstellen sollen. Dies
sei trotz telefonischer Anmahnung am 30.11.2006 nicht geschehen, so dass die Behandlung am 14.12.2006
abgebrochen worden sei. Der Vergleich der Zwischenbefunde dokumentiere keinerlei Behandlungsfortschritte. Große
Frontzahnstufe und Rücklage des Unterkiefers in Verbindung mit Tiefbiss bestehe nahezu unverändert seit
Behandlungsbeginn. Schon in den Röntgenbefunden vom 18.05.2004 seien beginnende Wurzelresorptionen zu
erkennen. Der Röntgenbefund vom 12.07.2007 zeige eine erhebliche Ausweitung der generalisierten
Wurzelresorptionen. Es sei ein sonstiger Schaden festzustellen. Er empfehle die Rückerstattung in Höhe von 60 %
der Behandlungskosten. Die Behandlung sei über lange Zeit durchgeführt worden, ohne dass der Befund verbessert
worden wäre. Dies sei zwar auch auf die mangelhafte Mitarbeit der Patientin zurückzuführen, es hätte jedoch viel
früher eine Umplanung oder ein Behandlungsabbruch erfolgen müssen. Für die Schädigungen der Zahnwurzeln sei die
Behandlerin nicht alleine verantwortlich. Die Patientin sei zwischen dem 23.02.2006 und dem 12.07.2007 aus eigenem
Verschulden nicht in kieferorthopädischer Kontrolle gewesen. Die Schäden an den Zahnwurzeln seien vermutlich
dadurch erheblich verschärft worden.
Hierauf erwiderte die Klägerin, die fachliche Stellungnahme könne keine fehlerhafte oder unwirtschaftliche Behandlung
belegen. Es werde festgestellt, dass der Therapieplan fehlbildungsgerecht sei. Die auch in ihrer Aufstellung
aufgeführten Therapieänderungen vom 12.07.2002 sowie vom 12.12.2003 würden überhaupt nicht erwähnt werden.
Gleichwohl werde auf eine "Umplanung" hingewiesen. Unberücksichtigt bleibe auch, dass die Mitarbeit der
Versicherten bereits erheblich früher nachgelassen habe. Einen Erfolg der Behandlung schulde sie nicht. Es werde
auch eingeräumt seitens der Beklagten, dass die Wurzelresorptionen durch die mangelhafte Mitwirkung der
Versicherten verursacht bzw. verschlimmert worden seien. Wurzelresorptionen stellten jedoch grundsätzlich keine
Kontraindikation für die Fortsetzung einer kieferorthopädischen Behandlung dar. Weshalb sie hierfür verantwortlich
sein solle, erschließe sich ihr nicht. Selbst bei einer Verantwortlichkeit sei der Anteil unterhalb von 60 %. In welcher
Form eine "Umplanung" hätte erfolgen sollen, werde in der Stellungnahme nicht mitgeteilt. Ein Abbruch könne aber nur
als letztes Mittel eingesetzt werden. Trotz der schlechten Mitarbeit habe sie die Fortführung der Behandlung aufgrund
der mangelnden Mitwirkung nicht als aussichtslos eingeschätzt. Sie sei auch weiterhin der Auffassung, dass
Verjährung vorliege. Die jedenfalls unzweifelhaft fehlerfrei erbrachten Leistungen könnten von der Rückforderung gar
nicht betroffen sein. Die bis zum Quartal IV/03 erbrachten Leistungen von insgesamt 2.947,27 EUR dürften aufgrund
der Verjährung gar nicht vom Regress erfasst werden. Es blieben 1.045,79 EUR für die Behandlung vom Quartal I/04
bis zum Quartal IV/06. Sie sei zur vergleichsweisen Regelung allenfalls bereit, einen Betrag von 300,00 EUR zu
leisten.
Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 09.11.2009 den strittigen Regressbetrag in Höhe von 2.561,01 EUR (60 % der
abgerechneten Leistungen) fest. Zur Begründung führte sie aus, die Behandlung sei vertragswidrig mit einer nicht
genehmigten festsitzenden Apparatur begonnen worden. Die geplante und durch den Kostenträger befürwortete
Therapie mit einem funktionskieferorthopädischen Gerät sei unterlassen worden. Eine fehlende oder unvollständige
Mitarbeit der Versicherten im Zeitraum Mai 1999 bis März 2005 sei nicht dokumentiert. Für die von der Klägerin
angegebenen Daten Juni 2000 und Februar 2001 fänden sich überhaupt keine Hinweise in den
Karteikartendokumentationen. Die Mitteilungen vom 28.08.2001 sowie 24.06.2002 seien in der Kartei lediglich mit
"Mittlg. Kasse" und "Mittlg Eltern" ohne Angaben zum Inhalt der Mitteilung vermerkt. Jeder Zahnarzt sei aber
verpflichtet, alle ausgeführten Leistungen gewissenhaft zu dokumentieren (§ 7 Abs. 3 EKV-Z). Die
Behandlungsdurchführung sei aufgrund der Karteikartenführung nur oberflächlich nachvollziehbar, was einen weiteren
erheblichen Dokumentationsmangel darstelle. Die Behandlung sei über Jahre fortgeführt worden, ohne dass der
Befund verbessert worden wäre. Die Wurzelresorption sei schon auf dem Röntgenbefund vom 18.05.2004 zu
erkennen. Es hätte eine Umplanung oder ein Behandlungsabbruch erfolgen müssen.
Hiergegen legte die Klägerin am 11.12.2009 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, der Bescheid sei bereits
unzureichend begründet. Ihr Vortrag sei nicht berücksichtigt worden. Eine Pflichtverletzung liege nicht vor. Sie habe
bei der Beigeladenen eine Umstellung auf Multibandbehandlung beantragt, die auch am 14.12.1999 genehmigt worden
sei. Diese reiche sie zur Verwaltungsakte. Erst nach Therapieänderung habe sie die Leistungen im Rahmen der
Multibandbehandlung erbracht und abgerechnet. Sie habe die mangelnde Mitwirkung der Versicherten ausreichend
dokumentiert. Im Übrigen sei nicht erkennbar, wie sich aus einem Dokumentationsmangel ein kausaler Schaden
ergeben könne. Für einen mangelnden Behandlungserfolg habe sie nicht einzustehen. Für einen Regress reiche der
Hinweis auf einen angeblichen Röntgenbefund nicht aus. Eine Wurzelresorption stelle auch keine absolute
Kontraindikation für die kieferorthopädische Behandlung dar. Der Vorwurf, durch ihre Behandlung seien die
Zahnwurzeln geschädigt worden, gehe nach dem Gutachten des Dr. G. ins Leere, da die Zähne der Versicherten dann
bereits vorgeschädigt gewesen seien. Die Schadenshöhe sei nicht nachvollziehbar.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 11.03.2010 als unbegründet zurück. Darin führte sie aus, bei
Behandlungsbeginn sei zunächst eine nicht genehmigte Apparatur eingesetzt worden. Für die Therapieänderung sei
erst am 12.07.2002 eine nachträgliche Änderung auf Multibandbehandlung sowohl im Unterkiefer als auch im
Oberkiefer beantragt worden. Bereits am 18.05.2004 seien auf den Röntgenaufnahmen erste
Wurzelresorptionsansätze zu erkennen. Der letzte Kontrollgang der Patientin sei im Dezember 2005 erfolgt. Die
Apparatur sei nicht entfernt worden. Am 12.07.2007 sei eine massive irreversible Wurzelresorption bei den Oberkiefer-
Incisivi und bei Zahn 16 festgestellt worden. Dadurch sei eine Versorgung mit festsitzenden Retainern sowohl im
Oberkiefer als auch im Unterkiefer medizinisch erforderlich geworden. Andernfalls wäre es innerhalb von wenigen
Stunden zu einer massiven Verschiebung der Zähne gekommen. Der Behandlungsplan der Frau F. beinhalte
voraussichtliche Gesamtkosten in Höhe von 2.267,80 EUR. Der Bescheid sei ausreichend begründet worden. Es habe
bereits ein Schriftwechsel zuvor stattgefunden. Die Behandlung hätte sehr viel früher aufgrund des begonnenen
Wurzelabbauprozesses der bereits zu diesem Zeitpunkt fehlenden Mitarbeit der Patientin umgeplant oder abgebrochen
werden müssen. Die Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für die
kieferorthopädische Behandlung vom 04.06.2003 in der ab 01.01.2004 gültigen Fassung bestimmten in Abschnitt B
Punkt 12 Absatz 2, dass die Behandlung von der Mitarbeit eines Patienten abhängig sei. Es seien insgesamt 2 ½
Jahre zwischen den ersten Schadensanzeichen und einer entsprechenden Reaktion vergangen. Noch am 21.09.2004
sei ein weiterer Verlängerungsantrag gestellt worden, obwohl die vorhandenen Probleme inzwischen hinlänglich
offenbart gewesen seien. Zwar könne der Klägerin kein Vorwurf für die Zeit, in der die Patientin sich nicht vorgestellt
habe, gemacht werden. Die Kausalität liege aber darin, dass es zu dieser Situation nicht hätte kommen dürfen.
Aufgrund der erheblichen Schädigung der Zahnwurzeln sei es medizinisch notwendig gewesen, so schnell wie möglich
zu entbändern. Die Weiterbehandlung habe zu dem Schaden geführt. Es gelte eine vierjährige Verjährungsfrist. Diese
beginne mit Erstellung der Abschlussbescheinigung nach § 29 Abs. 3 SGB V bzw. mit der letzten Abrechnung zu
laufen.
Hiergegen hat die Klägerin am 14.04.2010 die Klage erhoben. Sie verweist auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren
und trägt ergänzend vor, die Beklagte setze sich nicht mit der von ihr vorgelegten Genehmigung der
Behandlungsänderung auseinander. Es sei anzuzweifeln, ob Mitteilungen an die Krankenkasse
dokumentationspflichtig seien. Aufzeichnungspflichtig seien nur solche Umstände, die aus medizinischer Sicht für die
Behandlung von Bedeutung sein könnten. Sie sei weiterhin der Auffassung, dass erste Wurzelresorptionsansätze
keine Kontraindikation für eine kieferorthopädische Behandlung darstellten. Die Versicherte habe zwischen dem
23.02.2006 und dem 12.07.2007 kieferorthopädische Kontrolluntersuchungen nicht wahrgenommen. Der
Behandlungsabbruch sei der Krankenkasse am 12.06.2006 mitgeteilt worden. Der Rückforderungsbetrag übersteige
auch den von Frau F. veranschlagten Betrag um 293,21 EUR. Ein Zivilverfahren der Versicherten sei nicht
rechtshängig.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 09.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2010
abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu
bescheiden, hilfsweise den Bescheid vom 09.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2010
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Genehmigung zur Umstellung der Therapie auf Multibandbehandlung sei anhand der vorliegenden
Dokumentationen nicht nachvollziehbar, sei aber für die Entscheidung von untergeordneter Bedeutung. Im Kern gehe
es um den Vorwurf, dass die Klägerin es pflichtwidrig unterlassen habe, in zahnmedizinisch-fachlich richtiger Weise
auf den Röntgenbefund vom 18.05.2004 zu reagieren. Die Versicherte werde voraussichtlich lebenslang unter den
schweren Folgen des Vorfalls zu leiden haben. Wurzelresorptionen seien als Nebenwirkung von Zahnbewegungen
nicht unbekannt. In Zusammenschau mit der Tatsache, dass die Behandlung bis dahin seit fast sieben Jahren
keinerlei Fortschritte gemacht habe, sei ein Behandlungsabbruch in Verbindung mit einer kieferchirurgischen
Weiterbehandlung dringend indiziert gewesen. Nach Auswertung des Röntgenbefundes im Mai 2004 hätte die Klägerin
nicht wie bis dahin weiterbehandeln dürfen. Hierin liege der eigentliche Pflichtverstoß. Der KFO-Verlängerungsantrag
enthalte nichts zum Röntgenbefund. Die Quotenbildung hinsichtlich der Höhe des Regresses beruhe auf einer
Abwägungsentscheidung. Von einem überwiegenden Mitverschulden der Versicherten oder ihrer Eltern habe nicht
ausgegangen werden können.
Die Beigeladene teilt die Auffassung der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden. Bei einer entsprechenden
Motivationsproblematik sei ein Abbruch der Behandlung notwendig.
Mit Beschluss vom 17.11.2010 hat die Kammer die Beiladung ausgesprochen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den
Kreisen der Vertragszahnärzte verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragszahnärzte
handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 09.11.2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11.03.2010 ist rechtmäßig und war weder abzuändern noch aufzuheben. Die Klage war
daher im Haupt- und Hilfsantrag abzuweisen.
Die Beklagte ist zuständig. Sie stellt Ansprüche von Ersatzkassen gegen einen Vertragszahnarzt auf Grund
mangelhafter prothetischer oder kieferorthopädischer Leistungen fest (§ 21 Abs. 2 EKV-Z i. d. F. mit Geltung ab
01.01.2005 bzw. § 12 Nr. 6 EKV-Z a. F.) (vgl. BSG, Urt. v. 03.12.1997 – 6 RKa 40/96 – SozR 3-5555 § 12 Nr. 5 =
USK 97149, juris Rdnr. 15 ff. m. w. N.). Ein Antrag ist hierfür nicht erforderlich; die Beklagte kann von Amts wegen
tätig werden.
Voraussetzung für den Anspruch einer Krankenkasse auf Ersatz eines sonstigen Schadens durch einen
Vertragszahnarzt ist die Verletzung einer vertragszahnärztlichen Pflicht, ein hieraus resultierender Schaden sowie ein
schuldhaftes, also zumindest fahrlässiges Verhalten des Vertragszahnarztes (vgl. BSG, Urt. v. 14.03.2001 - B 6 KA
19/00 R – SozR 3-2500 § 106 Nr. 52 = USK 2001-148, juris Rdnr. 15 m. w. N.). Aus dem aus Rechten und Pflichten
bestehenden Kassenzahnarztverhältnis ergibt sich, dass der Kassenzahnarzt gegenüber der Kassenzahnärztlichen
Vereinigung, hier die Klägerin gegenüber der Beklagten, verpflichtet ist, durch Einhaltung der Regeln der
zahnärztlichen Kunst Vermögensnachteile, die typischerweise mit solchen Regelverletzungen verbunden sind, vom
Versicherungsträger, den Krankenkassen, abzuhalten (vgl. BSGE 55, 144 = SozR 2200 § 368 RVO Nr. 26; SozR 3 -
5555 § 12 Nr. 1 und 2). Ein Schadenersatzanspruch setzt voraus, dass der Versicherte aufgrund eines schuldhaft
vertragswidrigen Verhaltens des Zahnarztes zur Kündigung veranlasst worden ist. Hierfür reicht allein die Tatsache,
dass eine im Rahmen der Dienstleistung erbrachte Leistung mit Mängeln behaftet ist, nicht aus, jedoch liegt ein zur
Kündigung berechtigendes schuldhaft vertragswidriges Verhalten des Zahnarztes dann vor, wenn dessen
Arbeitsergebnis vollständig unbrauchbar und eine Nachbesserung nicht möglich oder dem Versicherten nicht zumutbar
ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.12.1992 - 14 a RK a 43/91 - SozR 3 - 5555 § 9 Nr. 1).
Die kieferorthopädische Behandlung war mangelhaft. Die insoweit mit einer Vertragszahnärztin und einem Facharzt für
Kieferorthopädie fachkundig besetzte Kammer folgt dem urkundenbeweislich verwertbaren Gutachten des Dr. E. vom
29.10.2007 und der urkundenbeweislich verwertbaren fachlichen Stellungnahme des Dr. G. vom 10.12.2008. Herr Dr.
E. hat insbesondere festgestellt, dass sich im Bereich der oberen Schneidezähne eine dauerhafte Zahnlockerung
infolge Wurzelresorption ergeben hat. Herr Dr. G. hat diesen Befund bestätigt. Er hat weiter dargelegt, dass schon in
den Röntgenbefunden vom 18.05.2004 beginnende Wurzelresorptionen zu erkennen gewesen seien. Die Kammer
konnte sich durch eigene Ansicht des Röntgenbefunds vom Mai 2004 davon überzeugen, dass an den Zähnen 15, 12,
11 und 21 eine Wurzelresorption eindeutig zu erkennen ist. Für den Zahn 22 konnte sie dies wegen einer
Knochenverdichtung (Fleck auf dem Röntgenbild) nicht mit Sicherheit feststellen, worauf es aber auch nicht ankommt.
Damit stand jedenfalls im Mai 2004 fest, dass bei unveränderter Fortsetzung der Behandlung die Gefahr bestand,
dass die Resorption zunahm und/oder auch andere Zähne gefährdet waren. Dies bestätigt dann auch das OPG aus
dem Jahre 2007. Auf diesem Röntgenbild war die Resorption an den Zähnen 11, 12 und 21 noch schlimmer geworden
und weiter eindeutig nunmehr auch bei den Zähnen 22 und 16 vorhanden. Mit einer Wurzelresorption ist bei einer
kieferorthopädischen Behandlung immer zu rechnen. Die Klägerin hatte daher auch zu Recht im Mai 2004 das OPG
angefertigt, aber offensichtlich keine oder eine fehlerhafte Befundung vorgenommen. Weder hat sie hieraus vertretbare
Behandlungsschritte gezogen noch die Patientin und/oder deren Eltern aufgeklärt noch den Befund in der Karteikarte
vermerkt. Stattdessen hat sie die Therapie unverändert fortgesetzt. Die fachkundig besetzte Kammer geht davon aus,
dass bei diesem Röntgenbefund im Mai 2004 eine Fortsetzung der insofern bisher, nach fünf Jahren, auch
ergebnislosen Therapie nicht mehr möglich war. Es war vielmehr dringend geboten, den jetzigen Zustand der Zähne
zu halten, damit sich die Resorption nicht mehr verschlimmern konnte und nicht weitere Folgeschäden eintreten
würden. Die Kammer folgt insoweit auch der Auffassung der Beklagten, dass der eigentliche Pflichtverstoß in der
Weiterbehandlung der Patientin wie bis dahin trotz des Röntgenbefundes vom 18.05.2004 liegt. In Zusammenschau
mit der Tatsache, dass die Behandlung bis dahin seit fünf Jahren keinerlei Fortschritte gemacht hat, war ein
Behandlungsabbruch dringend indiziert gewesen.
Aufgrund ihrer fachkundigen Besetzung und der vorliegenden Beweismittel konnte die Kammer von der Einholung
eines kieferorthopädischen Gutachtens absehen.
Soweit die Klägerin auf eine unzureichende Mitarbeit der Patientin verweist, ist ihr Vortrag unsubstantiiert und vermag
insbesondere ihre Pflichtverletzung nicht zu mindern. Soweit die Klägerin behauptet, die Patientin habe mehrfach
Termine nicht wahrgenommen, was sie der Krankenkasse erstmals im Juni 2000 mitgeteilt habe, weitere Mitteilungen
wegen schlechter Mitarbeit der Versicherten sowie Terminsversäumnissen seien im Februar 2001, am 28.08.2001
sowie am 24.06.2002 erfolgt, so hat die Klägerin dies nur teilweise nachgewiesen. Sie hat im Verwaltungsverfahren
eine Kopie der Meldung vom 28.08.2001 vorgelegt, wonach die Patientin die G.züge nicht genügend trage, weshalb
sich die Behandlungsdauer entsprechend verlängern werde, und ferner ein Schreiben der Beigeladenen vom
25.09.2001, wonach diese die Eltern angeschrieben und um bessere Mitarbeit gebeten habe. Die Mitteilungen vom
24.06.2002 ist in der Karteikarte lediglich mit "Mttlg. Kasse" und "Mittlg Eltern" ohne Angaben zum Inhalt der
Mitteilung vermerkt. Letztlich kommt es aber darauf nicht an, da der entscheidende Fehler in der fehlerhaften bzw.
Nichtbefundung des OPG vom Mai 2004 liegt. Hier fehlt es auch an jeglicher Aufklärung gegenüber der Patientin oder
ihren Eltern über die – nunmehr noch entscheidend gewachsenen - Gefahren einer unzureichenden Mitarbeit.
Ein Schaden ist eingetreten. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte den Schaden nach den
abgerechneten Leistungen bemisst (vgl. zur Schadenshöhe BSG, Urt. v. 29.11.2006 - B 6 KA 21/06 R – juris Rdnr. 23
m. w. N.). Hier hat sie 60 % (2.561,01 EUR) der abgerechneten Leistungen (4.268,36 EUR) als Schaden festgesetzt
und ist insoweit hinter der Gesamtabrechnung zurückgeblieben. Die pflichtwidrige Weiterbehandlung ist auch
ursächlich für den weiteren Schaden, weshalb die Klägerin grundsätzlich für den Ersatz des gesamten Schadens
einzustehen hat. Die Behandlung kann entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht in eine bis zum Mai 2004 –
standardgerecht –und eine danach erfolgte Behandlung aufgespalten werden, da es sich um eine Dauerbehandlung
handelt. Die Weiterbehandlung trotz der beginnenden Wurzelresorptionen hat auch dann, wenn die Behandlung bis
zum Mai 2004 standardgerecht erfolgt ist, die Gesamtbehandlung unbrauchbar gemacht. Aber auch wenn man nicht
auf die Behandlungskosten abstellen wollte, so besteht jedenfalls ein Schaden im hier strittigen Umfang aufgrund des
Umstandes, dass in den nächsten Jahren mit dem Verlust der Zähne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
zu rechnen ist und die Beigeladene hierfür Kosten aufzuwenden hat. Im Rahmen des Schadensersatzes hat der
Vertragsbehandler gerade für etwaige Zusatzkosten im Sinne von Mangelfolgeschäden einzustehen; er kann höher
liegen als das dem erstbehandelnden Zahnarzt, hier der Klägerin, ausbezahlte Honorar (vgl. Clemens, in: Schulin,
Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, München 1994, § 36, S. 975, Rdnr.
55).
Der Anspruch ist auch nicht verjährt. Es gilt eine vierjährige Verjährungsvorschrift (vgl. BSG, Urt. v. 28.08.1996 - 6
RKa 88/95 - SozR 3-5545 § 23 Nr. 1 = BSGE 79, 97 = NJW 1997, 3116 = USK 96151, juris Rdnr. 16). Das
Bundessozialgericht hat es bisher offen gelassen, ob die Verjährung wie bei anderen Ansprüchen aus dem Bereich
des Sozialrechts (§ 45 Abs. 1 Satz 1 SGB I ; § 25 Abs. 1 , § 27 Abs. 2 SGB IV ; § 50 Abs. 4 , § 113 SGB X ) mit
dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind, oder wie bei deliktischen Ansprüchen des Zivilrechts ( §
852 Abs. 1 BGB ) erst mit der Kenntnis des Ersatzberechtigten von dem eingetretenen Schaden und der Person des
Ersatzpflichtigen beginnt (vgl. BSG, Urt. v. 28.08.1996 - 6 RKa 88/95 -, aaO., juris Rdnr. 17).
Auf die Kenntnis des Ersatzberechtigten von dem eingetretenen Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen kann
nach Auffassung der Kammer allerdings nicht abgestellt werden. Dies würde, da typischerweise die Krankenkasse
gerade keine Kenntnis von etwaigen Abweichungen des behandelnden Arztes von den Vorgaben des genehmigten
Behandlungsplanes hat, den Vertragszahnarzt über einen langen Zeitraum hinweg dem Risiko eines Regresses
aussetzen (vgl. ausführlich LSG Niedersachsen, Urt. v. 27.09.2000 - L 3/5 KA 64/97 – juris Rdnr. 38). Ob die
Verjährung wie bei anderen Ansprüchen aus dem Bereich des Sozialrechts mit dem Ablauf des Kalenderjahres
beginnt, wofür einiges spricht, kann hier dahinstehen, da es hierauf nicht ankommt.
Für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist folgt die Kammer insoweit der von der Beklagten vertretenen
Auffassung, dass Verjährungsbeginn der Zeitpunkt des Abschlusses der kieferorthopädischen Behandlung ist. Dies
ist hier der 14.12.2006, der Zeitpunkt des Abbruchs der Behandlung. Danach war zum Zeitpunkt der
Regressfestsetzung durch den Bescheid vom 09.11.2009 Verjährung in keinem Fall angetreten, so dass dahinstehen
kann, ob die Verjährung nicht erst zum Jahresende, also mit Ablauf des 31.12.2006 zu laufen begonnen hat. Für
diesen Zeitpunkt, den 14.12.2006, hat die Klägerin die Behandlung als abgebrochen und damit für sie als beendet
erklärt. Die insoweit fachkundig besetzte Kammer geht hierbei davon aus, dass bei kieferorthopädischen Behandlung
eine einzelne, bestimmte Pflichtverletzung und insbesondere deren Zeitpunkt nicht oder nur erschwert und im
Regelfall vage bestimmt werden kann. Die kieferorthopädische Behandlung beruht auch auf der Überwachung
eingeleiteter Maßnahmen und der Herbeiführung eines Erfolges dieser Maßnahmen. Ob die Behandlung insoweit
regelgerecht war, kann erst nach deren Abschluss bzw. Beendigung durch den Vertragszahnarzt beurteilt werden, da
bis dahin unter Umständen die Einleitung weiterer oder korrigierender Maßnahmen noch zu einem regelgerechten
Erfolg führen können. Damit hat der Vertragszahnarzt auch keine Garantiehaftung für einen bestimmten Erfolg seiner
Behandlung zu übernehmen, da Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch in jedem Fall eine schuldhafte
Pflichtverletzung ist. Gerade bei kieferorthopädischen Behandlungen, die im Regelfall über mehrere Jahre erfolgen,
wird sich ein Pflichtenverstoß aber erst am Ende der Behandlung feststellen lassen. Von daher kann ein
Pflichtenverstoß erst am Ende der Behandlung festgestellt werden und kann zuvor die Verjährung nicht zu laufen
beginnen.
Soweit das LSG Niedersachsen maßgeblich für die Entstehung des Schadensersatzanspruches den Zeitpunkt
ansieht, in dem der Vertragszahnarzt schuldhaft seine kassenzahnärztlichen Pflichten verletzt und insoweit eine
Gesamtbetrachtung des Behandlungszeitraumes nicht zulässig sein soll (vgl. LSG Niedersachsen, Urt. v. 27.09.2000
- L 3/5 KA 64/97 – juris Rdnr. 38 f.), war dem aus den genannten Gründen nicht zu folgen (so bereits Urteil der
Kammer vom 21.03.2007 S 12 KA 840/06 -).
Nach allem war der angefochtene Bescheid nicht aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende
Teil trägt die Kosten des Verfahrens.