Urteil des SozG Marburg vom 23.04.2010

SozG Marburg: vertragsarzt, altersgrenze, eugh, schutz der versicherten, verbot der diskriminierung, entzug der konzession, versorgung, job sharing, hessen, innere medizin

Sozialgericht Marburg
Gerichtsbescheid vom 23.04.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 224/09
Hessisches Landessozialgericht L 4 KA 37/10
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.172,73 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem
Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit 13.03.2006 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 18.172,73 EUR festgesetzt.
4. Der Antrag des Beklagten vom 09.04.2010 auf Aussetzung des Verfahrens wird abgelehnt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Regress wegen Verordnung von Arzneimitteln im Zeitraum Oktober 2002 bis April
2003 nach Beendigung der vertragsärztlichen Zulassung in Höhe von 18.172,73 EUR.
Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse. Der Beklagte ist der Nachlasspfleger des am xx.xx.2008
verstorbenen Arztes Dr. med. HC.
Herr Dr. med. HC. war als Facharzt für innere Medizin mit Praxissitz in HC-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung
zugelassen und hausärztlich tätig. Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen
stellte mit Beschluss vom 30.04.2002 fest, dass die Zulassung des Dr. med. HC. zur vertragsärztlichen Versorgung
zum 30.09.2002 endet. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Berufungsausschuss für Ärzte bei der
Kassenärztlichen Vereinigung Hessen mit Beschluss vom 23.10.2002, ausgefertigt am 16.12.2002 und dem Kläger
am 17.12.2002 zugestellt, zurück. Die dagegen bei dem SG Frankfurt am Main zunächst als Anfechtungs- und
Verpflichtungsklage erhobene, dann nach der Rückgabe seiner Approbation durch Dr. med. HC. in eine
Fortsetzungsfeststellungsklage geänderte Klage wies das SG mit Urteil vom 15.06.2005, Az.: S 5/29 KA 89/03 ab.
Die hiergegen eingelegte Berufung wies das LSG Hessen, Urt. vom 15.03.2006, Az.: L 4 KA 32/05 zurück. Auf
Nichtzulassungsbeschwerde des Dr. med. HC. wies das BSG mit Beschluss vom 29.11.2006, Az.: B 6 KA 34/06 B
den Rechtsstreit wegen einer Besetzungsrüge zurück an das LSG Hessen. Vor einer Entscheidung des LSG Hessen
verstarb Dr. med. HC. am 17.01.2008. Das Verfahren vor dem LSG Hessen wurde bisher nicht fortgeführt. Ein von Dr.
med. HC. bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main eingeleitetes Verfahren auf Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes (Az.: S 29 KA 51/03 ER) blieb ohne Erfolg (Beschluss vom 18.03.2003). Die dagegen eingelegte
Beschwerde wurde durch Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 15.12.2004 (Az.: L 7 KA 412/03 ER)
zurückgewiesen.
Die Klägerin hat am 13.03.2006 über das Sozialgericht Kassel, das mit Beschluss vom 30.03.2006, Az. S 8 KR
71/06, sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Marburg verwiesen hat, die Klage
erhoben.
Die Klägerin trägt zur Begründung vor, die Zulassung des Dr. med. HC. habe am 30.09.2002 geendet. Mit der
Beendigung der Zulassung dürften keine Leistungen zu Lasten der Krankenkassen mehr verordnet werden. Der Arzt
habe nach dem Ende seiner Beteiligung an der vertragsärztlichen Versorgung die fortbestehende Pflicht, den
Kassenarztstempel und die Arztnummer sowie die ihm überlassenen Vordrucke nur zu dem Zweck zu benutzen, für
den sie ihm zugeteilt seien und dürfe sich nicht unter Einsatz dieser Mittel als Vertragsarzt ausgeben. Dies habe Herr
Dr. med. HC. jedoch widerrechtlich getan. Er habe nach Beendigung seiner Zulassung mit der Erstellung von
vertragsärztlichen Verordnungen (Arzneimittelverordnungen) den Anschein erweckt, noch Vertragsarzt zu sein. Er
habe nach dem 30.09.2002 Arzneimittelverordnungen ausgestellt, die zu ihren Lasten abgerechnet worden seien. Es
handele sich um Arzneimittelverordnungen (Rezepte Bruttobeträge abzüglich von den Versicherten geleisteten
Zuzahlungen und Apothekenrabatten) in Höhe von insgesamt 18.172,72 EUR. Unter Hinweis auf beigefügte Kopien
der Arzneimittelverordnungen sowie eine Aufstellung begehre sie die Rückzahlung des gesamten Betrages. Herr Dr.
HC. habe jedoch trotz Aufforderung den Betrag nicht bezahlt und nicht die von ihr geforderte Erklärung des Verzichts
auf die Einrede der Verjährung abgegeben. Bei der Abrechnung der Verordnungen handele es sich um ein
Massengeschäft. Eine Prüfung auf Bestehen der Vertragsarztzulassung erfolge hierbei nicht und wäre auch nicht zu
bewältigen. Ein Vorteilsausgleich mit dem Hinweis, andernfalls hätte ein anderer Arzt die Verordnung vorgenommen,
komme nicht in Betracht. Im Hinblick auf die ärztliche Therapiefreiheit und unterschiedliche Behandlungsweisen der
einzelnen Ärzte könne keinesfalls unterstellt werden, dass ein anderer Vertragsarzt tatsächlich dieselben und
vergleichbaren Verordnungen ausgestellt hätte.
Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 18.172,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten
über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, der vom Bundessozialgericht mit Urteil vom 21.06.1995 entschiedene Fall betreffe den Umstand einer
arglistigen Täuschung, in dem sich der die Voraussetzung der Zulassung nicht erfüllende Arzt seine Kassenzulassung
durch Vorspiegelung falscher Tatsachen verschafft habe. Dies sei bei Herrn Dr. HC. nicht der Fall gewesen. Dieser
habe seine Zulassung völlig zu Recht gehabt und sei völlig zu Unrecht daran gehindert worden, seine kassenärztliche
Tätigkeit weiter auszuüben. Dies habe für ihn und seine Patienten weit über die ansonsten bei der
Altersgrenzenproblematik zu beachtenden Rechtsgrundsätze Auswirkungen gehabt. Er sei nämlich bereits seit den
ersten Projekten in Hessen im Zusammenhang mit der Suchtkrankenbehandlung von Heroinabhängigen in XY-Stadt
tätig geworden. Er habe in diesem Bereich letztlich eine spezialisierte Praxis unterhalten und dabei einen gänzlich
vernachlässigten und unterversorgten Bereich betreut. Im Übrigen machte er im Wesentlichen geltend, die
Beendigung der Zulassung aus Altersgründen verstoße gegen Europarecht. Zuletzt hat er darauf hingewiesen, die
Entscheidung des EuGH vom 12.01.2010 habe deutlich gemacht, dass zu keiner Zeit eine Rechtfertigung der
Altersgrenzenregelung bestanden habe. Herr Dr. HC. sei damit unrechtmäßig von der Ausübung seines Berufs fern
gehalten gewesen. Im Bereich der Behandlung von Drogensüchtigen habe es zu keiner Zeit eine übermäßige
Versorgung gegeben, so dass die vom EuGH geprüften Rechtfertigungsgründe nicht zum Zuge kämen. Die Hürde zur
Rechtfertigung der Altersgrenze sei aber wegen des gleichzeitig zu verwirklichenden Diskriminierungsschutzes vom
EuGH völlig zu Recht hoch angesetzt worden. Klar sei darüber hinaus, dass der Entzug der Zulassung zur
kassenärztlichen Tätigkeit (heute vertragsärztliche Tätigkeit) der Entzug des Goodwills und damit ein
Eigentumseingriff gem. Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention sei.
Danach seien die De-fakto-Enteignungen, die nicht zu einem formellen Eigentumsübergang führten, aber wegen ihrer
schwerwiegenden Auswirkung einer förmlichen Aufhebung der Eigentümerposition gleichkämen, nur dann zulässig,
wenn sie verhältnismäßig seien, also entsprechend gerechtfertigt seien. Eine entschädigungslose Entziehung, wie im
Falle des Dr. HC. sei unzulässig, nicht nur europarechtlich, sondern auch gem. Artikel 14 Abs. 3 GG nichtig. Die
Ausrichtung der Praxis habe es Herrn Dr. HC. ermöglicht, die Praxis noch über die Altersgrenzenregelung für die
sozialhilfebedürftigen Drogenabhängigen fortzusetzen. Der bereits gesetzeswidrige Entzug der Konzession zur
kassenärztlichen Versorgung sei nun aufgrund einer Neufassung im Bundessozialhilfegesetz auf diesem Bereich vom
Landkreis A-Stadt in der Stadt A-Stadt wiederum rechtswidrig, gegen das Verbot der Verböserung, übertragen worden
und damit sei die Praxis dann endgültig wertlos gemacht worden. Der Rechtsstreit vor dem Hessischen
Landessozialgericht sei weiterhin noch anhängig. Er habe diesen Prozess zwischenzeitlich wieder aufgerufen. Er
verweise ferner auf die Auffassung des Sozialgerichts München, dass nunmehr feststelle, dass es an seiner früheren
Auffassung der Rechtmäßigkeit der Altersgrenze nicht mehr festhalte.
Die Kammer hat das zunächst unter dem Az.: S 12 KA 635/06 geführte Verfahren im Hinblick auf das weitere
Verfahren vor dem LSG Hessen auf Antrag der Beteiligten mit Beschluss vom 03.11.2006 zum Ruhen gebracht. Nach
dem Tod des Dr. HC. hat die Kammer das Verfahren am 27.03.2009 wieder aufgerufen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine
besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 105 Abs. 1
Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Kammer hat die Beteiligten hierzu mit Verfügung vom 12.03.2010 angehört.
Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin 18.172,73 EUR nebst Zinsen in
Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit 13.03.2006 zu zahlen.
Rechtsgrundlage ist die Verletzung vertraglicher Nebenpflichten aus den Nachwirkungen der Pflichten als
Vertragsarzt.
Dr. HC. hat nach dem Ende seiner Zulassung als Vertragsarzt Arzneimittel für Versicherte der Klägerin verordnet. Er
hat dadurch Pflichten aus dem Vertragsarztverhältnis verletzt, die er zum Schutz der Klägerin zu beachten hatte.
Aus Vertragsverletzungen bei der Verordnungstätigkeit des Arztes erwachsen der Krankenkasse unmittelbare
Ansprüche gegen den Arzt. Das durch die Beteiligung an der Versorgung der Versicherten begründete
Rechtsverhältnis ist insoweit vergleichbar einem Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter. Zur
vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten gehört die Verordnung von Arzneimitteln (§§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3,
31 SGB V). Der Vertragsarzt wird ermächtigt, diese Mittel zu Lasten der Kasse zu verordnen (§ 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB
V). Die Kosten der Verordnung trägt nicht die Kassenärztliche Vereinigung, sondern nach näherer Maßgabe der
Verträge mit den Lieferanten unmittelbar die Kasse. Dieser Gestaltung der Rechtsbeziehungen kann auch entnommen
werden, dass der Kasse unmittelbare Ansprüche gegen den Arzt zustehen, wenn seine Verordnungen nicht den
Vertragspflichten entsprechen. Für den Fall unwirtschaftlicher Verordnungen ist der Schadensersatzanspruch der
Vertragskasse gegen den Vertragsarzt im Bundesmantelvertrag-Ärzte für die Ersatzkassen (EKV-Ä) ausdrücklich
geregelt (§ 43 EKV-Ä). Dies gilt auch für die Feststellung sonstigen Schadens (§ 44 EKV Ä). Bei anderen
Schadensersatzansprüchen der Kassen ist die Kassenärztliche Vereinigung an der Regulierung insoweit beteiligt, als
sie zu einer Schlichtungsverhandlung zu laden ist (§ 45 EKV-Ä). Selbst Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter
Handlung werden aber hier in den Wirkungskreis des EKV-Ä einbezogen. Um so mehr entfaltet der EKV-Ä
Schutzwirkungen zugunsten der Kasse bei Vertragsverletzungen. Das Zulassungsverhältnis hat über das
Zulassungsende hinaus Nachwirkungen; der Vertragsarzt kann auch nach dem Auslaufen der Zulassung
vertragsärztliche Pflichten mit Schutzwirkungen zugunsten der Klägerin verletzt haben. Nach dem Ende der
Zulassung darf der Vertragsarzt Verordnungen nicht mehr ausstellen. Das Verbot der Ausstellung ergibt sich aus dem
- beendeten - Zulassungsverhältnis. Die Nachwirkung des Beteiligungsverhältnisses beruht darauf, dass dem
Vertragsarzt gerade aufgrund des Beteiligungsverhältnisses die Mittel für Verordnungen von Arznei-, Heil- und
Hilfsmitteln zu Lasten der Kassen zur Verfügung stehen und die Pflicht zur vertragsgemäßen Verwendung dieser
Mittel nach ihrem Inhalt über das Vertragsende fortbestehen. Der Arzt hat auch nach dem Ende seiner Beteiligung als
Vertragsarzt die fortbestehende Pflicht, den Kassenarztstempel und die Arztnummer sowie die ihm von der Kasse
überlassenen Vordrucke nur zu dem Zweck zu benutzen, für den sie ihm zugeteilt sind und darf sich nicht unter
Einsatz dieser Mittel als Vertragsarzt gerieren. Ein Vertragsarzt, der bei Verordnungen seinen Kassenarztstempel und
die Kassenarztnummer verwendet, hat damit seine Pflichten aus dem Zulassungsverhältnis verletzt. Darüber hinaus
kann schon die bloße Verwendung der Vordrucke eine Vertragsverletzung darstellen. Der Schaden, dessen Ersatz die
Klägerin begehrt, ist durch die Verletzung des Zulassungsverhältnisses entstanden (vgl. BSG, Urt. v. 07.12.1988 - 6
RKa 35/87 - SozR 5550 § 18 Nr. 1 = BSGE 64, 209 = NJW 1989, 2351 = USK 88205, juris Rdnr. 18-22; BSG, Urt. v.
21.06.1995 - 6 RKa 60/94 - SozR 3-2500 § 95 Nr. 5 = BSGE 76, 153 = NJW 1996, 3102 = USK 9587, juris Rdnr. 13
ff.; s. a. zu Vergütungsleistungen SozR 2200 § 368f Nr. 1 = NJW 1975, 607 = Breith 1975, 537 = USK 74160; BSG,
Urt. v. 22.03.1984 - 6 RKa 28/82 - USK 8447).
Ausgehend von diesen Grundsätzen, von denen abzuweichen die Kammer keine Veranlassung sieht, besteht ein
Regressanspruch der Klägerin dann, wenn die Zulassung des Klägers zum 30.09.2002 geendet hat. Dr. HC. hat die
Verordnungen dann ohne Berechtigung zum Nachteil der Klägerin ausgestellt. Eine Schadensminderung unter dem
Gesichtspunkt, ein anderer Arzt hätte die Verordnung ebf. ausgestellt, kommt nach der genannten Rechtsprechung
nicht in Betracht. Schuldhaftes Verhalten liegt insoweit vor, als der Zulassungsausschuss das Zulassungsende
bereits rechtzeitig festgestellt hatte. Soweit seitens des Beklagten auf die Rechtswidrigkeit der Regelungen abgestellt
wird, entfällt Verschulden nicht. Der Schaden ist auch durch die Vorlage von Kopien der Verordnungen hinreichend
substantiiert dargelegt und nachgewiesen worden.
Nach dem seinerzeit geltenden Recht des § 95 Abs. 7 SGB V trat das Zulassungsende für Dr. HC. wegen Erreichen
der Altersgrenze zum 30.09.2002 ein. Dies haben, was den Beteiligten bekannt ist, das Bundessozialgericht und das
Bundesverfassungsgericht wiederholt festgestellt. Soweit der Beklagte nunmehr auf die Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verweist, folgt hieraus nicht die Rechtswidrigkeit der Altersgrenze.
Der EuGH hat ausdrücklich die Altersgrenze unter gewissen Voraussetzungen gebilligt. Er hat ausgeführt, unter
Berücksichtigung des Wertungsspielraums, über den die Mitgliedstaaten verfügen, sei anzuerkennen, dass ein
Mitgliedstaat es in einer Situation, in der die Zahl der Vertragszahnärzte überhöht ist oder die latente Gefahr besteht,
dass eine solche Situation eintritt, für erforderlich halten kann, eine Altersgrenze wie die im Ausgangsverfahren in
Rede stehende vorzuschreiben, um jüngeren Zahnärzten den Zugang zur Beschäftigung zu erleichtern. Ob eine
solche Situation gegeben sei, habe das vorlegende, d. h. das innerstaatliche Gericht zu prüfen. Wenn eine Maßnahme
wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen
innerhalb der Berufsgruppe der Vertragszahnärzte zum Ziel habe, könne die sich daraus ergebende
Ungleichbehandlung wegen des Alters als durch dieses Ziel objektiv und vernünftigerweise gerechtfertigt und die
Mittel zur Verwirklichung dieses Ziels als angemessen und erforderlich angesehen werden, sofern eine Situation
gegeben sei, in der die Zahl der Vertragszahnärzte überhöht sei oder die latente Gefahr bestehe, dass eine solche
Situation eintrete (vgl. EuGH, Urt. v. 12.01.2010 - C-341/08 – juris Rdnr. 73 bis 77). Im Ergebnis hält der Gerichtshof
fest, Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen
Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er einer
nationalen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, mit der für die Ausübung des Berufs eines
Vertragszahnarztes eine Höchstaltersgrenze, im vorliegenden Fall 68 Jahre, festgelegt wird, entgegensteht, wenn
diese Maßnahme nur das Ziel hat, die Gesundheit der Patienten vor dem Nachlassen der Leistungsfähigkeit von
Vertragszahnärzten, die dieses Alter überschritten haben, zu schützen, da diese Altersgrenze nicht für Zahnärzte
außerhalb des Vertragszahnarztsystems gilt. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass er einer
solchen Maßnahme nicht entgegensteht, wenn diese die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen
innerhalb der Berufsgruppe der Vertragszahnärzte zum Ziel hat und wenn sie unter Berücksichtigung der Situation auf
dem betreffenden Arbeitsmarkt zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich ist. Es ist Sache des
vorlegenden Gerichts, festzustellen, welches Ziel mit der Maßnahme zur Festlegung dieser Altersgrenze verfolgt wird,
indem es den Grund für ihre Aufrechterhaltung ermittelt (vgl. EuGH, aaO., Rdnr. 82).
Ausgehend hiervon hat die Kammer weiterhin keine Bedenken gegen die Altersregelung.
Das Bundesverfassungsgericht hält diese Altersgrenze als eine subjektive Zulassungsbeschränkung für
verfassungsgemäß. Unter Bezugnahme seiner Rechtsprechung zu anderen Altersgrenzen stellt es vor allem darauf
ab, dass die angegriffenen Regelungen auch dazu dienten, den Gefährdungen, die von älteren, nicht mehr voll
leistungsfähigen Berufstätigen ausgingen, einzudämmen (vgl. BVerfG v. 31.03.1998 - 1 BvR 2167/93, 1 BvR 2198/93
- juris Rn. 30 f. - SozR 3-2500 § 95 Nr. 17 = NJW 1998, 1776). Das Bundessozialgericht sieht demgegenüber unter
Hinweis auf die Möglichkeiten, über das 68. Lebensjahr hinaus als Vertragsarzt tätig zu sein (als Privatarzt und nach
dem Übergangsrecht), keinen Willen des Gesetzgebers, jede patientenbezogene Berufsausübung durch ältere Ärzte
als so potenziell gefährdend anzusehen, dass sie ausnahmslos zu unterbleiben hätten (vgl. BSG v. 30.06.2004 - B 6
KA 11/04 R - juris Rn. 24 - BSGE 93, 79 = SozR 4-5525 § 32 Nr. 1). Es stützt sich deshalb bei Bejahung der
Verfassungsmäßigkeit vor allem auf die Erwägung des Gesetzgebers, wonach die zur Sicherung der Finanzierbarkeit
der gesetzlichen Krankenversicherung für zwingend erforderlich gehaltene Beschränkung der Zahl der zugelassenen
Vertragsärzte nicht einseitig zu Lasten der jungen, an einer Zulassung interessierten Ärztegeneration zu verwirklichen
sei (vgl. BSG v. 25.11.1998 - B 6 KA 4/98 R - BSGE 83, 135 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 18, juris Rdnr. 29; BSG v.
12.09.2001 B 6 KA 45/00 R - SozR 3-2500 § 95 Nr. 32, juris Rdnr. 13). Dies gelte auch für die Psychotherapeuten
(vgl. BSG v. 08.11.2000 – B 6 KA 55/00 R – BSGE 87, 184, = SozR 3-2500 § 95 Nr. 26, juris Rdnr. 36 f.).
Die Kammer hält die vom Bundessozialgericht angeführten Gründe weiterhin für tragend. Dies sind auch die Gründe,
die sich aus den Gesetzesmaterialien ergeben. Soweit das Bundesverfassungsgericht auf andere Gründe abgestellt
hat, die der EuGH grundsätzlich gebilligt hat (vgl. EuGH, aaO., Rdnr. 52), sind dies nicht die tragenden Gründe für die
Gesetzgebung. Maßgeblich war gerade, die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen innerhalb der
Berufsgruppe der Vertragsärzte zu gewährleisten. Dies wird auch deutlich anhand der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts zur Rechtfertigung der Bedarfsplanung. Das Bundessozialgericht hat betont, auch soweit bei
einzelnen Facharztgruppen künftig die Situation eintreten sollte, dass nach den Vorgaben der Bedarfsplanung für alle
Planungsbereiche im Land oder gar im gesamten Bundesgebiet Zulassungsbeschränkungen bestünden, dadurch nicht
sämtliche Chancen für eine Zulassung im Sinne eines absoluten Zugangshindernisses völlig versperrt wären, weil eine
Zulassung aus den Gründen eines Sonderbedarfs (§ 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 24 BedarfsplRL-Ä), wegen
belegärztlicher Tätigkeit (§ 103 Abs. 7) oder im Rahmen des sog. "Job-Sharing" (§ 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und 5
i.V.m.§ 23a bis 23h BedarfsplRL-Ä), aber eben auch im Rahmen einer Praxisnachfolge (§ 103 Abs. 4 und 6) möglich
sei. Wer eine Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung anstrebe, werde durch jene Beschränkungen nicht
dauerhaft an der Berufsausübung in diesem Tätigkeitsfeld gehindert, sondern müsse ggf. lediglich gewisse
Einschränkungen hinsichtlich des Ortes, des Zeitpunkts und/oder der Modalitäten einer Aufnahme der
vertragsärztlichen Tätigkeit - etwa Übernahme einer bestehenden Praxis statt Neugründung – hinnehmen (vgl. BSG,
Urt. v. 23.02.2005 - B 6 KA 81/03 R - MedR 2005, 666 = GesR 2005, 450, juris Rdnr. 24 ff.). So sind z. B. allein im
Jahr 2007 6.270 Ärzte neu zugelassen worden. Dies war nur möglich, weil zur gleichen Zeit 5.590 Ärzte
ausgeschieden sind (vgl. Grunddaten zur vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland, 2008, hrsg. von der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung, www.kbv.de, Schaubild I.12, S. 20). Von 1994 bis 2007 sind 51.700
Vertragsärzte ausgeschieden und ermöglichten einer noch größeren Zahl auch den Zugang der jüngeren Ärzteschaft
zur Tätigkeit als Vertragsarzt (vgl. Grunddaten, aaO., I.13, S. 21).
Die Kammer stimmt insoweit mit der Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 27.01.2010 – L 3 KA 29/09
– juris = www.sozialgerichtsbarkeit.de überein, das unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH die vorliegend
umstrittene Altersgrenze ebf. nicht im Widerspruch zum Verbot der Diskriminierung wegen Alters sieht, da der vom
BVerfG im Vordergrund gesehene Schutz der Versicherten vor nicht mehr uneingeschränkt leistungsfähigen älteren
Ärzten in diesem Zusammenhang zwar nicht anzuerkennen sei, es jedoch grundsätzlich ein angemessenes und
erforderliches Ziel der Altersgrenze sei, jüngeren Zahnärzten bzw. Ärzten trotz einer überhöhten Zahl von
Vertrags(zahn)ärzten den Zugang zur Beschäftigung zu ermöglichen. Dass dies auch 2007 ein Zweck der in der
Bundesrepublik Deutschland bestehenden Altersgrenze gewesen sei, habe das BSG bereits in seiner Entscheidung
vom 6. Februar 2008 (SozR 4-2500 § 95 Nr. 14) ausgeführt. Dabei habe es auch dargelegt, dass in weiten Bereichen
der Bundesrepublik nach wie vor für die meisten ärztlichen Fachgebiete Überversorgung bestehe. Ebenso wie der
EuGH sei das BSG deshalb zum Ergebnis gekommen, dass eine in der Altersgrenze für Vertragsärzte liegende
"Benachteiligung wegen Alters" durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei.
Von daher kam für die Kammer auch keine Vorlage an den EuGH in Betracht.
Der Zinsausspruch folgt aus § 291 BGB.
Nach allem war der Klage insgesamt stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten
des Verfahrens.
In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach
den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet
der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert
von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG). Der Wert folgt aus der Klageforderung. Dies ergab den
festgesetzten Wert. Diese Entscheidung ergeht in Form eines Beschlusses.
Der Antrag des Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom
07.04.2010, bei Gericht am 09.04.2010 eingegangen, war abzulehnen.
Eine Aussetzung kann nach § 114 Abs. 2 Satz 1 SGG angeordnet werden, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits
ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt. Die Rechtsfolge der
Beendigung der Zulassung trat nach der hier noch strittigen Altersregelung von Gesetzes wegen ein. Einer
behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung kommt daher nur deklaratorische Bedeutung zu. Auch wenn aber einer
solchen Entscheidung die Bedeutung einer Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines
Rechtsverhältnisses, hier des Zulassungsstatus des Dr. HC., zuzubilligen ist, so hält die Kammer aber eine
Sachdienlichkeit der Aussetzung nicht für gegen. Nach den Entscheidungen der Bundesgerichte und insbesondere
des EuGH vom 12.01.2010 ist die Rechtslage hinreichend geklärt. Zu berücksichtigen war ferner, dass eine
Aussetzung gegenüber der Klägerin zunächst eine weitere Verzögerung hinsichtlich der Durchsetzung ihrer nach
Auffassung der Kammer berechtigten Forderung bedeutet hätte. Im Ergebnis ist eine Aussetzung daher nicht
sachdienlich und war der Antrag auf Aussetzung abzulehnen. Diese Entscheidung ergeht in Form eines Beschlusses.