Urteil des SozG Marburg vom 01.02.2006

SozG Marburg: befreiung von der versicherungspflicht, einkommen aus erwerbstätigkeit, arbeitslosenhilfe, berufliche tätigkeit, bedürftigkeit, unternehmen, sozialhilfe, landwirtschaft, erwerbseinkommen

Sozialgericht Marburg
Urteil vom 01.02.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 2 LW 957/04
Hessisches Landessozialgericht L 5 LW 5/06
1. Unter Aufhebung des Bescheides vom 20.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2004
wird die Beklagte verpflichtet, die Klägerin von der Versicherungspflicht nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG für die Zeit vom
01.09.2003 bis 29.02.2004 zu befreien.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Befreiung von der Versicherungspflicht der Klägerin bei der Beklagten für den Zeitraum
01.09.2003 - 29.02.2004 (sechs Monate) wegen des Bezugs von Überbrückungsgeld.
Die 1967 geborene und jetzt 38-jährige Klägerin wurde in der Vergangenheit verschiedentlich wegen Überschreitens
der Einkommensgrenze und der Erziehung von Kindern von der Versicherungspflicht bei der Beklagten befreit. Zuletzt
wurde sie mit Bescheid vom 05.02.2003 für die Zeit ab 01.10.2002 wegen Überschreitens der Einkommensgrenzen
befreit, ferner mit Bescheid vom 29.03.2004 für die Zeit ab 01.10.1996 (bis 30.09.2002). Die Klägerin bezog bis zum
31.08.2003 Arbeitslosengeld in Höhe von 321,72 Euro wöchentlich.
Mit Bescheid vom 07.07.2004 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin für die Zeit ab 01.09.2003 fest
und hob die frühere Befreiung von der Versicherungspflicht zum gleichen Zeitpunkt auf. Als monatlichen Beitrag für
das Jahr 2003 setzte sie den Betrag von 198,00 EUR, für das Jahr 2004 in Höhe von 201,00 EUR fest. Die Klägerin
übersandte daraufhin am 15.07.2004 einen Nachweis über das Erwerbseinkommen ab dem 01.03.2004 und kündigte
an, Nachweise für die Zeit davor nachzureichen. Sie reichte dann den Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom
11.08.2004 ein, nach dem sie Überbrückungsgeld in der Zeit vom 01.09.2003 bis zum 29.02.2004 in Höhe von
monatlich 2.323,28 EUR erhalten hatte. Sie trug vor, Überbrückungsgeld zähle steuerrechtlich zu den
Lohnersatzleistungen.
Mit Bescheid vom 20.08.2004 lehnte die Beklagte den Befreiungsantrag ab, weil Unterhaltsgeld eine Förderung der
Existenzgründung beinhalte und somit nicht unter den sozialrechtlichen Begriff der Lohnersatzleistung falle.
Hiergegen legte die Klägerin am 07.09.2004 Widerspruch ein. Sie trug vor, bis Ende August habe sie Arbeitslosengeld
erhalten. Ab September sei sie Geschäftsführerin einer GmbH und beziehe ab dem 01. März 2004 aus dieser
Tätigkeit ein Gehalt. Für die Übergangszeit habe ihr das Arbeitsamt für 6 Monate ein Überbrückungsgeld gezahlt.
Dieses errechne sich aus dem theoretischen Arbeitslosengeld zuzüglich eines Zuschlags von 70 v. H. für die
Sozialversicherung, da sie sich freiwillig kranken- und rentenversichern müsse. Der Basisbetrag habe auf keinen Fall
eine Ausgleichs- und Entschädigungsfunktion. Der Lohnersatzcharakter für den Übergang in die Selbständigkeit stehe
im Vordergrund und solle die Anlaufschwierigkeiten überbrücken. Im Unterschied zur Arbeitslosenhilfe werde das
Überbrückungsgeld leistungsorientiert gewährt und besitze daher Lohnersatzcharakter.
Die Beklagte verwies gegenüber der Klägerin auf zahlreiche SG- und LSG-Entscheidungen, die eine Befreiung wegen
des Bezugs von Überbrückungsgeld nach dem SGB III verneint hätten. Das neueste Urteil stamme vom LSG
Brandenburg mit Datum vom 21.01.2004, Az.: L 2 LW 1/03.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Überbrückungsgeld sei
ebenso wie Arbeitslosenhilfe, bei der das Bundessozialgericht bereits den Fürsorge-Charakter bestätigt habe, nicht zu
zahlen, wenn anderweitiges Einkommen oder Vermögen zur Verfügung stehe, so dass dieses dann nicht erforderlich
sei. Es setze wie Arbeitslosenhilfe Bedürftigkeit voraus und solle ein zu niedriges Einkommen ergänzen. Es handele
sich damit nicht um Erwerbsersatzeinkommen, sondern um eine Leistung mit fürsorglichem Charakter, wie auch der
Arbeitslosenhilfe oder der Sozialhilfe. Der Bezug des Überbrückungsgeldes führe deshalb zu keiner Befreiung von der
Versicherungspflicht.
Hiergegen hat die Klägerin am 26.10.2004 im Wesentlichen unter Wiederholung ihres Vorbringens im
Verwaltungsverfahren die Klage erhoben. Sie trägt ergänzend vor, die Entscheidung des LSG Brandenburg betreffe
einen Sachverhalt im Jahr 1999 und sei damit nach einer Rechtslage zu beurteilen gewesen, die sich inzwischen
mehrfach geändert habe. Das Überbrückungsgeld sei wegen der von ihr gewollten und von der Arbeitsverwaltung
befürworteten Statusänderung ohne Unterbrechung an die Stelle des zuvor bezogenen Arbeitslosengeldes getreten.
Jedenfalls für den Fall des Arbeitslosengeldbezuges gehe das Gesetz selbst beim Überbrückungsgeld von einer
Ersatzleistung für ausgebliebene Erwerbsentgelte aus. Im Jahr 2003 sei die Bewilligung in das Ermessen der
Bundesanstalt gestellt gewesen. Erst ab Januar 2004 handele es sich um eine Pflichtleistung. Mit dieser Verdichtung
der Überbrückungsgeldleistung zur Pflichtleistung stelle der Gesetzgeber zusätzlich klar, dass es sich um eine
Entgeltersatzleistung handele.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Bescheides vom 20.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 12.10.2004 die Beklagte zu verpflichten, sie von der Versicherungspflicht nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG für die Zeit
vom 01.09.2003 bis 29.02.2004 zu befreien.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die Voraussetzungen der Versicherungspflicht und ist weiterhin der Auffassung, ein
Befreiungstatbestand liege nicht vor. Überbrückungsgeld ersetze kein Erwerbseinkommen, denn für dessen Bezug sei
es gerade Voraussetzung, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Der Leistungsbezieher sei aus dem Formenkreis des
abhängig Beschäftigten ausgeschieden und in die Selbständigkeit gewechselt und erhalte in der Anlaufphase eine
staatliche Förderung zur Sicherung seines Lebensunterhalts und der sozialversicherungsrechtlichen Absicherung.
Unerheblich sei dabei, dass der Basisbetrag der Leistung dem ursprünglichen Arbeitslosengeld entspreche und keine
Bedürftigkeitsprüfung stattfinde. Es handele sich vielmehr um eine aus arbeitspolitischen Gründen gewährte Leistung
mit Fürsorge-Charakter an selbständig Erwerbstätige, ähnlich dem Existenzgründerzuschuss. Der Existenzgründer
erziele auch eigenes Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, auch wenn die steuerlichen Einkünfte evtl. negativer Art
seien. Der Auffassung des SG Dresden sei nicht zu folgen.
Wegen weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 20.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
12.10.2004 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Befreiung von der
Versicherungspflicht nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG für die Zeit vom 01.09.2003 bis 29.02.2004.
Versicherungspflichtig sind Landwirte. Landwirt ist, wer als Unternehmer ein auf Bodenbewirtschaftung beruhendes
Unternehmen der Landwirtschaft betreibt, das die Mindestgröße erreicht. Unternehmer ist, wer seine berufliche
Tätigkeit selbstständig ausübt. Unternehmen der Landwirtschaft sind Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft
einschließlich des Garten- und Weinbaues, der Fischzucht und der Teichwirtschaft; die hierfür genutzten Flächen
gelten als landwirtschaftlich genutzte Flächen. Zur Bodenbewirtschaftung gehören diejenigen wirtschaftlichen
Tätigkeiten von nicht ganz kurzer Dauer, die der Unternehmer zum Zwecke einer überwiegend planmäßigen Aufzucht
von Bodengewächsen ausübt, sowie die mit der Bodennutzung verbundene Tierhaltung, sofern diese nach den
Vorschriften des Bewertungsgesetzes zur landwirtschaftlichen Nutzung rechnet. Ein Unternehmen der Landwirtschaft
erreicht dann die Mindestgröße, wenn sein Wirtschaftswert einen von der Landwirtschaftlichen Alterskasse im
Einvernehmen mit dem Gesamtverband der Landwirtschaftlichen Alterskassen und der Berücksichtigung der örtlichen
oder regionalen Gegebenheiten festgesetzten Grenzwert erreicht; der Ertragswert für Nebenbetriebe bleibe hierbei
unberücksichtigt. Landwirt nach Absatz 2 ist nicht, wer ein Unternehmen der Landwirtschaft ohne die Absicht der
nachhaltigen Gewinnerzielung betreibt (vgl. § 2 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte vom 29.07.1994 in der
hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 21.12.2000, BGBl. I S. 1983 – ALG -).
Streitig ist zwischen den Beteiligten lediglich das Vorliegen eines Befreiungstatbestandes für den Zeitraum 01.09.2003
bis 29.02.2004. Nicht streitig ist zwischen den Beteiligten, dass die Klägerin Inhaberin einer Fläche ist, die die
Mindestgröße für eine Versicherungspflicht nach § 1 ALG erreicht. Der Kammer sind keine Umstände ersichtlich, die
an der Überschreitung der Mindestgröße Anlass zu zweifeln gäben. Von daher ist grundsätzlich von einer
Versicherungspflicht der Klägerin auszugehen.
Die Klägerin hat aber entgegen der Auffassung der Beklagten einen Anspruch auf Befreiung von der
Versicherungspflicht, weil die Voraussetzungen hierfür für den strittigen Zeitraum vorliegen. Überbrückungsgeld ist als
Erwerbersatzeinkommen im Sinne des § 3 Abs. 1 ALG anzusehen.
Landwirte und mitarbeitende Familienangehörige werden auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, so lange sie
1. regelmäßig Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatzeinkommen
beziehen, das ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft jährlich 4.800 Euro
überschreitet 2. wegen Erziehung eines Kindes in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sind
oder nur deshalb nicht versicherungspflichtig sind, weil sie nach § 56 Abs. 4 SGB VI von der Anrechnung von
Kindererziehungszeiten ausgeschlossen sind 3. wegen der Pflege eines Pflegebedürftigen in der gesetzlichen
Rentenversicherung versicherungspflichtig sind oder nur deshalb nicht versicherungspflichtig sind, weil sie von der
Versicherungspflicht befreit sind, oder 4. wegen der Ableistung von Wehr- oder Zivildienst in der gesetzlichen
Rentenversicherung versicherungspflichtig sind oder nur deshalb nicht versicherungspflichtig sind, weil sie
versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sind (§ 3 Abs. 1 ALG).
Erwebersatzeinkommen sind Leistungen, die aufgrund oder in entsprechender Anwendung öffentlich-rechtlicher
Vorschriften erbracht werden, um Erwerbersatzeinkommen zu ersetzen. Hierzu zählen insbesondere Krankengeld,
Versorgungskrankengeld, Verletztenkrankengeld, soweit es nicht nach § 55 SGB VII gewährt wird oder
Übergangsgeld, Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld nach dem 3. Buch Sozialgesetzbuch und vergleichbare
Leistungen von einem Sozialleistungsträger (§ 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 Nr. 2 ALG).
Die Klägerin hat im strittigen Zeitraum Überbrückungsgeld in Höhe von monatlich 2.323,28 EUR erhalten. Dieser
Betrag lag über der Mindestgrenze von jährlich 4.800 Euro bzw. bei monatlichem Einkommen von 400 Euro monatlich.
Bei dem der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum gewährten Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III handelt es
sich um Erwerbsersatzeinkommen, das den in § 3 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 ALG genannten Arten von
Erwerbsersatzeinkommen vergleichbar ist.
Der Inhalt des Anspruchs auf Überbrückungsgeld richtet sich vorliegend für die gesamte Dauer der Leistung (§ 422
Abs. 1 Nr. 1 SGB III) nach § 57 SGB III in der vom 01.01.2003 bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung des Gesetzes
vom 23.12.2002 (BGBl. I S. 4607), da der Anspruch bereits im Jahr 2003 entstanden war. Danach können
Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, für die
Dauer von sechs Monaten zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der
Existenzgründung Überbrückungsgeld erhalten. Das Überbrückungsgeld setzt sich zusammen aus einem Betrag, den
der Arbeitnehmer als Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe zuletzt bezogen hat oder bei Arbeitslosigkeit hätte
beziehen können, und den darauf entfallenden pauschalierten Sozialversicherungsbeiträgen.
Ob es sich bei einer bestimmten Entgeltersatzleistung um Erwerbsersatzeinkommen im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 1
Nr. 2 ALG handelt oder nicht, richtet sich danach, ob es sich in erster Linie um Einkommen handelt, dass
Erwerbseinkommen tatsächlich ersetzen soll, oder eher um eine der Arbeitslosen- und Sozialhilfe vergleichbare
Fürsorgeleistung handelt. In Bezug auf das Überbrückungsgeld trifft das Erstere zu. Die Kammer folgt insoweit nach
eigener Prüfung den überzeugenden Ausführungen des SG Dresden, Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2005, Az: S 18
LW 9/04, juris Rdnr. 24 ff. = www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Es handelt sich beim Überbrückungsgeld - wie beim Arbeitslosengeld - um einen aus Beiträgen zumindest
mitfinanzierten Zuschuss (vgl. § 340 SGB III in Verbindung mit dem Umkehrschluss aus § 363 Abs. 1 Satz 1 SGB
III). Dieser wird regelmäßig wiederkehrend und - ebenso wie die anderen in § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ALG genannten
Erwerbsersatzeinkommen und anders als Arbeitslosen- oder Sozialhilfe bzw. Arbeitslosengeld II - nur für eine von
vornherein begrenzte Anspruchsdauer ausgezahlt. Als Maßnahme der aktiven Arbeitsförderung dient er dazu,
Existenzgründern die Sicherung des Lebensunterhalts sowie die soziale Sicherung zur ermöglichen. Die Auszahlung
erfolgt pauschalisiert in Höhe der zuletzt bezogenen - oder bei nahtlosem Übergang aus einer Beschäftigung in die
Existenzgründung in Höhe der hypothetischen - Leistung, ohne dass eine Prüfung der individuellen Bedürftigkeit im
Sinne von § 193 SGB III bzw. § 19 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für
Arbeitssuchende - zu erfolgen hat. Soweit in § 57 Abs. 1 SGB III der existenzsichernde Zweck der Leistung
ausdrücklich genannt ist, handelt es sich nicht um echtes Tatbestandsmerkmal im Sinne fürsorgerechtlicher
Bedürftigkeit, sondern um eine Abgrenzung gegenüber anderen Förderinstrumenten ohne Einkommensersatzfunktion
wie etwa Investitionszuschüssen. Zu Unrecht verneint die von der Beklagten für ihre Auffassung in Anspruch
genommene Entscheidung des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 21.01.2004, Az. 2 LW 1/03, den
Charakter des Überbrückungsgeld als Erwerbsersatzeinkommen im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 ALG. Dass das
Überbrückungsgeld nicht gezahlt werden kann, wenn dem Versicherten ausreichend anderweitiges Einkommen und
Vermögen zur Verfügung steht, ist zwar zutreffend; in diesen Fällen ist das Ermessen dahingehend auszuüben, dass
die Leistung dem Grunde nach nicht zu gewähren ist. Letztlich trifft jedoch auf alle echten Erwerbsersatzeinkommen
im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ALG zu, dass diese schon begrifflich nur ein sonst nicht vorhandenes
Einkommen ersetzen, also gerade wegen fehlenden anderweitigen Einkommens gezahlt werden. Die entsprechenden
leistungsrechtlichen Vorschriften treffen deshalb auch Regelungen zur Vermeidung einer Übersicherung im Falle des
Zusammentreffens mit anderweitigem Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen. Die Auffassung, aus dieser
Rechtsprechung sei zu schließen, dass das Überbrückungsgeld wie Arbeitslosenhilfe Bedürftigkeit voraussetze,
verkennt den Begriff der Bedürftigkeit, wie ihn das Sozialgesetzbuch in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung in
Bezug auf die Arbeitslosenhilfe in § 193 SGB III verwendet hat. Wird Überbrückungsgeld bewilligt, dann ist es nach
der klaren und abschließenden Regelung über die Leistungshöhe in § 57 Abs. 4 SGB III unabhängig von der Höhe der
konkreten Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb in Höhe der zuvor oder hypothetisch bezogenen Lohnersatzleistung
zuzüglich der Sozialversicherungszuschüsse zu gewähren. Eine Bedürftigkeitsprüfung findet gerade nicht statt. Die in
der Entscheidung des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg als Argument für einen fürsorgerechtlichen
Charakter des Überbrückungsgeldes herangezogene Systematik und Terminologie des Dritten Buchs
Sozialgesetzbuch ist für die Bestimmung des Begriffs des Erwerbsersatzeinkommens im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 1
Nr. 2 ALG ohne Aussagekraft. Das ergibt sich schon daraus, dass es sich sowohl beim Arbeitslosengeld als auch bei
der Arbeitslosenhilfe begrifflich um Entgeltersatzleistungen im Sinne des Arbeitsförderungsrechts handelt, obwohl die
Eigenschaft als Erwerbsersatzeinkommen im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ALG in dem einen Fall bejaht und im
anderen Fall verneint wird. Kann mithin schon aus der gemeinsamen Verankerung dieser beiden Leistungsarten im
Achten Abschnitt des Vierten Kapitels des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch ("Erwerbsersatzeinkommen") kein
Rückschluss auf die Qualifizierung als Erwerbsersatzeinkommen im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ALG gezogen
werden, so ist es abwegig, genau einen solchen Rückschluss daraus ziehen zu wollen, dass die Vorschrift über das
Überbrückungsgeld nicht im Achten, sondern im Vierten Abschnitt des Vierten Kapitels ("Förderung der Aufnahme der
selbständigen Tätigkeit") steht. Unvereinbar mit dem Sprachgebrauch ist schließlich das Argument, ein
Erwerbsersatzeinkommen könne nicht erzielt werden, wenn der Leistungsempfänger tatsächlich erwerbstätig sei. Der
Wortbestandteil "Ersatz" in "Erwerbsersatzeinkommen" bezieht sich nicht auf "Erwerb", sondern auf "Einkommen".
Erwerbsersatzeinkommen ist ein Erwerbseinkommens-Ersatz und kein Erwerbsersatz-Einkommen. Der Begriff wird
also durch ein auszugleichendes Einkommensdefizit definiert, nicht durch Erwerbslosigkeit. Schon aus der
Gleichstellung von Einkommen aus Erwerbstätigkeit und Erwerbsersatzeinkommen in § 3 ALG wird ersichtlich, dass
es für den Zweck des Gesetzes, auf eine zusätzliche Alterssicherung bei ausreichendem außerlandwirtschaftlichen
Einkommen zu verzichten, keine Rolle spielt, ob der Landwirt zur Erzielung dieses Einkommens erwerbstätig ist oder
nicht. Dass der Leistungsempfänger keinerlei Erwerbstätigkeit nachgehen oder überhaupt kein Erwerbseinkommen
erzielen dürfte, ist im Übrigen für keine der als Erwerbsersatzeinkommen in Frage kommenden Leistungen
Voraussetzung. Der Beklagten ist zwar einzuräumen, dass das Überbrückungsgeld insoweit weder mit
Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe bzw. Arbeitslosengeld II vergleichbar ist, als es keine Arbeitslosigkeit
voraussetzt, sondern ein noch nicht in ausreichendem Maße zufließendes Einkommen aus einer tatsächlichen
Erwerbstätigkeit ersetzt bzw. im Wege der Subventionierung aufstockt. Hierbei handelt es sich aber um einen für die
Befreiung von der Versicherungspflicht im Allgemeinen und für die Differenzierung zwischen echten und
uneigentlichen Erwerbsersatzeinkommen im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ALG im Besonderen unwesentlichen
Umstand. Tatsächlich spielt es keine Rolle, ob das Überbrückungsgeld eher dem Arbeitslosengeld oder der
Arbeitslosenhilfe ähnelt. Auf die Vergleichbarkeit mit diesen Surrogaten kommt es nicht an, weil beim
Überbrückungsgeld die Vergleichbarkeit mit den primären Befreiungstatbeständen in den Vordergrund tritt. Gerade
wegen seines Bezugs zu einer konkreten, selbständigen Erwerbstätigkeit weist das Überbrückungsgeld eine
besondere Vergleichbarkeit mit tatsächlichem Arbeitseinkommen auf. Der Bezug solchen Arbeitseinkommens erfüllt
den primären Befreiungstatbestand nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG. Wenn schon der Bezug von Erwerbsersatzeinkommen
wie Arbeitslosen- und Krankengeld in Abgrenzung zu sozialfürsorgerischen Leistungen wie Arbeitslosen- und
Sozialhilfe bzw. Arbeitslosengeld II und Sozialgeld die Befreiung von der Versicherungspflicht rechtfertigt, dann muss
bei vergleichender Betrachtung der in § 3 ALG geregelten Befreiungsmöglichkeiten der Bezug von Überbrückungsgeld
erst recht zur Befreiung von der Versicherungspflicht führen.
Nach Auffassung der Kammer ist es auch unerheblich, ob die Klägerin die im Überbrückungsgeld enthaltene
Pauschale tatsächlich zur Entrichtung freiwilliger Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung eingesetzt hat,
worauf es nach Auffassung des SG Augsburg, Urteil vom 28.11.2005, Az.: S 10 LW 15/05 – das Urteil lag der
Kammer aber nur in Form des juris-Ausdrucks mit einem Orientierungssatz vor - ankommt. Insofern stellt § 3 ALG
weitgehend auf die Einkommens- und nicht Versicherungsverhältnisse ab. Die Kammer konnte daher von weiteren
Ermittlungen absehen.
Nach allem war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.