Urteil des SozG Marburg vom 13.01.2010
SozG Marburg: stadt, obmann, erlass, datum, zahl, bezirk, bekanntmachung, hessen, qualifikation, bereitschaftsdienst
Sozialgericht Marburg
Beschluss vom 13.01.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 54/10 ER
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgewiesen.
2. Der Antragsteller hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 1.667,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Einteilung des Klägers zum Notdienst für den Bezirk X Stadt für das Jahr 2010.
Der Antragsteller ist als Frauenarzt mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Der Antragsteller wurde im Notdienstbezirk X-Stadt für verschiedene Dienste im Zeitraum vom 14.09.2008 bis
01.01.2009 eingeteilt. Der Obmann des Notdienstbezirkes Dr. D. teilte dem Antragsteller unter Datum vom 28.07.2008
mit, nach einer Reihe von Klagen seitens verschiedener Patienten über vom Antragsteller ausgeführte Behandlungen
und sein Verhalten gegenüber diesen Patienten, insbesondere aber nachdem er vor dem Krankenhaus in X-Stadt in
Sichtweite einer Patienten uriniert habe, möchte er ihn bitten, die weiteren Dienste im ärztlichen Bereitschaftsdienst in
X-Stadt nicht mehr wahrzunehmen. Er werde daher die Dienste anderweitig besetzen. Er könne nicht zulassen, dass
die Reputation des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in dieser Art und Weise beschädigt werde. Dagegen legte der
Kläger Widerspruch ein und beantragte bei der Kammer den Erlass einer einstweiligen Anordnung am 04.08.2008. Die
Antragsgegnerin führte hierzu unter Datum vom 11.08.2008 aus, bei dem Schreiben des Obmanns handele es sich
nicht um einen Bescheid von ihr. Wie der Antragsteller selbst ausführe, befinde sich auch die Erklärung des Obmanns
nicht im Einklang mit ihrer Notdienstordnung. Sie werde daher den Obmann zur Einhaltung der Notdienstordnung
anweisen. Es bedürfe daher keiner Entscheidung des Gerichts über den Antrag des Antragstellers. Mit Schriftsatz
vom 02.09.2008 erklärte die Antragsgegnerin den Rechtsstreit für erledigt, da der Obmann zwischenzeitlich mit
Schreiben vom 28.08.2008 bestätigt habe, dass er seine Diensteinteilung aufrechterhalte. In der Folgezeit entspann
sich ein Schriftwechsel zwischen den Beteiligten über die Kostentragungspflicht und über die Erweiterung des Antrags
auf die Dienstteilnahme ab dem 02.01.2009. Auf Hinweis des Gerichts nahm der Antragsteller den Antrag am
10.12.2008 zurück.
Am 10.12.2008 stellte der Antragsteller einen weiteren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur
Begründung führte er aus, er habe bei dem Obmann, Herrn Dr. D., die Teilnahme an ambulanten
Bereitschaftsdiensten im Bezirk X-Stadt für die Zeit vom 02.01.2009 bis 01.01.2010, und zwar 3 bis 11 mal in jedem
Monat, beantragt. Eingeteilt worden sei er lediglich für 3 Dienste im Mai, 2 Dienste im Juni, jeweils einen Dienst im
Zeitraum Juli bis September, und jeweils 2 Dienste im Oktober und November sowie weitere Dienste im Dezember
2009. Dies ergebe eine durchschnittliche Zahl an Diensten von 16 geteilt durch 12 gleich 1,33 im Monat. Die
durchschnittliche Zahl an Diensten, die anderen Ärzten genehmigt worden sei, betrage 2,78 Dienste. Hierin zeige sich
die erhebliche Benachteiligung des Antragstellers. Der Dienst am 01.01.2009 sei ihm jedoch schon bei der
Diensteinteilung für 2008 zugeteilt worden. Andere Ärzte hätten 5 bis 7 Dienste erhalten. Er habe Widerspruch gegen
den Dienstplan, der ihm am 01.12.2008 zugegangen sei, eingelegt. Eine Antwort sei bisher nicht erfolgt. Aufgrund der
Eilbedürftigkeit, gerade für Januar 2009, sei der Antrag dringend erforderlich. Die Kammer wies mit Beschluss vom
29.12.2009 - S 12 KA 857/08 ER – den Antrag ab, die Beschwerde wies das LSG Hessen, Beschluss vom
14.01.2009 - L 4 KA 122/08 ER – zurück. Den Fortsetzungsfeststellungsantrag bzgl. der Einteilung des Antragstellers
zum Notdienst für den Bezirk X-Stadt für die Zeit vom 07.02. bis 30.11.2009 wies die Kammer mit Urteil vom
09.12.2009 - S 12 KA 82/09 – ab.
Der Obmann für den Notdienstbezirk X-Stadt teilte dem Antragsteller mit Datum vom 22.12.2009 mit, dass der
Antragsteller im Jahr 2010 nicht zu Diensten eingeteilt werde. Es sei schon vor der Diensteinteilung für das Jahr 2009
zu Patientenbeschwerden gekommen. Im Einzelnen führte er sechs Behandlungsfälle aus dem Zeitraum 02.05.2008
bis 13.09.2009 auf.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag einen Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf den
Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die
Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige
Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 1 u. 2
Sozialgerichtsgesetz – SGG). Es müssen ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht
werden (§ 920 Zivilprozessordnung i. V. m. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG).
Nach Aktenlage ist ein Anordnungsanspruch nicht ersichtlich.
Zuständig für die Einteilung zum Notdienst ist der Notdienst-Obmann.
Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 und 2 der hier maßgeblichen und ab 01.10.2002 gültigen Notdienstordnung, bekannt gegeben
durch die Bekanntmachung vom 20.09.2002 (Teil I), zuletzt geändert durch Beschluss der Abgeordnetenversammlung
vom 24.11.2004, bekannt gegeben durch die Anlage 1 zum Landesrundschreiben/Bekanntmachung vom 15.12.2004
(im Folgenden: NDO), die Satzungsqualität hat, hat die Notdienstgemeinschaft zur Umsetzung der Aufgaben nach
Ziffer (1) einen Notdienst-Obmann aus ihrer Mitte sowie eine ausreichende Zahl von Vertretern zu wählen. Dieser ist
Ansprechpartner für den Vorstand oder für ein von ihm beauftragtes Gremium (§ 5 Abs. 2 Satz 1 und 2 NDO). Die für
einen Notdienstbezirk zuständige Notdienstgemeinschaft hat grundsätzlich die Einzelheiten des Notdienstes in
eigener Zuständigkeit zu regeln (§ 5 Abs. 1 NDO). Die sonstigen organisatorischen Fragen und Details im
Zusammenhang mit der Durchführung des organisierten Notdienstes, zu denen die Kammer gerade die konkrete
Diensteinteilung rechnet und zu der auch die Ablehnung eines Bewerbers im Notdienstbezirk gehört, obliegt dem
Notdienst-Obmann. Die Aufgaben nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst. e) NDO werden gerade nicht dem Vorstand oder
einem von ihm beauftragten Gremium vorbehalten (§ 5 Abs. 1 Satz 3 NDO), sondern ausdrücklich dem Notdienst-
Obmann übertragen (§ 5 Abs. 2 Satz 3 NDO).
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Einteilung zu einem Notdienst.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 NDO nehmen am organisierten allgemeinen Notdienst grundsätzlich alle
niedergelassenen Vertragsärzte einer Notdienstgemeinschaft teil sowie bei Vorliegen einer entsprechenden
Qualifikation – siehe hierzu § 11 Absatz (1) – privat niedergelassene Ärzte und andere Ärzte, sofern bei letzterem die
Bezirksstelle aufgrund der organisatorischen Erfordernisse eine Mitwirkungsnotwendigkeit sieht. Soweit eine
gebietsärztliche Bereitschaft mit Zustimmung des Vorstandes oder eines von ihm beauftragten Gremiums besteht,
nehmen grundsätzlich alle Gebietsärzte des entsprechenden Gebietes hieran teil. Hierbei bilden die in einem
Notdienstbezirk niedergelassenen Vertragsärzte die Notdienstgemeinschaft in dem beschriebenen örtlich
abgegrenzten Bereich (§ 2 Abs. 2 NDO).
Der in A-Stadt niedergelassene Antragsteller gehört nicht zur Notdienstgemeinschaft X Stadt, für die er die Teilnahme
begehrt. Er hat daher keinen Anspruch darauf, am Notdienst beteiligt zu werden. Sein Anspruch beschränkt sich auf
eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Teilnahme am Notdienst.
Die Teilnahmeberechtigung nach § 95 Abs. 3 SGB V schließt eine Teilnahme am vertragsärztlichen Notdienst (§ 75
Abs. 1 Satz 2) ein, da dieser zum Versorgungsauftrag gehört. Der Teilnahmeanspruch ist aber nach der zulässigen
Ausgestaltung der NDO auf die Teilnahme im eigenen Notdienstbezirk beschränkt. Für die Teilnahme am
vertragsärztlichen Notdienst in anderen Notdienstbezirken besteht lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie
Bescheidung.
Bei Ermessensentscheidungen führt der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich nur bei einer
Ermessensreduzierung auf Null zum Erfolg. Die KV kann bei der Vergabe von Diensten an außerhalb des
Notdienstbezirks niedergelassene Ärzte neben organisatorischen auch andere sachgerechte Gründe haben, die einer
zeitlich gleichmäßigen Vergabe an außerbezirkliche Ärzte entgegenstehen. Neben der fachlichen Qualifikation wäre
auch berücksichtigungsfähig, ob es gehäuft zu Beschwerden durch Patienten oder anderen Komplikationen bei der
Abwicklung der Notdienste kommt, ohne dass dies bereits für einen vollständigen Ausschluss vom
Bereitschaftsdienst ausreichen müsste (vgl. LSG Hessen, Beschl. v. 14.01.2009 – L 4 KA 122/08 ER –).
Die Antragsgegnerin hat im angefochtenen Bescheid verschiedene Behandlungsfälle angeführt. Solange die
Ermittlungen zu diesen Fällen bei der Antragsgegnerin noch nicht abgeschlossen sind, wovon die Kammer vorliegend
ausgeht, kann die Antragsgegnerin sich hierauf berufen. Erst wenn endgültig feststeht, dass die Beschwerde
unbegründet ist, kann diese einem Arzt nicht mehr entgegengehalten werden. Die Antragsgegnerin hat allerdings nicht
beliebig Zeit, ihre Ermittlungen hierzu durchzuführen. Wenn sich auch der Kammer nicht vollständig erschließt, ob die
Antragsgegnerin die jeweiligen Ermittlungen mit der im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte
Berufsausübungsfreiheit des Antragstellers und auch der nicht weniger schützenswerten Patienteninteressen
erforderlichen Dringlichkeit durchführt, so vermag sie gegenwärtig noch nicht festzustellen, dass die Grenze zur
Rechtswidrigkeit überschritten wäre. Zu berücksichtigen ist hierbei auch die relative Häufigkeit der Beschwerden, die
bis zum September 2009 reichen.
Hinzu kommt, dass die Kammer davon ausgeht, dass die Dienste für das Jahr 2010 mit der Erstellung des
Notdienstplans (vgl. hierzu Kammerurteil v. 09.12.2009 - S 12 KA 82/09 -) zwischenzeitlich verteilt sind und die
Aufhebung der Einteilung in die Rechte der bereits eingeteilten Ärzte eingreifen würde.
Von daher fehlt es bereits an einem Anordnungsanspruch.
Es besteht auch kein Anordnungsgrund. Der Antragsteller begehrt lediglich eine ermessensfehlerfreie Entscheidung
(zum Problem vgl. Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 9, Aufl. 2008, § 86b, Rdnr. 30a). Hierfür bedarf es aber keines
Eilverfahrens. Einen Rechtsverlust könnte der Kläger nur durch die rechtswidrige Nichteinteilung zu Diensten erleiden.
Der Antragsteller begehrt lediglich ein rechtmäßiges Verhalten, ohne auf konkret zu erleidende Nachteile hinzuweisen.
Offensichtlich hat er gegen den Bescheid des Obmanns vom 22.12.2009 bisher auch keinen Widerspruch eingelegt.
Die Überprüfung der Vorwürfe kann aber ggf. im Widerspruchsverfahren oder einem anschließenden Klageverfahren
erfolgen.
Nach allem war der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten
des Verfahrens.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den gesetzlichen Vorgaben.
Für das Klageverfahren gilt das Gerichtskostengesetz i. d. F. des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts
(Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG) vom 05.05.2004, BGBl. I S. 718, da der Antrag nach dem
30.06.2004 anhängig wurde (vgl. § 72 Nr. 1 GKG). Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht
bindet, was hier der Fall ist, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss
fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig
erledigt (§ 63 Abs. 2 Satz 1 GKG). In Prozessverfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit wird die
Verfahrensgebühr mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe
der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 GKG).
In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach
den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet
der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert
von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG).
Auszugehen war hier vom Regelstreitwert, der für das einstweilige Anordnungsverfahren zu dritteln war.