Urteil des SozG Marburg vom 16.06.2008

SozG Marburg: gebühr, verwaltungsverfahren, widerspruchsverfahren, immaterialgüterrecht, verwaltungsrecht, versicherungsrecht, dokumentation, zivilprozessrecht, quelle, akteneinsicht

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Gericht:
SG Marburg 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 8 AS 17/07 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Nr 3102
RVG, § 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Nr
3103 RVG
Verfahrensgebühr bei vorausgegangener Tätigkeit im
Verwaltungsverfahren
Gründe
Die am 30.11.2007 erhobene Erinnerung des Erinnerungsführers, mit der
sinngemäß beantragt wurde,
unter entsprechender Aufhebung des Festsetzungsbeschlusses des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 31.10.2007 die Verfahrensgebühr auf
einen Betrag von € 170 zu reduzieren,
ist unbegründet.
Der Erinnerungsführer hat keinen Anspruch darauf, dass das Gericht die vom
Urkundsbeamten in dessen Beschluss vom 31.10.2007 bestimmte Gebühr
herabsetzt. Die Höhe der dort festgesetzten Gebühr ist nicht zu beanstanden, da
sie den gesetzlichen Vorgaben entspricht.
Die vom Erinnerungsgegner getroffenen Bestimmung, zu seinen Gunsten eine
Verfahrensgebühr in Höhe von € 290 zuzüglich der Auslagenpauschale in Höhe
von € 20 sowie der darauf entfallenden Mehrwertsteuer (€ 58,90), zusammen €
368,90, festzusetzen, war für den Urkundsbeamten verbindlich, denn sie war nicht
unbillig. Dabei geht das Gericht davon aus, dass eine vom Rechtsanwalt zu hoch
angesetzte Gebühr grundsätzlich dann noch nicht unbillig ist, wenn sie einen
„Toleranzrahmen“ von 20 % nicht überschreitet, also nicht mehr als 20 % nach
„oben“ von den angemessenen Gebühren abweicht. Ob der „Toleranzrahmen“
dann nicht zugunsten eine Rechtsanwalts eingreift, wenn er die angemessene
Gebühr bewusst und ohne nachvollziehbaren Grund überschreitet, braucht hier
nicht entschieden zu werden, da ein solcher Fall nicht vorliegt.
Unter Einbeziehung aller in § 14 RVG aufgeführten Kriterien hält das Gericht eine
Gebühr in Höhe der Mittelgebühr für angemessen. Dabei bestimmt sich die
Gebühr nach Auffassung des Gerichts nach Nr. 3102 VV RVG. Dort ist ein
Gebührenrahmen von € 40 bis € 460 vorgesehen, so dass sich für die Mittelgebühr
ein Betrag von € 250 errechnet.
Nicht zugrunde zu legen ist der Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV RVG. Nach
dieser Bestimmung reduziert sich der Rahmen auf € 20 bis € 320, wenn „eine
Tätigkeit (des Rechtsanwaltes) im Verwaltungsverfahren oder im weiteren, der
Nachprüfung des Verwaltungsaktes dienenden Verwaltungsverfahren
vorausgegangen ist“. „Vorausgegangen“ in diesem Sinne ist ein Verwaltungs-
bzw. Widerspruchsverfahren aber nur dann, wenn es abgeschlossen ist (so auch
SG Lüneburg, Beschluss vom 18.04.2007, Az. S 25 SF 34/06, Rdnr. 14). Vor Erlass
des Ausgangs- bzw. Widerspruchsbescheides ist der niedrigere Gebührenrahmen
daher nicht anwendbar.
Eine solche Auslegung ist auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der
Vorschrift gerechtfertigt. Zwar können bei einem Tätigwerden des Rechtsanwaltes
im Ausgangs- oder Widerspruchsverfahren die Synergieeffekte, die – wie der
Erinnerungsführer zu Recht vorträgt – Grund für die Schaffung des reduzierten
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Erinnerungsführer zu Recht vorträgt – Grund für die Schaffung des reduzierten
Gebührenrahmens waren, auch schon zu einem früheren Zeitpunkt eintreten. So
mag es auch hier gewesen sein, da im Rahmen des Widerspruchsverfahrens
Akteneinsicht genommen und der Widerspruch bereits mit Schriftsatz vom
25.01.2007 ausführlich begründet wurde, der Erinnerungsgegner sich also schon
vor Anhängigmachung des Eilantrages (der am 05.02.2007 einging) ersichtlich
ausführlich mit der Sache befasst hat. Soweit man für die Anwendung der Gebühr
aus Nr. 3103 VV RVG aber nicht ein bereits abgeschlossenes Verwaltungs- bzw.
Widerspruchsverfahren verlangt, sondern es für ausreichend hält, dass ein solches
Verfahren begonnen wurde (z.B. Einlegung eines unbegründeten Widerspruchs zur
Fristwahrung), würden auch Konstellation, bei denen der Rechtsanwalt im Rahmen
des Eilverfahrens überhaupt keinen Aufwand erspart hat, automatisch dem
geringeren Gebührenrahmen unterfallen. Das Gericht hält es insofern für
sachgerechter, mögliche Synergieeffekte, die für den Anwalt etwa im Rahmen
eines parallel betriebenen Widerspruchs entstehen, bei der Bemessung der
Gebühr nach Nr. 3102 VV RVG zu berücksichtigen (in diesem Sinne auch SG
Lüneburg, Beschluss vom 18.04.2007, Rdnr. 14).
Da das Widerspruchsverfahren (nur dort war der Erinnerungsgegner tätig) bei
Eingang des Eilantrages noch nicht abgeschlossen war, scheidet hier die
Anwendung der Nr. 3103 VV RVG aus.
Auf die Entscheidung der Frage, ob Nr. 3103 VV RVG auf Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes überhaupt anwendbar ist (sehr streitig; dafür: LSG
Nordrhein-Westfalen, Beschuss vom 03.12.2007, Az. L 20 B 66/07 AY, Schleswig-
Holsteinisches LSG, Beschluss vom 28.02.2007, Az. L 1 B 467/06 SK, Rdnr. 9; SG
Reutlingen, Beschluss vom 12.09.2007, Az. S 2 AS 3109/07, Rdnr. 22; Bayr. LSG,
Beschluss vom 18.01.2007, Az. L 15 B 224/06 AS KO, Rdnr. 20; SG Aurich,
Beschluss vom 09.05.2006, Az. S 25 SF 20/05 AS, Rdnr. 11f; dagegen: SG
Duisburg, Beschluss vom 15.05.2007, Az. S 7 AS 249/06 ER, Rdnr. 13 m.w.N.; SG
Frankfurt, Beschluss vom 31.07.2006, Az. S 20 SF 8/06 AY, Rdnr. 3; SG Oldenburg,
Beschluss vom 15.12.2005, Az. S 10 SF 52/05, Rdnr. 13; SG Lüneburg, Beschluss
vom 18.04.2007, Az. S 25 SF 34/06, Rdnr. 14), kommt es daher im konkreten Fall
nicht mehr an.
Die Mittelgebühr von € 250 ist unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls
als angemessen anzusehen. Insbesondere gibt es keinen allgemeinen Grundsatz
derart, dass bei Eilverfahren die Zugrundelegung der Mittelgebühr in der Regel
nicht in Betracht kommt. Angesichts des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit und
des nicht unbedeutenden Streitgegenstandes (monatlicher Mehrbedarf in Höhe
von € 52) rechtfertigen auch die schlechten Vermögensverhältnisse des
Antragstellers und vorhandene Synergieeffekte wegen des vorher erhobenen und
begründeten Widerspruchs es nicht, von der Mittelgebühr nach unten
abzuweichen. Dass der Erinnerungsgegner die Mittelgebühr um € 40 überschritten
hat, erlaubt keine Kürzung, da er damit innerhalb des Toleranzrahmens von 20 %
bleibt. Vorsorglich weist das Gericht an dieser Stelle allerdings darauf hin, dass es
eine Erhöhung der Gebühr aufgrund des Umstandes, dass ein Fachanwalt für
Sozialrecht tätig wurde, nicht für zulässig erachtet.
Unter Zugrundelegung der hier noch nicht unbilligen Gebühr von € 290 ergibt sich,
bei Addition der Auslagenpauschale in Höhe von € 20 und der auf den
Gesamtbetrag von € 310 entfallenden Mehrwertsteuer (= € 58,90), der vom
Kostenbeamten festgesetzte Betrag von € 368,90.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 172 Abs. 2 SGG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.