Urteil des SozG Marburg vom 10.10.2007

SozG Marburg: altersgrenze, verbot der diskriminierung, versorgung, europäisches gemeinschaftsrecht, eugh, hessen, vertragsarzt, beschränkung, generalanwalt, niederlassung

Sozialgericht Marburg
Urteil vom 10.10.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 268/07
Hessisches Landessozialgericht L 4 KA 74/07
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat dem Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten und trägt die
Gerichtskosten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Verlängerung der Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Versorgung über den
31.03.2007 hinaus.
Der jetzt 68-jährige Kläger ist approbierter Arzt. Er ist Internist. Als solcher wurde er durch Beschluss des
Zulassungsausschusses für Ärzte für das Land Hessen vom 14.12.1982 zur vertragsärztlichen Versorgung
zugelassen. Seit 01.02.1983 war er auch niedergelassen.
Am 03.08.2006 beantragte der Kläger, seine vertragsärztliche Zulassung zu verlängern. Er trug vor, er sei der einzige
Internist vor Ort. Ein Praxisverkauf sei nicht möglich gewesen. Die Praxis sei mit 292.062,96 Euro verschuldet. Die
Schließung bedeute eine unzumutbare Härte. Bei Praxisgründung Anfang der 80er Jahre habe er nicht gewusst, dass
er mit 68 Jahren aufhören müsse.
Der Zulassungsausschuss für Ärzte wies mit Beschluss vom 14.11.2006 den Antrag ab, da die Zulassung des
Klägers nach §95 Abs. 7 SGB V nicht verlängert werden könne. Er sei mehr als zwanzig Jahre zugelassen.
Hiergegen legte die Kläger am 12.01.2007 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er ergänzend zur Antragsbegründung
vor, seine Schulden seien nicht berücksichtigt worden. Er müsse ggf. Privatinsolvenz anmelden. Auf die
Versorgungssituation in A-Stadt sei nicht eingegangen worden. Nach §31 Ziff. 9 Ärzte-ZV könne von der
Altersbeschränkung in Ausnahmefällen abgewichen werden.
Die Beigeladene zu 1) hielt den Beschluss des Zulassungsausschusses für rechtmäßig. Im Einzelnen wird auf ihr
Schreiben vom 06.02.2007 verwiesen.
Mit Beschluss vom 14.02.2007, ausgefertigt am 14.05. und dem Kläger zugestellt am 15.05.2007, wies der Beklagte
den Widerspruch als unbegründet zurück. Hinsichtlich der Begründung wird auf die Gründe des Beschlusses
verwiesen.
Hiergegen hat der Kläger unter Verweis auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren am 14.06.2007 die Klage
erhoben. Weiter trägt er vor, er bestreite, dass keine Unterversorgung bestehe. Er nehme an Fortbildungen teil und
stelle keine Gefährdung seiner Patienten dar. Er sei leistungsfähig. Es liege ein Verstoß gegen das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz und gegen Grundrechte vor.
Die Kläger beantragt, den Beschluss des Beklagten vom 14.05.2007 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten,
seine vertragsärztliche Zulassung über den 31.03.2007 hinaus zu verlängern.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, er habe bereits in seinem angefochtenen Bescheid ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine
Verlängerung einer vertragsärztlichen Zulassung über das 68. Lebensjahr hinaus gemäß der neuen Vorschrift des mit
Wirkung vom 01.01.2007 in Kraft getretenen § 95 Abs. 7 S. 8 SGB V nur dann eintrete, wenn der Landesausschuss
der Ärzte und Krankenkassen nach § 100 Abs. 1 S. 1 SGB V festgestellt habe, dass in einem bestimmten Gebiet
eines Zulassungsbezirks eine ärztliche Unterversorgung eingetreten sei oder unmittelbar drohe. Eine solche
Feststellung sei vom Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen für den Planungsbereich, in welchem der
Kläger niedergelassen sei, bis heute nicht getroffen worden. Damit erübrige sich jegliche weitere Diskussion über die
Frage, ob aus der subjektiven Sicht des Klägers nach seinem Ausscheiden aus der vertragsärztlichen Versorgung
Unterversorgung eintrete oder nicht. § 31 Abs. 9 Ärzte-ZV sei mit Ablauf des 31.12.2006 außer Kraft getreten. Diese
Vorschrift habe sich zudem auf ermächtigte Ärzte bezogen. Beide Vorschriften - § 25 wie § 31 Abs. 9 Ärzte-ZV -
hätten Tatbestände für den Beginn der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung, nicht aber deren Beendigung
geregelt, die nach wie vor abschließend in § 95 Abs. 7 SGB V geregelt sei. Damit erübrige sich jegliche weitere
Diskussion über eine Billigkeitsregelung. Auch könne eine vertiefte Betrachtung der geltend gemachten Aspekte einer
hohen Verschuldung bzw. einer möglichen künftigen Übernahme der Praxis durch den noch in der Ausbildung
befindlichen Sohn unterbleiben, da keinerlei Ermessensbereich für die Berücksichtigung derartiger Aspekte eröffnet
sei. Die vom Gesetzgeber verfügte Altersgrenze stelle eine abstrakt-generelle Regelung für alle Vertragsärzte dar, die
unabhängig von der Anzahl der von ihnen in Anspruch genommenen Fortbildungen Gültigkeit habe und die auch ohne
Rücksicht auf die persönliche Leistungsfähigkeit der jeweiligen Ärzte Anwendung finde. Zur weiteren Ergänzung zu
den Bescheidgründen werde auf die zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlichten oder getroffenen Entscheidungen
des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2006 (AZ: L 5 KA 4343/06) sowie des Schleswig-
Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25.05.2007 (AZ: L 4 B 406/07) verwiesen. Beide Gerichte seien nach
eingehender rechtlicher Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass die vertragsärztliche Altersgrenze von 68 Jahren
weder gegen Verfassungsrecht noch gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht oder das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz verstoße.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und
Psychotherapeuten sowie der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des
Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Sie konnte dies trotz Ausbleibens der
Beigeladenen zu 2) bis 6) und 9) tun, weil diese ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen
worden sind.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Beschluss des Beklagten vom 14.02.2007 ist rechtmäßig und war daher
nicht aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner vertragsärztlichen Zulassung über den
31.03.2007 hinaus. Die Klage war abzuweisen.
Der Beschluss des Beklagten vom 14.02.2007 ist rechtmäßig.
Die vertragsärztliche Zulassung des Klägers bestand nicht über den 31.03.2007 hinaus.
Die Zulassung endet u. a. ab 1. Januar 1999 am Ende des Kalendervierteljahres, in dem der Vertragsarzt sein
achtundsechzigstes Lebensjahr vollendet. War der Vertragsarzt 1. zum Zeitpunkt der Vollendung des
achtundsechzigsten Lebensjahres weniger als zwanzig Jahre als Vertragsarzt tätig und 2. vor dem 1. Januar 1993
bereits als Vertragsarzt zugelassen, verlängert der Zulassungsausschuss die Zulassung längstens bis zum Ablauf
dieser Frist. Hat der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nach § 100 Abs. 1 Satz 1 festgestellt, dass in
einem bestimmten Gebiet eines Zulassungsbezirks eine ärztliche Unterversorgung eingetreten ist oder unmittelbar
droht, gilt Satz 3 nicht (§ 95 Abs. 7 Satz 3, 4 und 8 SGB V).
Der Kläger hat im Jahr 2007 sein 68. Lebensjahr vollendet, weshalb seine Zulassung zum Quartalsende am
31.03.2007 endete.
Die Voraussetzungen für einen Verlängerungstatbestand liegen nicht vor, weil der Landesausschuss der Zahnärzte
und Krankenkassen jedenfalls bisher nicht nach § 100 Abs. 1 Satz 1 SGB V festgestellt hat, dass im
Planungsbereich des Klägers eine ärztliche Unterversorgung eingetreten ist oder unmittelbar droht.
Die Altersregelung nach § 95 Abs. 7 SGB ist auch rechtmäßig.
Das Bundesverfassungsgericht hält diese Altersgrenze als eine subjektive Zulassungsbeschränkung für
verfassungsgemäß. Unter Bezugnahme seiner Rechtsprechung zu anderen Altersgrenzen stellt es vor allem darauf
ab, dass die angegriffenen Regelungen auch dazu dienten, den Gefährdungen, die von älteren, nicht mehr voll
leistungsfähigen Berufstätigen ausgingen, einzudämmen (vgl. BVerfG v. 31.03.1998 - 1 BvR 2167/93, 1 BvR 2198/93
- juris Rn. 30 f. - SozR 3-2500 § 95 Nr. 17 = NJW 1998, 1776). Das Bundessozialgericht sieht demgegenüber unter
Hinweis auf die Möglichkeiten, über das 68. Lebensjahr hinaus als Vertragsarzt tätig zu sein (als Privatarzt und nach
dem Übergangsrecht), keinen Willen des Gesetzgebers, jede patientenbezogene Berufsausübung durch ältere Ärzte
als so potenziell gefährdend anzusehen, dass sie ausnahmslos zu unterbleiben hätten (vgl. BSG v. 30.06.2004 - B 6
KA 11/04 R - juris Rn. 24 - BSGE 93, 79 = SozR 4-5525 § 32 Nr. 1). Es stützt sich deshalb bei Bejahung der
Verfassungsmäßigkeit vor allem auf die Erwägung des Gesetzgebers, wonach die zur Sicherung der Finanzierbarkeit
der gesetzlichen Krankenversicherung für zwingend erforderlich gehaltene Beschränkung der Zahl der zugelassenen
Vertragsärzte nicht einseitig zu Lasten der jungen, an einer Zulassung interessierten Ärztegeneration zu verwirklichen
sei (vgl. BSG v. 25.11.1998 - B 6 KA 4/98 R - juris Rn. 29 - BSGE 83, 135 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 18; BSG v.
12.09.2001 - B 6 KA 45/00 R - juris Rn. 13 - SozR 3-2500 § 95 Nr. 32). Dies gelte auch für die Psychotherapeuten
(vgl. BSG v. 08.11.2000 – B 6 KA 55/00 R – juris Rn. 36 f. - BSGE 87, 184, = SozR 3-2500 § 95 Nr. 26). Eine
europarechtliche Dimension der Altersgrenze hat das BSG ausdrücklich verneint (vgl. BSG v. 27.04.2005 - B 6 KA
38/04 B – juris Rn. 12; BSG v. 25.11.1998 - B 6 KA 4/98 R - juris Rn. 35 - BSGE 83, 135 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 18;
s. a. LSG Hessen v. 15.12.2004 - L 7 KA 412/03 ER – juris; LSG Hessen v. 10.06.2005 - L 6/7 KA 58/04 ER – juris;
Boecken, NZS 2005, 393 ff.).
Die bisherige sozialgerichtliche Rechtsprechung sieht auch nach Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen für
Vertragszahnärzte durch das GKV-WSG und der Einfügung der Ausnahmeregelungen in § 95 Abs. 7 Satz 8 SGB V
durch das VÄndG sowie im Hinblick auf die europäische Antidiskriminierungsrichtlinie (vgl. Art. 1 und 6 EGRL
78/2000) die Altersgrenze weiterhin einhellig als rechtmäßig an (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 20.06.2007
– L 11 B 12/07 KA ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 18.09.2007 – L 11 B
17/07 KA ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de; LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 25.05.2007 – L 4 B 406/07 KA ER
– www.sozialgerichtsbarkeit.de; LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 31.01.2006 – L 4 KA 3/04 – NZS 2006, 559; LSG
Baden-Württemberg, Beschl. v. 23.10.2006 – L 5 KA 4343/06 ER-B – juris; LSG Bayern, Urt. v. 19.07.2006 – L 12 KA
9/06 – (Revision anhängig: B 6 KA 41/06 R); LSG Hamburg, Urt. v. 28.02.2007 – L 2 KA 2/06 –
www.sozialgerichtsbarkeit.de ; LSG Hamburg, Urt. v. 28.06.2006 – L 2 KA 1/06 – www.sozialgerichtsbarkeit.de; LSG
Hessen, Beschl. v. 15.03.2006 – L 4 KA 32/05 – juris; LSG Hessen, Beschl. v. 10.06.2005 - L 6/7 KA 58/04 ER –
MedR 2006, 237; LSG Hessen, Beschl. v. 15.12.2004 – L 7 KA 412/03 ER – juris; SG PI., Urt. v. 31.03.2006– S 8 ER
68/06 KA – juris; anders z. T. die Literatur, s. Arnold, MedR 2007, 143 ff.; Boecken, NZS 2005, 393 ff.).
LSG Nordrhein-Westfalen hat in seinem Beschluss v. 20.06.2007 – L 11 B 12/07 KA ER –, a.a.O. ausgeführt:
"Der Senat hält ungeachtet der neueren Rechtsentwicklung die genannten Entscheidungen nicht für überholt.
Das BVerfG hat bei seiner Entscheidung maßgeblich darauf abgestellt, dass wie alle Altersgrenzen, die die
Berufsausübung beschränken, die Regelung dazu diene, Gefährdungen, die von älteren, nicht mehr voll
leistungsfähigen Berufstätigen ausgehen, einzudämmen. Dabei hat das BVerfG gemeint, es entspreche der
allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Gefahr einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit mit zunehmenden Alter
größer werde. Ob für den Gesetzgeber dieser Aspekt des Gesundheitsschutzes für die Einführung der Altersgrenze
maßgeblich war (verneinend etwa Hencke in Peters, Handbuch der Krankenversicherung - SGB V, § 95 Randnr. 45),
hat das BVerfG für unerheblich erachtet. Von daher ist es irrelevant, ob sich aus der Einfügung der Sätze 8 und 9 in §
95 Abs. 7 SGB V durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz ((VÄndG) vom 22.12.2006, BGBl. I, 3429) ergeben
soll, dass der Gesetzgeber im Rahmen des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V nicht auf den Gesundheitsschutz abstellt und
daher unter diesem Aspekt die Altersgrenze nicht gerechtfertigt werden könne (so aber Arnold MedR 2007, 143, 146).
Unabhängig davon kann auch aus einer Ausnahme von der allgemeinen Altersgrenze nicht geschlossen werden, der
Gesetzgeber sehe offenkundig doch keine Gefährdung für den Gesundheitsschutz durch eine Tätigkeit älterer Ärzte.
Da den Patienten auch durch die mit einer Unterversorgung verbundenen Wartezeiten gesundheitliche Gefahren
drohen, hat der Gesetzgeber diese beiden Risiken gegeneinander abzuwägen. Insoweit mag der Gesetzgeber zur
Sicherstellung der Versorgung der Versicherten in unterversorgten Gebieten es hinnehmen, dass die erforderliche
Versorgung auch von älteren Ärzten übernommen wird und für diese Einzelfälle es den Zulassungsgremien überlassen
werden kann, ggfs. bei Bekanntwerden von altersbedingten Einschränkungen die Zulassung unter dem Gesichtspunkt
der fehlenden Eignung (§ 27 i. V. m. § 21 ZV-Ärzte/ZV-Zahnärzte) zu entziehen und so Gesundheitsgefahren
abzuwehren. Wenn er insoweit für Ausnahmefälle dem Sicherstellungsgedanken den Vorrang einräumt, bedeutet dies
nicht, dass damit auch die auf eine typische Gestaltung gestützte allgemeine Regelung obsolet würde (so auch LSG
Schleswig-Holstein, Beschluss vom 25.05.2007 a.a.O.).
Das BSG hat die Altersgrenze (auch) unter dem Gesichtspunkt einer gerechten Lastenverteilung zwischen den bereits
zugelassenen Ärzten und der jungen, an einer Zulassung interessierten Ärztegeneration gebilligt, damit die vom
Gesetzgeber zur Finanzierbarkeit der GKV für erforderlich gehaltene Beschränkung der Zahl der Vertrags(zahn)ärzte
nicht nur zu Lasten der jüngeren Ärzte verwirklicht werde. Wenn in diesem Zusammenhang eingewandt wird, die
Höchstaltersgrenze sei als arbeitsmarktpolitisches Instrument zur Verteilung der Vertragsarztsitze ungeeignet, weil
bundesweit für jede Facharztgruppe offene Planungsbereiche vorhanden seien (so Boecken NZS 2005, 393, 397; ihm
folgend Eichenhofer in der vom Ast vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme, S. 10) ist dem entgegenzuhalten,
dass es fragwürdig erscheint, junge Ärzte auf Zulassungsmöglichkeit in unattraktiven Bereichen zu verweisen, um
den bereits etablierten Ärzten in den für eine Niederlassung als besonders attraktiv angesehenen Gebieten, für die
regelmäßig Zulassungsbeschränkungen bestehen, diese Vorteile zu erhalten. Allein die Streichung des § 102 SGB V
durch das VÄndG zum 01.01.2007 ändert nichts an der Tragfähigkeit der Begründung des BSG, da die Streichung der
- ohnehin nie umgesetzten - Bedarfszulassung nicht die weiterhin nach § 103 SGB V anzuordnenden
Zulassungsbeschränkungen berührt.
Diese Zulassungsbeschränkungen gelten allerdings seit dem 01.04.2007 nicht mehr für den Bereich des
Vertragszahnarztrechts. Durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ((GKV-WSG) vom 26.03.2007, BGBl. I, 378)
sind in § 101 SGB V ein Abs. 6, in § 103 SGB V ein Abs. 8 und in § 104 SGB V ein Abs. 3 eingefügt worden, wonach
die Regeln über die Zulassungsbeschränkungen für Zahnärzte nicht gelten. Begründet hat der Gesetzgeber die
Aufhebung der Zulassungsbeschränkung damit, dass für den Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung auf die
Steuerung durch zwingende Zulassungsbeschränkungen verzichtet werden könne, weil in diesem Bereich sich zum
Einen das Problem der Überversorgung nicht so stelle, zum Anderen auch die Gefahr von angebotsinduzierter
Versorgung nicht so gegeben sei (BT-Drucksache 16/3100, S. 135).
Die Altersgrenze von 68 Jahren kann somit im zahnärztlichen Bereich nicht mehr im Zusammenhang mit der
Beschränkung des Zugangs zum System der GKV als flankierende Maßnahme zur Entlastung jüngerer Ärzte gesehen
werden. Allerdings hat der Gesetzgeber ungeachtet der genannten Gesetzesänderungen, in deren Zusammenhang
auch noch der Wegfall der Altersgrenze von 55 Jahren für die Zulassung (§ 98 Abs. 2 Nr. 12 SGB V, § 25 ZV-
Ärzte/Zahnärzte, jeweils in der bis zum 31.12.2006 geltenden Fassung, gestrichen zum 01.01.2007 durch das VÄndG)
zu nennen ist, an der Altersgrenze für die Beendigung der Vertrags(zahn)arzttätigkeit festgehalten. Zu Recht hat das
Sozialgericht darauf hingewiesen, dass dieser aktuelle gesetzgeberische Wille zu beachten ist. Trotz des Wegfalls der
Zulassungsbeschränkung im zahnärztlichen Bereich lässt sich die Altersgrenze auch weiterhin als Mittel
arbeitsmarktpolitischer Verteilungsgerechtigkeit zwischen jüngeren und älteren Ärzten rechtfertigen. Es ist nämlich zu
berücksichtigen, dass die Zahnärzte mit der Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung an einem von
Anderen finanzierten System partizipieren. Dieses bietet ihnen insoweit Vorteile, als es ihnen Honoraransprüche in
dem für die Aufrechterhaltung der Existenz notwendigen Umfang als angemessene Vergütung garantiert. Von daher
scheint es gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber dieser Teilnahme am System ein zeitliches Ende setzt und damit die
Chancen der jüngeren Ärzte, ihrerseits ihr Einkommen in diesem Versorgungssystem zu finden, verbessert. Dies gilt
vor allem für die für eine Niederlassung als attraktiv angesehenen Gebiete, wo zudem zu erwarten sein dürfte, dass
hier Ärzte über das 68. Lebensjahr hinaus an der Teilnahme interessiert sind. In diesen Bereichen würden sich die
wirtschaftlichen Bedingungen der "Newcomer" bei einer hohen Versorgungsdichte verschlechtern. Bereits oben ist
darauf hingewiesen worden, dass es demgegenüber nicht überzeugt, mit dem Argument, die jüngeren Ärzte könnten
sich in - unattraktiven - anderen Bereichen niederlassen, die Erforderlichkeit der Altersgrenze zu verneinen. Vielmehr
erscheint die Altersgrenze als verteilungspolitisches Instrument zur Erhaltung der Berufschancen der nachrückenden
Generationen gerechtfertigt. Insoweit dürfte es auch nicht unverhältnismäßig sein, wenn der Gesetzgeber Ärzten, die
schon jahrzehntelang von den Vorteilen des Versorgungssystems profitiert haben, zu Gunsten der Berufschancen der
erst ins System gelangenden Ärzte ab einer - im Vergleich zur noch geltenden Lebensarbeitszeitgrenze von 65 Jahren
(vgl. § 35 6. Buch Sozialgesetzbuch) weit bemessenen - Altersgrenze von 68 Jahren von der weiteren Teilnahme an
der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung ausschließt.
b) Entgegen der Ansicht des Ast kann die Unanwendbarkeit der Bestimmung des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V auch
nicht aus einem Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung hergeleitet werden.
Mit dem AGG hat der Gesetzgeber (u. a.) die EG-Richtlinie 2000/78/EG umgesetzt. Unmittelbar aus dem AGG
ergeben sich aber keine Rechtsfolgen bei unzulässigen Diskriminierungen in dem hier berührten Bereich. Das
Benachteiligungsverbot des § 33c 1. Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) gilt nur für soziale Rechte und betrifft auch nicht
das Diskriminierungsmerkmal Alter. § 19a 4. Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) betrifft die Inanspruchnahme von
Leistungen. Die §§ 15 und 21 AGG, die bei einer unzulässigen Diskriminierung Schadensersatzansprüche bzw.
Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche einräumen, gelten unmittelbar nur für das Arbeits- bzw. Zivilrecht. Im
Übrigen wäre dem Ast mit solchen Ansprüchen hier auch nicht gedient. Das AGG trifft auch keine Regelung, die die
Unanwendbarkeit entgegenstehenden "diskriminierenden" nationalen Rechts anordnet. Ein evtl. Normwiderspruch
zwischen § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V und § 1 AGG bzw. § 7 Abs. 1 AGG (sofern dieser überhaupt über § 6 Abs. 3
AGG anwendbar ist) lässt sich nach nationalem Recht nicht lösen. Angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber
auch nach Erlass des AGG trotz der o. g. Gesetzesänderungen durch das VÄndG und das GKV-WSG an der
Altersgrenze festgehalten hat, kommt unter dem Gesichtspunkt der Zeitenfolge ein Anwendungsvorrang des AGG
gegenüber dem SGB V nicht in Betracht; ebenso wenig kann das AGG gegenüber dem Vertragsarztrecht als
speziellere Regelung angesehen werden (Husmann ZESAR 2007, 58, 62). Aus dem AGG lässt sich somit die
Unanwendbarkeit des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V nicht ableiten.
Es kann dahinstehen, ob die Richtlinie 2000/78/EG nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbare Wirkung entfaltet
(bejahend Husmann a.a.O. S. 62 f; allgemein zu den Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendung einer Richtlinie
Nettesheim in Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV (Aug. 2002), Rn. 155 ff) und daher wegen des Anwendungsvorrangs des
Gemeinschaftsrechts § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V außer Acht zu lassen ist oder ob sich aus dem Verbot der
Diskriminierung wegen Alters als einem allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts entsprechend der Ansicht
des EuGH in dem Urteil vom 22.11.2005 ("Mangold" - C 144/04, Slg. 2005, I-9981, Randziffer 75; kritisch dazu der
Generalanwalt C. in seinen Schlussanträgen vom 15.02.2007 in der Rechtssache C - 411/05, Randziffer 97) die
Unanwendbarkeit des § 97 Abs. 7 Satz 3 SGB V herleiten ließe. Es spricht nämlich nichts für die Verletzung
europäischen Rechts. Zum Einen erscheint schon zweifelhaft, ob der Richtlinie 2000/78/EG unter Berücksichtigung
des Erwägungsgrundes (14) überhaupt die Festsetzung einer Altersgrenze für die Zwangsversetzung in den
Ruhestand unterfällt (verneinend der Generalanwalt C., a. a. O., Randziffer 67) und ob dementsprechend dies auch für
die Festsetzung eines Endes der vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeit gelten würde. Zum Anderen - und dies ist
entscheidend - erlaubt auch Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG (ebenso wie § 10 Satz 1 AGG) unterschiedliche
Behandlungen wegen des Alters, wenn sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts
durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik,
Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels
angemessen und erforderlich sind. Dabei ist dem nationalen Gesetzgeber ein weiter Ermessensspielraum bei der
Wahl der Maßnahmen zur Erreichen seiner Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik einzuräumen (EuGH,
"Mangold", a. a. O., Randziffer 63). Der Generalanwalt C. (a. a. O., Randziffer 74) betont zu Recht, es könne nicht
Sache des Gerichtshofs sein, die Beurteilung des nationalen Gesetzgebers in derart komplexen Fragestellungen
durch eine eigene Beurteilung zu ersetzen. Eine solche Zensur komme höchstens bei einer offensichtlich
unverhältnismäßigen nationalen Maßnahme in Betracht. Da unter dem o. g. Gesichtspunkt der Erhaltung der
Berufschancen der jungen Arztgeneration innerhalb des Systems der GKV die Ungleichbehandlung wegen des Alters
gerechtfertigt werden kann, ist diese Entscheidung des Gesetzgebers für die Altersgrenze als nicht offensichtlich
fehlerhaft hinzunehmen.
Da das EG-Recht unterschiedliche Behandlungen aus sachlichen Gründen erlaubt, erscheint es auch
ausgeschlossen, dass eine Altersgrenze, die mit Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, gegen das
EG-rechtliche Verbot der Altersdiskriminierung verstoßen sollte. Wenn verfassungsrechtlich als gewichtige Gründe
des Allgemeinwohls anzusehende Ziele eine Einschränkung der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) rechtfertigen (womit
zugleich auch ein sachlicher Grund i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG für die vorgenommene Ungleichbehandlung gegeben ist,
vgl. BVerfG SozR 3-2500 § 95 Nr. 17 unter Hinweis auf BVerfGE 78, 155, 164), müssen diese Ziele im Licht des dem
Gesetzgebers nach dem Gemeinschaftsrecht eingeräumten Gestaltungsspielraums auch im Rahmen des Art. 6 Abs.
1 Richtlinie 2000/78/EG eine Ungleichbehandlung wegen Alters legitimieren können. Da, wie oben dargelegt,
durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Altersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte ungeachtet der
Rechtsentwicklung nicht bestehen, kann auch kein Verstoß gegen EG-Recht angenommen werden.
3. Der Senat kann dem Ast nicht darin folgen, dass die Rechtslage als ungeklärt anzusehen sei. Dies ergibt sich
insbesondere nicht aus dem Umstand, dass das BSG in dem zur Altersgrenze anhängigen Verfahren die
Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C - 411/05 abwarten will. Die Schlussfolgerung des Ast, für das BSG
stehe offenbar die Vereinbarkeit der Altersgrenze mit dem europäischen Recht sogar für die Zeit bis zum Erlass des
AGG in Frage, kann der Senat nicht nachvollziehen. Unabhängig davon, dass das BSG in dem Beschluss vom
27.04.2005 (a. a. O.) sich schon zur Frage der Altersdiskriminierung unter dem Gesichtspunkt des europäischen
Rechts geäußert hat, hat der Berichterstatter in dem vom Ast vorgelegten Schreiben lediglich mitgeteilt, dass die
Entscheidung des EuGH abgewartet werden solle. Diesem Schreiben lässt sich schon nicht entnehmen, dass der
Berichterstatter selbst Zweifel hat und erst recht ergibt sich daraus nichts für die Ansicht des Senats. Zudem dürften
von der Entscheidung des EuGH in der genannten Rechtssache für die hier streitige Frage kaum wesentliche
Erkenntnisse zu erwarten sein, da es dort um die Zulässigkeit tarifvertraglicher Regelungen geht, die eine
Zwangsversetzung in den Ruhestand gestatten. Ob eine solche § 10 Satz 2 Nr. 5 AGG entsprechende Bestimmung
überhaupt entsprechend auf die Situation der Vertrags(zahn)ärzte anzuwenden wäre (was Eichenhofer a. a. O. S. 8
bezweifelt) ist fraglich. Überdies ist im Rahmen des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V die Besonderheit der Teilnahme an
einem öffentlich-rechtlichen System der Gesundheitsversorgung zu berücksichtigen. Allein der Umstand, dass das
BSG die Entscheidung des EuGH abwartet, offenbar um die aktuellste Rechtsprechung des EuGH zur Altersgrenze
berücksichtigen zu können, folgt noch nicht, dass es selbst Zweifel an der Vereinbarkeit der Altersgrenze mit
europäischem Recht hat."
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 07.08.2007 -1 BvR 1941/07 - diese Entscheidung des
LSG Nordrhein-Westfalen bestätigt. Darin führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass die 68-Jahres-Altersgrenze
weder gegen Art. 3 Abs. 1 noch gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstoße. Daran hätten das VÄndG und das GKV-WSG
nichts geändert. Die Auslegung des LSG Nordrhein-Westfalen, dass das AGG die Wirksamkeit der 68-Jahre-
Altersgrenze nicht berühre und jene Regelung mit der Richtlinie 2000/78/EG vereinbar sei, sei verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden.
Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung nach eigener Prüfung und hält insofern auch an ihrer eigenen
Rechtsprechung nach den genannten Gesetzesänderungen fest (vgl. SG Marburg, Beschl. v. 23.08.2007– S 12 KA
343/07 ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de; s. a. Urt. v. 23.11.2005 – S 12 KA 38/05 – juris).
Das Fehlen einer allgemeinen Härteregelung bei der Altersgrenze stellt keine ausfüllungsfähige oder
ausfüllungsbedürftige Gesetzeslücke dar, sondern entspricht der Absicht des Gesetzgebers. Über den ausdrücklich
geregelten Ausnahmetatbestand hinaus ist die Altersgrenze damit auf alle Betroffenen anzuwenden (vgl. BSG v.
25.11.1998 - B 6 KA 4/98 R - juris Rn. 24 - BSGE 83, 135 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 18). Insofern kommt es auf die
weiter von dem Kläger geltend gemachten persönlichen Umstände nicht an.
Von daher war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung in § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der
unterliegende Teil hat die Verfahrenskosten zu tragen.