Urteil des SozG Marburg vom 17.10.2005

SozG Marburg: aufschiebende wirkung, ohne aussicht auf erfolg, job sharing, beschränkung, erlass, versorgung, anstellung, berechnungsgrundlagen, ermessen, bevorzugung

Sozialgericht Marburg
Beschluss vom 17.10.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 783/05 ER
Hessisches Landessozialgericht L 4 KA 42/05 ER
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 15.09.2005 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat der Antragsgegnerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten und trägt die
Gerichtskosten.
3. Der Streitwert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens über die Herstellung der aufschiebenden
Wirkung einer Klage gegen einen Honorarrückforderungsbescheid.
Die Antragstellerin ist als Ärztin für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A.
zugelassen. Mit Bescheid des Zulassungsausschusses vom 27.05.2003 wurde ihr die Beschäftigung der Frau Dr.
med. B. als halbtagsangestellte Ärztin gem. § 101 Abs. 1 Nr. 5 SGB V i. V. m. § 32b Ärzte-ZV genehmigt. Im
Beschluss des Zulassungsausschusses wurde der Praxisumfang nach den Richtlinien über die Beschäftigung von
angestellten Praxisärzten in der Vertragsarztpraxis festgelegt. Der Beschluss wurde bestandskräftig.
Mit Bescheid vom 24.01.2005 nahm die Antragsgegnerin eine sachlich-rechnerische Honorarberichtigung wegen
Überschreitung des Praxisumfangs vor und forderte Honorar in Höhe von 30.080,84 EUR zurück. Den hiergegen
eingelegten Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2005 zurück. Über die
hiergegen am 17.08.2005 erhobene Klage (Az: S 12 KA 637/05) wurde noch nicht entschieden.
Mit Ihrem am 15.09.2005 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt die
Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Honorarrückforderungsbescheid. Sie
trägt vor, sie unterhalte in erster Linie eine überwiegend allgemeinärztlich orientierte Praxis und substituiere zusätzlich
auch Opiatabhängige. Die Honorierung habe für diese beiden Bereiche nach dem Willen des Gesetzgebers
unterschiedlich zu erfolgen. Während die allgemeinen Leistungen gemäß § 85 Abs. 1 SGB V seitens der
Krankenkassen durch eine Gesamtvergütung pauschal abgegolten werde, seien die mit der Durchführung der
Methadonsubstitution einhergehenden Kosten gemäß § 85 Abs. 2a SGB V gesondert von den Krankenkassen
außerhalb dieser zu erstatten. Eine Kompetenz zur Beschränkung im Rahmen der Honorarverteilung bestehe nicht.
Folgerichtig sehe auch der Honorarverteilungsmaßstab der Antragsgegnerin einen zusätzlichen Vergütungsanspruch
vor und seien diese Leistungen aus der fallzahlabhängigen Quotierung auszunehmen. Aus dem Zulassungsbescheid
könne keine gegenteilige Rechtsfolge entnommen werden. Dem Zulassungsbescheid könne nicht entnommen werden,
dass nicht beschränkbare Honoraranteile contra legem einer Beschränkung unterzogen werden sollten. Die
Beschränkung der Leistungen könne allein auf die Leistungen bezogen werden, die aus dem "Topf" der
Gesamtvergütung zu honorieren seien. Die Angestellte-Ärzte-Richtlinien bezögen sich ausdrücklich nur auf
Regelungen hinsichtlich der Höhe der Gesamtpunktzahlvolumina und damit auf eine Begrenzung der budgetierten
Arztleistungen. Wäre die Antragsgegnerin auf diese Weise vorgegangen, hätte sie das ihr zugestandene
Gesamtpunktzahlvolumen nicht überschritten. Ihre damit verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten belegten die
betriebswirtschaftlichen Kurzberichte ihres Steuerberaters für die Monate Januar bis Juni 2005. Allein für die
Durchführung der Methadonsubstitution entstünden ihr Kosten von durchschnittlich 5.656,66 EUR im Monat.
Die Antragstellerin beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 17.08.2005 gegen den
Rückforderungsbescheid vom 24.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2005 bis zu einer
bestandskräftigen Entscheidung anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Überschreitung der auch von der Antragstellerin anerkannten Punktzahlobergrenze im
bestandskräftigen Bescheid des Zulassungsausschusses. Die Angestellte-Ärzte-Richtlinien sähen eine Ausnahme für
den Bereich der Methadon-Substitution nicht vor. Einen danach möglichen Antrag zur Neubestimmung habe die
Antragstellerin nicht gestellt. Sie habe auch die Abschlagszahlungen ab dem 17. März lediglich von 15.000 EUR auf
13.000 EUR reduziert, weshalb eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz für sie nicht erkennbar sei.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist grundsätzlich zulässig. Das Gericht der Hauptsache kann auf
Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die
aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§ 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG).
Die Klage gegen die Honorarfestsetzung sowie ihre Änderung oder Aufhebung hat keine aufschiebende Wirkung (§ 85
Abs. 4 S. 9 SGB V). Bei dem angefochtenen Bescheid handelt es sich um eine sachlich-rechnerische Richtigstellung,
der die Honorarfestsetzung betrifft.
Der Antrag ist aber nach Aktenlage ohne Aussicht auf Erfolg. Die Kammer geht dabei davon aus, dass zwischen den
Beteiligten unstrittig ist, dass der Bescheid des Zulassungsausschusses bestandskräftig ist und dass das von der
Antragstellerin abgerechnete Honorarvolumen das im Bescheid des Zulassungsausschusses genannte
Leistungsvolumen überschritten hat, was die entsprechende Honorarrückforderung in Höhe von 30.080,84 EUR ergibt.
Strittig ist zwischen den Beteiligten lediglich die Frage, ob die Leistungen der Methadonsubstitution ganz oder
teilweise bei der Berechnung des maßgeblichen Punktezahlvolumens auf der Grundlage des Bescheids des
Zulassungsausschusses zu berücksichtigen ist. Der Zulassungsbescheid des Zulassungsausschusses bindet nicht
nur die Antragstellerin, sondern auch die Antragsgegnerin. Sie ist bei der Festsetzung des Honoraranspruchs an eine
bestandskräftige Beschränkung des Leistungsumfangs aufgrund eines sogenannten Job-Sharings gebunden. Hierauf
weist die Antragsgegnerin zutreffend im angefochtenen Widerspruchsbescheid hin.
Die auf der Grundlage der §§ 95 Abs. 9, 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V ergangene Angestellte-Ärzte-Richtlinien
unterscheidet nicht nach der Art der Leistung bei der Berechnung des Punktezahlvolumens. Die Begrenzung des
Leistungsvolumens erfolgt vor allem deshalb, weil die Anstellung eines Arztes gerade auch in wegen Überversorgung
gesperrten Zulassungsbereichen ermöglicht wird. Der im Rahmen des Job-Sharing angestellte Arzt wird nicht mehr bei
der Bedarfsplanung berücksichtigt, weshalb eine Leistungsausweitung nur in ganz engen Grenzen möglich ist. Diese
Begrenzung des Leistungsumfangs ist unabhängig davon, wie und weshalb eine Vergütung gezahlt wird, sondern folgt
letztlich der Bedarfsplanung für die vertragsärztliche Versorgung.
Hinzu kommt, dass Änderungen gegenüber dem Zulassungsausschuss geltend gemacht werden müssen. Nur auf
Antrag des Vertragsarztes sind die Gesamtpunktzahlvolumina neu zu bestimmen, wenn Änderungen des EBM oder
vertragliche Vereinbarungen, die für das Fachgebiet der Arztgruppe maßgeblich sind, spürbare Auswirkungen auf die
Berechnungsgrundlagen haben. Auch die Antragsgegnerin oder die Landesverbände der Krankenkassen und die
Verbände der Ersatzkassen können eine Neuberechnung beantragen, wenn Änderungen der Berechnung der für die
Obergrenzen maßgeblichen Faktoren eine spürbare Veränderung bewirken und die Beibehaltung der durch den
Zulassungsausschuss festgestellten Gesamtpunktzahlvolumina im Verhältnis zu den Ärzten der Fachgruppe eine
nicht gerechtfertigte Bevorzugung/Benachteiligung darstellen würde (Nr. 3.3 der Angestellte-Ärzte-Richtlinien). Eine
Entscheidung hierüber obliegt aber weder der Antragsgegnerin noch dem Gericht. Insofern besteht eine Bindung an
die Entscheidung des Zulassungsausschusses, solange der Zulassungsausschuss das zulässige
Gesamtpunktzahlvolumen nicht geändert hat.
Soweit die Antragstellerin auf die Bestimmungen zur Zahlung der Gesamtvergütung (§ 85 Abs. 1 und Abs. 2a SGB V)
verweist, so betreffen diese Regelungen ausschließlich das Verhältnis von den Krankenkassen zu den
Kassenärztlichen Vereinigungen. Es kann dahin stehen, ob hieraus überhaupt Folgerungen für die Vornahme der
Honorarverteilung nach § 85 Abs. 4 SGB V gezogen werden können; Besonderheiten für die letztlich auf der
Bedarfsplanung beruhende Zulassung eines angestellten Arztes unter Beschränkung des Praxisumfanges folgen
daraus nicht. Etwaigen Besonderheiten tragen die Angestellte-Ärzte-Richtlinien mit der Möglichkeit einer Erweiterung
des Praxisumfanges auf Antrag hinreichend Rechnung.
Die von der Antragstellerin angeführte Entscheidung des Bundessozialgerichtes (BSG, Urteil vom 10. Dezember
2003, Az: B 6 KA 54/02 R, SozR 4-2500 § 85 Nr. 5 = BSGE 92, 10 = GesR 2004, 325 = Breith 2004, 819 = NZS
2004, 612) betrifft Regelungen eines Honorarverteilungsmaßstabs. Solche stehen hier aber nicht in Streit. Im Übrigen
fordert das BSG darin Ausnahmeregelungen für Praxen in der Aufbauphase und für (sonstige) Praxen, die
unterdurchschnittlich abrechnen. Hier hat die Antragstellerin aber eine weitere Ärztin angestellt, wofür, unabhängig von
der Honorarverteilung, eine Begrenzung des Leistungsumfanges Voraussetzung ist.
Ob ein Anordnungsgrund besteht, kann angesichts des Fehlens eines Anordnungsanspruchs dahinstehen.
Nach allem war der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den gesetzlichen Vorgaben.
Für das Klageverfahren gilt das Gerichtskostengesetz i. d. F. des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts
(Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG) vom 05.05.2004, BGBl. I S. 718. Das Prozessgericht setzt den
Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten
Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt (§ 63 Abs. 2 Satz 1 GKG). In Verfahren vor den
Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem
Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und
Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00
Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG).
Auszugehen war vom Berichtigungsbescheid über 30.080,84 EUR. Im Falle eines Erfolges dieses Verfahrens
bräuchte die Antragstellerin den Betrag vorläufig nicht zu zahlen. Der Wert ist daher nach den grob geschätzten
Zinskosten (10 %) für die Dauer von einem Jahr für das Hauptsacheverfahren in erster Instanz zu bemessen. Dies
ergab den festgesetzten Wert.