Urteil des SozG Marburg vom 30.08.2006

SozG Marburg: job sharing, berufliche tätigkeit, vertragsarzt, befreiung, versorgung, stationäre behandlung, vertreter, persönliche verhältnisse, rka, sicherstellung

Sozialgericht Marburg
Urteil vom 30.08.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 944/05
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten und die Gerichtskosten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme am organisierten Notdienst der Beklagten.
Der 1951 geb. und jetzt 55-jährige Kläger ist als Frauenarzt mit Praxissitz in A. zur vertragsärztlichen Versorgung
zugelassen. Seit 01.01.2002 ist er mit Frau Dr. UH. in Gemeinschaftspraxis auf der Grundlage eines sog. Job-
Sharings tätig.
Am 05.01.2004 beantragte der Kläger die Befreiung vom allgemeinen medizinischen Notfalldienst. Er legte eine
Ärztliches Attest des Dr. med. S, Facharzt für HNO-Heilkunde mit Datum vom 21.10.2004 sowie der Frau Dr. med. G,
Internistin und Kardiologin, mit Datum vom 18.05.2004 vor und trug vor, wegen eines Hörsturzes habe er seine Arbeit
im vergangenen Jahr vorübergehend einstellen müssen. Ein Belastungs-EKG habe bereits in der Anfangphase
abgebrochen werden müssen. Er habe bereits eine Kollegin im Job-Sharing-Verfahren integriert und damit bewusst auf
einen Teil seines Einkommens verzichtet. Hilfsweise möchte er der Notdienstgemeinschaft Wetzlar zugeordnet
werden und nicht dem Bereich A./W ... Seine Praxis befinde sich am Ortsrand von A.; sie habe keine
Übernachtungsmöglichkeit. Er wohne jedoch in H ...
Mit Bescheid vom 17.08.2004 lehnte die Bezirksstelle LL. der Beklagten eine Befreiung vom ärztlichen Notdienst ab.
Trotz seiner Beeinträchtigung könne der Kläger die tägliche vertragsärztliche Tätigkeit wahrnehmen. Er könne sich
auch einen Vertreter auf eigene Kosten nehmen.
Hiergegen legte der Kläger am 15.09.2004 Widerspruch ein. Er trug vor, es liege ein Ausnahmefall nach § 3 Ziff. 2 der
Notdienstordnung vor. Aufgrund seiner mit den Attesten nachgewiesenen Erkrankungen sei die Praxis erheblich
zurückgeschraubt worden. Er habe eine Job-Sharing-Assistentin. Er habe seine Sprechstundentätigkeit um 40 %
reduziert, da er am Mittwoch und Freitag keine Sprechstunde mehr durchführe. Vor Eintritt der Job-Sharing-
Assistentin im Jahr 2001 habe seine Fallzahl etwa 1.900 Fälle/Quartal betragen, nach deren Eintritt seien diese
Zahlen mit Ausnahme des Quartals II/02 nicht wieder erreicht worden. Im Quartal IV/04 sei die Fallzahl auf 1.400
Behandlungsfälle zurückgegangen. Der Befreiungstatbestand setze nicht voraus, dass keine vertragsärztliche
Tätigkeit mehr möglich sei. Es könne auch nicht eine kostenpflichtige Vertreterbestellung verlangt werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2005, dem Kläger zugestellt am 28.09., wies die Beklagte den Widerspruch
zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei zur Teilnahme am allgemeinen Notdienst verpflichtet. Ein
Befreiungstatbestand liege nicht vor. Die Fallzahlen der Praxis des Klägers lägen im Quartal III/04 um 180 Fälle über
dem Durchschnitt der Fachgruppe und im Quartal IV/04 um 235 Fälle darüber. Im Quartal II/02 habe sich der Hörsturz
ereignet, dennoch sei es ein Quartal mit den am meisten abgerechneten Fällen (1.920). Im Arztregister seien auch
weiterhin Sprechzeiten für Mittwoch und Freitag, jeweils 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr, angegeben. Es bestehe die
Möglichkeit einer Vertreterbestellung. Im Zeitraum I/04 bis I/05 sei er zweimal zum Notdienst eingeteilt worden (I und
IV/04). Es sei ihm daher zuzumuten, die Dienste auf eigene Kosten von einem Vertreter wahrnehmen zu lassen. Als
Vertreter käme zunächst die Job-Sharing-Partnerin in Betracht.
Hiergegen hat der Kläger am 14.10.2005 die Klage erhoben. Er trägt ergänzend vor, bei den Diensten im März und
Oktober 2004 habe es sich um den Wochenend-Hintergrunddienst gehandelt. Tatsächlich sei er zu erheblich mehr
Notdiensten eingeteilt worden, wie sich aus den von ihm eingereichten Dienstplänen ergebe. Sämtliche Dienste seien
auf seine Kosten von einer Vertreterin übernommen worden. Diese habe die Dienste von ihrem Wohnort ausführen
können. Er reichte einen weiteren Befundbericht der Frau Dr. G mit Datum vom 22.02.2006 und des Herrn S vom
27.02.2006 ein. Danach sei seine Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Von einer Teilnahme am ärztlichen
Notdienst werde abgeraten.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 17.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2005
aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn von der Teilnahme am organisierten allgemeinen Notdienst zu
befreien.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, am organisierten allgemeinen
Notdienst nähmen grundsätzlich alle niedergelassenen Vertragsärzte teil. Eine Befreiung sei möglich, wenn der
Vertragsarzt aus gesundheitlichen Gründen zu einer Tätigkeit im organisierten Notdienst nicht in der Lage sei und dies
wesentliche Auswirkungen auf seine sonstige tägliche vertragsärztliche Tätigkeit habe. Es müssten beide
Voraussetzungen erfüllt sein, um eine Befreiung vom Notdienst zu erteilen. Ein Vertragsarzt habe den Notfalldienst,
der letztlich auch eine Entlastung darstelle, zumindest solange gleichwertig mitzutragen, wie er in vollem Umfang
kassenärztlich tätig sei. Es sei nicht geboten, einzelne Kassenärzte zulasten ihrer Kollegen von kassenärztlichen
Pflichten freizustellen, wenn sie im Übrigen ihrer beruflichen Tätigkeit uneingeschränkt nachgingen, also die
wirtschaftlichen Möglichkeiten des freien Berufs voll nutzten und deshalb wirtschaftlich nicht schlechter, eventuell
sogar besser gestellt seien als ihre Kollegen, auf deren Kosten sie die Freistellung begehrten. Entscheidend sei, ob
die vorgetragenen gesundheitlichen Gründe wesentliche Auswirkungen auf die von des Klägers jetzt ausgeübte
vertragsärztliche Tätigkeit im Vergleich zu anderen Ärzten der Arztgruppe habe. Eine Auswirkung auf die
Praxistätigkeit sei aus den im Widerspruchsbescheid genannten Gründen nicht festzustellen gewesen. Maßgeblich
sei auf die Fallzahl, nicht den zeitlichen Umfang der Sprechstundentätigkeit abzustellen. Die Entfernung vom Wohnort
des Klägers zu seinem Praxissitz betrage zwar 18 km. Sein Wohnort und Praxissitz beruhe aber auf seiner freien
Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und
Psychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und
Psychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 17.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
21.09.2005 ist rechtmäßig und war daher nicht aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von der
Teilnahme am organisierten allgemeinen Notdienst.
Die Beklagte hat zu Recht eine Befreiung vom allgemeinen organisierten Notdienst abgelehnt.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen haben die vertragsärztliche
Versorgung in dem in § 73 Abs. 2 bezeichneten Umfang sicherzustellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden
gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und
vertraglichen Erfordernissen entspricht. Die Sicherstellung umfasst auch die vertragsärztliche Versorgung zu den
sprechstundenfreien Zeiten (Notdienst), nicht jedoch die notärztliche Versorgung im Rahmen des Rettungsdienstes,
soweit das Landesrecht nichts anderes bestimmt (§ 75 Abs. 1 Satz 1 und 2 Sozialgesetzbuch, V. Buch, Gesetzliche
Krankenversicherung - SGB V -). Zur Erfüllung ihrer Pflichten hat die Beklagte die hier anzuwendende und ab
01.10.2002 gültige Notdienstordnung erlassen, bekannt gegeben durch die Bekanntmachung vom 20.09.2002 (Teil I),
geändert durch Beschluss der Abgeordnetenversammlung vom 24.11.2004, bekannt gegeben als Anlage 1 zum
Landesrundschreiben/Bekanntmachung vom 15.12.2004. Diese Notdienstordnung hat Satzungsqualität. Nach der
Notdienstordnung nehmen am organisierten allgemeinen Notdienst grundsätzlich alle niedergelassenen Vertragsärzte
an einer Notdienstgemeinschaft teil (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Notdienstordnung). Eine ggf. befristete, teilweise bzw.
vollständige Freistellung vom organisierten Notdienst kann auf Antrag eines Vertragsarztes vom Geschäftsausschuss
der zuständigen Bezirksstelle bzw. nach der Änderung vom Vorstand oder einem von ihm beauftragten Gremium u. a.
ausgesprochen werden, wenn ein Vertragsarzt aus gesundheitlichen Gründen (Krankheit oder Behinderung) hierzu
nicht in der Lage ist und dies wesentliche Auswirkungen auf seine sonstige tägliche vertragsärztliche Tätigkeit hat (§
3 Abs. 2 Buchstabe a) oder ein Vertragsarzt wegen besonders belastender familiärer Pflichten nicht nur
vorübergehend an der Teilnahme am organisierten Notdienst gehindert ist (§ 3 Abs. 2 Buchstabe d). Ein Antrag auf
Befreiung vom organisierten Notdienst gemäß Abs. 2 ist schriftlich mit entsprechender Begründung an die für die
Notdienstgemeinschaft zuständige Bezirksstelle zu richten (§ 3 Abs. 3 Notdienstordnung). Der Geschäftsausschuss
der zuständigen Bezirksstelle bzw. der Vorstand oder ein von ihm beauftragtes Gremium hat auf Antrag eines
Vertragsarztes über dessen Freistellung von der Teilnahmeverpflichtung am organisierten Notdienst zu entscheiden.
Dabei sind die unter § 3 genannten Sachverhalte zu prüfen. Bevor eine Entscheidung über eine vollständige oder
teilweise, ggf. auch zeitlich begrenzte Freistellung erfolgt, ist zu prüfen ob
a) dem betreffenden Vertragsarzt eine ärztliche Tätigkeit anderer Art im Rahmen der organisierten Dienste zugemutet
werden kann. Als solche Tätigkeiten kommen insbesondere in Betracht:
aa) Bereitschaft für Notdienstleistungen in den Räumen der eigenen Praxis oder in der Notdienstzentrale bzw. an einer
dazu von der zuständigen Bezirksstelle vorgesehenen Stelle bzw. nach der Änderung vom Vorstand oder einem von
ihm beauftragten Gremium
bb) telefonische ärztliche Beratung in einer Notdienstzentrale oder Notdienstleitstelle
cc) Dienst im Rahmen der Rufbereitschaft/Hintergrundbereitschaft
dd) Bereitschaftsdienst zur konsiliarischen Unterstützung des Notarztes;
b) im Falle der Freistellung aus gesundheitlichen Gründen oder wegen körperlicher Behinderung eine nachteilige
Auswirkung der gesundheitlichen Verhältnisse auf die allgemeine berufliche Tätigkeit des Vertragsarztes festzustellen
ist;
c) dem Vertragsarzt auferlegt werden kann, die Dienste auf eigene Kosten oder zumindest mit dessen
Kostenbeteiligung von einem eigenen Vertreter wahrnehmen zu lassen; in diesem Fall hat die Bezirksstelle auch die
Höhe des Kostenersatzes festzulegen (§ 6 Abs. 2 Notdienstordnung).
Grundsätzlich sind alle Vertragsärzte zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst geeignet. Der Anspruch eines
Vertragsarztes beschränkt sich darauf, im Rahmen der Gleichbehandlung nicht öfters zum Notfalldienst herangezogen
zu werden als die übrigen Ärzte.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat wiederholt betont, dass es sich bei der Sicherstellung eines ausreichenden Not-
und Bereitschaftsdienstes um eine gemeinsame Aufgabe der Vertragsärzte handelt, die nur erfüllt werden kann, wenn
alle zugelassenen Ärzte unabhängig von der Fachgruppenzugehörigkeit und sonstigen individuellen Besonderheiten
und ohne Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Personen oder Gruppen gleichmäßig herangezogen werden
(vgl. BSG, Urt. v. 18.10.1995 - 6 RKa 66/94 - USK 95124 = juris Rdnr. 15).
Der in der Notfalldienstverpflichtung liegende Eingriff in die Berufsfreiheit ist auch dann hinzunehmen, wenn er für den
einzelnen Vertragsarzt besondere, über das übliche Maß hinausgehende Unannehmlichkeiten und Erschwernisse mit
sich bringt. Erst beim Vorliegen schwerwiegender Gründe kann die Grenze der Zumutbarkeit überschritten und eine
Befreiung des Betroffenen geboten sein (vgl. BSG, Urt. v. 18.10.1995 - 6 RKa 66/94 - USK 95124 = juris Rdnr. 15).
Die KV muss auf Erfüllung der Verpflichtung nicht bestehen, wenn genügend Kassenärzte freiwillig teilnehmen, kann
allerdings die nicht teilnehmenden Vertragsärzte zur Finanzierung heranziehen (vgl. BSG, Urt. v. 03.09.1987 - 6 RKa
1/87 - SozR 2200 § 368m Nr. 4 = juris Rdnr. 17). Auch Fachärzte sind grundsätzlich geeignet zur Teilnahme am
Notfalldienst (vgl. BSG, Urt. v. 15.04.1980 - Az: 6 RKa 8/78 - USK 8055 m.w.N. = juris Rdnr. 12). Beruft sich ein
Facharzt auf einen Eignungsverlust, so trägt er hierfür die Feststellungslast (vgl. BSG, Urt. v. 15.04.1980 - Az: 6 RKa
8/78 - USK 8055 m.w.N. = juris Rdnr. 12; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 08.12.2004 – L 10 KA 5/04 –
www.sozialgerichtsbarkeit.de.). Es besteht auch eine Pflicht zur Fortbildung für eine Tätigkeit im Notdienst (vgl. BSG,
Urt. v. 15.04.1980 - Az: 6 RKa 8/78 - USK 8055 m.w.N. = juris Rdnr. 12; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 08.12.2004
– L 10 KA 5/04 – www.sozialgerichtsbarkeit.de; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.07.2003 – L 5 KA 3081/02 – juris
Rdnr. 22).
Ausnahmen von der Teilnahmeverpflichtung können als Ermessensvorschrift ausgestaltet werden (vgl. BSG, Urt. v.
11.06.1986 - 6 RKa 5/85 - MedR 1987, 122 = juris Rdnr. 12). Das BSG hat eine Bestimmung, nach der bei der
Entscheidung über eine völlige, teilweise und zeitweilige Freistellung vom Notfallvertretungsdienst u. a. stets zu
prüfen ist, ob dem Arzt aufgegeben werden kann, den Notfallvertretungsdienst auf eigene Kosten von einem
geeigneten Vertreter wahrnehmen zu lassen, mit höherem Recht als vereinbar angesehen. Aus übergeordnetem Recht
ergibt sich nicht, dass auf diese Prüfung zu verzichten ist, wenn der persönlichen Teilnahme am
Notfallvertretungsdienst gesundheitliche Gründe entgegenstehen. Vielmehr lässt sich mit dem übergeordneten Recht
vereinbaren, die Freistellung vom Notfallvertretungsdienst zusätzlich von beruflichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen des Arztes, insbesondere von seinem Honorarumsatz abhängig zu machen. Das Kassenarztrecht
überträgt die ärztliche Versorgung der Versicherten denjenigen freiberuflich tätigen Ärzten, die dazu bereit sind. Mit
der auf ihren Antrag hin ausgesprochenen Zulassung übernehmen die Ärzte die Sicherstellung der kassenärztlichen
Versorgung. Die Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung ist nicht auf gewisse Zeiträume (z. B.
Sprechstunden, Werktage) beschränkt, sondern muss auch in zeitlicher Hinsicht umfassend sein ("rund um die Uhr").
Die Erfüllung dieser Aufgabe macht es, wenn nicht anderweitig vorgesorgt, erforderlich, für bestimmte Zeiten
(insbesondere für die Wochenenden) einen Notfallvertretungsdienst zu organisieren. Da es sich um eine gemeinsame
Aufgabe aller Kassenärzte handelt, sind auch alle Kassenärzte zur Mitwirkung heranzuziehen, und zwar in einer alle
gleichmäßig belastenden Weise. Persönliche Verhältnisse des einzelnen Arztes bleiben dabei grundsätzlich
unberücksichtigt. Ein Kassenarzt hat den Notfallvertretungsdienst, der für ihn auch eine Entlastung darstellt,
zumindest solange gleichwertig mitzutragen, wie er in vollem Umfange kassenärztlich tätig ist. Es ist nicht geboten,
einzelne Kassenärzte zu Lasten ihrer Kollegen von kassenärztlichen Pflichten freizustellen, wenn sie im Übrigen ihrer
beruflichen Tätigkeit uneingeschränkt nachgehen, also die wirtschaftlichen Möglichkeiten des freien Berufes voll
nutzen und deshalb wirtschaftlich nicht schlechter, eventuell sogar besser gestellt sind als ihre Kollegen, auf deren
Kosten sie die Freistellung begehren. Es ist daher mit den Grundsätzen des Kassenarztrechts vereinbar, wenn die
Freistellung von der gemeinsamen Aufgabe des Notfallvertretungsdienst nicht allein von den gesundheitlichen
Verhältnissen des Kassenarztes, sondern auch davon abhängig gemacht wird, ob die gesundheitlichen Verhältnisse
sich nachteilig auf die allgemeine berufliche Tätigkeit des Arztes auswirken, z.B. dass sie zu einer deutlichen
Einschränkung der Praxisausübung geführt oder dem Kassenarzt aufgrund seiner Einkommensverhältnisse (des
Honorarumsatzes) nicht mehr zugemutet werden kann, den Notfallvertretungsdienst auf eigene Kosten von einem
Vertreter wahrnehmen zu lassen (vgl. BSG, Urt. v. 11.06.1986 - 6 RKa 5/85 - MedR 1987, 122 = juris Rdnr. 13).
Ausgehend hiervon sind die genannten Satzungsbestimmungen der Beklagten, insbesondere § 3 Abs. 2 Buchst. a
Notdienstordnung nicht zu beanstanden. Danach sind gesundheitliche Gründe, selbst wenn sie zur Ungeeignetheit der
Versehung des Notfallvertretungsdienstes führen sollten, nicht ausreichend, einen Befreiungstatbestand zu
begründen. Kumulativ muss hinzukommen, dass die gesundheitliche Minderleistungsfähigkeit Auswirkungen auf die
sonstige tägliche vertragsärztliche Tätigkeit hat. Soweit VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 03.11.1998 – 9 S 3399/96 –
MedR 1999, 228, 231 der Auffassung ist, die Bestellung eines Vertreters setze die Verpflichtung zur Teilnahme am
Notfalldienst auch im konkreten Einzelfall voraus, da ansonsten jede Befreiung mit dem Hinweis auf die Möglichkeit
der Vertreterbestellung verweigert werden könnte, stützt sich die Entscheidung auf hier nicht anzuwendende
berufsrechtliche Vorschriften. Daraus folgt aber nicht, dass es der Beklagten im Rahmen ihrer Satzungshoheit
verwehrt wäre, die genannte Regelung zu treffen. Das an der Auffassung des VGH Baden-Württemberg anknüpfende
obiter dictum des LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 08.12.2004 – L 10 KA 5/04 – www.sozialgerichtsbarkeit.de,
Ausdruck S. 5, wonach ein ungeeigneter Arzt nicht auf die Möglichkeit, einen Vertreter zu bestellen, verwiesen
werden könne, setzt sich – aufgrund des dortigen Streitgegenstandes folgerichtig - nicht mit der genannten BSG-
Rechtsprechung auseinander. Der Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen war aber auch aus anderen Gründen
nicht zu folgen. Mit der genannten Regelung nimmt die Beklagte den einzelnen Vertragsarzt in die Verantwortung zur
Durchführung des Notfallvertretungsdienstes. Die Regelung enthält inzident die Vermutung, dass, soweit
Auswirkungen auf die Praxistätigkeit nicht ersichtlich sind, der Vertragsarzt nicht nur in der Lage ist, seiner
Praxistätigkeit nachzukommen, sondern auch geeignet ist, den Notfallvertretungsdienst zu versehen. Fühlt er sich
subjektiv hierzu nicht in der Lage, so kann er sich – auf eigene Kosten – vertreten lassen. Führt er dennoch den
Notdienst durch, so obliegt es ihm wie bei seiner täglichen vertragsärztlichen Tätigkeit, im Einzelfall zu entscheiden,
ob er sich selbst in der Lage sieht, die notwendige Behandlung durchzuführen oder den Patienten zu verweisen, ggf.
in stationäre Behandlung. Von daher sieht die Kammer auch kein besonderes Haftungsrisiko durch die genannte
Regelung. Letztlich kann durch die genannte Regelung jeder Arzt zur Teilnahme am Notfallvertretungsdienst
herangezogen werden, wobei es seiner Entscheidung obliegt, ob er dieser Verpflichtung persönlich oder durch
Beauftragung eines Vertreters nachkommt.
Im Hinblick auf die weitere Voraussetzung, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung keine wesentliche Auswirkung
auf die weitere Tätigkeit haben kann, sieht die Kammer auch keine Benachteiligung gesundheitlich beeinträchtigter
Vertragsärzte gegenüber nicht gesundheitlich beeinträchtigten Vertragsärzten (Art. 3 Abs. 1 GG). Die Regelung stellt
wesentlich auf den Status als freiberuflich tätiger Vertragsarzt ab, der als Selbständiger auch Verpflichtungen
nachzukommen hat. Soweit er dazu nicht selbst in der Lage ist, wird er nicht unzumutbar mit Kosten belastet. Das
wirtschaftliche Junktim stellt sicher, dass er selbst dann, wenn der Notfallvertretungsdienst nicht allein durch die darin
vom Vertreter erbrachten Leistungen erbracht werden kann, nur dann mit den zusätzlichen Kosten belastet wird, wenn
ansonsten die gesundheitliche Beeinträchtigung ohne Auswirkung auf die übrige Praxistätigkeit ist. Die Kammer hält
insoweit an ihrer bisherigen Rechtsprechung fest (vgl. SG Marburg, Urt. v. 18.01.2006 – S 12 KA 49/05 –
www.sozialgerichtsbarkeit.de, Berufung anhängig: LSG Hessen – L 4 KA 17/06 -).
Auswirkungen auf die übrige Praxistätigkeit aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigung waren nicht festzustellen.
Die Beklagte weist zu Recht auf die weiterhin überdurchschnittlichen Fallzahlen hin. Die klägerische Praxis erzielte
folgende Nettohonorare (vor Abzug von Verwaltungskosten; Angaben in Euro):
I/02 83.060,87 II/02 79.354,09 III/02 65.935,25 IV/02 68.648,84 I/03 69.789,61 II/03 69.720,83 III/03 66.441,80 IV/03
65.000,93 I/04 69.929,54 II/04 70.914,99 III/04 58.817,64 IV/04 64.382,77 I/05 59.472,35 II/05 74.803,25 III/54
58.976,70
Damit erzielt die klägerische Praxis auch ein überdurchschnittliches Honorar. In den ersten drei Quartalen des Jahres
2005 lag das Durchschnittshonorar der Fachgruppe bei 42.378,51 Euro, 48.450,01 Euro bzw. 44.334,89 Euro. Die
Kammer verkennt nicht, dass der Kläger seine früher weit überdurchschnittliche Praxis in nicht geringem Umfang
reduziert hat. Zu Recht weist aber die Beklagte darauf hin, dass die Praxis weiterhin in Bezug auf Honorar und
Fallzahl überdurchschnittlichen Umfang besitzt. Die Beschäftigung einer sog. Job-Sharing-Angestellten ist insofern
unerheblich. Grundsätzlich kann der Notdienst von einer sog. Job-Sharing- Angestellten versehen werden, da nach der
Satzung und Praxis der Beklagten der Kläger deshalb nicht vermehrt zu Notdiensten herangezogen wird, wenn auch
im konkreten Fall aufgrund der familiären Situation der Angestellten diese Möglichkeit nach der Einlassung des
Klägers in der mündlichen Verhandlung ausscheidet. Zum anderen ist auch bei Beschäftigung einer sog. Job-Sharing-
Angestellten das Honorar dem Kläger als Praxisinhaber zuzurechnen und handelt es sich bei den Kosten für die Job-
Sharing-Angestellte um Praxiskosten wie für andere Angestellte.
Im Übrigen geht die fachkundig besetzte Kammer aufgrund der im Gerichtsverfahren vom Kläger vorgelegten
ärztlichen Bescheinigungen davon aus, dass sich sein Gesundheitszustand erheblich verbessert hat und er
medizinisch gut eingestellt ist. Von daher bestehen Zweifel, ob dem Kläger bereits aus gesundheitlichen Gründen die
Versehung des Notdienstes nicht zumutbar sein sollte. Hierauf kam es letztlich aber nicht an.
Nach allem war der angefochtene Bescheid rechtmäßig und die Klage daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten
des Verfahrens.