Urteil des SozG Mannheim vom 03.06.2014

ablauf der frist, krankenkasse, therapie, ärztliche behandlung

SG Mannheim Urteil vom 3.6.2014, S 9 KR 3174/13
Gesetzlichen Krankenversicherung: Kostenübernahmepflicht für Leistungen
außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkasse bei
verspäteter Entscheidung über einen Leistungsantrag
Tenor
1. Der Bescheid vom 3.6.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
4.9.2013 wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger als Sachleistung zur Behandlung
seines Schlafapnoesyndroms eine ambulante Radiofrequenztherapie sowie eine
Laseroperation und eine Bissschiene zur Verfügung zu stellen hat.
3. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach in
voller Höhe zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nach
dem Sozialgesetzbuch V (SGB V) um die Durchführung einer ambulanten
Radiofrequenztherapie und einer Laseroperation sowie um die Bereitstellung einer
Bissschiene.
2 Der am 10.3.1968 geborene – somit 46jährige – Kläger, der bei der Beklagten
gesetzlich krankenversichert ist, leidet an einem obstruktiven
Schlafapnoesyndrom.
3 Unter Vorlage eines hals-nasen-ohren-ärztlichen Attests vom 2.4.2013 (Dr.
Erhardt, Mannheim) beantragte er wegen einer CPAP-Incompliance die
Durchführung einer Radio-frequenztherapie des Zungengrundes und die
Durchführung einer lasergesteuerten Uvulo-Palatopharyngoplastik, gegebenenfalls
in Kombination mit einer progenierenden thermolabilen Bissschiene.
4 Hierzu führte der MDK am 22.5.2013 aus, die genannten therapeutischen
Maßnahmen gehörten zu den neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden,
die nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung rechneten.
Der vertragsärztliche Therapiestandard bei dem Krankheitsbild des Klägers sei die
nasale Beatmungstherapie mit einem CPAP-Gerät (Empfehlungsgrad A),
gegebenenfalls eine Unterkieferprotrusionsschiene (Empfehlungsgrad B). Auch
wenn der Kläger dies ablehne, seien die zur Verfügung stehenden anerkannten
Therapiemethoden somit „nicht ausgeschöpft“. Eine Ausnahmeindikation nach den
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) liege nicht vor, denn es
handele sich nicht um eine lebensbedrohliche bzw. regelmäßig tödlich
verlaufenden Erkrankung.
5 Am 3.6.2013 teilte die Beklagte dem Kläger telefonisch mit, dass seinem Antrag
nicht entsprochen werden könne. Dies bestätigte die Beklagte dem Kläger am
11.6.2013 nochmals schriftlich.
6 Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 5.6.2013 Widerspruch: Er habe
große Probleme mit dem Atemgerät. Es sei allgemein bekannt, dass die CPAP-
Therapie für Patienten mit schwergradigem Schlafapnoesyndrom die einzige
erfolgversprechende Lösung sei. Bei ihm verlaufe die Erkrankung jedoch nur
„mittelmäßig“, so dass nach Auskunft seiner Ärzte die „Radio-frequenztherapie“
eine effektive Alternativlösung darstelle. Daher verstehe er die Ablehnung nicht,
denn mit dieser Alternative wäre es für die Krankenkasse „auf lange Sicht ... viel
billiger“.
7 Der Widerspruch ist jedoch erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom
4.9.2013): Die Prüfung und Feststellung, ob eine neue Behandlungsmethode dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse genüge, obliege
nicht der einzelnen Krankenkasse, sondern dem Gemeinsamen
Bundesausschuss. Solange eine neue Behandlungsmethode vom Gemeinsamen
Bundesausschuss nicht befürwortet werde, sei eine Abrechnung im Rahmen der
gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Somit scheide eine
Kostenübernahme für die streitige Therapie vorliegend schon aus grundsätzlichen
Erwägungen aus. Gleichwohl habe sich die Kasse beratend an den MDK gewandt.
Dieser habe nachvollziehbar ausgeführt, dass als vertragsärztliche Alternative die
nasale Beatmungstherapie mit einem CPAP-Gerät zur Verfügung stehen. Da das
Schlafapnoesyndrom keine schwere, regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung
darstelle, scheide auch eine Ausnahmeindikation nach den Vorgaben des BVerfG
(vgl. § 2 Abs. 1a SGB V) aus. Daher habe auch der Widerspruchsausschuss keine
Möglichkeit, dem Wunsch des Klägers zu entsprechen.
8 Am 17.9.2013 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht erhoben und beruft sich auf
seine Ausführungen im Widerspruchsverfahren: Im Jahre 2008 sei das
Schlafapnoesyndrom festgestellt worden. Diese Diagnose sei im Schlaflabor des
Klinikums Mannheim bestätigt worden. Die verordnete Schlafmaske könne er
wegen häufiger Erkältungen jedoch nicht benutzen. Deshalb verspreche er sich
von der beantragten Therapie eine „Verbesserung bzw. Erleichterung“ seiner
Erkrankung.
9 Sinngemäß gefasst beantragt der Kläger somit,
10 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3.6.2013 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 4.9.2013 zu verurteilen, zur Behandlung seines
Schlafapnoesyndroms eine ambulante Radiofrequenztherapie sowie eine
Laseroperation durchzuführen und ihm eine Bissschiene zur Verfügung zu stellen
bzw. die hierfür anfallenden Kosten zu übernehmen.
11 Die Beklagte tritt der Klage entgegen und beantragt,
12 die Klage abzuweisen.
13 Sie verweist zunächst auf ihre Ausführungen in dem angefochtenen
Widerspruchsbescheid. Auf den gerichtlichen Hinweis vom 7.10.2013 führt die
Beklagte sodann zum Ablauf des Verwaltungsverfahrens und zu § 13 Abs. 3a
SGB V folgendes aus: Der Antrag auf Übernahme der Kosten für die
Radiofrequenztherapie sei bei ihr am 17.4.2013 eingegangen. Da die Einholung
einer gutachterlichen Beurteilung erforderlich gewesen sei, habe sie den Kläger
hierüber unterrichtet. Das betreffende Gutachten des MDK sei bei der Kasse erst
am 24.5.2013 eingegangen. Die mündliche Ablehnung des Antrages sei sodann
erst am 3.6.2013 (Montag) erfolgt, denn die zuständige Sachbearbeiterin sei vom
15.5.2013 bis zum 30.5.2013 erkrankt gewesen. Zwar gelte die Leistung nach
Ablauf einer Fünfwochenfrist als genehmigt, wenn keine Mitteilung eines
hinreichenden Grundes erfolgt sei. Ein Anspruch auf Kostenerstattung bestehe in
einer solchen Situation aber nur dann, wenn sich der Versicherte nach Ablauf der
Frist die Leistung selbst beschafft habe. Mit anderen Worten: Zwischen dem die
Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand der nicht fristgerechten
Leistungsentscheidung und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) müsse ein
Ursachenzusammenhang bestehen. Dies sei nach bisheriger Kenntnis nicht der
Fall. Im Übrigen sehe § 13 Abs. 3a SGB V einen Kostenerstattungsanspruch nur
für eine „erforderliche“ Leistung vor. Nach den Gesetzesmaterialien sollten die
Versicherten durch § 13 Abs. 3a SGB V so gestellt werden, als hätte die Kasse die
Sachleistung rechtzeitig zur Verfügung gestellt. Hierdurch werde lediglich eine
Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens, nicht aber eine Ausweitung des
Leistungsspektrums bezweckt. Nach Abschluss der gerichtlichen
Beweisaufnahme ergänzt die Beklagte ihre Ausführungen zum Schluss wie folgt:
Dr. Erhardt habe bei den Diagnosen nicht angegeben, dass eine CPAP- Therapie
beim Kläger nicht durchgeführt werden könne. Seine diesbezüglichen
Ausführungen zur CPAP-Therapie seien lediglich „allgemeiner Natur“. Im Übrigen
ergebe sich aus dem Befundbericht des Universitätsklinikums Mannheim vom
4.1.2013, dass der Kläger bereits seit Januar 2008 eine CPAP-Therapie
durchführe und dass das Gerät, mit dem er seit 2009 versorgt sei, 5.412
Betriebsstunden aufweise. Der Kläger habe selbst angegeben, das Gerät „täglich“
zu nutzen, von einer „Incompliance“ sei in dem Bericht „keine Rede“. Vielmehr
heiße es dort, dass der Kläger eine „Heilung“ der obstruktiven Schlafapnoe
wünsche und dass er Angst habe, „von dem CPAP-Gerät abhängig zu werden“
und deshalb nach Alternativen suche. In dem angeführten Bericht sei auch von der
Universitätsklinik Mannheim weiterhin die Nutzung der CPAP-Therapie „als
Goldstandard“ empfohlen worden.
14 Mit Schreiben vom 18.11.2013 berichtet Dr. Erhardt als sachverständiger Zeuge
über die regelmäßige hals-nasen-ohren-ärztliche Behandlung des Klägers
(erstmals November 2008, zuletzt April 2013): Im Rahmen einer polygraphischen
Untersuchung habe sich ein obstruktives Schlafapnoesyndrom gezeigt. Darüber
hinaus bestehe eine Septumdeviation mit deutlicher Einschränkung der
Nasenatmung. Über die HNO-Klinik Mannheim sei eine CPAP-Therapie eingeleitet
worden. Darüber hinaus sei im Juli 2011 eine submuskulöse
Septumresektionsplastik durchgeführt worden. Dr. Erhardt merkt an, eine „CPAP-
Unverträglichkeit“ sei „nichts Ungewöhnliches. Zirka 40% aller Schlafapnoe-
Patienten“ litten „unter einer sogenannten CPAP-Incompliance“, seien also „nicht in
der Lage, das Gerät zu verwenden“. Auch wenn die „CPAP-Therapie ...
zweifelsohne als Goldstandardtherapie der obstruktiven Schlafapnoe“ angesehen
werde, könne es doch ohne weiteres nachvollzogen werden, „dass das
‚Aufschnallen einer Maske‘ über das Gesicht in der Nacht nicht von allen Patient
toleriert“ werde. „Das Wesen der obstruktiven Schlafapnoe“ liege darin, dass „mit
zunehmender Schlaftiefe“ nicht mehr genügend sauerstoffreiche Luft eingeatmet
werden und nicht mehr in ausreichendem Maße verbrauchte CO2-haltige Atemluft
ausgeatmet werden könne. Durch die Überdruckbeatmung mit einem CPAP-Gerät
werde dieser Effekt verhindert. Die gesundheitlichen Nachteile bzw. Risiken des
Schlafapnoesyndroms bestünden in der „nächtlichen Hypoxie“, also in einem
Sauerstoffabfall. Langfristig ergäben sich hieraus schwerwiegende internistische
Erkrankungen wie Bluthochdruck oder ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt,
Hirnschlag etc. Sämtliche Alternativtherapien versuchten, durch eine Umstellung
der Anatomie den dargestellten Effekt zu verhindern. Insbesondere bei Patienten
mit CPAP-Incomliance sei es aufgrund der geschilderten Risiken geboten, solche
Alternativen in Erwägungen zu ziehen. Für den Kläger komme mithin eine
Radiofrequenztherapie des Zungengrundes und des Weichgaumens zur
schonenden Gewebesreduktion in Kombination mit einer laserassistierten
Uvulopalatoplastik zur Straffung des Weichgaumensegels in Betracht. Falls dies
nicht ausreichen sollte, könnte ergänzend noch eine progenierende
Unterkieferprotrusionsschiene zum Einsatz kommen. Hierdurch würden Kosten
von etwa 1.300 EUR entstehen.
15 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die dem
Gericht vorliegende Verwaltungsakte der Beklagten (ein Band) und auf die
Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
16 Obwohl die streitgegenständlichen Leistungen bei materieller Betrachtung nicht
zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung rechnen (II.), hat der
Kläger nach § 13 Abs. 3a SGB V einen Anspruch auf Durchführung derselben
(III.), so dass die Klage als allgemeine Feststellungsklage zulässig (IV.) und
begründet ist (V.).
II.
17 Im Rahmen des krankenversicherungsrechtlichen Leistungskataloges (vergleiche
hierzu § 27 SGB V) dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu
Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame
Bundesausschuss - GBA (vgl. hierzu § 91 SGB V) hierzu zuvor in den
entsprechenden Richtlinien eine positive Empfehlung abgegeben hat (§ 135 Abs.
1 Satz 1 SGB V). Hierdurch wird in formalisierter Weise dem Grundsatz Rechnung
getragen, dass die krankenversicherungsrechtlichen Leistungen in Qualität und
Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
zu entsprechen haben (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Darüber hinaus wird hierdurch
auch sichergestellt, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V)
gewahrt wird. Dies hat letztlich zur Konsequenz, dass sich das Leistungsspektrum
der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der Schulmedizin bewegt und
nur solche Leistungen erfasst, die in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab
aufgenommen worden sind. Alle sonstigen Leistungen sind im Rahmen der
ambulanten Behandlung von vorneherein aus dem Leistungskatalog
ausgenommen. Die hierin liegende Beschränkung der kassenärztlichen
Leistungen ist vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) – von besonderen
Ausnahmen abgesehen (hierzu später) – ausdrücklich gebilligt worden (BVerfG,
Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98).
18 Gemessen an diesen rechtlichen Vorgaben ergibt sich, dass die vom Kläger
angestrebte Therapie (ambulante Radiofrequenztherapie, lasergesteuerte Uvulo-
Palatopharyngoplastik, gegebenenfalls zusätzlich noch eine progenierende
thermolabile Bissschiene) als neue Behandlungsmethode zu qualifizieren ist.
Denn diese Therapie hat bislang keinen Eingang in den Einheitlichen
Bewertungsmaßstab gefunden. Da eine positive Empfehlung des GBA nicht
vorliegt, kann der Kläger somit die Durchführung dieser Therapie im Rahmen der
kassenärztlichen Versorgung nicht beanspruchen. Vielmehr muss er sich auf den
kassenärztlichen „Goldstandard“ der Schlafapnoe-Behandlung, nämlich auf die
nächtliche Beatmungstherapie mit einem CPAP-Gerät, verweisen lassen.
19 Eine Ausnahmeindikation nach den Vorgaben des BVerfG liegt nicht vor. Das
BVerfG hat nämlich in seiner zitierten Entscheidung vom 6.12.2005 eine den
schulmedizinischen Leistungskatalog überschreitende Therapie im Rahmen der
gesetzlichen Krankenversicherung nur zugelassen, wenn es um die Behandlung
einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung, für
die eine dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechende
Leistung nicht (mehr) zur Verfügung steht und wenn die nicht ganz entfernt
liegende Aussicht gerechtfertigt ist, dass es durch die Außenseitermethode zu
einer Heilung oder wenigstens zu einer spürbaren positiven Einwirkung auf den
Gesundheitszustand kommen kann (vgl. hierzu jetzt auch § 2 Abs.1a SGB V).
Insoweit teilt das Gericht jedoch die Einschätzung der Beklagten, dass das
Krankheitsbild des Klägers (Schlafapnoesyndrom) trotz der weitreichenden
langfristigen gesundheitlichen Risiken nicht als lebensbedrohlich oder regelmäßig
tödlich verlaufend qualifiziert werden kann.
III.
20 Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen kann sich der Kläger jedoch
auf § 13 Abs. 3a SGB V berufen. Diese Vorschrift beruht auf dem
Patientenrechtsgesetz vom 20.2.2013 und ist zum 26.2.2013 in Kraft getreten. Sie
zielt darauf ab, die Entscheidungsprozesse der Krankenkassen im Interesse der
Patienten zu beschleunigen. Deshalb werden der Krankenkasse durch diese
Vorschrift im Verwaltungsverfahren bestimmte Fristen auferlegt, die verhindern
sollen, dass Versicherte unzumutbar lange auf eine Entscheidung warten müssen
(Beck-Online-Kommentar SGB V, § 13 Rdnr. 21a). Der spezifische Schutzzweck
dieser Norm liegt also darin, Antragsteller bzw. Versicherte in dem
grundrechtsrelevanten Bereich des Gesundheitsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1
Grundgesetz - GG) vor den Folgen eines unangemessen langen
Verwaltungsverfahrens zu schützen (Hauck/Noftz, SGB V, Loseblatt,
Ergänzungslieferung 3/2014, § 13 Rdnr. 58l). Insoweit wohnt der Vorschrift
gegenüber der zu langsam arbeitenden Krankenkasse auch eine gewisse
Sanktionswirkung inne (Prof. Ulrich Wenner, Patientenrechte im
Krankenversicherungsrecht, SGb, 2013, Seiten 162 ff.). Zusammenfassend sollen
durch die neu eingeführte Vorschrift somit aufgrund des „Schutzguts der
Gesundheit“ zu lange Verwaltungsverfahren vermieden werden. Als
angemessene Grenze definiert der Gesetzgeber pauschal eine Dauer von bis zu
fünf Wochen und nimmt nach Ablauf dieser Frist in Kauf, dass „zur Vermeidung
bleibender Gesundheitsschäden“ durch verzögerte Sachbearbeitung seitens der
Krankenkasse im Zweifel „lieber eine unwirtschaftliche Methode“ bezahlt bzw.
durchgeführt werden soll (so ausdrücklich Thorsten Vogel, Die
Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a SGB V - Ein gesetzgeberisches
Kuckucksei?, NZS, 2014, Seiten 210f.).
21 Im einzelnen:
22 Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis
zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine
gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb
von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (§ 13 Abs. 3a Satz 1 SGB
V).
23 Diese Frist ist vorliegend zweifelsohne nicht eingehalten worden, denn der dem
Klageverfahren zugrunde liegende Antrag ist bei der Beklagten (spätestens) am
17.4.2013 eingegangen. Somit ist die hier maßgebliche fünfwöchige
Entscheidungsfrist (spätestens) am 22.5.2013 (Mittwoch) abgelaufen (zur
Fristberechnung vgl. § 26 Abs. 2 und 3 Sozialgesetzbuch X - SGB X). Tatsächlich
hat die Beklagte ihre Entscheidung jedoch erst nach Ablauf dieser Frist getroffen
und den Kläger erst am 3.6.2013 (telefonisch) bzw. am 11.6.2013 (schriftlich)
mitgeteilt.
24 Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Fristüberschreitung auf einer
Erkrankung der zuständigen Sachbearbeiterin beruht, denn die Beklagte hat den
Kläger nicht über die krankheitsbedingte Verzögerung der Angelegenheit
informiert (vgl. hierzu § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V).
25 Folglich kommt vorliegend § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V zum Tragen. Diese
Vorschrift lautet:
26 Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach
Ablauf der Frist als genehmigt.
27 Nach Auffassung des Sozialgerichts bieten weder der Wortlaut, noch der Sinn und
Zweck der zitierten Gesetzesvorschriften eine Grundlage für eine einschränkende
Auslegung. Daher scheidet es aus, die Wirkung der fiktiven Genehmigung nur auf
solche Leistungen zu erstrecken, die die Krankenkasse bei materieller
Betrachtung als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hat (so aber wohl SG
Dortmund, Beschluss vom 31.1.2014 S 28 KR 1/14 ER). Denn das
Patientenrechtsgesetz zielt wie eingangs erläutert gerade darauf ab, die Rechte
der Versicherten gegenüber ihrer Krankenkasse zu stärken und die
Entscheidungsprozesse zur Gewährleistung eines umfassenden
Gesundheitsschutzes zu beschleunigen. Nach Fristablauf soll zugunsten der
Versicherten Klarheit darüber herrschen, welche Leistung von der Krankenkasse
zu erbringen ist. Dieses Ziel wird ausgehend von dem klaren Wortlaut des
Gesetzes dadurch erreicht, dass im Sinne einer „selbstvollziehenden Automatik“
die beantragte Leistung ohne weitere Handlungen des Versicherten (wie bspw.
Setzung einer Nachfrist oder ähnliches mehr) als genehmigt gilt. Diese fingierte
Genehmigung hat alle Rechtswirkungen eines tatsächlich erteilten und
bekanntgegebenen Verwaltungsakts. Sie begründet somit nicht nur eine
verfahrensrechtliche Position, die der Krankenkasse den Einwand abschneidet,
der Versicherte habe die vorherige Entscheidung der Krankenkasse nicht
abgewartet, so dass die für eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V
notwendige Kausalität zwischen der Leistungsablehnung und der
Selbstbeschaffung der Leistung durch den Versicherten fehle (vgl. zu diesem
Erfordernis bspw. BSG, Urteil vom 7.5.2013 - B 1 KR 44/12 R). Vielmehr folgt aus
ihr für den Antragsteller auch eine auf die beantragte Leistung bezogene materiell-
rechtliche Position (Hauck/Noftz, SGB V, Loseblatt, Ergänzungslieferung 3/2014, §
13 Rdnr. 58l). Zur Verwirklichung der oben dargestellten Zielsetzung wird somit
nach Ablauf der dargestellten Frist rechtswirksam unterstellt, dass der
Antragsteller die beantragte Leistung im Rahmen der kassenärztlichen
Versorgung beanspruchen kann. Dies bedeutet, dass die Krankenkasse mit allen
Einwendungen ausgeschlossen ist, die im Genehmigungsverfahren zur
Ablehnung des Antrags hätten führen können. Die Krankenkasse kann sich von
den Rechtsfolgen der fingierten Genehmigung allenfalls über den Weg einer
Rücknahme bzw. Aufhebung des Verwaltungsakts (§§ 44 ff. SGB X) lösen (dies ist
umstritten, vgl. einerseits Hauck/Noftz, SGB V, Loseblatt, Ergänzungslieferung
3/2014, § 13 Rdnr. 58l, andererseits SG Dessau-Roßlau, Urteil vom 18.12.2013 -
S 21 KR 282/13). Hierauf kommt es vorliegend letztlich aber nicht an, denn der
angefochtene Bescheid kann nicht in einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB
X umgedeutet werden (zur Umdeutung vergleiche § 43 SGB X). Denn einerseits
fehlt insoweit das notwendige Rücknahmeermessen, darüber hinaus hat die
Beklagte auch von der für eine Rücknahme zwingend erforderlichen vorherigen
Anhörung des Klägers abgesehen (§ 24 SGB X). Mittlerweile dürfte auch die
einjährige Rücknahmefrist nicht mehr offen sein (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X).
28 Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass der Kläger aufgrund
fiktiver Genehmigung einen Rechtsanspruch darauf hat, dass die Beklagte ihm die
beantragten Leistungen im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung erbringt.
29 Hieran ändern auch die Einwände der Beklagten nichts. Denn die sprachliche
Gestaltung von § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V steht der oben dargestellten
Gesetzesauslegung nicht entgegen. Die zuletzt zitierte Vorschrift lautet:
30 Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche
Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen
Kosten verpflichtet.
31 Die Verwendung der Begriffe des „Leistungsberechtigten“ und der „erforderlichen“
Leistung erlaubt es nach Auffassung des Gerichts nicht, den
Kostenerstattungsanspruch (und die Wirkungen der vorgeschalteten
Genehmigungsfiktion) an die materielle Leistungsberechtigung des Antragstellers
zu knüpfen bzw. nur auf solche Leistungen zu beschränken, die zum
Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung rechnen (so auch
Thorsten Vogel, Die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a SGB V - Ein
gesetzgeberisches Kuckucksei?, NZS, 2014, Seiten 210f.). Denn ein solches
Vorgehen würde zwangsläufig dazu führen, dass § 13 Abs. 3a SGB V entgegen
der besonderen Zielsetzung des Patientenrechtsgesetzes weitgehend „leerlaufen“
würde. Allenfalls erscheint es aufgrund der angeführten Begriffe denkbar, die
Anwendung von § 13 Abs. 3a SGB V in „Evidenz-Fällen“ auszuschließen. Hieran
mag zu denken sein, wenn eine Leistungsberechtigung gegenüber der
betreffenden Krankenkasse offenkundig nicht in Betracht kommen kann
(beispielsweise Antragstellung durch eine Person, die gar nicht Mitglied der
betreffenden Krankenkasse ist). Gleiches kann gelten, wenn die beantragte
Leistung offenkundig im Rahmen des krankenversicherungsrechtlichen
Leistungsspektrums nicht erforderlich sein kann (bspw. Antrag auf Durchführung
eines Erholungsurlaubs auf Mallorca oder Antrag auf Versorgung mit Heroin oder
anderen illegalen Drogen). Ein solcher „Evidenz-Fall“ ist vorliegend jedoch nicht
ersichtlich.
32 Unerheblich ist vorliegend ferner, dass der Eintritt der fingierten Genehmigung auf
reine Maßnahmen der Krankenbehandlung beschränkt ist und bei Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation die besonderen (im vorliegenden Zusammenhang
weniger weitgehenden) Vorschriften der §§ 14 und 15 Sozialgesetzbuch IX (SGB
IX) vorgehen (§ 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V - vgl. hierzu SG Stralsund,
Gerichtsbescheid vom 7.4.2014 - S 3 KR 112/13). Nach Auffassung des Gerichts
sind die dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Leistungen nämlich vorrangig der
ärztlichen Krankenbehandlung (Durchführung einer ambulanten Laseroperation)
bzw. der Heilmittel- und Hilfsmittelversorgung (ambulante Radiofrequenztherapie
bzw. Bissschiene) nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 3 SGB V zuzuordnen. Denn
die angeführten Maßnahmen zielen in erster Linie auf eine kausale Beseitigung
bzw. Linderung der auf dem Schlafapnoesyndrom beruhenden
Krankheitserscheinungen ab. Somit tritt der Umstand, dass zumindest das
nächtlich überdruckbeatmungspflichtige Schlafapnoesyndrom auch eine
Behinderung darstellt (vgl. § 2 SGB IX in Verbindung mit Abschnitt B.8.7 der
Versorgungsmedizinischen Grundsätze), in den Hintergrund. Denn eine in
besonderer Weise auf die Teilhabeziele ausgerichtete finale Zwecksetzung der
angeführten therapeutischen Maßnahmen ist nicht ersichtlich (zur Abgrenzung
zwischen der Krankenbehandlung nach § 27 SGB V und der medizinischen
Rehabilitation nach § 26 SGB IX, vgl. juris-PK, § 26 SGB IX Rdnrn. 19 ff.). Darüber
hinaus ist es nach Auffassung des Gerichts im Sinne einer „Meistbegünstigung“
der Versicherten (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – SGB I) geboten, bei
therapeutischen Maßnahmen, die sowohl Bezüge zu einer Krankenbehandlung
als auch Bezüge zu einer medizinischen Rehabilitation aufweisen, jeweils
diejenigen bereichsspezifischen Sondervorschriften anzuwenden, die den
Gesundheitsschutz der Versicherten umfassender bzw. besser sicherstellen
können. Anderenfalls würde nämlich das der jeweiligen gesetzlichen
Privilegierung zugrunde liegende Ziel einer Besserstellung verfehlt.
IV.
33 In prozessualer Hinsicht folgt aus dem Vorstehenden folgendes:
34 Bei sachdienlicher Auslegung des Klagebegehrens (vgl. § 123 SGG) beinhaltet
die Klage vom 17.9.2013 in Bezug auf den Bescheid vom 3.6.2013 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 4.9.2013 eine reine Anfechtungsklage (§ 54
Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz). Denn mit dem genannten Bescheid setzt sich
die Beklagte über die fingierte Genehmigung der angeführten medizinischen
Leistungen hinweg. Dies verletzt den Kläger in seinen Rechten.
35 Soweit der Kläger mit seiner Klage auch die tatsächliche Durchführung der
angesprochenen Leistungen durchsetzen möchte, scheidet ein (kombinierter)
Leistungsantrag nach § 54 Abs. 4 oder Abs. 5 SGG aus, denn es liegt bereits eine
– wenn auch nur fingierte – Genehmigung vor. Somit legt das Gericht den
Klageantrag des Klägers als Feststellungsantrag nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG aus
(so auch Thorsten Vogel, Die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a SGB V - Ein
gesetzgeberisches Kuckucksei?, NZS, 2014, Seiten 210f.).
V.
36 Daher ist die Klage erfolgreich. Dies berücksichtigt die auf § 193 SGG beruhende
Kostenentscheidung.