Urteil des SozG Lüneburg vom 08.03.2010

SozG Lüneburg: eheähnliche gemeinschaft, aufschiebende wirkung, mietvertrag, wohngemeinschaft, lebensgemeinschaft, wohnung, wahrscheinlichkeit, gerichtsakte, bekleidung, kinderbetreuung

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 08.03.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 48 AS 87/10 ER
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig unter dem Vorbehalt der Rückforderung bei
Unterliegen im Hauptsacheverfahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dem Grunde nach ohne
Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen von Herrn F. für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Juli 2010 zu zahlen.
Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Den
Antragstellern wird für die Durchführung des Verfahrens vor dem Sozialgericht Lüneburg Prozesskostenhilfe bewilligt
und Rechtsanwalt D., Lüneburg, beigeordnet. Ratenzahlung wird nicht angeordnet.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihnen
Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) ohne die
Berücksichtigung einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft mit Herrn F. zu gewähren.
Die 1979 geborene Antragstellerin zu 1. wohnt zusammen mit ihrem am 24. Dezember 2003 geborenen Sohn, dem
Antragsteller zu 2. und der am 22. November 2008 geborenen Tochter, der Antragstellerin zu 3.
Die Antragstellerin zu 1. war vom 17. September 2007 bis 31. Januar 2009 (befristet) als Produktionshelferin bei der
H. Zeitarbeit und Personalentwicklung GmbH beschäftigt. Sie bezog bis zum 29. Januar 2009 Mutterschaftsgeld
nebst einem Zuschuss des Arbeitgebers. Anschließend bezog sei bis zum 21. Januar 2010 Elterngeld. Die
Antragstellerin erhält Kindergeld je Kind von 184,- EUR und für die Antragstellerin zu 3. Leistungen nach dem
Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von 133,- EUR. Die Zahlung des Unterhaltsvorschusses für den Antragsteller zu
2. wurde mit Ablauf des 31. Januar 2010 mit Erreichen des Höchstleistungszeitraumes eingestellt.
Zum 1. März 2008 schlossen die Antragstellerin zu 1. und F. als Wohngemeinschaft einen Mietvertrag über eine 3
1/2-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 75 qm in Hohnstorf/Elbe.
Auf ihren Antrag bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellern mit Bescheid vom 27. März
2009/Änderungsbescheid vom 5. Mai 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Februar
bis 31. Juli 2009. Für den folgenden Bewilligungsabschnitt vom 1. August 2009 bis 31. Januar 2010 bewilligte sie mit
Bescheid vom 25. Juni 2009 Leistungen weiter.
Am 2. Juli 2009 führten Mitarbeiter der Antragsgegnerin einen Hausbesuch durch; insoweit wird auf den Vermerk vom
3. Juli 2009 (Bl. 83 f. Verwaltungsakte) Bezug genommen. Mit Schreiben vom 11. August 2009 teilte die
Antragsgegnerin mit, dass sie die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
vorläufig einstelle und gab der Antragstellerin Gelegenheit, einen Antrag ggf. mit der Verdienstbescheinigung des
Herrn F. einzureichen. Außerdem forderte sie Herrn F. auf, Auskunft über seine Einkünfte und Vermögen zu erteilen.
Nach Stellungnahme der Antragstellerin und des Herrn F. hob die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 2. September
2009/Widerspruchsbescheid vom 4. November 2009 die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab 1. September 2009
ganz auf. Hiergegen haben die Antragsteller am 11. November 2009 Klage vor dem Sozialgericht Lüneburg - S 31 AS
I. - erhoben. Mit Beschluss vom 6. Januar 2010 hat das Sozialgericht Lüneburg - S 44 AS J. ER - die aufschiebende
Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2. September 2009 angeordnet. Daraufhin zahlte die Antragsgegnerin
Leistungen für die Zeit vom 1. September 2009 bis 31. Januar 2010 vorläufig aus.
Am 1. Februar 2010 beantragten die Antragsteller die Weiterbewilligung der Leistungen. Daraufhin forderte die
Antragsgegnerin die Antragstellerin erneut auf, Kontoauszüge, Verdienstbescheinigungen der letzten drei Monate und
die Erklärung zum Einkommen und Vermögen von Herrn F. vorzulegen. Eine Entscheidung über den Antrag ist bisher
nicht erfolgt.
Am 15. Februar 2010 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Lüneburg erneut einstweiligen Rechtsschutz
beantragt. Sie tragen vor, sie leben in keiner Einstandsgemeinschaft mit Herrn F., sondern es handele sich um eine
Wohngemeinschaft. Das Wohn-/Esszimmer und das Kinderzimmer würden von ihnen genutzt, das Schlafzimmer von
Herrn F., jeweils unter Ausschluss des anderen, Bad, Küche und Arbeitszimmer werden gemeinsam genutzt. Sie
habe in dem Wohn-/Esszimmer eine Schlafcouch stehen, die sie jeden Abend nutze. Die Vermutung, sie lebten in
einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft sei falsch. Herr F. sei homosexuell und unterhalte eine Beziehung zu einem
anderen Mann, Herrn K ... Soweit bei dem Hausbesuch festgestellt worden war, dass sie den Kleiderschrank im
Schlafzimmer nutze, habe dies seinen Grund in den beengten Verhältnissen. Inzwischen habe sie den
Wohnzimmerschrank entrümpelt und darin den nötigen Platz für ihre Bekleidung geschaffen. Herr F. passe kurzzeitig
auf die Kinder auf, eine echte Verantwortung für die Kinder übernehme er jedoch nicht. Zur Stützung ihres Vorbringens
überreicht sie eidesstattliche Versicherungen.
Die Antragssteller beantragen, die Antragsgegnerin zu verurteilen, ihnen Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne die Berücksichtigung einer Einstandsgemeinschaft mit Herrn F. zu ge-
währen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Sie geht aufgrund des Hausbesuches weiter davon aus, dass zwischen der Antragstellerin und Herr F. eine
Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vorliege, sodass es zur Berechnung des Leistungsanspruchs der
Unterlagen des Herrn F. bedürfe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte
dieses Verfahrens, des Verfahrens S 31 AS I. und S 44 AS J. ER sowie die Leistungsakten der Antragsgegnerin
verweisen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
als Regelungsanordnung zulässig, der Antrag ist begründet.
Nach der genannten Vorschrift kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Die Anwendung der Vorschrift setzt neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung
(Anordnungsgrund) voraus, dass der Rechtsschutzsuchende mit Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte
Regelung hat (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b
Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Diese Voraussetzungen liegen vor.
Die Antragsteller haben glaubhaft gemacht, dass sie einen Anspruch auf Leistungen ohne Berücksichtigung der
Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Herrn F. haben.
Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine
Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach
verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und
füreinander einzustehen. Bereits im Beschluss vom 6. Januar 2010 S 44 AS J. ER - hat das Sozialgericht Lüneburg
ausgeführt, dass trotz des nicht eindeutigen Wortlauts damit eheähnliche, also verschieden geschlechtliche oder
partnerschaftsähnliche, also gleichgeschlechtliche (unverpartnerte) Partner gemeint sind. Das Gericht hat weiter
ausgeführt:
"Die Neufassung des Gesetzestextes zum 1. August 2006 sollte keine Abkehr von den Merkmalen, die das
Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 17. November 1992 - 1 BvL 8/87 – (BVerfGE 87, 234)
festgelegt hatte, darstellen. Danach lag eine eheähnliche Gemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau vor,
wenn diese auf Dauer angelegt war, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zuließ und sich durch
innere Bindungen auszeichnete, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründete, also über die
Beziehungen einer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinaus gehen. Es ist davon auszugehen, dass es dem
Gesetzgeber lediglich darum ging, die eheähnliche Gemeinschaft um die lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft
zu erweitern. Daher ist entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (aaO) zu fordern, dass die
Beziehung auf eine gewisse Ausschließlichkeit hin angelegt ist (Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II. 2. Auflage
2008, § 7 Rn 45). Die Antragstellerin zu 1. hat durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherungen von Herrn F. und
Herrn K. glaubhaft gemacht, dass Herr F. eine andere Beziehung führt. Die Schilderung, dass er nach Auszug seines
Bruders einen Mitbewohner gesucht hat, unterstützt das Vorbringen, ebenso wie der vorgelegte Mietvertrag."
Zu den Zweifeln, die sich aufgrund der beschriebenen Aufteilung der Wohnung ergeben, haben die Antragsteller im
Verfahren eine nachvollziehbare Erklärung gegeben. Zu Recht weisen sie daraufhin, dass eine gelegentliche
Unterstützung bei der Kinderbetreuung (Babysitting) für die Vermutungsregelung nicht ausreichend ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Den Antragstellern ist Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Verfahrens unter Beiordnung von Rechtsanwalt D.,
Lüneburg, zu bewilligen, weil das Verfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73 a SGG in Verbindung mit
§§§ 114 ff. ZPO).