Urteil des SozG Lüneburg vom 30.07.2007
SozG Lüneburg: schutz der menschenwürde, hauptsache, verwertung, bedürftigkeit, sicherstellung, niedersachsen, grundrecht, verfügung, erlass, miteigentum
Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 30.07.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 30 AS 898/07 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückzahlung
verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 25. Juni 2007 bis 30. November 2007, längstens bis zur Entscheidung
in der Hauptsache, Leistungen nach dem SGB II für den Monat Juni 2007 in Höhe von 311,00 EUR und für den
Zeitraum ab Juli 2007 in Höhe von 312,00 EUR monatlich zu gewähren. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe
ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt E., F., beigeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen
außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu 9/10.
Gründe:
Die Antragstellerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 347,00 EUR monatlich. Sie
bezog zuvor laufend Leistungen nach dem SGB II. Nachdem die Antragsgegnerin nach dem letzten Antrag das
Bestehen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft geprüft hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 24. Mai 2007
den Antrag ab. Begründet wurde dies damit, dass die Antragstellerin mit Herrn Rainer Schlösser in einer
Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft lebe und dessen zu berücksichtigendes Vermögen die Grundfreibeträge
übersteige. Im Hintergrund geht es hierbei offenbar, obwohl dies im Bescheid nicht erwähnt ist, um die Frage, ob ein
Hausgrundstück, das im Miteigentum der Antragstellerin und Herrn G. steht, nach dem SGB II als Vermögen zu
verwerten ist. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schreiben vom 18. Juni 2007 Widerspruch eingelegt. Über den
Widerspruch ist bisher nicht entschieden. Die Antragstellerin beantragt die Gewährung von Leistungen in Höhe von
347,00 EUR monatlich (für eine Alleinstehende), da sie sich zum einem gegen die Verwertung des Hausgrundstückes
wendet und zum anderen rügt, dass sie nicht in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft mit ihrem
Miteigentümer, Herrn Rainer Schlösser, lebe.
Der Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg.
Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag
eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.
Voraussetzung für den Erlass der hier vom der Antragstellerin begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2
Satz 2 SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen
Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung
(Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3
SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Frage, ob das Hausgrundstück von Herrn
G. und der Antragstellerin zu verwerten ist oder nicht – woraus allein sich eine mangelnde Bedürftigkeit ergäbe -,
bedarf noch einer weiteren Klärung im Ermittlungsverfahren. Dies ergibt sich auch aus dem Bescheid der
Antragsgegnerin an Herrn G., in dem trotz Ablehnung des Anspruchs noch weitere Unterlagen aufgeführt wurden, die
einen Anspruch auf Leistungen begründen könnten. Für die Antragstellerin liegt keine andere Sachlage vor, da sie
Miteigentümerin des Hauses ist und das einzige Vermögen des Herrn G. offenbar in dem Hausgrundstück besteht,
dessen Miteigentümerin sie ist (siehe auch Verfahren S 30 AS 958/07 ER). Diese Unterlagen liegen bisher nicht vor,
so dass auch dem Gericht eine abschließende Beurteilung des zu Grunde liegenden Sachverhaltes nicht möglich ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Entscheidung des BVerfG vom 12. Mai 2005 – Az.: 1
BvR 569/05) müssen die Gerichte in solchen Eilfällen, in denen sie sich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache
orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen. Ist dem Gericht
eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Hierbei sind die grundrechtlichen
Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuche der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen. Diese
Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der
Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG a.a.O.).
Im vorliegenden Fall ist nicht auszuschließen, dass das der Antragstellerin und Herrn G. gehörende Hausgrundstück
(woraus allein sich auch bei Annahme einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft eine mangelnde
Bedürftigkeit ergäbe) nicht zu verwerten ist, zumal Hausgrundstücke grundsätzlich zu dem geschützten Vermögen
gehören. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Verwertung eines Hausgrundstückes keinesfalls von heute auf
morgen erfolgen kann, sondern allenfalls durch einen – zeitlich üblicherweise sehr langwierigen – Verkauf. In der
Zwischenzeit dürfte die Antragstellerin, wenn sie über kein weiteres verwertbares Vermögen verfügt, was nach
Aktenlage offenbar der Fall ist, dennoch hilfebedürftig sein. Selbst die Annahme einer Verwertbarkeit des
Hausgrundstücks dürfte dazu führen, dass der Antragstellerin zumindest vorläufig – gegebenenfalls bis zur
Verwertung – Leistungen nach dem SGB II zuzusprechen wären. Unter diesen Umständen gebietet es das Grundrecht
der Antragstellerin auf Sicherung seines Existenzminimums, ihr umgehend Leistungen nach dem SGB II zur
Verfügung zu stellen.
Hinsichtlich des Antrags auf Gewährung von 347,00 EUR Regelleistung für einen Alleinstehenden an Stelle von
312,00 EUR Regelleistung für Personen, die in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft leben, war der
Antrag abzulehnen.
Die Differenz für Alleinstehende zum Regelsatz für Partner beträgt 10 %. Nach der Rechtsprechung des
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Beschl. v. 10. Februar 2006, Az.: L 9 AS 1/06 ER) kann von einem
Rechtsschutzbedürfnis bei Beträgen, die bis zu 10 % der Regelleistung betragen, nicht ausgegangen werden. Das
Gericht folgt dieser Rechtsprechung und geht bei geltend gemachten Beträgen, die bis zu 10 % der Regelleistung
betragen, regelmäßig davon aus, dass kein Rechtsschutzbedürfnis besteht, wobei dies in Einzelfällen kann aufgrund
der Besonderheit der Falles dennoch der Fall sein. Um einen solchen Einzelfall handelt es sich hier jedoch nicht.
Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (Beschl. v. 20. Januar 2006, Az.: L 7 AS
462/05 ER) besteht darüber hinaus für ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren mit dem Begehr, die Differenz
zwischen den Leistungen für Partner in eheähnlicher oder einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft und
Alleinstehenden zu erhalten, in der Regel auch aus dem Grund kein Rechtsschutzbedürfnis, weil in diesen Fällen
aufgrund des Zusammenwohnens dem Einzelnen geringere Kosten entstehen. Der Antragstellerin ist es daher
zuzumuten, hinsichtlich der Frage, ob eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft vorliegt, eine Entscheidung in
der Hauptsache abzuwarten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat Erfolg (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG und entspricht dem Umfang des Obsiegens der Antragstellerin.