Urteil des SozG Lüneburg vom 15.05.2007

SozG Lüneburg: wiedereinsetzung in den vorigen stand, gesetzliche frist, verschulden, alter, sorgfalt, brief, hauptsache, erlass, familie, gefahr

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 15.05.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 30 AS 647/07 ER
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren die Zahlung höherer (ergänzender) Leistungen nach dem SGB II.
Mit Bescheid vom 27. März 2007 bewilligte die Antragsgegnerin für den Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Juli 2007
Leistungen nach dem SGB II, wobei unter anderem Arbeitslosengeld I, auf das der Antragsteller zu 1. einen Anspruch
hat, angerechnet wird. Darüber hinaus werden nicht die tatsächlichen Kosten der Unterkunft, sondern ein geringerer
Betrag berücksichtigt.
Die Antragsteller haben gegen den Bescheid vom 27. März 2007 am 4. Mai 2007 Widerspruch erhoben und diesen
wegen der Verfristung mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden. Als Grund für die
Wiedereinsetzung wurde genannt, dass der Antragsteller zu 2. den Bescheid ungeöffnet in eine Schublade seines
Vaters gelegt habe, worüber er ihn nicht informiert habe. Dem Vater sei der Bescheid erst zufällig am 29. April 2007
bekannt geworden.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag
eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf
ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.
Voraussetzung für den Erlass der hier von den Antragstellern begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz
2 SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen
Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch der Antragsteller auf die begehrte Regelung
(Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3
SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Der Antrag ist bereits unzulässig.
Es fehlt an einem Hauptsacheverfahren, das noch anhängig und nicht abgeschlossen ist. Der Bescheid der Beklagten
vom 27. März 2007 ist bereits bestandskräftig geworden. Der Widerspruch der Antragsteller wurde verfristet eingelegt.
Die Antragsteller haben zugleich mit dem Widerspruch bei der Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand beantragt.
Mit Schriftsatz vom 9. Mai 2007 hat die Antragstellerin den Antrag auf Wiedereinsetzung abgelehnt. Diese Ablehnung
erfolgte nach summarischer Prüfung rechtmäßig und dürfte auch in einem Klageverfahren Bestand haben.
Zum einen ist schon zweifelhaft, ob die Erklärung des Antragstellers zu 1., sein Sohn, der Antragsteller zu 2., habe
den entscheidenden Bescheid in eine Schublade gelegt und dort vergessen, glaubhaft ist. Hier fehlt es insbesondere
an einer eidesstattlichen Versicherung des Sohnes, die dies noch einmal bestätigt.
Selbst wenn man jedoch den Vortrag des Antragstellers als glaubhaft zugrunde legt, sind im Rahmen einer
summarischen Prüfung die Voraussetzungen des § 67 SGG nicht erfüllt. Insbesondere waren die Antragsteller nicht
ohne Verschulden verhindert, die gesetzliche Verfahrenspflicht des § 84 Abs. 1 SGG zu wahren.
Voraussetzung für die Wiedereinsetzung nach § 67 SGG ist, dass eine gesetzliche Frist ohne Verschulden versäumt
wurde. Dies setzt voraus, dass die Beteiligten diejenige Sorgfalt angewendet haben, die einem gewissenhaften
Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist. Die
Versäumnis der Verfahrensfrist muss auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und
sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein. Für die Vorwerfbarkeit der Fristversäumnis kommt es
auf die persönlichen Verhältnisse an (Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, Randnr. 3 zu § 67).
Es wurde nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragsteller kein Verschulden an der Fristversäumung trifft. Der
Bescheid der Antragsgegnerin wurde augenscheinlich zeitnah zugestellt. Die Antragsteller leben unter anderem von
ergänzenden Leistungen nach dem SGB II. Ihnen wird daher die Bedeutsamkeit eines behördlichen Bescheides
bekannt sein. Dies trifft auch für den Antragsteller zu 2. zu. Dieser ist zwar minderjährig, war zum Zeitpunkt der
Geschehnisse jedoch bereits 17 Jahre alt. In diesem Alter muss dem Antragsteller zu 2. klar sein, dass behördliche
Schreiben, insbesondere wenn die Familie auf öffentliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
angewiesen ist, stets von Bedeutung sind bzw. sein können. Den verschlossenen Umschlag ungeöffnet in eine
Schublade zu legen, entspricht keinesfalls der gebotenen Sorgfalt. Vielmehr deutet sie auf einen ausgesprochen
nachlässigen Umgang mit dem behördlichen Schriftverkehr hin. Insbesondere den von der Antragsgegnerin
übersandten Brief nicht einmal zu öffnen, sondern diesen ungeöffnet fortzulegen, ist unsorgfältig. Wäre der Brief
geöffnet worden, so hätten die Antragsteller fristgerecht Widerspruch einlegen können und wären auch rechtzeitig über
die Höhe der Bewilligung von Arbeitslosengeld II informiert gewesen. Der Antragsteller zu 1. muss sich insoweit das
Verschulden des Antragstellers zu 2. zurechnen lassen. Der Antragsteller zu 2. lebt ebenfalls von ergänzendem
Arbeitslosengeld II und ist nach seinem Alter in der Lage, mit Schriftverkehr sorgfältig und zweckentsprechend
umzugehen. Sollte er sich im Einzelfall über die Bedeutung eines Schreibens nicht im Klaren sein, so wäre er
verpflichtet, dieses seinem Vater vorzulegen, damit dieser hierüber eine Beurteilung abgeben kann. Jedenfalls muss
ihm im Alter von 17 Jahren klar sein, dass behördliche Schreiben nicht ungeöffnet bei Seite gelegt werden sollten.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.