Urteil des SozG Lüneburg vom 04.05.2010

SozG Lüneburg: aufschiebende wirkung, wohnung, zusammenleben, niedersachsen, wohngemeinschaft, haus, enkel, zivilprozessordnung, wahrscheinlichkeit, existenzminimum

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 04.05.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 46 AS 141/10 ER
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 11. März 2010 gegen den Bescheid vom 19. Februar 2010 wird
angeordnet. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig unter dem Vorbehalt der Rückforderung
bei Un-terliegen im Hauptsacheverfahren Leistungen zur Siche-rung des Lebensunterhalts vom 12. März 2010 bis 31.
Juli 2010 dem Grunde nach ohne Berücksichtigung des Einkommens von F. zu zahlen. Die Antragsgegnerin hat die
notwendigen außergerichtli-chen Kosten der Antragstellerin zu tragen.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Leistungen zur Si-cherung des Lebensunterhalts
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsiche-rung für Arbeitssuchenden - (SGB II), wobei streitig ist, ob
die Antragstellerin zu 1. in ei-ner Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft lebt.
Die G. geborene Antragstellerin zu 1. ist die Mutter des am H. geborenen Antragstellers zu 2 ... Der Vater des Kindes
ist F ... Aus der Urkunde über die Anerkennung der Vater-schaft vom Februar 2004 ergibt sich, dass die Eltern zu
diesem Zeitpunkt nicht zusam-menlebten. Die Antragsteller zogen zum 1. Mai 2005 in eine 3-Zimmer-Wohnung mit ei-
ner Wohnfläche von 65,45 m² in die I. (später umbenannt in: J.) in K. ein.
Unter dem 10. November 2005 zeigten die Antragsteller an, dass F. bei ihnen wohne, und beantragten gemeinsam
Leistungen. Am 25. Oktober 2005 hatte er einen Einzug zum 22. Oktober 2005 bei der Meldebehörde mitgeteilt.
Die Antragsteller stehen seit 1. Januar 2005 im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Da Herr F. bis November
2005 Arbeitslosengeld bezog, bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellern und Herrn F. mit Änderungsbescheid
vom 3. Januar 2006 Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis 31. Januar 2006.
Mit Veränderungsmitteilung vom 19. Januar 2005 zeigte Herr F. an, dass er zum 18. Ja-nuar 2005 die
Bedarfsgemeinschaft verlasse und zu den Eheleuten L. in der M. in K. zie-he. Außerdem nahm er zum 23. Januar
2005 eine Tätigkeit bei der N. in O. auf. Dement-sprechend meldete er seinen Auszug bei der Meldebehörde am 19.
Januar 2006. Dar-aufhin bewilligte die Antragsgegnerin mit Änderungsbescheide vom 23. Februar 2006 Leistungen nur
für die Antragsteller weiter.
Der Außendienst der Antragsgegnerin führte am 10./11. Januar 2007, 8. und 11. Januar 2010 Hausbesuche durch.
Insoweit wird auf die Vermerke vom 16. Januar 2007 und 22. Januar 2010 (Bl. 141 f. und 254 ff. Verwaltungsakte)
Bezug ge-nommen. Nach dem ersten Hausbesuch zahlte die Antragsgegnerin die Leistungen bis zum 31. Januar
2010 weiter (Bescheid vom 30. Juni 2009).
Nach dem zweiten Hausbesuch ging sie vom Vorliegen einer Verantwortungs- und Ein-stehensgemeinschaft aus,
forderte die Antragstellerin vergeblich zur Vorlage der Unterla-gen über die Einkommensverhältnisse von Herrn F. auf
und versagte mit Bescheid vom 19. Februar 2010 die Weitergewährung von Leistungen, da die Antragstellerin ihrer
Mit-wirkungspflicht nicht nachgekommen sei. Hiergegen legten die Antragsteller mit Schrei-ben vom 11. März 2010
Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - noch nicht ent-schieden worden ist.
Am 12. März 2010 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Lüneburg einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Sie
tragen vor, dass F. ca. 2007 ausgezogen sei und mit einer weiteren Person in einer Wohngemeinschaft lebe. Er
kümmere sich um sein Kind, das am Wochenende auch beim Vater schlafe. F. schlafe regelmäßig in seiner
Wohnung. Zur Stützung ihres Vorbringens überreichen sie eidesstattlichen Versicherungen der Antrag-stellerin zu 1.
vom 5. und 17. März 2010, des Herrn F. vom 8. und 18. März 2010 und des Herrn P. vom 8. März 2010.
Die Antragsteller beantragen,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihnen Leistungen nach dem SGB II in gesetz-licher Höhe ohne Herrn F. als
Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, die Ermittlungen lassen nur den Schluss zu, dass eine Verantwor-tungs- und
Einstehensgemeinschaft bestehe.
Die Kammer hat im vorbereitenden Verfahren die Antragstellerin gehört, sowie Herrn F. und Herrn P. als Zeugen
vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30. April 2010
Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und
die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin, die bei der Ent-scheidung zu Grunde gelegen haben, verwiesen.
II.
Das Begehren der Antragsteller auf Leistungen setzt voraus, dass zum Einen die auf-schiebende Wirkung seines
Widerspruchs gegen den Versagungsbescheid vom 19. Februar 2010 gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) ange-ordnet wird, zum Anderen das eine Regelungsanordnung gemäß § 86 b Abs. 2 Satz
2 SGG auf Gewährung höherer Leistungen erlassen wird. Der so ausgelegte Antrag ist zulässig und begründet.
Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung steht im Ermessen des Gerichts. Dabei sind
einerseits das Interesse der Verwaltung an der - sofortigen - Vollziehung der getroffenen Entscheidung und
andererseits das Interesse der Antragstel-ler an der Zahlung des Arbeitslosengeldes II gegeneinander abzuwägen. Bei
dieser Ab-wägung ist auch die Erfolgsaussicht des zu Grunde liegenden Widerspruchs und auf Bil-
ligkeitsgesichtspunkte abzustellen (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 86 b Rn 12 i ff.).
Nach der hiernach vorzunehmenden Interessenabwägung kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in
Betracht. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechts-lage besteht Erfolgsaussicht. Die Antragsteller sind
ihren Mitwirkungspflichten nachge-kommen. Angaben über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Herrn F.
sind zur Entscheidung über die Leistungsansprüche nicht erforderlich. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
vermochte die Kammer nicht festzustellen, dass die Antragsteller mit Herrn F. in einer Bedarfsgemeinschaft leben.
Dementsprechend ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Regelungsanordnung begründet.
Nach der genannten Vorschrift kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Rege-lung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Die Anwendung der Vorschrift setzt neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungs-
grund) voraus, dass der Rechtsschutzsuchende mit Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte Regelung hat
(Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anord-nungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4
SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Die Antragsteller haben glaubhaft gemacht, dass sie einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II haben, weil F. nicht zur Bedarfsge-meinschaft gehört.
Zur Bedarfsgemeinschaft gehört gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II als Partner des er-werbsfähigen Hilfebedürftigen
eine Person, die mit diesem in einem gemeinsamen Haus-halt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung
der wechselseitige Wille an-zunehmen ist, Verantwortung für einander zu tragen und für einander einzustehen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann bereits nicht festgestellt werden, dass die Antragsteller mit Herrn F.
einer Wohnung zusammen leben.
Herr F. ist nach übereinstimmenden Angaben der Antragstellerin zu 1. und den gehörten Zeugen F. und P. bereits
2006 wieder aus der Wohnung der Antragsteller ausgezogen.
Die Antragstellerin zu 1. und die Zeugen haben übereinstimmend geschildert, dass die Mutter der Antragstellerin zu 1.
Herrn F. das Zimmer in ihrer Wohnung angeboten hat, nachdem sich das Zusammenleben schwierig gestaltete. Es ist
nachvollziehbar, dass sie damit die Hoffnung verbunden hat, für ihren Enkel die Möglichkeit aufrecht zu erhalten,
seinen Vater regelmäßig zu besuchen.
Das Zusammenleben mit den Eheleuten L. war nach übereinstimmenden Angaben un-problematisch. Für Herrn F.
bietet es die Möglichkeit einer günstigen Unterkunft mit "Fa-milienanschluss". Herr P. hat die Unterstützung, die er
krankheitsbedingt benötigt.
Übereinstimmend haben die Antragstellerin zu 1. und die Zeugen angegeben, dass F. nicht bei ihr, sondern
überwiegend in der Q. schläft. Um die Feststellung zu treffen, Herr F. halte sich überwiegend bei den Antragstellern
auf, reichen die von der Antragsgegne-rin genannten Indizien nicht aus. Die Antragstellerin zu 1. hat andere, ebenfalls
mögliche Gründe genannt, warum sie das Kraftfahrzeug von Herrn F. nutzen darf und er seit mehr als vier Jahren in
einer Wohngemeinschaft wohnt. Die Beweisaufnahme rechtfertigt nicht die Feststellung, Herr F. halte sich nicht nur
besuchsweise bei den Antragstellern auf.
Wenn aber bereits nicht festgestellt werden kann, dass die Antragsteller mit Herrn F. zu-sammen wohnen, kann sich
die Antragsgegnerin auf die Vermutungsregelung aus § 7 Abs. 3 a SGB III nicht berufen, wonach ein wechselseitiger
Wille Verantwortung für ein-ander zu tragen und für einander einzustehen, vermutet wird, wenn die Partner länger als
ein Jahr zusammenleben. Das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft, die voraussetzt, dass der Partner mit dem
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haus-halt zusammenlebt (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II), ist von
der Antragsgegnerin nicht glaub-haft gemacht worden.
Da sich die Leistung zum Lebensunterhalt an dem Existenzminimum orientieren, ist den Antragstellern bei der hier
streitigen Größenordnung nicht zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
Das Gericht hat die Verpflichtung zur Leistungsgewährung auf die Stellung des Rechts-schutzantrages beim
Sozialgericht (12. März 2010) beschränkt, weil mit dem Erlass der einstweiligen Anordnung nur gegenwärtige
Nachteile ausgeglichen werden können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG entsprechend.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde zulässig. Sie ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe des
Beschlusses beim Sozialgericht Lüneburg, Lessingstraße 1, 21335 Lü-neburg, schriftlich oder zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzu-legen. Das Sozialgericht legt diese dem Landessozialgericht
Niedersachsen-Bremen zur Entscheidung vor. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb
der Frist bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Str. 1, 29223 Celle, oder bei der
Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder zur
Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäfts-stelle eingelegt wird.
E.