Urteil des SozG Lüneburg vom 03.09.2009

SozG Lüneburg: sinn und zweck der norm, wohnung, niedersachsen, haushalt, notlage, link, darlehen, heizung, unterkunftskosten, bezirk

Sozialgericht Lüneburg
Urteil vom 03.09.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 28 AS 1576/08
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Kläger erstreben nunmehr von dem Beklagten im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem
SGB II die Übernahme von Mietschulden 1.268,- Euro.
Die H. geborene Klägerin zu 1. und ihr I. geborener Sohn, der Kläger zu 2., beziehen seit dem Jahre 2005
Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende nach dem SGB II. Sie bewohnten gemeinsam eine 102 m² große
Wohnung in der Straße J. in K., für die monatlich eine Kaltmiete von 500,- Euro, Nebenkostenabschläge von 100,-
Euro und Heizkostenabschläge von 71,- Euro zu entrichten waren (Bl. 28 der Verwaltungsakte).
Der Beklagte wies mit Bescheid vom 28. Juni 2005 (Bl. 38 der Verwaltungsakte) auf die Unangemessenheit der
Unterkunftskosten hin.
Die Kläger bezogen in der Folgezeit weiterhin Grundsicherungsleistungen. Im Oktober 2007 kam es zu einer
Unterbrechung des Leistungsbezuges.
Im März 2008 beantragten die Kläger die Übernahme von Mietschulden in Höhe von 1.268,- Euro, da die Wohnung
fristlos gekündigt worden sei.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 07. April 2008 ab (Bl. 2 der Verwaltungsakte) und begründete dies
damit, dass die Mietschulden in der Zeit ab 2006 entstanden seien, weil die Wohnung zu groß und teuer gewesen sei.
Es sei damit zu rechnen, dass in Zukunft auch nicht der Differenzbetrag zur tatsächlichen Miethöhe gezahlt werde, so
dass weitere Mietschulden drohten.
Dagegen legten die Kläger am 09. Mai 2008 Widerspruch ein (Bl. 1 der Verwaltungsakte).
Die Kläger haben am 30. September 2008 Untätigkeitsklage erhoben.
Daraufhin hat der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 2008 zurückgewiesen (Bl.
4 bis 6 der Verwaltungsakte) und begründete dies im Wesentlichen folgendermaßen:
Die Übernahme von Mietschulden sei nur zur Sicherung des Wohnraums gerechtfertigt. Dies sei vorliegend
ausgeschlossen, da der Mietvertrag gekündigt worden sei. Ferner sei die bisherige Unterkunft zu groß und
unangemessen teuer. Die Kläger hätten seit 2005 nicht ernsthaft versucht, die Kosten zu senken.
Zwischenzeitlich haben die Kläger aufgrund eines Vergleiches mit dem Vermieter vor dem Amtsgericht K. (31 C
139/08) die Wohnung zum 30. November 2008 geräumt und sind nach L. gezogen. Die Klägerin zu 1. hat die
Mietschulden aus der Auflösung einer Lebensversicherung beglichen.
Die Kläger tragen zur Klagebegründung nunmehr vor:
Bis zum 02. Juli 2008 habe die Möglichkeit bestanden, die Beendigung des Mietverhältnisses abzuwenden. Die
Kosten der Zwangsräumung überstiegen die Tilgung der Mietschulden um ein Vielfaches.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 07. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.
Oktober 2008 zu verurteilen, den Klägern im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II
Mietschulden für die Wohnung in der Straße M. in K. in Höhe von 1.268,- Euro als Darlehen zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt
der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten vom 07. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2008
erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in eigenen Rechten.
Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide ist § 22 Absatz 5 SGB II.
Nach § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch
Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren
Notlage gerechtfertigt ist. Gemäß Satz 2 sollen sie übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist
und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Nach Satz 3 ist Vermögen nach § 12 Absatz 2 Nr.1 SGB II vorrangig
einzusetzen. Gemäß Satz 4 sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden.
Die Kläger bezogen zum Zeitpunkt der Antragstellung im März 2008 laufende Grundsicherungsleistungen für
Unterkunft und Heizung vom Beklagten.
Leistungen auf Mietschulden können nur dann übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft
gerechtfertigt ist. Dabei handelt es sich um eine Abwägungsentscheidung, bei welcher die Umstände des Einzelfalls
zu berücksichtigen sind, wie der Grund für das Auflaufen der Schulden, die Herbeiführung durch missbräuchliches
Verhalten des Betroffenen oder der Wille, das Verhalten zukünftig zu ändern (vgl. Gagel/Lauterbach, Kommentar zum
SGB II, § 22, Rd.103).
Eine Rechtfertigung für die Übernahme ist nicht gegeben, wenn die Räumung auch bei Übernahme von Mietschulden
nicht verhindert werden kann (vgl. Beschluss des Hessischen Landessozialgerichtes vom 26. Oktober 2005 - L 7 AS
65/05 ER -; Beschluss des Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg vom 02. März 2009 - L 28 AS 253/09 B ER -).
Darüber hinaus ist die Übernahme nicht gerechtfertigt, sofern die entsprechende Unterkunft bereits geräumt ist (vgl.
LPK/SGBII/Berlit, § 22, Rd.112; Eicher/Spellbrink/Lang/Link, Kommentar zum SGB II, § 22, Rd.109). Dies gilt erst
recht, wenn der Betroffene trotz Kostensenkungsaufforderung des Leistungsträgers in der Wohnung verblieben ist und
aus diesem Grund die Schulden aufgelaufen sind (vgl. Beschluss des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen
vom 21. Februar 2007 - L AS 22/07 ER -).
Nicht gerechtfertigt ist ferner die Übernahme, wenn es sich um eine kostenunangemessene Unterkunft handelt (vgl.
Beschluss des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg vom 26. Oktober 2007 - L 8 AS 4481/07 ER-B -;
Beschluss des Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg vom 22. März 2007 - L 28 B 269/07 AS ER -;
Eicher/Spellbrink/Lang/ Link, Kommentar zum SGB II, § 22, Rd.109; KH/SGB II/Hohm/Frank, § 22, Rd.79.3).
Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestanden die Mietschulden nicht mehr, weil sie die Klägerin zu 1.
nach dem 01. Dezember 2008 beglichen hatte. Dies steht dem Erfolg der Klage entgegen, weil die Notlage aktuell
fortbestehen muss, wie sich bereits aus dem Wortlaut der Norm ergibt.
Im vorliegenden Fall kann ferner die Übernahme der Mietschulden nicht der Sicherung der jetzigen Unterkunft dienen,
weil die Kläger die Wohnung, bezüglich derer die Schulden aufgelaufen waren, am 01. Dezember 2008 verlassen
haben. Somit kann der Sinn und Zweck der Norm des § 22 Absatz 5 SGB II, die aktuelle Unterkunft zu sichern und
Wohnungslosigkeit zu verhindern, nicht erreicht werden. Ferner verblieben sie trotz Kostensenkungsaufforderung des
Beklagten im Juni 2005 in der Wohnung.
Darüber hinaus war die bisherige Unterkunft auch tatsächlich unangemessen teuer und mit 102 m² für zwei Personen
unangemessen groß.
Die Angemessenheit der Unterkunftskosten ist nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom
07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R -) in mehreren Schritten zu prüfen: Zunächst bedarf es der Feststellung, welche Größe
die vom Hilfebedürftigen beziehungsweise von der Bedarfsgemeinschaft gemietete Wohnung aufweist, das heißt zu
ermitteln ist die Quadratmeterzahl der im Streitfall konkret betroffenen Wohnung. Bei der Wohnungsgröße ist jeweils
auf die landesrechtlichen Richtlinien über die soziale Wohnraumförderung abzustellen. Nach Feststellung der
Wohnraumgröße ist als weiterer Faktor der Wohnungsstandard zu berücksichtigen. Angemessen sind nämlich die
Aufwendungen für eine Wohnung nur dann, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und
grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist. Die Wohnung muss von daher
hinsichtlich der aufgeführten Kriterien, die als Mietpreis bildenden Faktoren regelmäßig im Quadratmeterpreis ihren
Niederschlag finden, im unteren Segment der nach der Größe der in Betracht kommenden Wohnungen in dem
räumlichen Bezirk liegen, der den Vergleichsmaßstab bildet.
In Gemeinden, in welchen kein Mietspiegel vorhanden ist, ist es zulässig, auf die rechte Spalte der Wohngeldtabelle
abzustellen (vgl. Urteil des Landessozialgerichtes vom 24. April 2007 - L 7 AS 494/05 -). Dies gilt auch
ausnahmsweise dann, wenn der kommunale Träger keine Wohnungslisten oder eine anderweitige Mietpreisauswertung
vorlegen kann.
Der Wert der rechten Spalte beläuft sich für die Gemeinde K. auf 320,- Euro für einen Zwei-Personen-Haushalt mit
einer angemessenen Wohnungsgröße von 60 m², wobei damit Kaltmiete und Nebenkosten abgedeckt sind. Da die
Klägerin zu 1. allein erziehend ist, erhöht sich dieser Betrag bei Erhöhung der Wohnfläche um 10 m² auf 70 m² auf
385,- Euro (vgl. Urteile des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen vom 11. Dezember 2008 - L 13 AS 81/08,
128/08, 210/08 -, Beschlüsse des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen vom 27. März 2008 - L 9 AS 31/08
ER -, 09. November 2007 - L 9 AS 711/07 ER -, 30. Juli 2007 - L 9 AS 225/07 ER -, Beschluss des
Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg vom 29. Juli 2008 - L 14 B 248/08 AS ER -, Urteil des Sozialgerichtes
Lüneburg vom 20. Mai 2009 - S 28 AS 1646/08 -; Beschluss des Sozialgerichtes Lüneburg vom 16. Januar 2008 - S
23 AS 1807/07 ER -, Beschluss des Sozialgerichtes Oldenburg vom 24. Oktober 2008 - S 43 AS 1592/08 ER -,
Beschluss des Sozialgerichtes Braunschweig vom 15. August 2008 - S 19 AS 2297/08 ER -; aA Urteile des
Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 09. Januar 2008 - L 12 AS 77/06 -, des Sozialgerichtes Osnabrück
vom 29. Oktober 2007 - S 22 AS 503/05 - und des Sozialgerichtes Leipzig vom 12. Dezember 2008 - S 19 AS
4241/08 ER -). Dabei ist auf den Wert der Wohngeldtabelle für einen Drei-Personen-Haushalt abzustellen, weil keine
Stufe für eine Wohnung mit 70 m² existiert.
Selbst bei Berücksichtigung eines Aufschlages von 10 Prozent wäre der angemessene Höchstbetrag von 423,50 Euro
bereits allein mit den Aufwendungen für die Kaltmiete von 500,- Euro deutlich überschritten.
Die unangemessene Höhe der Mietkosten ergibt sich im Wesentlichen aus der Größe der Wohnung von 102 m²,
welche für zwei Personen unangemessen ist, selbst wenn man aufgrund der Alleinerziehung eine Wohnungsgröße von
bis zu 70 m² als angemessen betrachtet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.