Urteil des SozG Lüneburg vom 04.12.2006

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Sozialgericht Lüneburg
Urteil vom 04.12.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 24 AS 1146/06
1. Der Bescheid der Beklagten vom 23.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2006 wird
abgeändert, 2. die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Leistungen nach dem SGB II unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts zu bewilligen. 3. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand:
Die Kläger wenden sich gegen die Anrechnung von Kindergeld als Einkommen.
Die Kläger beziehen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – (SGB II).
Mit Bescheid vom 23.02.2006 bewilligte die Beklagte den Klägern Leistungen für den Zeitraum 01.11.2005 bis
30.03.2006. Dabei wurden für den November 2005 811,00 EUR, für den Dezember 809,79 EUR, für den Januar 2006
764,00 EUR und ab Februar 2006 782,00 EUR monatlich gewährt.
Zur Bedarfsgemeinschaft wurden die Kläger zu 1. bis 3. gezählt sowie zwei weitere Kinder der Klägerin zu 2 ...
Bei der Berechnung des Bedarfs ging die Beklagte für die Kläger zu 1. und 2. von einer Regelleistung von 311,00 EUR
und für die Kinder vom Sozialgeld von 207,00 EUR monatlich aus. Die Kosten der Unterkunft wurden mit 560,00 EUR
monatlich anerkannt. Bei dem Kind K. wurde im November Einkommen aus Unterhalt in Höhe von 316,00 EUR sowie
Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR berücksichtigt, bei den Kindern L. und M. Unterhalt in Höhe von 170,00 EUR
sowie Kindergeld. Der bei den Kindern ermittelte Einkommensüberhang wurde bei den Klägern zu 1. und 2. ohne
weitere Abzüge als Einkommen berücksichtigt.
Ab Dezember 2005 wurde außerdem das Kind N. berücksichtigt, die am 15.12.2005 geboren wurde.
Ab dem 01.02.2006 ergab sich die Berechnung der Beklagten wie folgt: Bei den Kindern K. O., L. P. und M. P. wurde
ein Einkommensüberhang von 93,33 EUR ermittelt. Dieser wurde bei den Klägern zu 1. und 2. ohne weitere Abzüge
als Einkommen berücksichtigt.
Hiergegen erhoben die Kläger am 13.03.2006 Widerspruch. Zur Begründung führten sie aus, dass nach § 7 Abs. 3 Nr.
4 SGB II minderjährige Kinder, soweit sie aus eigenem Einkommen ihren Bedarf decken könnten, nicht mehr der
Bedarfsgemeinschaft zuzurechnen seien. Dies würde dazu führen, dass die Kinder der Kläger aus der
Bedarfsgemeinschaft fielen, mit der weiteren Folge, dass deren Kindergeld nicht für die Kläger zu 1. und 2.
anzurechnen sei.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26.09.2006 zurückgewiesen. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB
II sei das Kindergeld als Einkommen des Kindes zu berücksichtigen, "soweit" es dort zur Bedarfsdeckung benötigt
werde. Daraus folge, dass das überschießende Kindergeld als Einkommen des Kindergeldberechtigten anzusetzen
sei.
Hiergegen richtet sich die am 16.10.2006 erhobene Klage. Zur Begründung führen die Kläger aus, dass das
Einkommen der Kinder auf keinen Fall beim Stiefvater oder bei den Stiefgeschwistern angerechnet werden könne. Es
sei nicht einsichtig, warum zunächst der Unterhalt und dann das Kindergeld als Einkommen der entsprechenden
Kinder berücksichtigt würde. Setzte man zunächst das Kindergeld zur Bedarfsdeckung an und dann erst den
Unterhalt, ergäbe sich auf keinen Fall eine Verpflichtung, den überschießenden Unterhaltsanspruch an die Kläger zu
1. und 2. abzuführen. Jedenfalls müsste der Klägerin zu 2. ein Freibetrag von 30,00 EUR bei den Einkünften gewährt
werden.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
26.09.2006 zu verpflichten, den Klägern für den Zeitraum 01.11.2005 bis 30.04.2006 Leistungen nach dem SGB II in
gesetzlicher Höhe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass das überschießende Kindergeld in voller Höhe bei den Klägern zu 1. und 2. anzurechnen ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und
die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorgelegen
haben.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Kläger sind in ihren Rechten im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da der Verwaltungsakt vom 23.02.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26.09.2006 rechtswidrig ist.
Gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Hilfebedürftig
ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der
mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln,
vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder
Vermögen sichern kann und erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern
anderer Sozialleistungen, erhält.
Als Einkommen sind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu
berücksichtigen. Gemäß § 11 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB II ist das Kindergeld als Einkommen dem jeweiligen Kind
zuzurechnen, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird. Zur
Bedarfsgemeinschaft gehören gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder
der in Nr. 1 – 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie Leistungen
zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.
Damit gehören die Kinder K., L. und M. nicht zur Bedarfsgemeinschaft der Kläger. Denn K. hat beispielsweise im
November 2005 einen Bedarf von 319,00 EUR, der sich aus 207,00 EUR Sozialgeld zzgl. anteiliger Kosten der
Unterkunft und Heizung in Höhe von 112,00 EUR monatlich ergibt. Demgegenüber steht ein Einkommen in Höhe von
470,00 EUR, welches sich aus 316,00 EUR Unterhalt sowie 154,00 EUR Kindergeld monatlich ergibt. Dieses
Einkommen übersteigt ihren Bedarf, so dass K. in der Lage ist, ihren Lebensunterhalt selbst zu beschaffen. Zwar
verändert sich im Bewilligungszeitraum durch die Geburt der Tochter N. und die damit einhergehende Veränderung
des Kindergeldanspruchs der Bedarf und das Einkommen der genannten Kinder. Im Ergebnis sind die genannten
Kinder jedoch der Bedarfsgemeinschaft für den gesamten Bewilligungszeitraum nicht zuzurechnen.
Es ergibt sich für K. im November 2006 ein Bedarf von 369,33 EUR. Dem steht ein Einkommen in Höhe von 316,00
EUR Unterhalt und 160,25 EUR Kindergeld entgegen, womit auch im November ein Überschuss verbleibt.
Den Kindern L. und M. steht beispielsweise im Dezember bei einem Bedarf von 309,05 EUR ein Einkommen von
330,25 EUR entgegen, womit auch sie nicht der Bedarfsgemeinschaft zuzurechnen sind.
Das jeweils überschießende Einkommen der Kinder K., L. und M. ist bei der Kindergeldberechtigten
anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Dies ergibt sich aus der Formulierung "soweit" des § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II
(LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.03.2006 – L 8 AS 290/05 –; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom
23.03.2006 – L 8 AS 398/05 –; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13.06.2005 – L 8 AS 180/05 ER –).
Ebenso ergibt sich dies aus dem Rechtsgedanken des § 9 Abs. 5 SGB II, wonach vermutet wird, dass
Hilfebedürftige, die in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten leben, von diesen Leistungen erhalten. Leistungen nach
dem SGB II sind darüber hinaus grundsätzlich nachrangig gegenüber anderen Möglichkeiten der Sicherung des
Lebensunterhalts.
Nicht zu beanstanden ist auch die Vorgehensweise der Beklagten, zunächst die Unterhaltsleistungen der Kinder und
dann das Kindergeld der Kinder anzusetzen (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.03.2006 – L 8 AS
290/05 –). Auch hier ist die Nachrangigkeit staatlicher Leistungen (Kindergeld) vor familienrechtlichen
Unterhaltsansprüchen gegeben.
Von dem überschießenden Kindergeld ist die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR monatlich bei jedem
Kind in Abzug zu bringen. Dies ergibt sich aus § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 3
Abs. 1 Nr. 1 Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-VO). Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO sind vom Einkommen
minderjähriger Hilfebedürftiger, soweit diese nicht mit volljährigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft nach § 7
des SGB II leben, ein Betrag in Höhe von 30,00 EUR monatlich pauschal für Versicherungsleistungen abzusetzen.
Die Kinder K., L. und M. gehören nicht zur Bedarfsgemeinschaft (siehe oben). Zwar haben die Kläger nicht geltend
gemacht, dass den Kindern Aufwendungen für bestimmte Versicherungen entstehen. Bei § 3 Alg II-VO handelt es
sich jedoch um einen Pauschbetrag, der ohne weiteren Nachweis abzusetzen ist, da der Gesetzgeber insofern davon
ausgeht, dass dieses im Sinne eines vereinfachten Verwaltungsverfahrens stets vorzunehmen ist (SG Düsseldorf,
Urteil vom 21.08.2006 – S 23 AS 150/06 –).
Im konkreten Fall bedeutet dies für die Kinder L. und M., dass kein überschießendes Einkommen bei der
Kindergeldberechtigten zu berücksichtigen ist, da nach Abzug der Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR im
gesamten Klagezeitraum kein überschießendes Einkommen aus Kindergeld verbleibt.
Für K. bedeutet dies beispielsweise für den November 2005, dass von dem eigentlich überschießenden Einkommen
aus Kindergeld in Höhe von 151,00 EUR 30,00 EUR in Abzug zu bringen sind, so dass nur 121,00 EUR auf die
Kindergeldberechtigte angesetzt werden kann.
Zu berücksichtigen wird die Beklagte ebenfalls haben, dass die Kindergeldberechtigte eventuell bei dem bei ihr
anzusetzenden Einkommen gemäß § 11 Abs. 2 SGB II weitere Aufwendungen absetzen kann (LSG Niedersachsen-
Bremen, Urteil vom 23.03.2006 – L 8 AS 290/05 –). Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass von dem
überschüssigen Kindergeld zunächst ein Beitrag für Versicherungen des Kindes und sodann ein Versicherungsbeitrag
der Kindergeldberechtigten abzusetzen ist. Die Abzugsbeträge des Kindes und der Kindergeldberechtigten verfolgen
insoweit unterschiedliche Zielsetzungen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.