Urteil des SozG Lüneburg vom 29.03.2010

SozG Lüneburg: anrechenbares einkommen, eltern, zivilprozessordnung, wohnung, wohngemeinschaft, zusicherung, wahrscheinlichkeit, trennung, heizung, erfüllung

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 29.03.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 48 AS 127/10 ER
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die
Durchführung des Verfahrens vor dem Sozialgericht Lüneburg unter Beiordnung von Rechtsanwältin B., Celle, werden
abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II), wobei streitig ist, ob sie
in einer Bedarfsgemeinschaft mit Herrn E. lebt.
Die 1971 geborene, seit März 2009 geschiedene Antragstellerin lernte nach eigenen Angaben im Mai 2008 den 1957
geborenen E. kennen. Sie bezog bis zum 30. November 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für
sich, ihren 1991 geborenen Sohn F., den 1995 geborenen Sohn G. und die 2001 geborenen Zwillinge H. und I. von der
ARGE SGB II J ... Der Leistungsträger stimmte unter dem 4. September 2008 einem Umzug nach K. mit der
Begründung zu, die Antragstellerin wolle mit ihren Kindern zum Lebenspartner nach K. ziehen, es finde eine
Familienzusammenführung statt und die Chance, in K. und Umgebung Arbeit zu finden, sei höher. Zum 1. Dezember
2008 bezog die Antragstellerin eine 97,81 qm große Vier-Zimmer-Wohnung in K., für die die Grundmiete 567,30 EUR
und die Betriebskosten und Heizkostenvorauszahlung jeweils 95,- EUR (insgesamt 757,30 EUR) betrug.
Die Antragstellerin gab in ihrem Antrag gegenüber der Antragsgegnerin an, dass ihr Sohn F., der die Berufsfachschule
in L. besuche, sich an den Schultagen bei seinen Großeltern in Thüringen und an den freien Tagen bei ihr aufhalte. Ihr
Partner zog zunächst nicht mit ein. Daraufhin bewilligte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 25. November 2008 für
die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 31. Mai 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die
Antragstellerin und die mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Zur Bedarfsgemeinschaft zählte die
Antragsgegnerin nicht den Sohn F., da er seinen persönlichen Aufenthalt nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich habe,
sondern sich überwiegend bei den Großeltern aufhalte.
Am 8. Januar 2009 teilte die Antragstellerin mit, dass Herr E. am 22. Dezember 2008 in die Wohnung eingezogen sei,
eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft aber nicht vorliege. Mitarbeiter der Antragsgegnerin führten am 24.
März 2009 einen Hausbesuch durch. Wegen des Ergebnisses der Ermittlungen wird auf den Vermerk vom 24. März
2009 Bezug genommen. Da die Antragstellerin mit Herrn E. noch kein Jahr zusammenlebte, ging die Antragsgegnerin
von einer Wohngemeinschaft aus und bewilligte Leistungen für die folgenden Bewilligungsabschnitte weiter. Zuletzt
bewilligte sie mit Bescheid vom 22. Oktober 2009 Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2009 bis 31. Mai 2010.
Am 4. November 2009 führte sie einen weiteren Hausbesuch durch (Prüfbericht vom 4. November 2009). Im Rahmen
der Anhörung zur Aufhebung der Leistungen für die Zeit ab 1. Dezember 2009 erklärte die Antragstellerin, vertreten
durch ihre Prozessbevollmächtigte, dass eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft erst ab 1. Januar 2010
angenommen werden könne, womit die Antragstellerin einverstanden sei. Daraufhin hob die Antragsgegnerin mit
Bescheid vom 26. November 2009 die Leistungen ab 1. Januar 2010 für die Antragstellerin und ihre Kinder ganz auf.
Dieser Bescheid wurde bestandskräftig und die Antragstellerin beantragte unter dem 29. Dezember 2009 die
Gewährung von Leistungen unter Berücksichtigung der Einkünfte von Herrn E ...
Mit Bescheid vom 26. Januar 2010 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts ab, weil die Antragstellerin mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen nicht hilfebedürftig
sei. Hiergegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein. Den Antrag auf Übernahme der Beiträge zur freiwilligen
Krankenversicherung in Höhe von 138,40 EUR lehnte die Antragsgegnerin mit weiterem Bescheid vom 9. Februar
2010 ab, gegen den die Antragstellerin ebenfalls Widerspruch einlegte. Über die Widersprüche ist - soweit ersichtlich -
noch nicht entschieden.
Am 9. März 2010 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Lüneburg einstweiligen Rechtsschutz begehrt. Sie trägt
vor, dass sie mit Herrn E. keine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft unterhalte. Herr E., der von seiner
Ehefrau getrennt lebe, sei dieser und den Kindern gegenüber unterhaltspflichtig und müsse Schulden aus der Ehezeit
zurückzahlen. Daher sei er nicht leistungsfähig.
Die Antragstellerin beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr die ihr gesetzlich nach dem SGB II zustehenden
Leistungen ab 1. Januar 2010 zuzuerkennen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Sie verweist darauf, dass die Antragstellerin bisher mit der Annahme einer Verantwortungsgemeinschaft
einverstanden gewesen sei, so dass die nunmehr widerstreitenden Angaben nicht plausibel seien. Soweit es um die
Einkommensanrechnung gehe, habe die Antragstellerin eventuelle Unterhaltsverpflichtungen des Herrn E. gegenüber
seiner Ehefrau und seinen Kindern trotz eines Hinweises nicht tituliert, so dass eine Berücksichtigung bei der
Berechnung des bereiten Einkommens unterbleiben müsse. Es stehe der Antragstellerin frei, einen entsprechenden
Nachweis zu erbringen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und
die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin, die bei der Entscheidung zugrunde gelegen haben, verweisen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
als Regelungsanordnung zulässig, der Antrag ist nicht begründet.
Nach der genannten Vorschrift kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Die Anwendung der Vorschrift setzt neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung
(Anordnungsgrund) voraus, dass der Rechtsschutzsuchende mit Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte
Regelung hat (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b
Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Diese Voraussetzungen liegen nicht
vor.
Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie einen Anspruch auf Leistungen ohne Anrechnung von
Einkommen des Herrn E. hat. Nach Aktenlage kann, worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist, kein Zweifel
bestehen, dass die Antragstellerin in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3
c SGB II lebt, sodass bei der Bewertung der Hilfebedürftigkeit gemäß § 9 SGB II auch das Einkommen und
Vermögen des Partners zu berücksichtigen ist.
Die Antragstellerin ist im November 2008 nach K. unter Inkaufnahme einer weiten räumlichen Trennung von ihrem
Sohn und ihren Eltern gezogen, um mit Herrn E. zusammen wohnen zu können. Dies hat sie offensichtlich gegenüber
der ARGE SGB II M. angegeben. Ihre Behauptung, sie habe das nicht als Grund benannt, ist unglaubwürdig. Ohne
diese Begründung hätte die Zusicherung nicht erteilt werden können, wie die Antragstellerin dem Schreiben vom 4.
September 2008 entnehmen konnte, dem sie nicht widersprochen hat. Ohne konkrete Aussichten auf einen
Arbeitsplatz in K. sind keinerlei Gründe ersichtlich, dass gerade dort die Chancen, eine Arbeit zu finden, besser sind,
als in jedem anderen Ort in gleicher Entfernung von N.
Das weitere Verhalten der Antragstellerin, die im Anhörungsverfahren das Vorliegen einer Einstands- und
Verantwortungsgemeinschaft nicht in Abrede gestellt und einen Neuantrag unter Vorlage sämtlicher Unterlagen des
Herrn E. gestellt hat, belegt dies. Schließlich bestätigen die Hausbesuche im März 2009 und November 2009, dass
die Beziehung über eine reine Wohngemeinschaft hinausgeht. Da die Partner im Dezember 2008 zusammengezogen
sind, kann sich die Antragsgegnerin seit Januar 2010 auf die Vermutungsregelung in § 7 Abs. 3a SGB II berufen.
Die Vermutung hat die Antragstellerin durch die Behauptung, eine Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft liege
nicht vor, nicht widerlegt.
Den Bedarf der Antragstellerin, ihres Partners und der Kinder hat die Antragsgegnerin mit insgesamt 2.043,42 EUR
berechnet. Dabei geht sie von Kosten der Unterkunft und Heizung von 608,42 EUR und damit nur 4/5 der
tatsächlichen Kosten aus. Aber auch bei richtiger Berücksichtigung der gesamten Kosten von 729,10 EUR und damit
einem Gesamtbedarf von 2.164,10 EUR übersteigt das anrechenbare Einkommen, bestehend aus dem
Erwerbseinkommen des Herrn E., dem Kindergeld und den Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz von
insgesamt 2.326,96 EUR, den Bedarf selbst unter Berücksichtigung des monatlichen Beitrags zur Kranken- und
Pflegeversicherung von insgesamt 138,40 EUR.
Die Antragsgegnerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es der Antragstellerin und ihrem Partner unbenommen ist,
durch Pfändungen, Abtretungen, wirksamen Verrechnungen (Landkreis und Agentur für Arbeit), insbesondere aber
Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer
notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag (§ 11 Abs. 2 Nr. 7 SGB II) ein geringeres
anrechenbares Einkommen nachzuweisen. Warum dies nicht möglich sein soll, weil der Partner von seiner Ehefrau
getrennt lebt, ohne bisher geschieden worden zu sein, erschließt sich der Kammer nicht. Eine weitere Sachaufklärung
des Gerichts bedarf es nicht. Die Antragsgegnerin hat klargestellt, dass bei Vorlage entsprechender Unterlagen eine
Neuberechnung erfolgen kann. Der Durchführung des Eilverfahrens bedarf es insoweit also nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG entsprechend.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war gemäß § 73 a SGG in Verbindung mit §§ 114 ff.
Zivilprozessordnung (ZPO) abzulehnen, da bis zum Abschluss des Verfahrens die Erklärung über die persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vorgelegt worden ist. Darüber hinaus hatte der Rechtsstreit keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg.