Urteil des SozG Lüneburg vom 02.05.2007

SozG Lüneburg: reformatio in peius, neues recht, aufwand, gebühr, behinderung, verwaltungsverfahren, abgabe, vergütung, vergleich, korrespondenz

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 02.05.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 15 SF 51/06
Unter Zurückweisung der Erinnerung des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle vom 07. April 2006 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 23. Oktober 2006 - Az.: S 15
SB 205/05 - werden die von dem Beklagten an den Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten endgültig auf
insgesamt 661,20 EUR festgesetzt. Dieser Betrag ist seit dem 20. März 2006 mit jährlich fünf Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger von dem Beklagten im Rahmen des Gesetzes über die
Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG)) zu erstattenden
Gebühren im Gerichtsverfahren.
Im zugrunde liegenden Klageverfahren begehrte der Kläger, bei dem zuletzt ein Grad der Behinderung (GdB) von 20
bindend festgestellt worden war, mit Neufeststellungsantrag vom 30. April 2004 die Zuerkennung der
Schwerbehinderteneigenschaft nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter
Menschen – (SGB IX). Hierauf stellte der Beklagte den GdB ab dem 05. Mai 2004 mit 30 fest und wies den hiergegen
erhobenen Widerspruch vom 07. Juni 2005 mit Widerspruchsbescheid vom 02. November 2005 als unbegründet
zurück. Hiergegen erhob der vor dem Sozialgericht Lüneburg – Az.: S 15 SB 205/05 – Klage. Nach Einholung diverser
Befundberichte und sonstiger medizinischer Unterlagen (insbesondere ein orthopädisches Sachverständigengutachten
für die Karlsruher Versicherungs AG vom 26. September 2005 sowie ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK
Niedersachsen vom 03. Januar 2005) gab der Beklagte mit Schriftsatz vom 03. März 2006 ein Anerkenntnis ab,
verpflichtete sich, bei dem Kläger einen GdB von 50 ab Januar 2004 festzustellen und erklärte sich bereit, die Kosten
des Rechtsstreits in voller Höhe zu erstatten. Dieses Anerkenntnis nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 16. März
2006 an.
Mit gleichem Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers neben den zwischenzeitlich nicht mehr
streitigen Kosten für das Widerspruchsverfahren Kosten für das erstinstanzliche Klageverfahren in Höhe von 904,80
EUR geltend gemacht, die sich wie folgt zusammensetzen:
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3103 VV-RVG 350,00 EUR Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV-RVG 200,00 EUR
Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1005, 1002 VV-RVG 230,00 EUR 16 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG 124,80
EUR Gesamtbetrag 904,80 EUR
Mit Beschluss vom 07. April 2006 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die von dem Beklagten dem Kläger zu
erstattenden außergerichtlichen Kosten für das Klageverfahren unter Berücksichtigung einer Verfahrensgebühr nach
Nr. 3103 VV-RVG in Höhe von 170,00 EUR, einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG in Höhe von 100,00 EUR
nebst der auf diese Beträge entfallenden Umsatzsteuer auf insgesamt 336,40 EUR festgesetzt. Für das
erstinstanzliche Klageverfahren sei die Verfahrensgebühr der Nr. 3103 VV-RVG zu entnehmen, da eine Tätigkeit im
Verwaltungsverfahren vorausgegangen sei, das gerichtliche Verfahren gestaltete sich dabei als insgesamt
durchschnittlich. Hinsichtlich der Terminsgebühr richte sich deren Höhe nach dem Aufwand, den die
Prozessbevollmächtigte in einem fiktiven Termin entfaltet hätte. Dieser Umstand rechtfertige unter Berücksichtigung
des gesetzgeberischen Willens - gerichtet auf die Schaffung eines Anreizes für den Rechtsanwalt, ein Anerkenntnis
auch außerhalb einer mündlichen Verhandlung anzunehmen - eine Erhöhung der Mindestgebühr auf 100,00 EUR.
Schließlich sei auch eine Erledigungsgebühr nicht angefallen, weil besondere anwaltliche Tätigkeiten zur Erledigung
des Rechtsstreits nicht ersichtlich seien.
Hiergegen hat der Kläger am 05. Mai 2006 Erinnerung eingelegt. Die Kürzung der Verfahrens- und der Terminsgebühr
sowie die Streichung der Erledigungsgebühr seien rechtswidrig. Die Annahme, Schwerbehindertenverfahren seien
generell nur durchschnittlich, gehe fehl; vielmehr sei dem Anwalt ein weitreichender Ermessensspielraum
einzuräumen, der nicht angetastet werden dürfe. Die Angelegenheit sei wegen der erleichterten Bedingungen
vorgezogenes Altersruhegeld als schwerbehinderter Mensch zu erhalten, für den Mandanten überdurchschnittlich
bedeutungsvoll gewesen. Hinsichtlich der fiktiven Terminsgebühr sei zu berücksichtigen, dass die Durchführung eines
Termins nicht nur von den Überlegungen des Prozessvertreters, sondern auch von denen der Mandanten abhänge.
Jedenfalls lägen die Entscheidungen der Sozialgerichte Düsseldorf, Koblenz, Aachen und Hildesheim "richtiger" als
das Sozialgericht Lüneburg in dieser Frage. Im Übrigen werde es Zeit, dass sich mit Blick auf die Entstehung der
Erledigungsgebühr auch die Sozialgerichtsbarkeit in Lüneburg von den veralteten und überholten Argumentationen
verabschiede und den gesetzgeberischen Willen endlich nachvollziehe.
Der Beklagte hält die urkundsbeamtliche Gebührenfestsetzung für rechtmäßig.
Nach durch den Urkundsbeamten vorgenommener Berichtigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 07. April
2006 wegen einer offenbaren Unrichtigkeit - Berichtigungsbeschluss 23. Oktober 2006 – hat der Kläger an seiner
Erinnerung festgehalten.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat ihr nicht abgeholfen und sie der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Erinnerung ist unbegründet.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Verfahrensgebühr zu Recht auf 170,00 EUR (dazu unter 1.), die
Terminsgebühr zu Recht auf 100,00 EUR (dazu unter 2.) und die Erledigungsgebühr zu Recht nicht festgesetzt (dazu
unter 3.).
Die Höhe der nach Durchführung eines Sozialgerichtsverfahrens zu erstattenden Gebühr bestimmt sich grundsätzlich
nach dem für die anwaltliche Tätigkeit im Verfahren vor den Sozialgerichten vorgesehenen Gebührenrahmen (§ 3 Abs.
1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte - Rechtsanwaltsvergütungsgesetz –
(RVG)). Die Bestimmung der im Einzelfall angemessenen Gebühr ist gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG dem billigen
Ermessen des Prozessbevollmächtigten überlassen, wobei nach dem Gesetzeswortlaut alle Umstände des
Einzelfalles, insbesondere der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der
Angelegenheit und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers zu berücksichtigen sind. Das
Haftungsrisiko ist nach § 14 Abs. 1 S. 3 RVG zu berücksichtigen. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen
ist, so ist die Gebührenbestimmung des Prozessbevollmächtigten gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG nicht verbindlich,
wenn sie unbillig ist. Der Prozessbevollmächtigte hat bei der Festsetzung der Gebühr Ermessen auszuüben und alle
Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl. 2004, § 14 RVG Rn. 12).
Ausgehend von diesen Grundsätzen gilt Folgendes:
1. Eine höhere Verfahrensgebühr als 170,00 EUR ist nicht gerechtfertigt, sie ist unbillig.
Die Verfahrensgebühr war – entgegen der Auffassung des Klägers – dem Rahmen der Nr. 3103 des
Vergütungsverzeichnisses (VV-RVG) - Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - zu entnehmen. Nach den Vorschriften des RVG,
hier also insbesondere nach Nr. 3103 VV-RVG ist allein entscheidend, dass der Bevollmächtigte – wie hier – bereits in
einem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren tätig geworden ist.
Der so abgesteckte Rahmen sieht eine Gebührenspanne von 20,00 EUR bis 320,00 EUR vor. Erweist sich das
Betreiben eines Geschäfts einschließlich der Information nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG als
durchschnittliche Leistung, ist die Mittelgebühr von 170,00 EUR angemessen. Liegen Wert und Bedeutung der Sache
unter oder über diesem Mittelwert, bietet sich eine entsprechende Quotierung, mithin eine Über- oder Unterschreitung
der Mittelgebühr an.
Die Kammer teilt die Auffassung des Urkundsbeamten, dass es sich bei dem Verfahren um ein insgesamt
durchschnittliches Verfahren gehandelt hat.
Die Bedeutung der Angelegenheit war für den Kläger leicht überdurchschnittlich, denn der Gegenstand des Verfahrens
war die Erhöhung des bereits innegehabten Grades der Behinderung von 30 auf 50. Dass die Erhöhung des Grades
der Behinderung auch mit der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft einherging, führt nach Auffassung der
Kammer trotz des "ungünstigen Ausgangspunktes" – nämlich der Anerkennung eines Grades der Behinderung von
lediglich 30 – isoliert betrachtet dazu, dass von einer durchschnittlichen Bedeutung für den Kläger auszugehen wäre.
Denn die wesentliche Rechtsbedeutung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers liegt im Steuerrecht (vgl. etwa
§§ 33 a Abs. 3 S. 1 Nr. 2, 33 b Abs. 1 - 7 Einkommenssteuergesetz (EStG) und ggf. § 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 EStG),
eine existenzsichernde oder arbeitsplatzsichernde Funktion kam der erfolgreichen Klage nicht zu; jedenfalls ist hierzu
weder etwas vorgetragen, noch im Übrigen sonst ersichtlich. Indes ist allerdings demgegenüber auch (erhöhend) zu
berücksichtigen, dass darüber hinaus die Zuerkennung des Merkzeichens "G" in Rede stand und damit wegen der
damit verbundenen Vergünstigungen (etwa die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr oder
steuerrechtliche Vergünstigungen im Sinne des § 9 Abs. 2 S. 11 Nr. 2 EStG und des § 33 EStG) insgesamt
betrachtet eine leicht überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit anzunehmen ist.
Der Kläger hat für die in § 14 Abs. 1 S. 1 und S. 3 RVG genannten sonstigen Kriterien, mithin die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse oder ein besonderes Haftungsrisiko, nichts vorgetragen, was sich als überdurchschnittlich
einstufen ließe; vielmehr sind sie als durchschnittlich zu bewerten.
Der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit waren unterdurchschnittlich. Ein
schwerbehindertenrechtliches Verfahren bewertet die Kammer im hier vorzunehmenden Vergleich mit den
üblicherweise in diesem Rechtsgebiet geführten Gerichtsverfahren dann als durchschnittlich umfangreich und
schwierig, wenn der Rechtsvertreter (1.) Klage erhebt, (2.) die Verwaltungsvorgänge zur Akteneinsicht anfordert, (3.)
die Klage unter Auseinandersetzung mit den im Verwaltungsverfahren eingeholten Befundberichten und den
Ausführungen in den angegriffenen Entscheidungen umfassend unter eingehender Auseinandersetzung mit den
Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht
(AHP) begründet, (4.) mindestens die Schwerbehinderteneigenschaft und darüber hinaus (5.) die Feststellung der
medizinischen Voraussetzungen für ein Merkzeichen zwischen den Beteiligten im Streit stehen und er sich im
Verlaufe des Klageverfahrens ferner (6.) mit denjenigen Befundberichten und mindestens einem fachärztlichen
Sachverständigengutachten oder mehreren umfangreichen Befundunterlagen und den versorgungsärztlichen
Stellungnahmen des ärztlichen Dienstes des Beklagten inhaltlich schriftsätzlich unter erneuter Berücksichtigung der
AHP auseinandersetzt, die anlässlich des laufenden Klageverfahrens eingeholt oder sonst vorgelegt werden. Die
sonstigen Tätigkeiten wie etwa die übliche schriftliche Korrespondenz und Besprechungen mit dem Mandanten
gehören darüber hinaus zu den obligatorischen Tätigkeiten eines seinen Mandanten umfassend beratenden und
vertretenden Rechtsanwalt, der durch diese Tätigkeiten (lediglich) seinen insbesondere aus den §§ 43, 43 a
Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) folgenden Berufspflichten nachkommt.
Ausgehend von diesen Maßstäben ist das Verfahren als unterdurchschnittlich umfangreich und schwierig zu
bewerten: Streitgegenständlich war zwar vorliegend die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft und die
Vergabe des Merkzeichens "G". Jedoch war die Verfahrensdauer recht kurz. Darüber hinaus handelte es sich
insgesamt auch nur um ein vergleichsweise geringes Aktenvolumen. Die Erhebung der Klage, die Durcharbeitung der
Verwaltungsakten des Beklagten sowie die sonstige Korrespondenz des Prozessbevollmächtigten des Klägers und
die in diesem Zusammenhang durchgeführten Besprechungen wiesen im vorliegenden Fall nach Einschätzung des
Gerichts keinen überdurchschnittlichen Umfang oder eine überdurchschnittliche Schwierigkeit auf. Nach Überzeugung
der Kammer ist letztlich entscheidend, dass sich zwar Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit bis zur
Fertigung der Klagebegründung als gerade noch durchschnittlich darstellten, jedoch danach auf ein
unterdurchschnittliches Niveau absanken. Denn auch unter Berücksichtigung der Auseinandersetzung mit dem neu
vorgelegten (fachfremden) Sachverständigengutachten des Orthopädischen Rehabilitationszentrums Hannover –
Annastift – vom 26. September 2005 in der Klagebegründung waren Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit nach den oben aufgestellten Kriterien wegen der nur ansatzweise erfolgten Auseinandersetzung mit den AHP
gerade noch durchschnittlich und keinesfalls überdurchschnittlich. Nach der Übersendung der Klagebegründung
erfolgte eine schriftsätzlich dokumentierte Auseinandersetzung mit den im Klageverfahren eingeholten
Befundunterlagen und den ärztlichen Stellungnahmen des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten dann
überhaupt nicht mehr und musste auch nicht mehr erfolgen, weil der Beklagte mit der Abgabe seines Anerkenntnisses
dem Klagebegehren vollumfänglich entsprach. Eine objektiv erforderliche nennenswerte Tätigkeit - darauf kann es
allein ankommen - ist deshalb danach - abgesehen von der mit dem Mandanten erfolgten Besprechung und der
Abgabe der prozessbeendenden Erklärungen, die obligatorisch sind - nicht mehr erfolgt. Unter Abwägung der oben
aufgestellten Kriterien liegt daher offensichtlich insgesamt betrachtet lediglich eine unterdurchschnittlich schwierige
und umfangreiche anwaltliche Tätigkeit vor, die von dem eingangs abgesteckten Rahmen deutlich nach unten
abweicht.
Wägt man die dargestellten insgesamt unterdurchschnittlichen (objektiven) Anforderungen an die anwaltliche Tätigkeit
und die durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers mit der für diesen leicht
überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit ab, so rechtfertigt dies gerade noch die Zuerkennung der
Mittelgebühr in Höhe von 170,00 EUR. Im Übrigen sieht sich das Gericht wegen des Verbots der reformatio in peius
daran gehindert, den Kostenfestsetzungsbeschluss insoweit zu Lasten des Klägers zu ändern, weil der Beklagte
seinerseits keine Erinnerung eingelegt hat.
2. Die Bestimmung der Terminsgebühr in Höhe der Mittelgebühr ist nicht verbindlich, weil sie unbillig ist.
Demgegenüber hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Terminsgebühr kostenrechtlich zutreffend erfasst und
zu Recht auf einen Betrag in Höhe von 100,00 EUR festgesetzt.
Der Rechtsstreit wurde durch die Annahme eines Anerkenntnisses beendet, so dass ein Termin tatsächlich nicht
stattgefunden hat. Eine Terminsgebühr nach Ziffer 3106 VV-RVG ist dennoch entstanden.
Durch die Regelung der Nr. 3106 VV-RVG (Ziffern 1 bis 3) soll verhindert werden, dass gerichtliche Termine allein zur
Wahrung des Gebührenanspruchs stattfinden müssen; sie bietet einen Anreiz für den Rechtsanwalt, auf die
Durchführung des Termins zu verzichten. Die Anwendung der Grundsätze des § 14 RVG auf die "fiktive"
Terminsgebühr nach Ziffer 3106 Nr. 1 bis 3 VV RVG ist mit dem Problem behaftet, dass ein Termin tatsächlich nicht
stattgefunden hat und dessen Schwierigkeit und Aufwand für den Prozessbevollmächtigten damit nicht bewertet
werden können. Die Kammer hält an ihrer bisherigen Rechtsauffassung, wonach sich die Höhe der Terminsgebühr an
der Höhe der Verfahrensgebühr zu orientieren hatte, nicht mehr fest und teilt nunmehr auch die Auffassung des
Sozialgerichts Hannover (vgl. u. a. Beschluss vom 20. Dezember 2005, - S 34 SF 119/05 -) und des Sozialgerichts
Lüneburg (vgl. Beschluss vom 29. August 2006, - S 5 SF 79/06 - und Beschluss vom 29. August 2006, - S 14 SF
42/06 –), wonach bei der Bemessung der Terminsgebühr auf den hypothetischen Aufwand abzustellen ist, der bei
Durchführung eines Termins im konkreten Verfahrensstadium voraussichtlich entstanden wäre. Somit ist eine fiktive
Vergleichsbetrachtung anzustellen, in welcher Höhe ein Gebührenanspruch voraussichtlich entstanden wäre, wenn ein
Termin stattgefunden hätte (vgl. auch Beschluss der Kammer vom 19. April 2007, - S 15 SF 48/06 -).
Das Gesetz eröffnet in Ziffer 3106 VV-RVG daher erneut den Gebührenrahmen in vollem Umfang und knüpft nicht an
die Höhe der Verhandlungsgebühr an. Gäbe es für die Festlegung der Terminsgebühr nicht die Möglichkeit einer
eigenständigen Festsetzung unter Beachtung der in § 14 RVG festgelegten Kriterien, hätte es der Eröffnung eines
Gebührenrahmens nicht bedurft. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der Normgeber in denjenigen Fällen, in denen
keine Betragsrahmengebühren entstehen einen festen Wert – nämlich nach Nr. 3104 VV-RVG einen solchen von 1,2 –
festgeschrieben hat. Insoweit ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht immer dann, wenn es um die
Abgeltung der fiktiven Terminsgebühr geht, quasi automatisch nur die Mindestgebühr gerechtfertigt. Anderenfalls hätte
der Normgeber auch bei der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG einen bestimmten Betrag festgeschrieben
wie er es beispielsweise bei den Angelegenheiten der Beratungshilfe nach Nr. 2600 ff. VV-RVG, in Strafsachen bei
den Gebühren des gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalts nach den Nr. 4100 ff. VV-RVG oder den
sonstigen Verfahren nach den Nr. 6100 ff. VV-RVG getan hat. Auch wenn in diesen Verfahren keine
Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG entstehen, war sich der Normgeber offensichtlich durchaus der Möglichkeit
der Festschreibung von Gebührenbeträgen bewusst.
Wenn danach auch bei der fiktiven Terminsgebühr von einem Gebührenrahmen zwischen 20,00 EUR und 380,00 EUR
auszugehen ist, ergibt eine auf einen hypothetischen Termin bezogene Abwägung der Kriterien des § 14 RVG, dass
insoweit eine unterdurchschnittliche Angelegenheit vorliegt. Dem Anwalt steht die Mittelgebühr hinsichtlich der
Terminsgebühr für Termine mit durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem Aufwand und durchschnittlicher
Bedeutung für den Mandanten zu. Entscheidend ist eine Gesamtabwägung. Es müssen sämtliche den
Gebührenanspruch potentiell beeinträchtigenden Faktoren miteinander und gegeneinander im Einzelfall abgewogen
werden.
Unter Beachtung aller Abwägungskriterien, die für die Verfahrensgebühr die Mittelgebühr rechtfertigt, erscheint eine
Terminsgebühr in Höhe der Hälfte der Mittelgebühr angemessen.
Dabei ist der anwaltliche Aufwand für den nicht stattgefundenen entbehrlichen Termin als weit unterdurchschnittlich zu
werten. Bei der fiktiven Terminsgebühr nach Ziffer 3106 Nr. 3 VV RVG – also bei Erledigung durch angenommenes
Anerkenntnis – besteht die Besonderheit, dass ein Anerkenntnis vorliegt, das im (hypothetischen) Termin lediglich
noch der Annahme bedurft hätte, ein solcher Termin insoweit mit keinem besonderen Aufwand verbunden gewesen
wäre. Sinn und Zweck des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ist in erster Linie die sachgerechte Vergütung (des
Aufwands) für den Bevollmächtigten. Diese ist aber erfahrensgemäß sehr unterschiedlich, je nachdem, ob er an einer
mündlichen Verhandlung teilnehmen muss oder nicht. Nimmt der Mandant ein Anerkenntnis der Gegenseite an, führt
dies auch beim Bevollmächtigten zu einer erheblichen Reduzierung seines Aufwands in diesem Verfahren. Die
Annahme des Anerkenntnisses kann er dem Gericht in einem kurzen Schriftsatz mitteilen. Der im Vergleich zur
notwendigen Teilnahme einer mündlichen Verhandlung also deutlich verminderte Aufwand kann gebührenrechtlich
nicht außer Betracht bleiben. Unberücksichtigt bleiben darf dabei auch nicht, dass eine mündliche Verhandlung,
welche regelmäßig eine zusätzliche Vorbesprechung, Vorbereitung und Terminswahrnehmung mit - je nach Einzelfall
unterschiedlich aufwändigem - Hin- und Rückweg nicht stattgefunden hat. In der Zusammenschau sieht das Gericht
deshalb den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit insoweit als weit unterdurchschnittlich an.
Da bei der Bemessung auch der Terminsgebühr gemäß § 14 RVG jedoch alle Umstände des Einzelfalles zu
berücksichtigen sind, kann andererseits auch nicht allein auf den zu erwartenden geringen Aufwand allein abgestellt
werden.
Indes erscheint auch der Schwierigkeitsgrad eines entsprechenden Termins unterdurchschnittlich. Streitig war zwar
insoweit die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft. Gemessen an dem Schwierigkeitsgrad der sonstigen bei
den Sozialgerichten zu verhandelnden Rechtsstreitigkeiten auch im Schwerbehindertenrecht, in dem im Termin
medizinische Unterlagen und regelmäßig ein ausführliches schriftliches Sachverständigengutachten auszuwerten und
zu erörtern sind sowie gegebenenfalls eine Anhörung der Beteiligten erforderlich ist, weicht die Schwierigkeit eines
solchen (fiktiven) Termins zweifelsfrei nach unten ab, wobei allerdings nicht zu vernachlässigen ist, dass die
Zuerkennung der medizinischen Voraussetzungen für ein Merkzeichen begehrt worden ist und hätte erörtert werden
müssen. Auch und gerade darf bei der Bewertung des Schwierigkeitsgrades kostenrechtlich aber nicht
unberücksichtigt bleiben, dass der Beklagte den Kläger klaglos gestellt hat und es in einem etwaigen Termin lediglich
noch der Erklärung der Annahme des Anerkenntnisses bedurft hätte. Der vorliegende Termin wäre bezogen auf die
Höhe der Terminsgebühr nach alledem mit Sicherheit nicht durchschnittlich schwierig.
Wägt man die dargestellten unterdurchschnittlichen Anforderungen an die hypothetische anwaltliche Tätigkeit mit den
durchschnittlichen Einkommensverhältnissen und der leicht überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für
den Kläger sowie das durchschnittliche Haftungsrisiko gegeneinander ab, ist das vorliegende Streitverfahren auch
hinsichtlich der Festsetzung der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG in Höhe von 100,00 EUR - mithin in Höhe der
Hälfte der Mittelgebühr - kostenrechtlich angemessen erfasst.
3. Schließlich hat der Urkundsbeamte den Anfall einer Erledigungsgebühr - entgegen der mit heftiger Kritik
untermauerten Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers - zu Recht verneint. Gemäß Nr. 1005 VV-RVG
entsteht eine Erledigungsgebühr bei Einigung oder Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im
gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen. Gemäß Nr. 1002 VV RVG, auf den Nr. 1005 VV-RVG für
seinen Anwendungsbereich Bezug nimmt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder
Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt (Satz
1). Das gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten
Verwaltungsakts erledigt (Satz 2).
Die Rechtssache, das Klageverfahren, hat sich nicht durch die anwaltliche Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten
des Klägers erledigt. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließt,
ist unter der anwaltlichen Mitwirkung im Sinne dieser Gebührenposition eine qualifizierte erledigungsgerichtete
Mitwirkung des Rechtsanwaltes zu verstehen (Urteile vom 07. November 2006 - B 1 KR 13/06 R, B 1 KR 22/06 R
sowie B 1 KR 23/06 R, zitiert nach juris). Unter Hinweis auf den Wortlaut der Nr. 1005 VV-RVG, ihrem systematischen
Zusammenhang mit vergleichbaren Gebührenpositionen, Sinn und Zweck der Regelung sowie ihrer
Entstehungsgeschichte hat das Bundessozialgericht herausgestellt, dass ein auf die Erledigung der Rechtssache
gerichtetes Tätigwerden des Rechtsanwaltes erforderlich ist, das über die bloße Einlegung und Begründung des
Rechtsbehelfes oder Rechtsmittels hinausgeht. Die allgemeine Wahrnehmung verfahrensmäßiger bzw. rechtlicher
Interessen für den Mandanten genügt nicht. Die anwaltliche Tätigkeit muss vielmehr über das Maß desjenigen
hinausgehen, dass schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im
sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren abgegolten wird.
Bereits nach der Rechtsprechung zu der Vorgängerregelung des § 24 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung
(BRAGO), die auch für die Auslegung der Nr. 1005, 1002 VV-RVG weiterhin maßgeblich ist (Bundessozialgericht, a.
a. O.), wurde ein besonderes Bemühen um eine außergerichtliche Erledigung des Rechtsstreits verlangt, wobei die
Begründung des Rechtsbehelfs oder -mittels nicht ausreichte (Bundessozialgericht, SozR 3-1930 § 116 Nr. 4 und 7).
Dies zugrunde gelegt reicht die Begründung der erhobenen Klage und die Abgabe der Erledigungserklärung bzw. die
Erklärung der Annahme des abgegebenen (vollen) Anerkenntnisses nicht aus, das Entstehen der Erledigungsgebühr
zu begründen. Hierin sind lediglich Verfahrenshandlungen des Prozessbevollmächtigten zu sehen, die der mit der
Geschäftsgebühr abgegoltenen anwaltlichen Tätigkeit entsprechen: Die Geschäftsgebühr Nr. 3102 VV-RVG bzw. Nr.
3103 VV-RVG entsteht für das Betreiben des Geschäfts (vgl. amtl. Vorbem. 2.5.II i. V. m. 2.4.III). Hierzu gehören
diejenigen anwaltlichen Tätigkeiten, die üblicherweise bei dem hier in Streit stehenden Klageverfahren - das über die
Verpflichtung der Beklagten geführt wird, einen höheren GdB sowie die medizinischen Voraussetzungen eines
Merkzeichens festzustellen - erwartet werden können.
Die Nr. 1002 VV-RVG besitzt auch - entgegen der Auffassung des Klägers - keinen neuen Regelungsinhalt, der von
dem der Vorgängervorschrift des § 24 BRAGO abweichen würde. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass hier
neues Recht geschaffen wurde oder geschaffen werden sollte. So heißt es auch in den Gesetzesmaterialien im
Entwurf zum Kostenrechtsmodernisierungsgesetz Bundestags-Drucksache 15/1971, S. 204:
"Die Erledigungsgebühr der Nr.1002 VV-RVG-E entstammt § 24 BRAGO. In der Anmerkung soll nunmehr
ausdrücklich der Fall erwähnt werden, in dem sich eine Verwaltungsangelegenheit durch den Erlass eines früher
abgelehnten Verwaltungsakts erledigt. Dies entspricht der in Rechtsprechung und Literatur bereits zu § 24 BRAGO
vertretenen Auffassung (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, a.a.O. Rdnr. 4 zu § 24 BRAGO)."
Dies bedeutet mithin, dass die hierzu ergangene Rechtsprechung auch weiterhin Geltung beansprucht
(Bundessozialgericht, a. a. O.). Die nach alledem erforderliche, auf eine Erledigung gerichtete qualifizierte anwaltliche
Mitwirkung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Klageverfahren nicht entfaltet. Seine Tätigkeit beschränkte
sich - wie ausgeführt - auf die Erhebung und Begründung der Klage. Es ist nicht erkennbar, dass er in der
erforderlichen Weise daran mitgewirkt hat, dass der Beklagte vom Standpunkt des Klägers überzeugt wurde und
deshalb dem Klagebegehren entsprach.
4. Da die Festsetzung von Auslagenpauschale, Mehrwertsteuer und Verzinsung nicht im Streit stand, verbleibt es im
Übrigen bei den Festsetzungen im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07. April 2006 in der Fassung des Beschlusses
vom 23. Oktober 2006. Auf die dortige zutreffende Berechnung wird zur Vermeidung von unnötigen Wiederholungen
Bezug genommen. Die Kammer erlaubt sich allerdings noch darauf hinzuweisen, dass der Prozessbevollmächtigte
des Klägers die Auslagenpauschale für das gerichtliche Verfahren nicht beantragt hat; eine Änderung der
angegriffenen Festsetzungsentscheidungen zu Lasten des Klägers kommt jedoch auch insoweit wegen des Verbotes
der reformatio in peius nicht in Betracht.
5. Die Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG endgültig.