Urteil des SozG Lüneburg vom 30.07.2007

SozG Lüneburg: schutz der menschenwürde, hauptsache, verwertung, niedersachsen, sicherstellung, verfügung, grundrecht, erlass, ratenzahlung, miteigentum

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 30.07.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 30 AS 958/07 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückzahlung
verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 05. Juli 2007 bis 31. Dezember 2007, längstens bis zur Entscheidung
in der Hauptsache, Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 312,00 EUR monatlich zu gewähren. Dem Antragsteller
wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt E., F ... beigeordnet. Die Antragsgegnerin
trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragsteller zu 9/10.
Gründe:
Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 347,00 EUR monatlich. Er
stellte am 28. Februar 2007 einen Antrag auf Gewährung von Leistungen bei der Antragsgegnerin. Nachdem diese
mehrfach Unterlagen zur Ermittlung des Einkommens und Vermögens des Antragstellers angefordert hatte, lehnte sie
mit Bescheid vom 07. Juni 2007 den Antrag ab. Begründet wurde dies damit, dass das zu berücksichtigende
Vermögen von insgesamt 130.956,00 EUR die Grundfreibeträge übersteige. Im Wesentlichen geht es hierbei offenbar,
obwohl dies im Bescheid nicht so erwähnt ist, um die Frage, ob ein Hausgrundstück, das im Miteigentum des
Antragstellers steht, nach dem SGB II als Vermögen zu verwerten ist. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller
mit Schreiben vom 18. Juni 2007 Widerspruch ein. Über den Widerspruch ist bisher nicht entschieden. Am 05. Juli
2007 beantragte der Antragsteller die Gewährung von Leistungen in Höhe von 347,00 EUR monatlich (Regelsatz für
einen Alleinstehenden), da er sich zum einem gegen die Verwertung seines Hausgrundstückes wandte und zum
anderen rügte, dass er nicht – wie von der Antragsgegnerin angenommen - in einer Verantwortungs- und
Einstandsgemeinschaft mit seiner Miteigentümerin Frau G. lebe (siehe auch Verfahren S 30 AS 848/07 ER).
Der Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg.
Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag
eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf
ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.
Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2
SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit
der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch).
Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. § 920 Abs.
2 ZPO).
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch auf Gewährung von Leistungen in Höhe von 312, 00 EUR monatlich
glaubhaft gemacht.
Die Frage, ob das Hausgrundstück des Antragstellers zu verwerten ist oder nicht, bedarf noch einer weiteren Klärung
im Ermittlungsverfahren. Dies ergibt sich auch aus dem Bescheid der Antragsgegnerin, in dem trotz Ablehnung des
Anspruchs noch weitere Unterlagen aufgeführt wurden, die einen Anspruch auf Leistungen begründet könnten. Diese
Unterlagen liegen bisher nicht vor, so dass auch dem Gericht eine abschließende Beurteilung des zu Grunde
liegenden Sachverhaltes nicht möglich ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Entscheidung des BVerfG vom 12. Mai 2005 – Az.: 1
BvR 569/05) müssen die Gerichte in solchen Eilfällen, in denen sie sich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache
orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen. Ist dem Gericht
eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Hierbei sind die grundrechtlichen
Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuche der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen. Diese
Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der
Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG a.a.O.).
Im vorliegenden Fall ist nicht auszuschließen, dass das dem Antragsteller zum Teil gehörende Hausgrundstück nicht
zu verwerten ist, zumal Hausgrundstücke grundsätzlich zu dem geschützten Vermögen gehören. Weiter ist zu
berücksichtigen, dass die Verwertung eines Hausgrundstückes keinesfalls von heute auf morgen erfolgen kann,
sondern allenfalls durch einen – zeitlich üblicherweise sehr langwierigen – Verkauf. In der Zwischenzeit dürfte der
Antragsteller, wenn er über kein weiteres verwertbares Vermögen verfügt, was nach Aktenlage offenbar der Fall ist,
dennoch hilfebedürftig sein. Selbst die Annahme einer Verwertbarkeit des Hausgrundstücks dürfte dazu führen, dass
dem Antragsteller zumindest vorläufig – gegebenenfalls bis zur Verwertung – Leistungen nach dem SGB II
zuzusprechen wären. Unter diesen Umständen gebietet es das Grundrecht des Antragstellers auf Sicherung seines
Existenzminimums ihm umgehend Leistungen nach dem SGB II zur Verfügung zu stellen.
Hinsichtlich des Antrags auf Gewährung von 347,00 EUR Regelleistung für einen Alleinstehenden an Stelle von
312,00 EUR Regelleistung für Personen, die in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft leben, war der
Antrag abzulehnen.
Die Differenz für Alleinstehende zum Regelsatz für Partner beträgt 10 %. Nach der Rechtsprechung des
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Beschl. v. 10. Februar 2006, Az.: L 9 AS 1/06 ER) kann von einem
Rechtsschutzbedürfnis bei Beträgen, die bis zu 10 % der Regelleistung betragen, nicht ausgegangen werden. Das
Gericht folgt dieser Rechtsprechung und geht bei geltend gemachten Beträgen, die bis zu 10 % der Regelleistung
betragen, regelmäßig davon aus, dass kein Rechtsschutzbedürfnis besteht, wobei dies in Einzelfällen kann aufgrund
der Besonderheit der Falles dennoch der Fall sein. Um einen solchen Einzelfall handelt es sich hier jedoch nicht.
Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (Beschl. v. 20. Januar 2006, Az.: L 7 AS
462/05 ER) besteht darüber hinaus für ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren mit dem Begehr, die Differenz
zwischen den Leistungen für Partner in eheähnlicher oder einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft und
Alleinstehenden zu erhalten, kein Rechtsschutzbedürfnis, da in diesen Fällen in der Regel aufgrund des
Zusammenlebens dem Einzelnen geringere Kosten entstehen. Dem Antragsteller ist es daher zuzumuten, hinsichtlich
der Frage, ob eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft vorliegt, eine Entscheidung in der Hauptsache
abzuwarten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat Erfolg (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG und entspricht dem Umfang des Obsiegens des Antragstellers.