Urteil des SozG Lüneburg vom 28.03.2006

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Sozialgericht Lüneburg
Urteil vom 28.03.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 19 SB 202/04
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "G" im Wege der Neufeststellung.
Bei der Klägerin sind durch den letzten bestandskräftigen Bescheid des Beklagten vom 17. April 2001 folgende
Funktionsbeeinträchtigungen als Behinderung nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und
Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) mit einem Grad der Behinderung (GdB) in Höhe von 50 anerkannt:
1. Umformende Veränderungen der Wirbelsäule, Zustand nach Bandscheibenoperation, Schmerzsyndrom; 2.
Sehminderung.
Hierfür setzte der Beklagte einen Einzel-GdB von 40 sowie einen Einzel-GdB von 20 fest.
Mehrere Neufeststellungs- und Widerspruchsverfahren, mit denen die Klägerin im Wesentlichen einen höheren GdB
bzw. den Nachteilsausgleich "G" begehrte, blieben in der Folgezeit erfolglos. Am 24. Mai 2004 stellte die Klägerin den
hier streitgegenständlichen Antrag auf Neufeststellung des GdB und auf Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" ab
Antragstellung.
Der Beklagte holte Befundberichte des Dr. G. vom 17. Juni 2004 (einschließlich Anlagen), des Urologen Dr. med. H.
vom 16. Juni 2004 sowie eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. I. vom 15. Juli 2004 ein.
Daraufhin erging der hier angefochtene Bescheid des Beklagten vom 23. Juli 2004, mit dem der Beklagte den
Neufeststellungsantrag gänzlich ablehnte. Eine wesentliche Veränderung sei nicht eingetreten, an der Feststellung
vom 17. April 2001 werde festgehalten.
Hiergegen erhob die Klägerin am 2. August 2004 Widerspruch, den sie damit begründete, dass ihr
Gesundheitszustand nicht ausreichend gewürdigt worden sei. Zur Stützung ihres Begehrens fügte sie ein ärztliches
Attest der Frau Dr. J. vom 4. September 2003 bei, dem folgende Diagnosen zu entnehmen sind:
Postdiskotomiesyndrom nach Bandscheibenoperation; operative Maßnahmen zu Schmerzlinderungen seien nach
Aussage des Neurochirurgen Dr. K. nicht mehr möglich; daneben bestehe eine Kniegelenksarthrose links;
hinzugetreten sei auch ein Nervenschaden durch eine Krampfaderoperation am linken Unterschenkel; eine Gehstrecke
von 2000 m könne nicht mehr in etwa einer halben Stunde zurückgelegt werden.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2004 zurück, nachdem eine
versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. S. I. vom 17. September 2004 eingeholt worden war.
Mit der hiergegen erhobenen Klage, die am 1. November 2004 bei dem Sozialgericht Lüneburg eingegangen ist,
begehrt die Klägerin nunmehr (nur noch) die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G".
Die Klägerin begründet ihre Klage ergänzend damit, dass die bei ihr bestehende Schmerzsymptomatik
mitberücksichtigt werden sollte. Frau Dr. J. habe eine chronische Schmerzkrankheit - Stadium III - diagnostiziert. Dies
stelle das höchste Stadium dar. Die Klägerin werde dadurch insgesamt erheblich eingeschränkt. Ferner habe die
Schmerztherapeutin im Attest vom 4. September 2003 ausdrücklich festgestellt, dass die Klägerin eine Gehstrecke
von 2 km nicht mehr in etwa einer halben Stunde zurücklegen könne.
Die Klägerin beantragt,
1. den Bescheid des Beklagten vom 23. Juni 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2004
aufzuheben, 2. den Beklagten zu verurteilen, bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Vorliegen des
Merkzeichens "G" seit dem 24. Mai 2004 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes Befundberichte der Schmerztherapeutin Dr.
med. J. vom 7. April 2005 eingeholt. Zusammenfassend kam Dr. J. zu dem Ergebnis, dass eine chronische
Schmerzkrankheit Stadium III, ein Postdiskotomiesyndrom L5/S1 links; eine Neuropathie N. suralis links; Myogelosen
der Schulter-Nackenmuskulatur; eine Gonarthrose links sowie eine Migräne ohne Aura vorliege. Zahllose
Behandlungsversuche und Untersuchungen durch verschiedenste Fachärzte haben zu keiner deutlichen Verbesserung
geführt. Der Gesundheitszustand schwanke stark, wesentliche Veränderungen seien nicht eingetreten. Die Kriterien
der Fibromyalgie seien formal erfüllt. Ferner holte das Gericht Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. G. vom 8.
April 2005 ein, der ein chronisches Schmerzsyndrom im Bereich der Wirbelsäule bei Zustand nach
Bandscheibenoperation attestierte und ausführte, die Rückenschmerzen seien langfristig stagnierend bis
fortschreitend. Schließlich holte das Gericht einen Befundbericht des Neurologen Dr. L. vom 21. März 2005 ein, der
die Ausführungen der vorgenannten Kollegen im Wesentlichen bestätigte, insbesondere ausführte, eine kritische
Wurzelkompression läge im Segment S5/L1 nicht vor. Ferner lagen dem Gericht Arztbriefe bzw. Arztberichte des
Radiologen Dr. med. M. vom 20. September 2004, des Radiologen Dr. N. vom 16. September 2004, des Orthopäden
Dr. med. O. vom 8. September 2004, des Urologen Dr. P. vom 27. April 2004, des Kardiologen Dr. Q. - ohne Datum -,
des Internisten Dr. R. vom 1. April 2004 sowie des Neurochirurgen Dr. med. K. vom 22. Mai 2003 vor. Schließlich hat
die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung noch ein Attest des Allgemeinmediziners Dr. G. vom 06. März
2006, einen Arztbrief des Allgemeinen Krankenhauses S. vom 05. Januar 2006 sowie einen Arztbrief des
Nuklearmedizinizers Dr. T. vom 15. März 2006 zur Gerichtsakte gereicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll
der mündlichen Verhandlung vom 28. März 2006 sowie die Gerichtakte und die die Klägerin betreffende
Schwerbehindertenakte des Beklagten verwiesen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des
Beklagten vom 23. Juli 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2004 erwies sich nicht als
rechtswidrig. Der Beklagte hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen des
Nachteilsausgleiches "G" nicht erfüllt.
Nach § 69 Abs. 1 SGB IX ist auf Antrag des behinderten Menschen durch die für die Durchführung des
Bundesversorgungsgesetzes zuständige Behörde das Vorliegen einer Behinderung und der GdB festzustellen. Bei der
Einzel- und Gesamtbeurteilung des GdB sind die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" zugrunde zu legen (herausgegeben vom (damaligen)
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Ausgabe 2004 – AHP 2004). Diese rechtsnormähnlichen
(vgl. BSG, Urteil vom 11. Oktober 1994 – 9 RVs 1/93 , BSGE 75, 176) Anhaltspunkte bilden das Ergebnis langer
medizinischer Erfahrung und stellen ein geschlossenes Beurteilungsgefüge zum GdB dar (BSG, Urteil vom 23. Juni
1993 – 9/9a RVs 1/91 – BSGE 72, 285). Damit dient ihre Anwendung vor allem auch der Gleichbehandlung aller
Behinderten (BSG, Urteil vom 6. Dezember 1989 –9 RVs 3/89 , SozR 3870 § 4 Nr. 3).
Nach § 3 Abs. 2 der Schwerbehindertenausweisverordnung ist auf dem Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen
"G" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich
beeinträchtigt im Sinne des § 146 Abs. 1 SGB IX ist. Gemäß § 146 Abs. 1 S. 1 SGB IX ist ein schwerbehinderter
Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, der infolge einer Einschränkung des
Gehvermögens, auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht
ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere, Wegstrecken im Ortsverkehr
zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Diese Voraussetzungen sind nach Nr. 30
Abs. 3 der AHP 2004, S. 138 erfüllt, wenn Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der
Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen (1. Variante) oder bei Behinderungen
der unteren Gliedmaßen mit einem GdB von unter 50, die sich besonders ungünstig auf die Gehfähigkeit auswirken,
z.B. bei Versteifung des Hüftgelenkes, Versteifung des Knie- oder Fußgelenkes in ungünstiger Stellung oder
arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 (2. Variante).
Vorliegend erfüllt die Klägerin nach Überzeugung der Kammer weder die Voraussetzungen der 1. Variante noch
diejenigen der 2. Variante.
Zunächst liegen bei der Klägerin keine Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule
vor, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen.
Bei der Klägerin liegen nämlich für diesen Komplex ("lediglich") Behinderungen vor, die einen GdB von (höchstens) 40
bedingen. Denn nach den AHP 2004, Nr. 26.18, S. 116 ist ein Grad der Behinderung von 20 für mittelgradige bzw. ein
Grad der Behinderung von 30 für schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt bzw. ein Grad
der Behinderung von 30 bis 40 für mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei
Wirbelsäulenabschnitten anzusetzen. Ferner kann nach den AHP 2004, Nr. 26.18, S. 116 auch ohne nachweisbare
neurologische Ausfallserscheinungen bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen (z. B. Postdiskotomiesyndrom) ein
GdB von über 30 in Betracht kommen. Bei der Klägerin liegen nach den zahlreichen ärztlichen Befundunterlagen
umformende Veränderungen der Wirbelsäule, ein Zustand nach Bandscheibenoperation und ein Schmerzsyndrom vor,
wobei die behandelnde Schmerztherapeutin Dr. J. in ihrem Befundbericht vom 07. April 2005 ausdrücklich ein
Postdiskotomiesyndrom im Bereich L5/S1, also im Bereich der Lendenwirbelsäule, beschreibt. Darüber hinaus
beschreibt der Neurologe Dr. L. in seinem Befundbericht vom 21. März 2005, dass eine objektivierbare funktionelle
motorische Einschränkung im Wirbelsäulenbereich nicht vorliege. Nach Überzeugung der Kammer liegt folglich nach
den ärztlichen Befundunterlagen ein Wirbelsäulenschaden mit (allenfalls) mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in
einem Wirbelsäulenabschnitt - nämlich der Lendenwirbelsäule - vor, was nach den AHP 2004, Nr. 26.18, S. 116 - wie
ausgeführt - einen GdB von 20 bedingt. Demgegenüber finden sich nach Auffassung der Kammer in den zahlreichen
Befundunterlagen keine Hinweise darauf, dass bei der Klägerin sogar schwere funktionelle Auswirkungen im
Lendenwirbelsäulenbereich bzw. dauerhafte Funktionseinschränkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen, die
einen höheren GdB rechtfertigen würden.
Die Kammer verkennt jedoch nicht, dass die Klägerin ausweislich der zahlreichen Atteste unter erheblichen
Schmerzen leidet, so dass eine Erhöhung des Einzel-GdB gerechtfertigt ist. Denn nach Nr. 18 Abs. 8, S. 24 der AHP
2004 schließen zwar die in der GdB-Tabelle der AHP 2004 angegebenen Werte die üblicherweise vorhandenen
Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände. Allerdings können
in den Fällen, in denen eine über das übliche Maß hinausgehende, eine spezielle ärztliche Behandlung erfordernde
Schmerzhaftigkeit anzunehmen ist, höhere Werte angenommen werden. Ferner können nach Nr. 26.18, S. 116 der
AHP 2004 bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallserscheinungen
(z. B. Postdiskotomiesyndrom) GdB-Werte über 30 in Betracht kommen. Ein solcher Fall liegt hier nach Auffassung
der Kammer auch vor. Denn die Klägerin befindet sich bereits seit dem 08. Dezember 1998 in schmerztherapeutischer
Behandlung. Zudem hat die behandelnde Schmerztherapeutin mehrfach ausdrücklich ein Postdiskotomiesyndrom
attestiert, so dass der oben angenommene Ausgangswert von 20 aufgrund eines außergewöhnlichen
Schmerzsyndroms im Sinne der AHP 2004 zu erhöhen ist. Ob dies - wie es der Beklagte tat - zu einem Einzel-GdB
von 40 oder - wohin die Kammer neigt - zu einem Einzel-GdB von 30 führt, kann im Ergebnis allerdings offen bleiben.
Denn jedenfalls insgesamt wird für den Komplex der unteren Extremitäten einschließlich der Lendenwirbelsäule ein
Einzel-GdB von 50 nicht erreicht, der - wie ausgeführt - zur Vergabe des Merkzeichens "G" führen könnte. Darüber
hinaus liegen auch keine anhaltenden Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen
Ausfallserscheinungen vor, die nach Nr. 26.18, S. 116 der AHP 2004 zusätzlich zu berücksichtigen wären. Denn
ausweislich des Befundberichts des Neurologen Dr. L. vom 21. März 2005 wird gerade keine kritische
Wurzelkompression beschrieben. Im Übrigen käme ein GdB von 50 (für die 1. Variante) allein bezogen auf den
Bereich der unteren Gliedmaßen beispielsweise nur bei einem Verlust eines Beines im Unterschenkel (AHP 2004. Nr.
26.18, Seite 123) oder einer Versteifung des Hüftgelenks in ungünstiger Stellung (AHP 2004, Nr. 26.18, Seite 124) in
Betracht, wofür aber bei der Klägerin hinsichtlich der Vergleichbarkeit ihrer Behinderungen mit diesen Beispielen nach
Auffassung der Kammer keinerlei Anhaltspunkte bestehen (vgl. AHP 2004, Nr. 19 Abs. 2, S. 24).
Auch soweit die Klägerin noch auf Beschwerden am Fuß sowie Durchblutungsstörungen im linken Bein hinweist, sind
diese Beschwerden mangels objektivierender Befunde hinsichtlich dauerhafter Funktionsbeeinträchtigungen nicht
geeignet, einen höheren GdB zu bedingen.
Auch die Voraussetzungen der oben dargelegten 2. Variante liegen nach Auffassung der Kammer bei der Klägerin
nicht vor. Insoweit wäre Voraussetzung, dass bei der Klägerin Behinderungen der unteren Gliedmaßen oder der
Lendenwirbelsäule vorliegen, die sich besonders ungünstig auf die Gehfähigkeit auswirken, wofür die vorliegenden
medizinischen Unterlagen aber keinen Anhalt geben. Insoweit ist die Klägerin nach Überzeugung der Kammer weit
davon entfernt, an Behinderungen zu leiden, die mit einer Versteifung des Hüftgelenkes, einer Versteifung des Knie-
oder Fußgelenkes in ungünstiger Stellung oder einer arteriellen Verschlusskrankheit mit einem GdB von 40
gleichzusetzen wären (vgl. AHP 2004, Nr. 19 Abs. 2, S. 24).
Insgesamt lassen sich den vorliegenden Befundunterlagen letztlich keine Gründe entnehmen, die eine Störung der
Geh- und Stehfähigkeit nachvollziehbar erscheinen lassen. Dies gilt auch und gerade für die im Termin zur
mündlichen Verhandlung nachgereichten medizinischen Unterlagen, denen gemeinsam ist, dass eine
Verobjektivierung der subjektiv beklagten Schmerzen der Klägerin nicht erfolgt.
Soweit die Klägerin ferner meint, die alleinige Aussage ihrer behandelnden Schmerztherapeutin Dr. J., wonach eine
Gehfähigkeit hinsichtlich einer Gehstrecke von 2000 m in 30 Minuten nicht mehr gegeben sei, kann dies nach
Auffassung des Gerichts ihrem Klagebegehren schließlich auch nicht zum Erfolg verhelfen.
Insoweit hat das Bundessozialgericht wie folgt ausgeführt (Urteil vom 27. August 1998 - B 9 SB 13/97 R -):
"Der Senat hat als allgemeine Tatsache ermittelt und festgelegt, welche Wegstrecken nach den tatsächlichen
Gehgewohnheiten der Bevölkerung im Ortsverkehr ... üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden" (BSGE 62,
273, 277 = SozR 3870 § 60 Nr. 2). Dies sind 2000 Meter. Ferner wurde der Vergleichsmaßstab für die
rechtserhebliche Bewegungsbeeinträchtigung von der Rechtsprechung um einen Zeitfaktor, nämlich eine Gehzeit von
30 Minuten für die genannte Strecke, ergänzt. Die ansonsten mit den AHP 1983 inhaltsgleichen AHP 1996 haben
diesen Maßstab übernommen (Ziff. 30 Abs. 2 S. 165; jetzt AHP 2004 Nr. 30 Abs. 3, S. 138, Anm.). Die
Anhaltspunkte geben darüber hinaus als antizipierte Sachverständigengutachten (BSGE 72, 285, 286 = SozR 3-3870,
§ 4 Nr. 6) aber auch an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen
werden kann, dass ein Behinderter infolge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im
Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist". Damit tragen die Anhaltspunkte dem Umstand Rechnung, dass das
Gehvermögen des Menschen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und
variiert wird. Darunter sind neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige
Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens
(ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem
die Motivation, zu nennen (vgl. Gebauer, MedSach 1995, 350). Von diesen Faktoren filtern die Anhaltspunkte all jene
heraus, die nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Schwerbehindertengesetz (jetzt § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, Anm.) außer
Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des Schwerbehinderten im Straßenverkehr nicht infolge
einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen
oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich
beeinträchtigen. Die AHP [ ...] beschreiben dazu [ ...] Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand
der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" als erfüllt anzusehen sind und
die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können."
Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer uneingeschränkt an. Entscheidend ist danach im vorliegenden Fall,
ob allein die bei der Klägerin festgestellten körperlichen Regelwidrigkeiten mit den von ihnen ausgehenden
Funktionsbeeinträchtigungen die Bewegungsfähigkeit einer gedachten Person ebenso weit herabsetzen, wie in den in
den Anhaltspunkten beispielhaft genannten Fällen. Erst dann ist nach dem Erfahrenswissen ärztlicher
Sachverständiger, dass sich in den Anhaltspunkten niedergeschlagen hat, anzunehmen, dass die Klägerin die
Strecke von 2000 m nicht mehr innerhalb einer halben Stunde zurücklegen kann (BSG, a. a. O.). Da bei der Klägerin -
wie ausgeführt - weder Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für
sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen, noch Behinderungen der unteren Gliedmaßen mit einem GdB von unter
50 vorliegen, die sich besonders ungünstig auf die Gehfähigkeit auswirken, hat die Beklagte zu Recht die
gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "G" nicht anerkannt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.