Urteil des SozG Lüneburg vom 15.02.2010

SozG Lüneburg: eheähnliche gemeinschaft, wohnung, einkünfte, untermietvertrag, anfang, lebensgemeinschaft, wohnfläche, nebenkosten, hauptmietvertrag, hund

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 15.02.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 48 AS 57/10 ER
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig unter dem Vorbehalt der Rückforderung bei
Unterliegen im Hauptsacheverfahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. November
2009 bis 28. Februar 2010 dem Grunde nach ohne Berücksichtigung des Einkommens ihres Vermieters D. zu zahlen.
Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen. Der Antragstellerin
wird für die Durchführung des Verfahrens vor dem Sozialgericht Lüneburg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung
bewilligt und Rechtsanwalt B., Lüneburg, beigeordnet.
Gründe:
I. Die Antragstellerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II), wobei streitig ist, ob sie
in einer Bedarfsgemeinschaft mit Herrn Matthias Dehne lebt.
Die 1966 geborene, seit April 1989 geschiedene Antragstellerin arbeitet als Kosmetikerin. Sie ist von E. nach F. und
von dort im Herbst 2008 nach Lüneburg in eine Wohnung in der "G ... 70" umgezogen.
Den Hauptmietvertrag über die Wohnung hatte Herr D. am 30. Mai 2008 mit einem Mietbeginn zum 1. August 2008
abgeschlossen. Im Mietvertrag über die 5-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 91,66 qm ist eine Grundmiete
von 484,- EUR, Betriebskostenvorschuss von 100,- EUR und ein Heizkostenvorschuss von 95,- EUR (679,- EUR)
vereinbart. Der Vertrag enthält den Hinweis, dass die Antragstellerin mit in die Wohnung einziehe und die
Genehmigung für die Tierhaltung ihres Hundes erteilt werde. Unter dem 23. Oktober 2008 schloss Herr D. mit der
Antragstellerin einen Untermietvertrag über 2 Zimmer mit einer Wohnfläche von 45 qm und einer Nettomiete von 302,-
EUR und Vorauszahlung für Nebenkosten von 95,- EUR.
Der Antragstellerin, die bereits in F. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhalten hatte,
bewilligte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 20. Januar 2009/Änderungsbescheid vom 17. März 2009 für die Zeit
vom 1. November 2008 bis 30. April 2009 Leistungen in Höhe von 660,33 EUR (Regelleistung: 351,- EUR, Kosten der
Unterkunft und Heizung: 309,33 EUR), teilweise unter Anrechnung von Einkommen aus einer geringfügigen
Beschäftigung.
Am 6. April 2009 führten Mitarbeiter der Antragsgegnerin einen Hausbesuch durch. Wegen des Ergebnisses der
Ermittlungen wird auf den Vermerk vom 6. April 2009 Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 29. Mai 2009 stellte die Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen "vorläufig ein" und
forderte Herrn D. unter Androhung eines Bußgeldes auf, Unterlagen und Nachweise (Mietvertrag,
Verdienstabrechnungen, Kontoauszüge etc.) vorzulegen.
Auf den am 9. Juni 2009 gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bewilligte das Sozialgericht
Lüneburg mit Beschluss vom 7. August 2009 - S 69 AS 877/09 ER - der Antragstellerin mit Wirkung vom 9. Juni 2009
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorläufig im einstweiligen Rechtsschutzverfahren.
Dementsprechend bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit Bescheid vom 20. August 2009 für die Zeit
vom 1. Mai bis 31. Oktober 2009 Leistungen in Höhe von 660,33 EUR, bzw. ab 1. Juli 2009 von 668,33 EUR weiter.
Über den Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen vom 24. September 2009 liegt bisher keine Entscheidung vor.
Die Antragstellerin fügte dem Antrag Erklärungen zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit bei und gab an, dass
sie darüber hinaus einen Nebenjob mit Einkünften von ca. 80,- EUR ausübe.
Am 29. Januar 2010 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Lüneburg einstweiligen Rechtsschutz begehrt. Sie trägt
vor, dass sie mit Herrn D. keine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft unterhalte. In der Wohnung bewohne
jeder zwei Zimmer, ein Wohnzimmer, Küche und Bad werden gemeinsam benutzt. Zur Stützung ihres Vorbringens
überreicht sie eine eidesstattliche Versicherung vom 28. Dezember 2009 sowie 4 Quittungen über Restzahlungen der
Mietnebenkosten von 87,- EUR zwischen November und April 2009.
Die Antragstellerin beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung
von Einkommen des Vermieters, Herrn D., zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, aufgrund des Ergebnisses der Ermittlungen sei von einer Verantwortungs- und
Einstandsgemeinschaft auszugehen.
Die Kammer hat im vorbereitenden Verfahren die Antragstellerin gehört sowie den Koch D. als Zeugen vernommen.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12. Februar 2010 Bezug
genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und
die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin, die bei der Entscheidung zugrunde gelegen haben, verwiesen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
als Regelungsanordnung zulässig, der Antrag ist begründet.
Nach der genannten Vorschrift kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Die Anwendung der Vorschrift setzt neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung
(Anordnungsgrund) voraus, dass der Rechtsschutzsuchende mit Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte
Regelung hat (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b
Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Diese Voraussetzungen liegen vor.
Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass sie einen Anspruch auf Leistungen ohne Anrechnung von Einkommen
des Vermieters Herrn D. hat. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist nicht davon auszugehen, dass die
Antragstellerin in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II lebt, so
dass bei der Bewertung der Hilfebedürftigkeit gemäß § 9 SGB II auch nicht das Einkommen und das Vermögen des
Partners zu berücksichtigen ist.
Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine
Person, die mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der
wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Angelehnt an
die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur eheähnlichen Gemeinschaft wurden Voraussetzungen
formuliert, bei deren Vorliegen von einer solchen Partnerschaft und damit von einer Bedarfsgemeinschaft
ausgegangen wird. Eine eheähnliche Gemeinschaft liegt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(BverfGE 87, 234) vor, wenn die Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau auf Dauer angelegt ist, daneben keine
weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges
Einstehen der Partner füreinander begründet, also über die Beziehungen einer reinen Haushalts- und
Wirtschaftsgemeinschaft hinaus gehen. In dem § 7 Abs. 3 a SGB II heißt es, ein wechselseitiger Wille, Verantwortung
füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, werde vermutet, wenn die Partner länger als ein Jahr
zusammenleben (Nr. 1).
Die Voraussetzungen der Vermutungsregelung sind vom Leistungsträger festzustellen. Zwar wohnt die Antragstellerin
mit Herrn D. seit November 2008 in einer Wohnung. Es ist aber nicht glaubhaft gemacht, dass in dieser Zeit auch eine
Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft bestanden hat.
Die Antragstellerin und der Zeuge D. haben übereinstimmend angegeben, dass sie getrennt wirtschaften und die
Kontakte nicht über das in einer Wohngemeinschaft Übliche hinausgehen. Die Antragstellerin leitet die Miete in der
Höhe, in der sie von der Antragsgegnerin gewährt wird (310,- EUR) weiter. Insoweit besteht nunmehr ein Rückstand
von vier Monatsmieten und den Nebenkosten seit Mai 2009.
Der Zeuge D. hat in der Beweisaufnahme glaubhaft dargelegt, dass es ihm bei der Untervermietung allein darum ging,
die große Wohnung zu finanzieren. Dementsprechend ist er nunmehr, nachdem dies über Monate nicht gesichert war,
nicht bereit, die Antragstellerin länger in seiner Wohnung zu dulden und hat den Untermietvertrag mit sofortiger
Wirkung wegen Zahlungsverzuges gekündigt. Der Antrag der Antragstellerin auf Übernahme der Aufwendungen für
eine neue Unterkunft ab 1. März 2010 und der Umzugskosten bestätigt, dass zumindest seit den Zahlungspausen das
Verhältnis tiefgreifend zerrüttet ist.
Einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft steht darüber hinaus entgegen, dass die Antragstellerin und Herr
D. eine (andere) Beziehung führen, wie sie übereinstimmend ausgesagt haben.
Allein die im zeitlichen Ablauf nicht nachvollziehbaren Angaben, warum im Hauptmietvertrag vom 30. Mai 2008 bereits
die Antragstellerin mit ihrem kleinen Hund erwähnt wurde, rechtfertigen es nicht, die Aussagen im Übrigen in Zweifel
zu ziehen. Weitere Zweifel an den Angaben ergeben sich nicht deswegen, weil die Antragstellerin Anfang Dezember
2009 nach Einzahlung von 360,- EUR insgesamt ca. 340,- EUR für Herrn D. überwiesen hat. Dies wurde
nachvollziehbar damit erklärt, dass das Konto des Herrn D. zu diesem Zeitpunkt im Soll stand, was ich Übrigen sein
Ziel auf finanzielle Entlassung durch die Untervermietung verständlich macht. Unter Würdigung der gesamten bisher
bekannten Umstände kommt die Kammer damit zu dem Ergebnis, dass das Vorliegen einer Partnerschaft im Sinne
von § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II auch unter Berücksichtigung der Vermutungsregelung in § 7 Abs. 3 a SGB II nicht mit
der erforderlichen Sicherheit glaubhaft gemacht ist.
Das Gericht vermochte auch nicht festzustellen, dass die Antragstellerin ihren Lebensunterhalt durch andere, als von
ihr angegebene Einkünfte sichern kann. Zwar mag es auffällig sein, dass die Antragstellerin nur einmalig, kurz nach
Erhalt der Nachzahlung Anfang September 2009 500,- EUR von ihrem Konto abgehoben hat. Den Umsätzen ist, wie
die Antragstellerin vorgetragen hat, weiter zu entnehmen, dass sie erhebliche Verbindlichkeiten, wie Versicherungen,
Ratenkredit der H. Bank, Kreditrate Ehepaar I., Gebühren eines Steuerbüros, Telefonkosten und Einkäufe für ihr
Kosmetikstudio zu tragen hat. Die Lastschrift-Rückgaben belegen, dass das Konto nur nach Bareinzahlungen
Deckung aufwies.
Die Antragstellerin hat Einkünfte aus einer geringfügigen Tätigkeit unterhalb des Freibetrages angegeben. Nach ihrer
Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit (Anlage EKS) hat sie seit November 2009 keinen Gewinn
erzielt. Selbst bei Berücksichtigung des Umstandes, dass sie das bestehende Darlehn mit Frau I. (Bl. 70
Verwaltungsakte) nur unregelmäßig bedienen kann, ergibt sich keine andere Beurteilung. Allein die Vermutung
aufgrund des Umstands, dass Leistungen einer Kosmetikerin in bar erbracht werden und nur geringe Barabhebungen
erfolgt sind, reicht nicht aus, die Hilfebedürftigkeit zu widerlegen.
Da sich die Leistungen zum Lebensunterhalt an dem Existenzminimum orientieren, ist der Antragstellerin bei der hier
streitigen Größenordnung nicht zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
Ausnahmsweise hat das Gericht die Verpflichtung zur Leistungsgewährung nicht auf die Stellung des
Rechtsschutzantrages beim Sozialgericht beschränkt, sondern Zahlungen ab dem Ende des vorangegangenen
Bewilligungsabschnitts angeordnet. Dies ist ausnahmsweise möglich, wenn die Notlage noch bis in die Gegenwart
fortwirkt und den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht. Das ist hier der Fall. Es ist der
Antragstellerin nicht zuzumuten, die Selbsthilfe durch das Darlehn ihrer Auftraggeberin im Dezember 2009 länger als
notwendig in Anspruch zu nehmen, da andernfalls Nachteile im Verhältnis zu ihrer Auftraggeberin eintreten können.
Die offenen Mietzahlungen greifen auf das Hauptmietverhältnis durch. Würde der Nachholbedarf nicht anerkannt,
würden andernfalls Nachteile eintreten, die durch das anschließende Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden
könnten. Andererseits hat das Gericht die Gewährung auf die Zeit bis zum beabsichtigten Umzug zum 1. März 2010
beschränkt. Danach ist eine neue Berechnung der Leistungen erforderlich. Zweifel am Bestehen eines
Untermietverhältnisses dürften danach nicht mehr bestehen, sodass es auch keiner gerichtlichen Entscheidung
bedarf.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Der Antragstellerin ist Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Verfahrens unter Beiordnung von Rechtsanwalt B.,
Lüneburg, zu bewilligen, weil das Verfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73 a SGG in Verbindung mit §§
114 ff. ZPO).