Urteil des SozG Lüneburg vom 19.02.2010

SozG Lüneburg: örtliche zuständigkeit, gewöhnlicher aufenthalt, wohnung, lebensmittelpunkt, stadt, erlass, wahrscheinlichkeit, zivilprozessordnung, unterkunftskosten, beweismittel

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 19.02.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 48 AS 103/10 ER
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 19. Februar 2010 wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu
erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II), wobei streitig ist, wo er
seinen Aufenthalt hat.
Der 1960 geborene Antragsteller ist Zimmererhelfer. Er ist seit 1997 geschieden und wohnt seit 1. April 1995 in einer
abgeschlossenen Wohnung im Haus seiner Mutter, D., in E ... Seit diesem Zeitpunkt bezieht er Leistungen von der
Bundesagentur für Arbeit bzw. seit Januar 2005 von dem Antragsgegner.
Während der Teilnahme an einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung ergaben sich im Juli 2007
Hinweise, dass sich der Antragsteller bei Frau F. (geb. G.) in H. aufhalte. Bei einem angekündigten Hausbesuch am
27. Juli 2007 stellten die Mitarbeiter des Antragsgegners keine Hinweise fest, dass sich der Antragsteller nicht ständig
in seiner Wohnung aufhalte. Daraufhin bewilligte die Stadt E. die Leistungen weiter, zuletzt mit Bescheid vom 23. Juni
2009 für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2009 in Höhe von monatlich 642,- EUR.
Die Vermutung, dass der Antragsteller seinen Lebensmittelpunkt nicht bei seiner Meldeadresse in E., sondern bei
Frau G., ehemals F., in H. habe, bestand fort, nachdem der Antragsteller in I. als Hofhelfer und im Holzhandel
gesehen wurde. Da der Antragsteller vom Außendienst in E. mehrfach nicht angetroffen wurde, führten Mitarbeiter des
Antragsgegners am 29. Juni 2009 einen Hausbesuch in I. durch und fuhren von dort nach E ... Insoweit wird auf den
Vermerk vom 6. Juli 2009 (Bl. 122 f. Verwaltungsakte) Bezug genommen. Nach Anhörung des Antragstellers hob die
Stadt E. mit Bescheid vom 7. September 2009 die Bewilligung der Leistungen ab 1. September 2009 mit der
Begründung auf, da sich der Antragsteller in H. aufhalte, sei die örtliche Zuständigkeit nicht gegeben. Im
Widerspruchsverfahren trug er vor, nur weil er zum Geburtstag eingeladen gewesen sei und dort eine
Schlafmöglichkeit bekommen habe, könne nicht gefolgert werden, dass der Lebensmittelpunkt nun in I. stattfinde. Der
Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2009). Hiergegen hat der Antragsteller am 29.
Dezember 2009 Klage vor dem Sozialgericht Lüneburg erhoben - S 31 AS J. -.
Am 19. Februar 2010 hat er beim Sozialgericht Lüneburg einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er bestreitet, dass er
seinen Wohnsitz und Lebensmittelpunkt in I. habe. Da er derzeit keine Einkünfte habe und nicht krankenversichert
sei, bestehe Eilbedürftigkeit. Zur Stützung seines Vorbringens überreicht er eine eidesstattliche Versicherung vom 7.
März 2010 sowie eidesstattliche Versicherungen von Frau G., I., vom 7. und 22. März 2010.
Der Antragsteller beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2009.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte
dieses Verfahrens und des Verfahrens S 31 AS J. sowie die Verwaltungsakte des Antragsgegners, die bei der
Entscheidung zugrunde gelegen haben, verwiesen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
als Regelungsanordnung zulässig.
Zwar ist Streitgegenstand des Klageverfahrens - S 31 AS J. - die Aufhebung der Arbeitslosengeld II-Bewilligung bis
31. Dezember 2009. Für die Weitergewährung von Leistungen für die Zeit von September bis Dezember 2009 müsste
der Antragsteller daher die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 b Abs. 1 SGG erwirken. Die Kammer
geht jedoch davon aus, dass der Antragsteller laufende Leistungen ab Rechtshängigkeit (Februar 2010) begehrt und
damit, wie formuliert, den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt.
Für den Anordnungsantrag ist ein Rechtschutzbedürfnis grundsätzlich erst dann gegeben, wenn sich der Antragsteller
zuvor an die Behörde gewandt und dort mit seinem Antragsbegehren keinen Erfolg gehabt hat. Vorliegend hat der
Antragsteller aber spätestens mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung das Verfahren auf
Weitergewährung von Leistungen eingeleitet. Der Antragsgegner ist, wie sich aus dem gestellten ablehnenden Antrag
ergibt, nicht bereit, Leistungen zu erbringen. Bei dieser Sachlage muss ein Rechtsschutzbedürfnis für das einstweilige
Anordnungsverfahren festgestellt werden. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Die Anwendung der Vorschrift setzt neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung
(Anordnungsgrund) voraus, dass der Rechtsschutzsuchende mit Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte
Regelung hat (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b
Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Diese Voraussetzungen liegen nicht
vor.
Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er einen Anspruch auf Leistungen der Stadt E. hat. Nach
Aktenlage geht die Kammer davon aus, dass der Antragsteller in der Wohnung von Frau G. in I. Nr. 18 in H. lebt.
Der Antragsteller hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in H ... Gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch I (SGB I)
hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an
diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Es wird vom Antragsteller nicht in Abrede gestellt
und ergab sich auch durch den Hausbesuch am 29. Juni 2009, dass der Antragsteller sich teilweise in H. und
teilweise unter seiner Meldeadresse in E. aufhält. Er verfügt also über zwei von ihm genutzte Unterkünfte.
Grundsätzlich kann in einem solchen Fall als gewöhnlicher Aufenthalt und damit für die Unterkunftskosten nur eine
Unterkunft anerkannt werden, auch wenn der Hilfebedürftige mehrere Unterkünfte angemietet hat bzw. rechtlich nutzen
kann. Entscheidend ist dann die vorrangig tatsächlich genutzte Unterkunft und zwar auch dann, wenn dort mietfrei
gewohnt werden kann (Berlit in: Lehr- und Praxiskommentar, SGB II, 3. Aufl., § 22, Rn 16).
Nach Aktenlage steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass sich der Antragsteller überwiegend in H. aufhält.
Bereits seit Juli 2007 sind der Antragsteller und Frau G. befreundet. Er arbeitet dort als Hofhelfer und im Holzhandel,
ohne dass hierfür ein Entgelt gezahlt wird.
Mehrfache Versuche im Juni 2009, ihn unter der Meldeadresse in E. zu erreichen, schlugen fehl. Bei dem
Hausbesuch am 29. Juni 2009 räumte der Antragsteller ein, dass er sich (nur) ca. zweimal die Woche dort aufhalte,
um seiner Mutter zu helfen. Er sieht die Wohnung als Rückzugsmöglichkeit, "wenn es in I. nicht so gut läuft". Auch
wenn er nunmehr vorträgt, dass die Hilfe für seine Mutter sich nicht nur auf zweimal in der Woche beschränke,
bedeutet dies angesichts der geringen Entfernung der beiden Wohnungen noch nicht, dass sich der Lebensmittelpunkt
wieder nach E. verlegt hat.
Der Beurteilung stehen nicht die eidesstattlichen Versicherungen entgegen. Sie enthalten lediglich eine Wertung, aber
keine konkreten Tatsachen, die den Feststellungen zur Dauer des Aufenthalts entgegen stehen.
Dass dem Antragsteller trotz Aufenthalts in der Wohnung in H. Leistungen zustehen, hat er nicht durch präsente
Beweismittel glaubhaft gemacht. Im Übrigen ist es dem Antragsteller unbenommen, durch Nachweise der
Wohnverhältnisse und/oder der genauen Einkommens- und Vermögensverhältnisse von Frau G. Ansprüche geltend zu
machen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG entsprechend.