Urteil des SozG Lüneburg vom 07.10.2008

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Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 07.10.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 3 U 161/07
Der Antrag auf Festsetzung eines Streitwertes wird abgelehnt. Es wird festgestellt, dass das Verfahren für den Kläger
gerichtskostenfrei ist. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Beschwerde zum
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen wird hinsichtlich der Ablehnung der Streitwertfestsetzung zugelassen. Im
Übrigen ist der Beschluss nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger als Versicherter im Sinne des § 183 Sozialgerichtsgesetz (SGG) am
erstinstanzlichen Verfahren beteiligt war und das Verfahren deshalb für ihn gerichtskostenfrei ist.
Der Kläger bewirtschaftet nach den Ermittlungen der Beklagten eine landwirtschaftliche Fläche von 0,28 ha in der
Gemeinde D. (Flurstück 21, Flur 1), wobei eine Teilfläche von 0,25 ha zum Anbau von Sonnenblumen und eine
Teilfläche von 0,03 ha zum Anbau von Weihnachtsbäumen genutzt wurde.
Die Beklagte erklärte sich mit Bescheid vom 17. November 2005 zum zuständigen Träger der gesetzlichen
Unfallversicherung für diese Fläche und forderte für das Jahr 2005 und 2006 mit berichtigtem Beitragsbescheid vom
16. August 2007 entsprechende Versiche-rungsbeiträge. Der hiergegen am 21. September 2006 erhobene
Widerspruch blieb er-folglos (Widerspruchsbescheid vom 05. November 2007).
Sein Begehren auf Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen hat der Kläger mit der am 05. Dezember 2007 bei
dem Sozialgericht Lüneburg erhobenen Klage weiter verfolgt. Nach richterlichem Hinweis vom 06. Juni 2008 hat der
Kläger seine Klage zurückgenommen.
Mit Schriftsatz vom 25. Juni 2008 hat die Beklagte eine Kostengrundentscheidung und die Festsetzung des
Streitwertes begehrt. Sie vertritt zur Begründung ihres Antrages insbesondere die Auffassung, der Kläger gehöre nicht
zu den in § 183 SGG genannten Per-sonen, weil er Rechte als Unternehmer, der zur gesetzlichen Unfallversicherung
beitragspflichtig sei, geltend gemacht habe.
Der Kläger hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das Sozialgericht Lüneburg hat der Beklagten mit Schreiben vom 04. Juli 2008 einen Auszug aus dem Verzeichnis
der Streitsachengebühren übersandt und gemäß § 189 Abs. 1 SGG eine Gebührenschuld in Höhe von 150,00 EUR
festgestellt. Über die hiergegen mit Schriftsatz vom 10. Juli 2008 erhobene Erinnerung - E. - ist bislang noch nicht
ent-schieden worden.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselte Korrespondenz sowie
die Prozessakten zu den Verfahren F. und E. (Erinnerungsverfahren gegen die Erhebung von Pauschgebühren) Bezug
genommen. Diese lagen vor und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Der zulässige Antrag auf Festsetzung eines Streitwertes ist unbegründet. Denn die Beklagte schuldet für das
Klageverfahren eine Pauschgebühr nach den §§ 184, 186 SGG, da streitwertabhängige Gerichtskosten nach § 197a
Abs. 1 S. 1 SGG nicht zu erheben sind (vgl. § 3 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG)). Der Kläger gehört nämlich zu
den in § 183 S. 1 und S. 3 SGG genannten Personen mit der Folge, dass das Verfahren für ihn gerichtskostenfrei ist.
Für diesen Fall werden nach § 197a Abs. 1 S. 1, 2. Halbsatz SGG keine Gerichtskosten erhoben.
Gemäß § 183 S. 1 SGG ist das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für Versicherte,
Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, Be-hinderte oder deren
Sonderrechtsnachfolger nach § 56 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) kostenfrei, soweit sie in
dieser Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Das trifft für den Kläger zu. Er war im Verfahren u. a. in
seiner Eigenschaft als Versicherter im Sinne des § 183 S. 1 SGG beteiligt. Seine Zugehörigkeit zur Versicherung folgt
aus der zwingenden Regelung zu § 2 Abs. 1 Nr. 5 a i. V. m. § 123 Abs. 1 Nr. 1 Siebentes Buch Sozialgesetzbuch -
Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII).
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a SGB VII sind kraft Gesetzes Personen, die Unternehmer eines landwirtschaftlichen
Unternehmens sind, versichert. Gemäß § 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII umfasst die landwirtschaftliche
Unfallversicherung insbesondere land- und forstwirtschaftliche Unternehmen einschließlich der den Zielen des Natur-
und Umweltschutz dienenden Landschaftspflege.
Die Besonderheit im vorliegenden Fall besteht darin, dass der nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a SGB VII versicherte Kläger
zugleich Beitragsschuldner gemäß § 150 Abs. 1 S. 2 SGB VII ist. Hierin liegt eine Ausnahme gegenüber dem
Normalfall. Üblicherweise sind gemäß § 150 Abs. 1 S. 1 SGB VII Unternehmer für die in ihrem Unternehmen
beschäftigten Versi-cherten beitragspflichtig. Die prinzipielle Gegenüberstellung von Versicherten einerseits und
Unternehmern (Mitgliedern) andererseits macht gerade die strukturelle Besonderheit der gesetzlichen
Unfallversicherung im Vergleich zu den übrigen Sozialversicherungs-zweigen aus und rechtfertigt es, die Unternehmer
in den Beitragsstreitigkeiten grundsätzlich nicht als Versicherte im Sinne des § 183 SGG anzusehen, weil nicht sie
selbst, son-dern ihre Arbeitnehmer die Versicherten sind. Lediglich in der besonderen Konstellation, dass
ausnahmsweise der Unternehmer selbst gleichzeitig auch Versicherter ist, fallen die Rechtsbeziehungen in einer
Person zusammen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 04. Mai 2005, - L 2 U 5059/04 ER-B;
Sozialgericht Dresden, Beschluss vom 15. Juli 2004, - S 5 U 114/04 LW, jeweils zitiert nach juris).
Daraus wird deutlich, dass in der besonderen Konstellation, dass der Unternehmer selbst gleichzeitig Versicherter ist,
die ansonsten im Unfallversicherungsrecht grundsätzlich bestehende Gegenüberstellung von Versicherten einerseits
und den beitragspflichtigen Unternehmern andererseits und damit auch die strukturelle Besonderheit der gesetzlichen
Unfallversicherung im Vergleich zu den übrigen Sozialversicherungszweigen aufgehoben ist. Denn die Unternehmer
zahlen dann die Beiträge ausschließlich für ihre eigene Versicherung und unterscheiden sich deshalb in ihrer
Rechtsstellung gegenüber dem Sozial-versicherungsträger nicht von der Rechtsstellung anderer Unternehmer in den
übrigen Sozialversicherungszweigen (Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 28. Juni 2005, - L 3 B 138/05 R,
zitiert nach juris). Auch die in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversicherten selbstständigen Handwerker (§
2 Satz 1 Nr. 8 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI)) haben ihre Beiträge e-
benfalls für ihre eigene Rentenversicherung zu entrichten. Bei diesen Handwerkern wür-de niemand annehmen, dass
sie bei sozialgerichtlichen Streitigkeiten über Grund und Höhe der zu entrichtenden Beiträge für ihre
Rentenversicherung nicht zu den Versicherten im Sinne des § 183 SGG gehören, weil sie in ihrer Eigenschaft als
"Beitragszahler" und nicht als "Versicherter" auftreten. Vielmehr ist auch bei ihnen nach allgemeiner Mei-nung die
Eigenschaft als beitragszahlender Unternehmer und als Versicherter untrennbar miteinander verbunden. Daher besteht
kein struktureller Unterschied zu den versicherten Unternehmern in der gesetzlichen Unfallversicherung, jedenfalls
soweit es ausschließlich um deren Unternehmerunfallversicherung und die daraus resultierenden Beiträge geht. Es ist
gleichgültig, ob die Beitragspflicht bzw. die Pflichtversicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung als solche dem
Grunde nach oder nur der Beitragshöhe nach streitig sind, in jedem Fall wird dadurch auch der Status als Versicherter
berührt, weil die Beiträge gerade für die eigene Versicherung entrichtet werden sollen (so auch Sozialgericht Lüneburg,
Gerichtsbescheid vom 05. Mai 2008 - S 2 U 145/04 sowie Landessozialgericht Hamburg, a. a. O.).
Im vorliegenden Klageverfahren ist es ausschließlich um die eigene Unternehmerversicherung des Klägers gegangen,
d. h. alle Rechtsbeziehungen (Mitgliedsverhältnis, Versi-cherungsverhältnis) mit der Beklagten sind in der Person des
Unternehmers untrennbar zusammengefallen. Dies bedeutet nichts Anderes als dass der Kläger auch Versicherter im
Sinne des § 183 SGG ist, der in den Genuss des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung kommt, und die Klage
auch in dieser Eigenschaft eingelegt hat. Selbst wenn man - so die Auffassung der Beklagten - für die Prüfung, ob §
183 SGG Anwendung fin-det, das Rechtsverhältnis der Unternehmer nach § 150 Abs. 1 S. 2 SGB VII in ein
Versicherungs- und ein Beitragsverhältnis aufspalten wollte, würde es der soziale Schutzzweck gebieten, in Fällen wie
dem vorliegenden, den Unternehmer einem Versicherten im Sinne des § 183 SGG gleichzustellen. Nach den
Vorstellungen des Gesetzgebers hat die Anwendung des Gerichtskostengesetzes (GKG) und bestimmter Vorschriften
der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) als Ausnahmeregelung zu der in § 183 SGG vorgesehenen Gebührenfreiheit
nämlich nur in Verfahren erfolgen sollen, an denen Personen beteiligt sind, die nicht eines besonderen sozialen
Schutzes in Form eines kostenfreien Rechtsschutzes bedürften. Derartige Verfahren sollten z. B. Streitigkeiten von
Sozialleistungsträgern untereinander, Streitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern und Arbeitgebern sowie
Vertragsärzten sein (vgl. BT-Drucksache 14/5943, S. 28 bis 29). Bei dem Kläger handelt es sich aber gerade nicht um
einen Arbeitgeber in diesem Sinne, da ihm nicht die Verfügungsmacht über die Arbeitskraft eines oder mehrerer
Arbeitnehmer zusteht. Wie ein Versicherter im Sinne des § 183 SGG bedarf der Kläger daher eines besonderen
sozialen Schutzes in Form eines kostenfreien Rechtsschutzes. Wenn schon Eigentümer bzw. Besitzer oder sonstige
Nutzungsberechtigte von forstwirtschaftlichen Grundstücken ohne jegliche Bewirtschaftungsmaßnahme aufgrund einer
Fiktion zu Bei-tragszahlungen herangezogen werden können, müssen sich jedenfalls die selbst versi-cherten
Unternehmer ohne Arbeitnehmer gegen Veranlagungen ohne erhöhtes Kostenrisiko wehren können. Bezüglich der
sozialen Schutzbedürftigkeit stehen diese Unternehmer einem Rentenantragsteller oder Schwerbehinderten nicht
nach.
Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus § 183 S. 3 SGG. Wenn dort der Fall ausdrücklich einbezogen wird, dass
der Betreffende - erst - bei Obsiegen zu den in Satz 1 (oder 2) genannten Personen gehören würde, kann aus dieser
Ausnahmeregelung nicht der (Umkehr-) Schluss gezogen werden, wer bei Obsiegen nicht zu dem genannten
Personen-kreis gehören würde, könne die Privilegierung des § 183 S. 1 SGG nicht beanspruchen. Eine solche
Auffassung übersieht, dass die Privilegierung gerade aus der den Rechtsstreit begründenden Behandlung als
Versicherter folgt, gleichgültig ob dies materiell zu Recht oder Unrecht geschieht.
Der entgegenstehenden Auffassung der Beklagten folgt die Kammer aus o. g. Gründen nicht. Soweit sich die
Beklagte in ihrer Auffassung durch Entscheidungen des Bundesso-zialgerichts (etwa Beschluss vom 23. November
2006, - B 2 U 258/06 B sowie Beschluss vom 05. März 2008, - B 2 U 353/07 B) bestätigt sieht, vermag sich die
Kammer der dort vertretenen Auffassung schon deshalb nicht anzuschließen, weil sich das Bundessozialgericht nicht
mit der der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegenden Argumentation auseinandersetzt.
Nach alledem scheidet die Anwendung des § 197a SGG aus, so dass die Beklagte zur Zahlung von Pauschgebühren
verpflichtet ist.
Demgemäß war der Antrag auf Festsetzung des Streitwertes abzulehnen und klarstellend festzustellen, dass das
Verfahren für den Kläger gerichtskostenfrei ist.
Wenn daher § 193 SGG Anwendung findet, entspricht es billigem Ermessen, wenn die Beteiligten (im Übrigen)
einander keine Kosten zu erstatten haben. Nach § 193 Abs. 1 S. 1 und 3 SGG hat das Gericht nach billigem
Ermessen durch Beschluss unter Berücksich-tigung des bisherigen Sach- und Streitstandes (Rechtsgedanke des §
91a Zivilprozess-ordnung (ZPO)) darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten ein-ander Kosten
zu erstatten haben. Das Gericht orientiert sich dabei vor allem an den Er-folgsaussichten der Klage unter
Berücksichtigung der Gründe, die zur Klageerhebung und zur Erledigung des Rechtsstreits geführt haben (Meyer-
Ladewig, SGG, Rdnr. 13 zu § 193). Da die Klage angesichts der zutreffenden Ausführungen der Beklagten in den
angegriffenen behördlichen Entscheidungen keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Kläger auf die diesbezügliche
Aufklärungsverfügung des Gerichts vom 06. Juni 2008 die Klage zurückgenommen hat, ist es angemessen, wenn die
Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten haben.
Die Kammer hat die Beschwerde wegen der aufgeworfenen und noch immer umstrittenen Frage, ob Verfahren der
vorliegenden Art gerichtskostenfrei sind, aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen, soweit der
Antrag auf Festsetzung eines Streitwertes abgelehnt worden ist (§ 68 Abs. 1 S. 2 GKG). Im Übrigen ist der Beschluss
gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG unanfechtbar.