Urteil des SozG Lüneburg vom 12.02.2007

SozG Lüneburg: einstweilige verfügung, darlehen, notlage, zuschuss, stromlieferung, unterliegen, vorauszahlung, selbsthilfe, ratenzahlung, liefersperre

Sozialgericht Lüneburg
Beschluss vom 12.02.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 25 AS 43/07 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, den Antragstellern vorläufig und
unter dem Vorbehalt der Rückforderung bei Unterliegen im Hauptsachverfahren den sich aus der
Jahresverbrauchsabrechung der e.on Avacon AG vom 10. Dezember 2006 ergebenden Nachzahlungsbetrag in Höhe
von 1.057,46 EUR unter Berücksichtigung der insoweit bereits geleisteten Zahlungen als Darlehen zu gewähren. Die
Zahlungen sind auf das Konto der e.on Avacon AG zur Vertragskontonummer E. zu überweisen. Im Übrigen wird der
Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die (darlehensweise) Übernahme des sich aus
der Jahresverbrauchsabrechnung der e.on Avacon AG vom 10. Dezember 2006 ergebenden Nachzahlungsbetrages in
Höhe von 1.057,46 EUR für den Abrechnungszeitraum vom 26. November 2005 bis zum 04. Dezember 2006 nach den
Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).
Die 1948 geborene Antragstellerin zu 1. lebt zusammen mit ihrem Ehemann – dem 1941 geborenen Antragsteller zu
2., der wegen des Bezuges einer Rente nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II ist – in einem 80 qm großen
Eigenheim in F ... Die Antragstellerin zu 1. bezieht von der Antragsgegnerin laufend Leistungen nach dem SGB II. Bei
der jeweiligen Bedarfsberechnung legte diese im Leistungszeitraum für die Heizkostenvorauszahlung einen
monatlichen Betrag in Höhe von 166,00 EUR (Dezember 2005) bzw. jeweils 234,00 EUR (Januar bis November 2006)
zugrunde, so dass sich ein ausgezahlter Betrag für Heizkosten in Höhe von insgesamt 2.740,00 EUR ergibt.
Nachdem die Antragsteller diese monatlichen Abschlagszahlungen neben den Abschlagszahlungen auch für die
Stromlieferung an das Energieversorgungsunternehmen weitergeleitet hatten, erteilte das
Energieversorgungsunternehmen den Antragstellern mit Schreiben vom 10. Dezember 2006 eine
Jahresverbrauchsabrechung. Hieraus ergibt sich für den Abrechnungszeitraum vom 26. November 2005 bis zum 04.
Dezember 2006 ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von 1.057,46 EUR. Hierin enthalten ist ein Betrag für Stromlieferung
in Höhe von 880,23 EUR sowie für Erdgaslieferung in Höhe von 2.980,51 EUR. Dies ergibt inklusive der gesetzlichen
Mehrwertsteuer einen Bruttorechnungsbetrag in Höhe von 4.478,46 EUR. Abzüglich der geleisteten
Abschlagszahlungen in Höhe von insgesamt 3.421,00 EUR ergibt sich der nunmehr geltend gemachte
Nachzahlungsbetrag.
Mit Schreiben vom 19. Dezember 2006 wandte sich die Antragstellerin zu 1. an die Antragsgegnerin und beantragte
die Übernahme des sich aus der Jahresverbrauchsabrechnung ergebenden Nachzahlungsbetrages. Diesen Antrag
lehnte die Antragsgegnerin – ausgelegt als "Antrag auf Übernahme der Heizkostenschulden" – mit Bescheid vom 20.
Dezember 2006 zunächst ab. Über den hiergegen erhobenen Widerspruch hat die Antragsgegnerin – soweit ersichtlich
– noch nicht entschieden.
Am 09. Januar 2007 haben die Antragsteller sich sodann an das Sozialgericht Lüneburg gewandt und die vorläufige
Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übernahme des sich aus der Jahresverbrauchsabrechung ergebenden
Nachzahlungsbetrages im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt.
Während des laufenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens beantragte die Antragstellerin zu 1. bei der
Antragsgegnerin zudem die Übernahme der Stromnachzahlung (Antrag vom 18. Januar 2007), den die
Antragsgegnerin mit Bescheid vom 24. Januar 2007 ablehnte.
Mit Bescheid vom 30. Januar 2007 bewilligte die Antragsgegnerin auf den am 18. Januar 2007 gestellten Antrag auf
Übernahme der Schulden bei der e.on Avacon AG mit Bescheid vom 30. Januar 2007 einen Betrag in Höhe von
528,73 EUR.
Zur Begründung dafür, dass ein geringerer Betrag als der sich aus der Jahresverbrauchsabrechung ergebende Betrag
übernommen wurde, führte die Antragsgegnerin aus, dabei handele es sich um die Hälfte des Nachzahlungsbetrages
in Höhe 1.057,46 EUR. Die andere Hälfte sei von dem nicht nach dem SGB II leistungsberechtigten Ehemann zu
tragen. Hierauf haben die Antragsteller erwidert, dass es zwar begrüßenswert sei, dass zwischenzeitlich anerkannt
werde, dass ein Anspruch auf Übernahme der Heizkosten-/ Stromkostennachzahlung bestehe. Zu Unrecht werde
jedoch davon ausgegangen, dass ein Anspruch nur in Höhe der hälftigen Nachforderung bestehe. Die Antragsgegnerin
übersehe, dass die Antragstellerin als Gesamtschuldnerin für den gesamten Betrag und nicht nur die Hälfte hafte.
Überdies könne die – von der Antragsgegnerin nunmehr anerkannte – vergleichbare Notlage im Sinne des § 22 Abs. 5
SGB II nur dadurch abgewendet werden, dass der gesamte sich aus der Jahresverbrauchsabrechung der e.on Avacon
AG ergebende Nachzahlungsbetrag übernommen werde.
Die Antragsteller beantragen nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig zu verpflichten, den Gesamtbetrag des sich
aus der Jahresverbrauchsabrechnung der e.on Avacon AG vom 10. Dezember 2006 ergebenden
Nachzahlungsbetrages in Höhe von insgesamt 1.057,46 EUR für die Lieferung von Strom und Erdgas im
Abrechnungszeitraum vom 26. November 2005 bis zum 04. Dezember 2006 – hilfsweise als Darlehen – zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt sie aus, der Ehemann der Antragstellerin sei nach § 7 Abs. 1 SGB II nicht leistungsberechtigt
nach dem SGB II. Aus diesem Grunde seien die auf den Ehemann der Antragstellerin entfallenden Anteile der Kosten
für die Unterkunft und die Heizung grundsätzlich nicht in der Bedarfsberechnung der Antragstellerin zu
berücksichtigen. Auf die Möglichkeit der Antragstellung des Ehemannes auf Kostenübernahme beim zuständigen
Leistungsträger nach dem SGB XII werde hingewiesen. Diese Möglichkeit bestehe auf bei Nichtbezug von laufender
Hilfe nach dem SGB XII.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die
Prozessakte sowie die die Antragsteller betreffenden Verwaltungsvorgänge zum Aktenzeichen 25102BG0001342
ergänzend Bezug genommen. Diese lagen vor und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
1. Zunächst war das Rubrum von Amts wegen dahingehend zu berichtigen, als dass neben der Antragstellerin zu 1.
auch ihr Ehemann als Antragsteller zu 2. in das Aktivrubrum aufzunehmen war, weil das Gericht davon ausgeht, dass
jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft (vgl. insoweit § 7 Abs. 3 Nr. 3 a SGB II, der die Zugehörigkeit des
Antragstellers zu 2. zur Bedarfsgemeinschaft nicht von der Leistungsberechtigung nach dem SGB II abhängig macht)
seine eigenen individuellen Ansprüche gegen die Antragsgegnerin geltend macht. Die ordnungsgemäße
Bevollmächtigung wird gemäß § 73 Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vermutet.
2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG als Regelungsanordnung
zulässig, er ist auch überwiegend begründet.
Nach der genannten Vorschrift ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf
das streitige Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Der Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt
ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung – sind glaubhaft zu machen
(§§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)).
Die Antragsteller konnten sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund für die darlehensweise
Übernahme des sich aus der Jahresverbrauchsabrechnung ergebenden Nachzahlungsbetrages in Höhe von 1.057,46
EUR glaubhaft machen.
a) Es kann dahinstehen, ob sich der Anordnungsanspruch aus § 22 Abs. 1, § 22 Abs. 5, § 23 Abs. 1 SGB II oder § 34
Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) ergibt, denn jedenfalls geht selbst die Antragsgegnerin
davon aus, dass die entsprechenden tatbestandlichen Voraussetzungen zur Übernahme des sich ergebenden
Nachzahlungsbetrages dem Grunde nach vorliegen, denn sie hat der Antragstellerin zu 1. bereits den hälftigen Betrag
aus der Jahresverbrauchsabrechung als Darlehen bewilligt. Ob der andere hälftige Nachzahlungsbetrag von der
Antragsgegnerin zu übernehmen ist oder ein derartiger Betrag von dem Leistungsträger nach dem SGB XII zu
übernehmen ist, kann jedoch dahinstehen, denn die Antragstellerin zu 1. hat den Antrag auf Übernahme des sich aus
der Jahresverbrauchsabrechung ergebenden Nachzahlungsbetrages bei der Antragsgegnerin gestellt. Gemäß § 43
Abs. 1 S. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) hat der angegangene Leistungsträger
Leistungen vorläufig zu erbringen, wenn der Berechtigte es beantragt. Zwar gilt diese Vorschrift nur, wenn zwischen
Leistungsträgern streitig ist, wer Leistungen zu erbringen hat (§ 43 Abs. 1 S. 1 SGB I), was vorliegend unklar ist, da
der Sozialhilfeträger sich hierzu nicht geäußert hat. Letzteres ist aber von der Antragsgegnerin zu vertreten. Diese hat
nämlich § 16 SGB I missachtet. Nach dieser Vorschrift war die Antragsgegnerin verpflichtet, den bei ihr gestellten
Antrag unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten (§ 16 Abs. 2 S. 1 SGB I). Die stattdessen
erfolgte (teilweise) Ablehnung des Antrages wegen Unzuständigkeit ist nach dem SGB I grundsätzlich nicht zulässig.
Die unzulässige Ablehnung, verbunden mit der rechtswidrigen Nichtweiterleitung des Antrages führt vorliegend dazu,
dass sich die Antragsgegnerin so behandeln lassen muss, als sei zwischen ihr und dem Sozialhilfeträger streitig, wer
Leistungen zu erbringen hat. Nur auf diese Weise wird dem Sinn und Zweck der vorgenannten Vorschriften Genüge
getan. Diese Vorschriften sollen nämlich gewährleisten, dass ein berechtigter Anspruch – ohne Zeitverzögerung –
befriedigt wird. Dies ist beim derzeitigen Verfahrensstand nur noch möglich, wenn die Antragsgegnerin die Leistung
vollständig darlehensweise erbringt.
Eine Selbsthilfe der Antragsteller im Sinne des § 2 SGB II in der Weise, dass sie versuchen müssen, eine
Vereinbarung mit dem Energieversorgungsunternehmen abzuschließen, um den Rückstand in für die Antragsteller
zumutbarer Weise ratenweise abtragen zu können, ist vorliegend nicht möglich. Da das
Energieversorgungsunternehmen bereits einen Ratenzahlungsplan mit einer monatlichen Rate von 105,00 EUR
zusätzlich zu der monatlichen Vorauszahlung in Höhe von 392,00 EUR angeboten hat, ist davon auszugehen und im
Übrigen gerichtsbekannt, dass einer geringeren Ratenzahlung nicht zugestimmt wird. Daher stehen den Antragstellern,
die überdies auch erfolglos versucht haben, für die Begleichung des Nachzahlungsbetrages ein Darlehen bei der
Sparkasse aufzunehmen, keine Erfolg versprechenden Möglichkeiten mehr zur Seite, sich selbst zu helfen. Auch die
Verweisung auf den Zivilrechtsweg ist vorliegend nicht möglich: Insoweit haben die Antragsteller darauf hingewiesen,
dass das Amtsgericht eine einstweilige Verfügung zu Gunsten der Antragsteller nicht erlassen würde. Dem ist die
Antragsgegnerin nicht entgegengetreten.
b) Vor diesem Hintergrund hat die Kammer auch keinen Zweifel am Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Zwar ist
derzeit eine Liefersperre durch das Energieversorgungsunternehmen nicht konkret angedroht, jedoch liegt es auf der
Hand, dass diese bei nicht fristgerechter Zahlung erfolgen wird. Insoweit sind nach Auffassung der Kammer auch
keine überhöhten Anforderungen an das Vorliegen der erforderlichen Eilbedürftigkeit zu stellen.
3. Soweit die Antragsteller die Leistungen als einmalige Leistungen begehren, konnten sie allerdings einen
Anordnungsgrund nicht glaubhaft machen; insoweit war der Antrag abzulehnen. Es ist nicht erkennbar, dass die
Antragsteller bei nur darlehensweiser Gewährung in eine derartige akute Notlage geraten, die es gerechtfertigt
erscheinen ließe, bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Leistungen als Zuschuss zu gewähren. Die
endgültige Entscheidung, welche Leistungen als Zuschuss und welche Leistungen als Darlehen zu erbringen sind,
muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt
das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen; das Verfahren ist gemäß § 183 S. 1 SGG für die Antragsteller
gerichtskostenfrei.