Urteil des SozG Lüneburg vom 07.01.2010
SozG Lüneburg: anrechenbares einkommen, bestattungskosten, sozialhilfe, haftpflichtversicherung, unterkunftskosten, rechtsschutzversicherung, gerichtsakte, begriff, altersrente, berg
Sozialgericht Lüneburg
Urteil vom 07.01.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 22 SO 87/09
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 01. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 14. September 2007 verurteilt, dem Kläger die Bestattungskosten für G. H. in Höhe von 2.017,23 Euro aus
Mitteln der Sozialhilfe zu übernehmen. 2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 3. Der Beklagte hat dem Kläger 94
Prozent seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten. 4. Die Berufung des Klägers wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger erstrebt vom Beklagten die Übernahme der Kosten der Bestattung seiner Schwester, G. H., in Höhe von
2.183,30 Euro aus Mitteln der Sozialhilfe.
Die Schwester des I. geborenen Klägers verstarb am 08. Mai 2007. Der Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit
Schreiben vom 21. Mai 2007 mit (Bl. 3 der Verwaltungsakte), dass er bestattungspflichtig sei. Der Kläger ist
verheiratet, bezieht eine Altersrente in Höhe von monatlich 1.249,09 Euro und ist Eigentümer eines Hausgrundstücks.
An Unterkunftskosten für das Haus fallen monatlich 12,29 Euro Grundsteuer, 2,29 Euro Entsorgungskosten, 321,67
Euro Hypothek, 14,50 Euro für Trinkwasser, 4,49 Euro für Schornsteinfeger, 15,- Euro für Abfall, 26,31 für
Gebäudeversicherung an. Ferner entstehen monatliche Aufwendungen für Heizung von 79,21 Euro. Ferner hat der
Kläger über seine Ehefrau jeweils eine Hausratsversicherung mit monatlicher Prämie von 7,53 Euro und eine
Haftpflichtversicherung mit 9,15 Euro abgeschlossen. Er verfügt über eine Kfz-Haftpflichtversicherung mit Prämien
von monatlich 12,37 Euro und eine Rechtsschutzversicherung mit Prämien von 16,67 Euro. Auf dem Festgeldkonto
befanden sich im Mai 1.252,73 Euro.
Der Kläger stellte beim Beklagten am 30. Mai 2007 einen Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten aus Mitteln
der Sozialhilfe, den der Beklagte mit Bescheid vom 01. Juni 2007 ablehnte (Bl. 37 bis 38 der Verwaltungsakte) und
damit begründete, dass der Kläger nicht bedürftig sei und die Kosten der Bestattung tragen könne.
Am 15. Juni 2007 schlug der Kläger das Erbe nach seiner Schwester aus (Bl. 45 der Verwaltungsakte). Der Sohn des
Klägers, J. K., schlug das Erbe ebenfalls aus (Bl. 48 der Gerichtsakte).
Dagegen legte der Kläger am 27. Juni 2007 Widerspruch ein (Bl. 42 bis 44 der Verwaltungsakte), welchen er damit
begründete, dass er das Erbe ausgeschlagen habe. Ferner seien bei der Einkommensanrechnung die Heizkosten zu
berücksichtigen. Es sei auch die schwerbehinderte Ehefrau des Klägers einzubeziehen. Rücklagen von 400,- Euro
seien für die Renovierung des Hauses notwendig. Überdies sei er nicht bestattungspflichtig.
Zwischenzeitlich erließ der Beklagte am 01. August 2007 einen Bescheid (Bl. 4 bis 5 der Akte des
Verwaltungsgerichtes Berlin), mit dem er die Bestattungspflicht des Klägers feststellte und die Erstattung der
Beerdigungskosten von diesem in Höhe von 2.183,30 Euro forderte.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. September 2007 zurück (Bl. 60 bis 62 der
Verwaltungsakte) und begründete dies im Wesentlichen folgendermaßen:
Der Kläger sei bestattungspflichtig und die Kostentragung sei ihm zumutbar. Sein Einkommen übersteige den Bedarf
in Höhe von 344,13 Euro pro Monat. Die Einkommensverhältnisse der Ehefrau seien nicht relevant, da sie ihren
Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen sicherstellen könne.
Dagegen hat der Kläger am 16. Oktober 2007 Klage erhoben.
Der Kläger trägt zur Begründung der Klage vor:
Die Sterbegeldversicherung der Verstorbenen sei an den Sohn des Klägers ausgezahlt worden und dieser habe auch
den Haushalt aufgelöst. Von dem Betrag habe er unter anderem seine Führerscheinausbildung bezahlt. Der Kläger
habe keinen Kontakt mehr zur Verstorbenen gehabt. Im Übrigen betrage die Einkommensgrenze 958,46 Euro, da die
Heizkosten einzubeziehen seien. Das Einkommen betrage bereinigt 1.085,67 Euro monatlich, weil die
Gebäudeversicherung und eine höhere Kfz-Haftpflicht inklusive Vollkasko zu berücksichtigen seien. Das
übersteigende Einkommen betrage daher 127,21 Euro.
Zwischenzeitlich hat der Beklagte den Widerspruch gegen den Kostenbescheid mit Widerspruchsbescheid vom 07.
November 2007 zurückgewiesen (Bl. 6 bis 9 der Akte des Verwaltungsgerichtes Berlin), wogegen der Kläger Klage vor
dem Verwaltungsgericht Berlin einlegte (22 A 262.07). In diesem Verfahren erkannte der Kläger seine Kostenpflicht
an, und die Beklagte verpflichtete sich bis zur Entscheidung des sozialgerichtlichen Verfahrens, auf
Vollstreckungsmaßnahmen zu verzichten.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 01. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.
September 2007 zu verurteilen, dem Kläger die Bestattungskosten für G. H. in Höhe von 2.183,30 Euro aus Mitteln
der Sozialhilfe zu übernehmen. Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor:
Die Unaufklärbarkeit der finanziellen Situation eines Dritten gehe zu Lasten des Klägers.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst beigezogener
Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat insoweit Erfolg, als der Kläger lediglich zur Zahlung eines Kostenbeitrages in Höhe von 166,07 Euro
verpflichtet ist und Anspruch auf Übernahme der restlichen Bestattungskosten in Höhe von 2.017,23 Euro hat.
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierauf gemäß § 124 Absatz 2
SGG verzichtet haben.
Der Bescheid des Beklagten vom 01. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2007
erweist sich im tenorierten Umfang als rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in eigenen Rechten.
Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide ist § 74 SGB XII.
Nach dieser Norm werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den hierzu Verpflichteten
nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen.
Der Kläger ist nach landesrechtlichen Vorschriften kostentragungspflichtig, obgleich er als Bruder das Erbe
ausgeschlagen hat (vgl. Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, § 74, Rd. 15). Die Verpflichtung folgt aus § 16
Absatz 1 Bestattungsgesetz des Landes Berlin. Dies hat er mit Vergleich vor dem Verwaltungsgericht Berlin auch
anerkannt.
Ein Anspruch auf Kostenübernahme setzt die Unzumutbarkeit voraus, die Kosten selbst zu tragen, wobei es sich um
einen gerichtlich voll überprüfbaren Rechtsbegriff handelt (vgl. Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Kommentar zum SGB
XII, § 74, Rd. 10). Dieses Tatbestandsmerkmal konkretisiert das Nachrangigkeitsprinzip der Sozialhilfe nach § 2
Absatz 1 SGB XII (vgl. Grube/Wahrendorf § 74, Rd. 27). Der Begriff der Zumutbarkeit ist nach Maßgabe des
Einzelfalls auszulegen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05. Juni 1997 - 5 C 13/96 -; Urteil des
Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württem-berg vom 27. März 1992 - 6 S 1736/90 -). Neben den wirtschaftlichen
Verhältnissen sind auch andere Momente zu berücksichtigen. Je enger das Verwandtschaftsverhältnis ist, desto
geringer sind die Anforderungen an die Zumutbarkeit zu stellen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 29.
September 2009 - B 8 SO 23/08 R -).
Der Beklagte hat aufgrund des Einkommens eine Übernahme der Kosten ganz abgelehnt. Dies erweist sich insoweit
als rechtswidrig, als dieser verkennt, dass das übersteigende Einkommen grundsätzlich nur für einen Monat im
Rahmen der Zumutbarkeit zu berücksichtigen ist (vgl. Urteil des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Nordrhein-
Westfalen vom 13. Februar 2004 - 16 A 1160/02 -; Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Februar
2004 - 10 UE 2497/03 -). Dabei ist grundsätzlich auf die §§ 85 ff. SGB XII abzustellen.
Der Kläger bezog im Monat Juni 2007 eine Altersrente in Höhe von 1.249,09 Euro, welche als Einkommen zu
betrachten ist (§ 82 SGB XII). Davon sind hälftig Hausrats- und Haftpflichtversicherung (7,53 und 9,15 Euro) sowie
Kfz-Haftpflicht von 12,37 Euro abzusetzen, so dass anrechenbares Einkommen von 1.220,41 Euro bestand.
Die Rechtsschutzversicherung kann im Rahmen von § 82 Absatz 2 SGB XII berücksichtigt werden, weil sie
sozialhilferechtlich nicht angemessen ist (vgl. LPK/SGB XII/Brühl § 82, Rd. 66).
Davon ist der Grundfreibetrag in Höhe von 690,- Euro gemäß § 85 SGB XII abzusetzen und die Kosten der
Unterkunft. Der Kläger hat die Hälfte der Unterkunftskosten in Höhe von monatlich insgesamt 396,55 Euro zu tragen,
das heißt 198,28 Euro.
Nicht berücksichtigungsfähig sind nach dem klaren und unmissverständlichen Wortlaut von § 85 Absatz 1 Nr. 2 SGB
XII keine Heizkosten (vgl. Schellhorn/Schellhorn/Hohm § 85, Rd. 22). Das SGB XII unterscheidet terminologisch
Unterkunfts- und Heizkosten, wie sich auch aus § 29 SGB XII ergibt. Heizkosten können daher nicht unter den Begriff
der Unterkunftskosten subsumiert werden.
Der Kläger verfügt somit über überschießendes Einkommen in Höhe von 332,13 Euro.
Dieses ist nicht voll anzusetzen. Die Höhe des anrechenbaren Anteils bestimmt sich nach der Art des Bedarfes und
der persönlichen sowie verwandtschaftlichen Nähe zum Verstorbenen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 29.
September 2009 - B 8 SO 23/08 R -; Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes vom 08. Mai 1995 - 12 L
6679/93 -; Urteil des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 2004 - 16 A
1160/02 -; Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Februar 2004 - 10 UE 2497/03 -; LPK/SGB
XII/Berlit § 74, Rd. 12).
Der Kläger ist der Bruder der Verstorbenen und hatte zuletzt keinen Kontakt mehr zu ihr. Es erscheint daher als
angemessen, ihn mit der Hälfte des Einkommenszuschusses an den Kosten der Beerdigung zu beteiligen, das heißt
166,07 Euro. Im Übrigen besteht ein Anspruch auf Übernahme der Kosten der Beerdigung aus Mitteln der Sozialhilfe.
Die Bestattungskosten sind in ihrem geltend gemachten Umfang erforderlich.
Bei dem Rechtsbegriff der Erforderlichkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der gerichtlich voll
überprüfbar ist (vgl. Grube/Wahrendorf § 74, Rd. 30). Die Erforderlichkeit bezieht sich sowohl auf die Art der Kosten
als auch auf deren Höhe (vgl. Schellhorn/Schellhorn/Hohm § 74, Rd. 14). Was ortsüblich und angemessen ist,
bestimmt sich in erster Linie nach den einschlägigen friedhofsrechtlichen Vorschriften der Kommune und ist nach
objektiven Maßstäben zu beurteilen (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg vom 19. Dezember
1990 - 6 S 1639/90 -).
Zu übernehmen sind die Kosten, die üblicherweise für eine würdige, den örtlichen Gepflogenheiten entsprechende
einfache Bestattung anfallen, die aber nicht beschränkt sind auf die Aufwendungen einer von der Ordnungsbehörde im
Wege der Ersatzvornahme veranlassten Einfachbestattung (vgl. LPK-SGB XII-Berlit § 74, Rd. 12; Urteil des
Oberverwaltungsgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 04. März 1996 - 19 A 194/96 -; Beschluss des Hessischen
Landessozialgerichtes vom 20. März 2008 - L 9 SO 20/08 B ER -). Dabei ist der Eindruck eines Armengrabes zu
vermeiden und auf ein Begräbnis auch in ortsüblicher einfacher Art in Würde zu achten (vgl. Urteil des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Februar 2004 - 10 UE 2497/03 -; Urteil des Verwaltungsgerichtes Hannover vom
06. Juni 2000 - 3 A 5028/99 -). Eine generelle Feuerbestattung oder anonyme Beisetzung sind nicht statthaft und nicht
vom Rechtsbegriff der Erforderlichkeit gedeckt (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichtes Hannover vom 16. September
1997 - 3 A 2204/96 -). Andererseits sind nicht alle Traditionen und Gebräuche sozialhilferechtlich angemessen, wobei
Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine standesgemäße Beerdigung (§ 1968 BGB) nicht besteht (LPK-SGB XII-
Berlit aaO.; Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Januar 2006 - 10 ZU 1391/05 -).
Die Erforderlichkeit der Kosten ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Angesichts der Höhe der Bestattungskosten
von 2.183,30 Euro, welche sich aus Kosten der Beisetzung, Friedhofs- sowie Krematoriumsgebühren und
Lagerungsgebühren zusammen setzen, ergeben sich für die Kammer auch objektiv keine Zweifel an der
Erforderlichkeit.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.
Gemäß § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn die Beschwer des
Beteiligten unterhalb des Schwellenwertes von 750,- Euro liegt. Die Berufung des Klägers, der mit 166,07 Euro
beschwert ist, wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und nicht von einer
Entscheidung des Landessozialgerichtes, des Bundessozialgerichtes, des Gemeinsamen Senates der Obersten
Gerichtshöfe abweicht.
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, weil dessen Beschwer 2.017,23 Euro beträgt.