Urteil des SozG Lübeck vom 19.02.2008

SozG Lübeck: versicherungspflicht, konstitutive wirkung, nachforderung von beiträgen, bekanntgabe, ratio legis, grobe fahrlässigkeit, restriktive auslegung, beitragspflicht, mehrfachbeschäftigung

Sozialgericht Lübeck
Urteil vom 19.02.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lübeck S 1 KR 1392/07
SOZIALGERICHT LÜBECK
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL In dem Rechtsstreit des S , vertreten durch die Geschäftsführerinnen D H - Kläger
-
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte R gegen
die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, Wasserstraße 215, 44799 Bochum, - Beklagte -
Beigeladen: 1. Frau K 2. HEK Hanseatische Krankenkasse, vertreten durch den Vorstand, Wandsbeker Zollstraße 86-
90, 22041 Hamburg, 3. Bundesagentur für Arbeit, vertreten durch Agentur für Arbeit Bad Oldesloe, Berliner Ring 8-10,
23843 Bad Oldesloe,
hat die 1. Kammer des Sozialgerichts Lübeck auf die mündliche Verhandlung vom 19. Februar 2008 in Lübeck durch
den Direktor des Sozialgerichts Klingauf, den ehrenamtlicher Richter Köster, den ehrenamtlicher Richter Schröder für
Recht erkannt:
Der Bescheid der Beklagten vom 2. April 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2006 wird
insoweit aufgehoben, als die Versicherungspflicht bei Mehrfachbeschäftigung für den Zeitraum vor dem 5. April 2004
festgestellt worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Beginn der Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1. und die rückwirkende Nachforderung von
Beiträgen zur Sozialversicherung.
Die im Oktober 1961 geborene Beigeladene zu 1. war bei der Beigeladenen zu 2. gesetzlich krankenversichert.
Letzterer wurden ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis bei den L ab 1. November 1999 sowie ein weiteres
geringfügiges Beschäftigungsverhältnis bei der Klägerin ab dem 1. Dezember 2000 gemeldet. Im Zusammenhang mit
der Aufnahme des zweiten Beschäftigungsverhältnisses erklärte die Beigeladene zu 1. in einem "Zusatz-
Personalbogen Geringverdiener" am 4. Dezember 2000, dass keine weiteren sozialversicherungspflichtigen Einkünfte
erzielt werden. In einem weiteren "Zusatz-Personalbogen Geringverdiener" vom 4. Juli 2003 bestätigte die
Beigeladene zu 1. darüber hinaus, dass die Aushilfstätigkeit bei der Klägerin ihre erste Anstellung im Rahmen der
Geringverdienergrenze bis 400,00 Euro sei.
Mit Bescheid vom 2. April 2004 stellte die Beklagte fest, dass die Beigeladene zu 1. mehrere geringfügig entlohnte
Beschäftigungsverhältnisse ausübe und die Entgeltgrenze von 400,00 Euro monatlich überschritten werde. Damit sei
die Beigeladene zu 1. in der Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung versicherungspflichtig. Zwar
trete grundsätzlich die Versicherungspflicht erst mit dem Tage nach der Bekanntgabe der Feststellung ein (§ 8 Abs. 2
Satz 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch, SGB IV). Dies gelte allerdings nicht, wenn der Arbeitgeber vorsätzlich oder
grob fahrlässig versäumt habe, den Sachverhalt für die versicherungsrechtliche Beurteilung aufzuklären. Hier läge
Vorsatz beziehungsweise grobe Fahrlässigkeit vor, weil die Klägerin in ihrem Personalbogen vom 4. Dezember 2000
nur nach der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und nicht nach weiteren geringfügig
entlohnten Beschäftigungen gefragt habe. Im Übrigen habe die Beigeladene zu 1. in dem Personalbogen vom 4. Juli
2003 bestätigt, dass eine weitere Beschäftigung ausgeübt werde. Die Klägerin habe jedoch zu keinem Zeitpunkt die
Entgelte der anderen Beschäftigung abgefragt beziehungsweise die Einhaltung der Entgeltgrenzen geprüft. Deshalb
sei für den Beginn der Versicherungspflicht der 1. Dezember 2000 maßgebend. Die Beigeladene zu 1. sei mit
vorgenanntem Tag bei einer wählbaren Krankenkasse als versicherungspflichtig Beschäftigte zur Kranken-, Renten-,
Arbeitslosen- und Pflegeversicherung anzumelden. Die bei der Beklagten eingereichte Meldung müsse storniert
werden.
Dagegen erhob die Klägerin am 20. April 2004 Widerspruch und machte geltend, sie habe die Beigeladene zu 1. zum
Zeitpunkt des Beschäftigungsbeginnes befragt, ob weitere Beschäftigungsverhältnisse vorlägen. Gemäß § 2 des
Arbeitsvertrages, den die Beigeladene zu 1. mit der Klägerin geschlossen habe, dürften weitere
Beschäftigungsverhältnisse lediglich mit schriftlicher Einwilligung des Arbeitgebers ausgeübt werden. Die Klägerin sei
bemüht, jegliche Informationen über weitere Beschäftigungsverhältnisse von ihren Arbeitnehmern zu erhalten. Von
grober Fahrlässigkeit oder sogar Vorsatz könne nicht ausgegangen werden.
Mit Bescheid vom 18. April 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und blieb bei ihrer Auffassung, die
Klägerin habe grob fahrlässig gehandelt. Diese sei wegen der Verletzung der Arbeitgeberpflichten aus den §§ 28 a,
28e SGB IV gegeben, denn es sei versäumt worden, den Sachverhalt hinsichtlich der versicherungsrechtlichen
Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses weiter aufzuklären. Die versicherungsrechtliche Beurteilung sei
unzutreffend gewesen, obwohl alle entscheidungserheblichen Tatsachen und Rechtsnormen bekannt gewesen seien.
Gegen den am 3. Mai 2006 zugestellten Widerspruchsbescheid richtet sich die am 22. Mai 2006 bei dem
Sozialgericht Lübeck erhobene Klage. Die Klägerin macht geltend, aus der Formulierung "Zusatz-Personalbogen" sei
ein zwingender Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis zugrunde liegenden Arbeitsvertrag zu sehen, aus dem sich
ergebe, das der Arbeitnehmer einer anderen Nebenbeschäftigung zum Gelderwerb derzeitig nicht nachgehe und dies
der schriftlichen Einwilligung bedürfe. Insoweit seien beide Schriftstücke unverzichtbare Bestandteile zur Einordnung
dieses Vorfalls. Die Beigeladene zu 1. habe die Klägerin nicht darüber aufgeklärt, dass sie bereits bei Begründung des
Arbeitsverhältnisses eine weitere Tätigkeit bei den L ausgeübt habe. Dies könne jedoch der Klägerin nicht zum
Nachteil gereichen. Deshalb scheide die rückwirkende Begründung einer Versicherungspflicht ab 1. Dezember 2000
aus. Die Klägerin übersendet eine Ablichtung des mit der Beigeladenen zu 1. zum 1. Dezember 2000 geschlossenen
Arbeitsvertrages.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 2. April 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 18. April 2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie räumt ein, sie sei hinsichtlich der Begründung irrtümlich von dem Vorliegen einer nicht geringfügigen
versicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung ausgegangen. Trotzdem müsse es bei der getroffenen Entscheidung
hinsichtlich des Beginns der Versicherungspflicht verbleiben, denn seit dem 1. Dezember 2000, dem Zeitpunkt der
Aufnahme der Tätigkeit bei der Klägerin, werde das Entgelt nach der jeweiligen Fassung des § 8 SGB IV von 630,00
DM/325,00 Euro beziehungsweise 400,00 Euro ab dem 1. April 2003 überschritten. Die Argumente in der
Klagebegründung gäben keine Veranlassung, von dem bisher vertretenen Standpunkt abzuweichen.
Durch Beschlüsse vom 27. September 2006 und 4. Dezember 2007 hat die Kammer die Arbeitnehmerin ( zu 1 ), die
Krankenkasse ( zu 2 ) und die Bundesagentur für Arbeit (zu 3) beigeladen.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. Februar 2008 hat die Beigeladene zu 1. auf Nachfrage erklärt, sie habe
der Klägerin mitgeteilt, dass sie eine weitere Nebenbeschäftigung bei den L ausübe und sie könne es auch
ausschließen, das dies erst 2003 gewesen sei. Das Beschäftigungsverhältnis bei der Klägerin habe bis zu ihrer
Kündigung zum Februar 2006 angedauert. Die Klägerin hat erklärt, sie könne sich nicht daran erinnern, dass die
Beigeladene zu 1. ihr etwas über eine weitere Beschäftigung bei den L mitgeteilt habe. Dabei ist sie auch nach Vorhalt
eines Aktenvermerkes (Blatt 9 der Verwaltungsakte) geblieben. Danach ist anlässlich eines Telefonates zwischen der
Beklagten und der Klägerin am 29. März 2004 eingeräumt worden, eine weitere Beschäftigung der Beigeladenen zu 1.
sei bekannt gewesen.
Zum Entscheidungszeitpunkt haben Gerichts- und Verwaltungsakte vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die als Anfechtungsklage statthafte Klage ist zulässig und auch teilweise begründet. Der angegriffene Bescheid vom
2. April 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2006 ist rechtswidrig und verletzt die
Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz SGG), soweit die Beklagte den Eintritt einer
Versicherungspflicht bei Mehrfachbeschäftigung für die Zeit vor dem 5. April 2004 festgestellt hat. Zwar ist sie zu
Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Versicherungsfreiheit der Beigeladenen zu 1. aufgrund
der am 1. Dezember 2000 bei der Klägerin aufgenommenen Beschäftigung wegen Mehrfachbeschäftigung nicht mehr
gegeben waren, gleichwohl führte dies zu einer Versicherungspflicht erst ab dem 5. April 2004.
Abweichend von dem Grundsatz der Beitragspflicht für jede abhängige, entgeltliche Beschäftigung (vergleiche § 2
SGB IV) besteht für geringfügig Beschäftigte in der Kranken- (§ 7 SGB V), Renten- (§ 5 Abs. 2 SGB VI), Arbeitslosen-
(§ 27 Abs. 2 SGB III) und Pflegeversicherung Versicherungsfreiheit. Verwiesen wird stets auf § 8 SGB IV, der den
Begriff der geringfügigen Beschäftigung für alle Zweige der Sozialversicherung definiert. Gemäß § 8 Abs. 1 SGB IV
liegt eine geringfügige Beschäftigung unter anderem dann vor, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung
regelmäßig im Monat 400,00 Euro (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV in der Fassung vom 23. Dezember 2002, in Kraft ab 1.
April 2003) , 325,00 Euro (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV in der Fassung vom 21. Dezember 2000, in Kraft ab 1. Januar
2002) bzw. 630,- DM ( § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV in der Fassung vom 24. März 1999, in Kraft ab 1.April 1999 ) nicht
übersteigt.
Dabei sind mehrere geringfügige Beschäftigungen nach Nr. 1 gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 zusammenzurechnen und eine
geringfügige Beschäftigung liegt nicht mehr vor, sobald die Voraussetzungen des Absatzes 1 entfallen (§ 8 Abs. 2
Satz 1 und 2 SGB IV). Für den Fall, dass die Zusammenrechnung nach dieser Vorschrift zum Fehlen der
Voraussetzungen für die Versicherungsfreiheit führen, enthält § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV seit dem 1. April 2003 eine
ausdrückliche Regelung über den Beginn der Versicherungspflicht: "Wird bei der Zusammenrechnung nach Satz 1
festgestellt, dass die Voraussetzungen einer geringfügigen Beschäftigung nicht mehr vorliegen, tritt die
Versicherungspflicht erst mit dem Tage der Bekanntgabe der Feststellung durch die Einzugsstelle oder einer Träger
der Rentenversicherung ein".
Nach diesen gesetzlichen Vorgaben hat die Beklagte zu Unrecht den Beginn der Versicherungspflicht, bezogen auf
den Beginn des zweiten geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses bei der Klägerin, auf den 1. Dezember 2000
datiert. Zwar lagen für die Beigeladene zu 1. aufgrund der Überschreitung der damaligen Grenze von 630,00 Deutsche
Mark bereits mit dem Tag des Beginns des Beschäftigungsverhältnisses bei der Klägerin nach § 8 Abs. 2 Satz 1 1.
Alternative SGB IV die Voraussetzungen für das Bestehen von Versicherungsfreiheit nicht mehr vor. Jedoch geht aus
Satz 3 dieser ab 1. April 2003 und mithin auch auf den Zeitpunkt der Bescheidung anzuwendenden Vorschrift hervor,
dass die Versicherungspflicht nicht bereits kraft Gesetzes, sondern erst mit dem Tage der Bekanntgabe einer
entsprechenden Feststellung durch die Einzugsstelle (§ 28 h Abs. 2 SGB IV) oder bei einer Betriebsprüfung (§ 28 b
SGB IV) ein Träger der Rentenversicherung eintritt. Das Gesetz misst der Feststellung des Bestehens von
Versicherungspflicht mithin für den Wegfall der Versicherungsfreiheit und damit auch der Beitragspflicht konstitutive
Wirkung bei (vgl. Schlegel in: jurisPK – SGB IV, 1. Auflage 2006, § 8 Rn 67). Die Rechtswirkung wird also entweder
durch eine Entscheidung der Einzugsstelle oder ein Träger der Rentenversicherung ausgelöst und mit der
Bekanntgabe gegenüber dem Arbeitgeber wirksam (Seewald in Kassler-Kommentar, § 8 SGB IV Rn 30 b). § 8 Abs. 2
Satz 3 SGB IV ist für alle derartigen Feststellungen maßgebend, die vom 1. April 2003 angetroffen werden, auch
wenn Zeiträume betroffen sind, die vor diesem Datum liegen (Kazmierczak NZS 2003, 186, 188).
Eine Feststellung mit konstitutiver Auslösung dieser Rechtswirkung hat die Beklagte erst mit Bescheid vom 2. April
2004 getroffen, wobei nach § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch, SGB X von einer Bekanntgabe dieses
Bescheides am 5. April 2004 auszugehen ist. Erst ab diesem Tage kann demnach von einer Versicherungspflicht
ausgegangen werden.
Die Beklagte kann ihre Entscheidung nicht damit begründen, dass von dem Grundsatz der Bekanntgabe der
Feststellung fehlender Geringfügigkeit abgewichen werden kann, wenn der Arbeitgeber grob fahrlässig oder vorsätzlich
versäumt hat, den Sachverhalt für die versicherungsrechtliche Beurteilung aufzuklären, denn diese von dem Wortlaut
abweichende einschränkende Auslegung des § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV i.S. einer teleologischen Reduktion kommt
nach der ratio legis des Gesetzes nicht in Betracht.
Selbst wenn aus dem Ziel des Gesetzgebers, Arbeitgeber und Beschäftigte zu motivieren, auch geringfügige
Beschäftigungen zu melden und aus der Illegalität herauszuführen (BT-Drs. 15/26 Seite 23) die Schlussfolgerung
gezogen werden könnte, die durch Absatz 2 Satz 3 bewirkte Begünstigung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern trete
nur in den Fällen ein, in denen diese Beteiligten das Verfahren zur Feststellung bewirkt haben, so kann dem Gesetz
nach dem Wortlaut eine derart restriktive Auslegung nicht entnommen werden (Seewald in Kassler-Kommentar, § 8
SGB IV, Rn 30 c; SG Freiburg, Urteil vom 13. September 2007, S 2 KNR 6092/06 m. Anm. von RAin Buddemeier).
Gleiches gilt für die in den Geringfügigkeitsrichtlinien enthaltene Einschränkung, dieser Schutz solle bei Vorsatz oder
grober Fahrlässigkeit des Arbeitgebers nicht bestehen ( vgl. Geringfügigkeitsrichtlinien vom 24. August 2006 in der
Fassung vom 13. Oktober 2006, 5.3; Kazmierczak am angegebenen Ort; Rombach SGb 2003, 196, 199; Seewald,
a.a.O.).
Offensichtlich hat der Gesetzgeber eine derart weit reichende Einschränkung des Anwendungsbereiches von § 8 Abs.
2 Satz 3 SGB IV nicht gewollt, auch wenn argumentiert werden kann, Arbeitgeber verdienten diesen Schutz nicht,
wenn sie bei Mehrfachbeschäftigung eines Arbeitnehmers Kenntnis vom Wegfall seiner Versicherungsfreiheit haben.
Denn § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV beschränkt die konstitutive Wirkung des Feststellungsbescheides nicht auf
"gutgläubige" Arbeitgeber und eine teleologische Reduktion der Vorschrift dürfte ausscheiden, wenngleich nicht
auszuschließen ist, das Arbeitgeber diesen Umstand bewusst ausnutzen (Schlegel a.a.O.Rn 68).
Eine teleologische Reduktion ist auch deshalb auszuschließen, weil der Gesetzgeber entgegen der
Beitragsnachforderungen im sogenannten Anfrageverfahren (§ 7a SGB IV) ausdrücklich für angelaufene
Beitragsrückstände die Versicherungspflicht erst mit dem Tag der Bekanntgabe der Entscheidung ausdrücklich
ausgeschlossen hat, wenn der Arbeitnehmer oder sein Arbeitgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig von einer
selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind ( vgl. § 7 b Nr. 3 SGB IV ). Dass er diese Einschränkung bei § 8 Abs. 2
Satz 3 nicht gemacht hat, kann nur so verstanden werden, dass auch bei einem bösgläubigen Arbeitgeber die
Beitragspflicht erst nach Bekanntgabe der Entscheidung eintritt. Deshalb kann dahin stehen, ob die Klägerin
tatsächlich von einer zweiten geringfügigen Beschäftigung der Beigeladenen zu 1. gewusst hat und wann dies der Fall
war.
Etwas anderes kann auch nicht den Geringfügigkeitsrichtlinien vom 25. Februar 2005 (Aichberger, Sozialgesetzbuch
IV/21) entnommen werden. Die dortige Einschränkung, dass § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV nicht gilt, wenn der
Arbeitgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig versäumt hat, den Sachverhalt für die versicherungsrechtliche Beurteilung
aufzuklären, ist rechtlich unwirksam. Denn den Spitzenverbänden der Krankenkassen, der Deutschen
Rentenversicherung Bund sowie der Bundesagentur für Arbeit fehlt es an der Kompetenz und an der
Ermächtigungsgrundlage für eine derartige Regelung. Weder § 8 SGB IV noch eine andere gesetzliche Vorschrift
ermächtigt sie zu einem Beschluss von Richtlinien. Doch selbst wenn eine derartige Richtlinienkompetenz im Gesetz
geregelt ist (vgl. zum Beispiel §§ 33, 34, 92, 135 SGB V), so kommt ihnen dann keine Rechtswirkung zu, wenn sie
einem Anspruch pauschal entgegenstehen (vgl. zum Beispiel zu den Arzneimittelrichtlinien: Urteil des BSG vom 30.
September 1999, B 8 KN 9/98; zu den Heil- und Hilfsmittelrichtlinien: Urteil vom 16. November 1999, B 1 KR 9/97 R).
Selbst bei einer Regelungsbefugnis können mithin Richtlinien nur dann Leistungen ausschließen, wenn der
Richtliniengeber nach geltendem Recht dazu befugt ist. In den beiden genannten Entscheidungen hatte das BSG
diese Befugnis des mit der Richtlinienkompetenz ausgestatteten Gemeinsamen Bundesausschusses verneint.
Die einschränkende Auslegung von § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV ist mithin rechtlich unwirksam und den Richtlinien
kommt lediglich der Status von nicht bindenden Verwaltungsvorschriften zu (vgl. dazu Schlegel a.a.O. Rn 7). Als
solche bieten sie keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für die Einführung eines in § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV nicht
enthaltenen Ausschlusstatbestandes.
Nach alldem war für den Versicherungsbeginn und den Beginn der Beitragspflicht auf den 5. April 2004 als Tag der
Bekanntgabe der Feststellung über das Bestehen von Versicherungs- und Beitragspflicht abzustellen. Der Bescheid
der Beklagten vom 2. April 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2006 war damit insoweit
rechtswidrig und aufzuheben, als er eine Feststellung der Versicherungspflicht bereits zum 1. Dezember 2000
vorgenommen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 154, 155 Abs. 1 Satz 3
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die endgültige Festsetzung des Streitwertes erfolgt in einem gesonderten
Beschluss.
Der Vorsitzende der 1. Kammer Klingauf