Urteil des SozG Leipzig vom 10.11.2005
SozG Leipzig: bildende kunst, versicherungspflicht, angemessene frist, künstler, ausschuss, schriftsteller, einkommensgrenze, arbeitslosigkeit, verwaltungsakt, bekanntgabe
Sozialgericht Leipzig
Urteil vom 10.11.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 8 KR 108/03
I. Der Bescheid vom 28.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides wird aufgehoben. II. Die Beklagte wird
verurteilt, festzustellen, dass der Kläger vom 12.03.2003 bis 29.02.2004 in den Zeiträumen 21.03. bis 20.04., 22.05.
bis 25.06., 01.09. bis 23.09. und 17.10. bis 31.10. 2003 der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Renten-, Kranken-
und Pflegeversicherung nach § 1 KSVG unterliegt. III. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu
tragen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung von Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialver-sicherungsgesetz.
Der am ...1951 geborene Kläger ist – zumindest zeitweise – als Lyriker tätig. Er übte nebenher bzw. hauptberuflich
Beschäftigungen als Hausverwalter und Sachverständiger für Immobilenwirtschaft aus; zwischenzeitlich war er
arbeitslos. Durch zahlreiche Be-scheide und Änderungsbescheide stellte die Beklagte jeweils Versicherungspflicht
bzw. -freiheit in der Künstlersozialversicherung fest (Bescheid vom 21.04.1994, Änderungsbe-scheid vom 10.01.1995,
Bescheid vom 13.02.1996, Änderungsbescheid vom 14.10.1996, Bescheid vom 24.07.1997, Bescheid vom
25.02.1998, Bescheid vom 08.05.1998, Bescheid vom 14.12.1998, Änderungsbescheid vom 29.12.2000). Danach
bestand Versicherungs-pflicht für die Zeiträume 01.04.1994 bis 04.12.1995, 21.01.1996 bis 31.12.1996, 01.05.1998
bis 31.10.2000 und 16.04.2001 bis 31.05.2001. Zuletzt stellte sie mit Ände-rungsbescheid vom 28.05.2001 ab
01.06.2001 Versicherungsfreiheit fest. Die freiberufli-che Existenz als Schriftsteller dauerte bis 14.10.2002, die
aufgrund Arbeitsvertrages vom 10.04.2001 wegen einer Anstellung als Koordinator des Förderkreises " ... " vom
15.04.2001 bis 14.04.2002 unterbrochen war. Am 15.10.2002 meldete sich der Kläger arbeitslos und bezog
Arbeitslosengeld in Höhe von 155,96 EUR wöchentlich (Bewilligungsbescheid des Arbeitsamtes L ... vom
10.12.2002).
Am 12.03.2003 beantragte der Kläger die Feststellung von Versicherungspflicht nach dem
Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG), da er die Arbeitslosigkeit für jeweils 6 Wo-chen zugunsten einer
freiberuflichen Tätigkeit unterbrechen wolle. Mit Anmeldeformular, bei der Beklagten eingegangen am 24.03.2003, gab
er an, dass er in den Zeiträumen 21.03. bis 20.04., 22.05. bis 25.06., 01.09. bis 23.09. und vom 17.10. bis 31.10.2003
voraussicht-lich 3.500,00 EUR verdienen werde. Er bat um Verständnis für die "Selbstständigkeit auf Ra-ten", weil
ihm aufgrund ausbleibender Fördermittel eine längerfristige freiberufliche Exis-tenz momentan nicht möglich sei.
Durch Bescheid vom 28.03.2003 lehnte die Beklagte eine Versicherung nach dem Künst-lersozialversicherungsgesetz
in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung ab, weil der Kläger in dem angegebenen Zeitraum nur
ein geringfügiges Arbeitseinkom-men erzielen werde. Für das Kalenderjahr 2003 bestehe bei einem zu erwartenden
Jah-reseinkommen bis 3.900,00 EUR keine Versicherungspflicht. Wegen der geringen Höhe seines Einkommens
könne eine Versicherungspflicht nach dem KSVG nicht festgestellt werden, sodass es keiner weitergehenden Prüfung
der Versicherungsvoraussetzungen bedürfe.
Hiergegen legte der Kläger am 03.04.2003 Widerspruch ein. Bei Hochrechnung der erwar-teten Einnahmen für die
angegebenen Zeiträume von 3.500,00 EUR auf das gesamte Jahr wür-de er 11.500,00 EUR erzielen.
In einer Sitzung vom 30.04.2003 beabsichtigte der Widerspruchsauschuss, dem Wider-spruch abzuhelfen, weil der
Kläger nur einen Teil des Jahres als Schriftsteller tätig sei. Dies beanstandete der Abteilungsleiter am 03.06.2003.
In einer erneuten Sitzung vom 19.06.2003 wies der Widerspruchsausschuss mit Wider-spruchsbescheid vom
02.07.2003 den Widerspruch zurück. Das Arbeitseinkommen von 3.500,00 EUR sei dem gesamten Kalenderjahr
zugrunde zu legen. Unterbrechungen der selbst-ständigen Tätigkeit durch Aquise, Inkasso, Verwaltung usw. zwischen
einzelnen Aufträgen seien üblich.
Der Kläger hat am 07.07.2003 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben. Seit März 2003 habe sich seine
Einkommenssituation verbessert, er werde voraussichtlich Einnahmen von 4.500,00 EUR bis 5.000,00 EUR
aufweisen. Der Widerspruchsbescheid sei formell rechtswidrig, weil das Mitglied des Widerspruchsausschusses, Herr
..., persönlich sowohl bei der Abhilfe als auch der späteren Zurückweisung des Widerspruches tätig geworden sei.
Laut Auflistung habe sein Einkommen im Jahr 2003 über 3.900,00 EUR jährlich betragen. Ab 01.02.2004, später
korrigiert auf den 01.03.2004, sei er freiberuflich als Schriftsteller unbe-fristet und ununterbrochen tätig.
Am 08.09.2005 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden; auf die Niederschrift hier-zu wird verwiesen. Der
Kläger hat seinen Einkommensteuerbescheid 2003 und weitere Nachweise vorgelegt.
Der Kläger beantragt in sachdienlicher Fassung,
den Bescheid vom 28.03.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2003 aufzuheben und
festzustellen, dass der Kläger vom 12.03.2003 bis 29.02.2004 in den Zeiträumen 21.03. bis 20.04., 22.05. bis 25.06.,
01.09. bis 23.09. und 17.10. bis 31.10.2003 der Versiche-rungspflicht zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und
Pflegeversicherung nach § 1 KSVG unterliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladenen haben keinen Sachantrag gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Sach- und Streitstandes wird auf den Aktenin-halt, eine Gerichtsakte sowie
ein Verwaltungsvorgang der Beklagten, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte ohne eine weitere mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr
Einverständnis erklärt haben ( § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die Klage ist als Feststellungsklage statthaft. Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG kann mit der Klage die
Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnis-ses oder die Feststellung, welcher
Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist, begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse
an der baldigen Feststel-lung hat. Vorliegend richtet sich dessen Begehr auf Feststellung eines versicherungspflich-
tigen Mitgliedschaftsverhältnisses in der Künstlersozialversicherung.
Die Klage ist zulässig; insbesondere hat der Kläger das erforderliche Feststellungsinteres-se. Dieses ist zu bejahen,
wenn der Kläger ein eigenes berechtigtes Interesse an der baldi-gen Feststellung hat. Als berechtigtes Interesse gilt
jedes nach der Sachlage vernünftiger-weise gerechtfertigte Interesse, das rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller,
privat-rechtlicher und öffentlich-rechtlicher Art sein kann (BSGE 8, 1). Hier hat der Kläger ein rechtliches Interesse an
der Klärung seines versicherungsrechtlichen Statusses, so dass die durch die begehrte Feststellung betroffenen
Sozialversicherungsträger, die Deutsche Ren-tenversicherung sowie die Kranken- und Pflegekasse, bei der der Kläger
für den begehrten Zeitraum freiwillig versichert gewesen war, beizuladen waren (§ 75 Abs. 2 SGG).
Die Klage ist auch begründet.
Entgegen der Rechtsansicht des Klägers bestehen im Hinblick auf die formelle Rechtmä-ßigkeit keine Bedenken.
Insbesondere dürfte der Widerspruchsbescheid ordnungsgemäß zustande gekommen sein. Der Kläger kann dem nicht
mit Erfolg entgegen halten, dass der Ausschuss nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei. Gemäß § 39 Abs. 1
KSVG erlässt den Widerspruchsbescheid im Vorverfahren nach § 85 Abs. 2 SGG einer der bei der
Künstlersozialkasse zu bildenden Ausschüsse. Es wird jeweils ein Ausschuss für die Berei-che Wort, Musik,
darstellende Kunst und bildende Kunst errichtet. Nach § 39 Abs. 2 KSVG setzt sich jeder Ausschuss aus 2
Mitgliedern des Beirats, und zwar je einem Vertre-ter der Versicherten und der nach 24 Abs. 1 oder 2 zur Abgabe
Verpflichteten, und einem Vertreter der Künstlersozialkasse zusammen. Die Mitglieder der Ausschüsse werden auf
Vorschlag des Beirates durch die Künstlersozialkasse berufen. Nach Abs. 3 Vorschrift sind die Mitglieder der
Ausschüsse unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.
Wenn der Widerspruchsausschuss in seiner Sitzung vom 30.04.2003 zunächst zu einer für den Kläger positiven
Entscheidung gekommen war (vgl. Bl. 190 der Verwaltungsakte), bedeutet dies noch keinen Widerspruchsbescheid im
Sinne des § 85 SGG. Für den Erlass eines Widerspruchsbescheides nach Abs. 2 der Vorschrift ist vielmehr
erforderlich, dass dieser begründet und den Beteiligten bekannt gegeben wird (Abs. 3 Satz 1 der Vorschrift). Ein
Verwaltungsakt ist damit nicht schon dadurch existent, dass er fertiggestellt und unter-schrieben ist, sondern erst,
wenn er durch Bekanntgabe erlassen wird (BSGE 15, 177 (180)). Der Zeitpunkt des Erlasses und damit des
Wirksamwerdens des Verwaltungsaktes bestimmt sich mit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes an den
Adressaten (vgl. §§ 39, 37 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X)), bei schriftlich erlassenem Verwaltungsakt also
regelmäßig erst mit Zeitpunkt des Zugangs. Die Behörde muss demzufolge die emp-fangsbedürftige öffentlich-
rechtliche Willenserklärung, dem Widerspruch abzuhelfen oder zurückzuweisen, willentlich dem Adressaten inhaltlich
zur Kenntnis geben (BVerwGE 232, 14 f.). Ausweislich des Akteninhaltes (vgl. Bl. 190 der Verwaltungsakte) war zwar
die Entschei-dung über den Widerspruch vom 02.04.2003 gegen den Bescheid vom 28.03.2003, dem Widerspruch
abzuhelfen, an den Kläger adressiert; die von den Mitgliedern des Wider-spruchsausschusses unterschriebene
Entscheidung war jedoch durch eine Randbemerkung auf dem Unterschriftsblatt noch vor der Versendung
beanstandet worden. Gemäß § 20 der Verordnung über den Beirat und die Ausschüsse bei der Künstlersozialkasse ist
der Wider-spruchsbescheid vom Vorsitzenden zu unterzeichnen und nur dann zuzustellen, sofern er nicht durch § 21
beanstandet wird. Verstößt danach eine Entscheidung eines Wider-spruchsausschusses gegen ein Gesetz oder
sonstiges für die Künstlersozialkasse maßge-bendes Recht, hat die Künstlersozialkasse die Entscheidung schriftlich
und mit Begrün-dung zu beanstanden und damit eine angemessene Frist zur erneuten Entscheidung zu set-zen. So
liegt der Fall hier. Nach Beanstandung durch den Abteilungsleiter (vgl. Bl. 192 der Verwaltungsakte) hat der
Widerspruchsausschuss nach erneuter Sitzung vom 19.06.2003 den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom
02.07.2003 zurückgewiesen.
Der Bescheid erweist sich jedoch als materiell rechtswidrig. Die Beklagte war deshalb zur begehrten Feststellung von
Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung zu ver-pflichten.
Gemäß § 1 Nr. 1 und 2 KSVG werden selbstständige Künstler und Publizisten in der Ren-tenversicherung der
Angestellten, in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozia-len Pflegeversicherung versichert, wenn sie die
künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und im
Zusammenhang mit der künst-lerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer
beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufsausbildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV). Künstler im Sinne des KSVG ist, wer Musik, darstellende oder bildende
Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Publizist im Sinne die-ses Gesetzes ist, wer als Schriftteller, Journalist oder in
anderer Weise publizistisch tätig ist oder Publizistik lehrt (§ 2 KSVG). Da der Kläger als Lyriker schriftstellerisch tätig
ist, ist er "Publizist" im Sinne des KSVG (zur Publizisteneigenschaft, vgl. auch: SG Dresden, Urteil vom 11.11.2004,
Az: S 18 KR 440/01). Er unterliegt damit grundsätzlich der Versi-cherungspflicht.
Hier war davon auszugehen, dass der Kläger seine publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und damit
versicherungspflichtig ausübt ( § 1 Nr. 1 KSVG). Versicherungsfrei nach die-sem Gesetz ist nach Maßgabe des § 3
Abs. 1 Satz 1 KSVG nur, wer in dem Kalenderjahr aus selbstständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit
voraussichtlich ein Ar-beitseinkommen erzielt, dass 3.900,00 EUR nicht übersteigt. Zwar war der Beklagten insoweit
einzuräumen, dass deren damalige Prognoseentscheidung nicht durch Vorlage neuerer Zahlen im Nachhinein
entkräftet werden kann; denn wie bei jeder Prognose müssen bei der Schätzung des Arbeitseinkommens Restzweifel
in Kauf genommen werden, weil der Gesetzgeber ausdrücklich auf ein "voraussichtliches Arbeits-ergebnis" abstellt.
Dies ergibt sich ferner aus der Natur der Sache; denn häufig steht erst Monate oder Jahre nach Ablauf des
betreffenden Jahres das Einkommen fest. Die Progno-seentscheidung der Verwaltung ist jedoch nur dann fehlerfrei
und verbindlich, wenn sie aufgrund der vorhandenen Umstände und Zahlen nachvollziehbar ist. Sie darf insbesondere
nicht gegen Gesetze und Erfahrungssätze verstoßen. Grundlage der Prognose können des-halb nur die bis zum
Abschluss des Verwaltungsverfahrens, mithin spätestens bis zum Er-lass des Widerspruchsbescheides, erkennbaren
Umstände sein (BSG SozR 3 –7833, § 6 Nr. 15; LSG Rhld-Pf., Urt. v. 08.11.2001, Az: L 5 KR 17/01).
Die Prognoseentscheidung der Beklagten erweist sich hier von vornherein als rechtswidrig. Bei der Prüfung, ob der
Kläger für das Kalenderjahr 2003 ein Arbeitseinkommen erzielen würde, das 3.900,00 EUR übersteigt, hat die
Beklagte nicht berücksichtigt, dass der Kläger seinen Antrag auf Feststellung der Versicherungspflicht nach dem
Künstlersozialversiche-rungsgesetz erst am 12.03.2003 gestellt hat. Die Versicherungspflicht beginnt indes erst mit
dem Tag der Meldung (§ 8 Abs. 1 KSVG). In seinem am 17.03.2003 ausgefüllten und bei der Beklagten am
24.03.2003 eingegangenen Formular gab er an, dass sein "Jahresar-beitseinkommen" (Einnahmen/Betriebsausgaben)
aus selbstständiger, künstleri-scher/publizistischer Tätigkeit im laufenden Kalenderjahr voraussichtlich 3.500,00 EUR
errei-chen werde. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 KSVG ist die in Satz 1 genannte Grenze von 3.900,00 EUR entsprechend
herabzusetzen, wenn die selbstständige künstlerische oder publi-zistische Tätigkeit nur während eines Teils des
Kalenderjahres ausgeübt wird. Der Grenz-betrag von 3.900,00 EUR hätte somit unter Berücksichtigung des bereits
abgelaufenen Zeit-raumes für das Jahr 2003, in dem der Kläger arbeitslos gewesen war, das heißt vom 01.01. bis
11.03.2003, entsprechend verringert werden müssen. Bei einem Jahreseinkommen von 3.900,00 EUR wären
demzufolge von vornherein circa 800,00 EUR weniger in Ansatz zu bringen, sodass für den "Rest des Jahres" ein
Jahresarbeitseinkommen von circa 3.100,00 EUR ausge-reicht hätte. Vorliegend hatte der Kläger jedoch bereits im
Antragsformular am 24.03.2003 Einnahmen aus publizistischer Tätigkeit von 3.500,00 EUR für den Zeitraum nach
Antragstel-lung und nur für begrenzte Zeiträume angegeben, und zwar vom 21.03. bis 20.04., 22.05. bis 25.06., 01.09.
bis 23.09. und 17.10. bis 31.10.2003.
Es war auch von einer erwerbsmäßigen und nicht nur vorübergehenden Ausübung publizistischer Tätigkeit
auszugehen ( § 1 Nr. 1 KSVG). Das Gesetz setzt insoweit nur voraus, dass es sich um eine auf Dauer angelegte
selbstständige Tätigkeit handelt. Wäh-rend es für die "Selbstständigkeit" ausreicht, dass sich der Künstler oder
Publizist nicht in einem "abhängigen Beschäftigungsverhältnis" befindet, erfordert die erwerbsmäßige und nicht nur
vorübergehend ausgeübte Tätigkeit eine nachhaltige Tätigkeit zur dauernden und berufsmäßigen Erzielung von
Einkünften (vgl. Brandmüller/Zacher, KSVG – Kommentar, § 1 II Nr. 1 24. EL).
Die Anforderungen hierfür dürfen indes nicht überspannt werden. Dies ergibt sich aus der sozialen Schutzintention des
Gesetzes, das den betroffenen Personenkreis der Künstler und Publizisten sozial besonders absichern und insoweit
privilegieren will: Während geringfü-gig Beschäftigte ab 01.04.2003 bei einer Einkommensgrenze von 400,00 EUR
monatlich (ent-sprechend 4.800,00 EUR jährlich) versicherungsfrei sind (vgl. § 7 SGB V), bestimmt § 3 Abs. 1 Satz 1
KSVG die Grenze auf lediglich 3.900,00 EUR, um in möglichst vielen Fällen Künst-ler in die
Sozialversicherungspflicht einbeziehen zu können. Dies gilt bei Unterschreiten dieser Grenze sogar dann, wenn das
Arbeitseinkommen nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren unter diesem Wert liegt (§ 3 Abs. 3
KSVG). Der Bund zahlt zudem 20 v. H. der Ausgaben der Künstlersozialkasse als Zuschuss und trägt die Verwal-
tungskosten (§ 34 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 KSVG). Ein vorläufiger Beitragszuschuss ist auf Antrag auch für freiwillig
versicherte und von der Versicherungspflicht befreite selbststän-dige Künstler und Publizisten vorgesehen (§ 10
KSVG), freiwillig Versicherte tragen ihren Anteil auf der Grundlage bestimmter Mindesteinnahmen allein (§ 240 Abs. 4
SGB V).
Eine auf Dauer angelegte selbstständige und erwerbsmäßige Tätigkeit erfordert darüber hinaus lediglich, dass sie den
Umfang einer geringfügigen Beschäftigung überschreitet; denn für diesen Fall ist zu vermuten, dass die künstlerische
oder publizistische Tätigkeit nicht mehr (haupt-) erwerbsmäßig erfolgt. Eine geringfügige Beschäftigung liegt nach den
Maßgaben des Sozialversicherungsrechts gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) vor,
wenn die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens 2 Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer
Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus zeitlich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung
berufsmäßig ausgeübt wird und das Entgelt 400,00 EUR im Monat übersteigt. So liegt der Fall hier: Der Kläger hat im
Antrag angegeben, für den Zeitraum 21.03. bis 20.04., 22.05. bis 25.06., 01.09. bis 23.09. und 17.10. bis 31.10.2003
für insgesamt circa 3 Monate und eine Woche publizistisch tätig zu sein, gegen voraussichtliche Einnahmen in Höhe
von etwa 3.500,00 EUR. Während dieser Zeit unterlag er mithin nach § 1 KSVG der Versicherungspflicht in der
Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung.
Dem widerspricht nicht, dass der Kläger mit Antrag vom 12.03.2003 eine "Selbstständig-keit auf Raten" abgekündigt
hat; denn eine "Selbstständigkeit auf Raten" bedeutet nicht, dass derjenige die Tätigkeit nicht erwerbsmäßig und nur
vorübergehend ausüben will: sie besagt lediglich, dass die erwarteten Einnahmen zur Deckung des Lebensbedarfs
voraus-sichtlich nicht ausreichen werden, um ganzjährig selbstständig tätig zu sein. Das Kriterium der
Erwerbsmäßigkeit hat der Gesetzgeber durch die Einkommensgrenze von 3.900,00 EUR jährlich in § 3 Abs. 1 Satz 1
KSVG festgelegt. Diese Grenze liegt sogar noch unter dem gegenwärtigen Zahlbetrag für Arbeitslosengeld II oder der
Hilfe zum Lebensunterhalt.
Im Übrigen entspricht es der Lebenswirklichkeit, gerade bei künstlerischen oder publizisti-schen Tätigkeiten, dass
diese nicht durchgängig ausgeübt werden können. So ist es etwa bei der darstellenden Kunst üblich, dass zwischen
mehreren Engagements von Schauspie-lern ein längerer Zeitraum der Arbeitslosigkeit liegt. Diese Engagements
können auch auf mehrere Jahresteile entfallen, ohne dass deswegen die Versicherungspflicht in der Künst-
lersozialversicherung entfiele. Andernfalls wäre ein vom Gesetzgeber als sozial besonders schutzbedürftig
angesehener Personenkreis von vornherein nicht mehr in das KSVG einbe-zogen. Die Beklagte kann dem nicht
entgegen halten, dass es nicht Wille des Gesetzgebers gewesen sei, eine "Ergänzungsabsicherung zum
Arbeitslosengeld" zu schaffen. Vielmehr entspricht es auch sonst dessen Willen, durch besondere Maßnahmen im
Bereich der Ar-beitsförderung (beispielsweise "ABM" oder zur Förderung der Selbstständigkeit ("Ich-AG s")) die
Arbeitslosigkeit zu beenden oder zumindest für einen bestimmten Zeitraum zu verringern. Dem gesetzgeberischen
Gesichtpunkt der Arbeitsförderung (vgl. § 1 SGB III, §§ 1 f. SGB II) würde jedoch nicht entsprochen, würde man
Künstler und Publizisten - auch bei einer zeitlich nur beschränkt möglichen Tätigkeit - auf die weitere soziale Absi-
cherung als Arbeitslose verweisen.
Dem steht auch nicht der Wortlaut § 3 Abs. 1 Satz 2 KSVG entgegen, wonach die in Satz 1 genannte Grenze
entsprechend herabzusetzen ist, wenn die selbstständige, künstlerische oder publizistische Tätigkeit nur während
"eines" Teils der Kalenderjahres ausgeübt wird. Der Wortlaut lässt nicht nur die Auslegung "eines" Teils im Sinne
einer singulären Be-trachtungsweise dergestalt zu, dass die Selbstständigkeit nur einmal innerhalb eines Jahres
unterbrochen werden darf; das Gericht legt die Vorschrift vielmehr dahingehend aus, dass auch bei einer "teilweisen"
künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit innerhalb des ge-samten Kalenderjahres die Einkommensgrenze
entsprechend herabzusetzen ist, ohne dass deswegen die "Erwerbsmäßigkeit" nach dem KSVG zu verneinen wäre.
Hierfür spricht insbesondere die Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 11/2964 S. 14, abgedruckt bei:
Brandmüller/Zacher, a.a.O.). Danach soll die Regelung des Satzes 2 lediglich sicher-stellen, dass Künstler und
Publizisten, die nur deshalb das Mindestarbeitseinkommen nach Satz 1 nicht erreichen konnten, weil sie nicht
"während des gesamten Kalenderjahres" eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit nach diesem Gesetz
ausüben, nach dem KSVG versichert werden. Wenn es danach ausreicht, dass "nicht während des gesamten
Kalender-jahres" eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit ausgeübt wird, vermag auch die künstlerische
Tätigkeit "in Teilen" des laufenden Kalenderjahres eine Versicherungspflicht nach dem KSVG zu begründen, wenn die
anteilig zu berechnende Einnahmegrenze – wie hier – überschritten wird. Da – wie aufgezeigt – die Tätigkeit vom
zeitlichen und monetären Umfang her mehr als geringfügig ist, war von deren erwerbsmäßiger und damit
versicherungspflichtiger Aus-übung auszugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.