Urteil des SozG Leipzig vom 27.06.2007

SozG Leipzig: elterliche sorge, pflege, auflage, getrennt leben, rechtsschutz, verwaltungsverfahren, heizung, wohnung, glaubhaftmachung, hauptsache

Sozialgericht Leipzig
Beschluss vom 27.06.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 19 AS 668/07 ER
I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Die Antragstellerin (Ast.) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes von der Antragsgegnerin (Ag.)
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, insbesondere Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt für
Alleinerziehende (Mehrbedarf).
Die 1974 in der (heutigen) Russischen Föderation geborene Ast. ist seit 1998 verheiratet. Ihr Ehemann und ihre
gemeinsame Tochter sind ebenso dort geboren (1976 und am 2000). 2001 siedelte sie mit o.g. Personen und ihrer
Mutter in die Bundesrepublik Deutschland über. Ab August 2002 lebte sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in einer
eigenen (Miet-) Wohnung. Im Februar 2005 sei ihr Mann ausgezogen. Am 9. März 2005 hat die Ast. ein weiteres Kind
(Sohn) geboren. Die Ast. und ihr Mann sind nicht beschäftigt oder selbständig tätig.
Die Kinder der Ast. erhielten vom 1. November 2004 bis 30. April 2006 (Tochter) und 9. März bis 30. April 2006 (Sohn)
vom Landratsamt Delitzsch (Jugendamt) Unterhaltsleistungen. Die Zahlungen erfolgten an die Ast.
Seit Januar 2005 erbringt die Ag. der Ast., ihrem Mann, ihrer Tochter und (ab März 2005) ihrem Sohn Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts. Ab Februar 2005 erbrachte die Ag. dem Mann der Ast. als eigene
Bedarfsgemeinschaft die o.g. Leistungen. Des weiteren wurde der Ast. seit dem u.a. der Mehrbedarf erbracht. Von der
Wiedergabe der Einzelheiten hierzu wird in diesem Verfahren abgesehen.
Am 31. Mai 2006 ist die Kenntnis der Ag. von den Aufhebungen der o.g. Unterhaltsleistungen dokumentiert (vgl. Blatt
248/3 der Verwaltungsakte).
Am 24. Juli 2006 besuchte der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) der Ag. die Ast. unangemeldet zu Hause. Auf den
Bericht vom 22. August 2006 wird verwiesen (Blatt 286 der Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 25. Januar 2007 teilte die Ag. der Ast. mit, sie habe von Mai 2006 bis Februar 2007 1.568,00 EUR
zu Unrecht bezogen. Die Ast. äußerte sich hierzu. Auf ihr Schreiben vom 29. Januar 2007 wird verwiesen (Blatt 314
der Verwaltungsakte).
Mit (zwei) Bescheiden vom 27. Februar 2007 hob die Ag. die Bewilligungen für die Ast. (und ihre Kinder) für März bis
August 2006 und September 2006 bis Februar 2007 teilweise auf. Der Mehrbedarf könne ab Mai 2006 nicht mehr
gewährt werden. Die Ast. habe 1.230,00 EUR zu erstatten (weiterer Bescheid vom 27. Februar 2007). Mit einem
weiteren Bescheid vom 27. Februar 2007 bewilligte die Ag. der Ast. und deren Kindern für März bis August 2007
insgesamt 752,62 EUR monatlich an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Gegen die Bescheide vom 27. Februar 2007 erhob die Ast. jeweils Widerspruch. Darüber wurde bisher noch nicht
entschieden, soweit bekannt.
Am 29. März 2006 begehrte die Ast. einstweiligen Rechtsschutz.
Das Gericht hat die Verwaltungsakten des Jugendamtes beigezogen. Auf deren Inhalt wird verwiesen.
Mit Beschluss vom 11. April 2007 hat das Gericht den Antrag der Ast. auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe mangels
Aussicht auf Erfolg der Rechtsverfolgung abgelehnt. Der dagegen eingelegten Beschwerde wurde in vollem Umfang
abgeholfen, Beschluss vom 4. Juni 2007. Auf den Inhalt der Beschlüsse wird verwiesen (Blatt 44f und 77 der
Gerichtsakte).
Am 16. April 2007 hat das Gericht mit den Beteiligten den Sachverhalt erörtert. Auf die Niederschrift über den Termin
wird verwiesen (Blatt 46f der Gerichtakte).
Die Ast. trägt u.a. vor, sie lebe seit November 2004 von ihrem Mann getrennt. Seit Februar 2005 lebe er in einer
eigenen Wohnung. Für ihre Kinder sorge sie überwiegend allein. Ihr Mann nehme nur sein Sorge- und Umgangsrecht
wahr. Er gehe mit ihnen ca. fünfmal wöchentlich für jeweils zwei Stunden spazieren. Wegen des weiteren Vortrages
der Ast. wird auf die Schreiben deren Bevollmächtigten (Rechtsanwältin) vom 27. März (nebst Anlage), 26. April, 11.
Mai (Beschwerde), 4. und 12. Juni 2007 sowie die Niederschrift über den o.g. Termin zur Erörterung des
Sachverhaltes verwiesen (Blatt 13ff, 46f, 56f, 67ff, 80 und 89 der Gerichtakte).
Die Ast. beantragt, die Ag. wird vorläufig, bis zum Abschluß des Hauptverfahrens, verpflichtet, der Ast. Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Gewährung des Mehrbedarfes für Alleinerziehende, einschließlich der
tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung, zu gewähren.
Die Ag. beantragt, den Antrag abzulehnen.
Es bestehe weder ein Anspruch noch ein Grund für die begehrte Anordnung. Der Mann der Ast. beteilige sich
maßgeblich an der Pflege und Erziehung seiner Kinder. Sog. Versorgungslücken schließe er nicht. Ob die Ast.
tatsächlich von ihrem Mann getrennt lebe, könne dahingestellt bleiben. Die Ast. könne die Entscheidung in der
Hauptsache abwarten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schreiben der Ag. vom 4. April, 2. Mai und 5.
Juni 2007 verwiesen (Blatt 40f, 60f und 82ff der Gerichtsakte).
II. Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist unbegründet.
1. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine
einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine
Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert wird, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen
sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog.
Regelungsanordnung).
Die Ast. begehrt (im Sinne des entsprechend anwendbaren § 123 SGG) die "laufenden Leistungen" (vgl. Schreiben der
Rechtsanwältin vom 27. März 2007, Seite 3), insbesondere der für Mehrbedarfe zum Lebensunterhalt. Hierfür ist die
sog. Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit (iVm) § 920 Abs. 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) hat die Ast. für eine
einstweilige Anordnung des Gerichts die Tatsachen für das Bestehen eines sog. Anordnungsanspruches und -grundes
darzulegen und glaubhaft zu machen. Die sog. Glaubhaftmachung ist der mildeste Beweismaßstab des Sozialrechts.
Eine Tatsache ist dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist, vgl. § 23 Abs. 1
Satz 2 SGB Zehntes Buch (X). Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht nicht aus, um diese
Beweisanforderung zu erfüllen. Es genügt allerdings, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden
Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller
Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Vgl. ausführlicher hierzu zB Bundessozialgericht (BSG), Urteil
vom 14. Dezember 2006 - B 4 R 29/06 R (Rn 116) mwN. Zur Glaubhaftmachung von Tatsachen ist (auch) die
Versicherung an Eides Statt zulässig, vgl. § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB X und § 294 Abs. 1 ZPO.
Für das Bestehen eines Anordnungsanspruches ist die Darlegung und Glaubhaftmachung von Tatsachen erforderlich,
aus denen sich ein materiell-rechtlicher Anspruch ergibt, vgl. hierzu ebenso zB § 916 ZPO. Ein Anspruch ist ein
Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können, vgl. § 194 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch
(BGB).
Der Anordnungsgrund erfordert das Bestehen einer besonderen Dringlichkeit. Die vorläufige Regelung muß "zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig" erscheinen. Entscheidend ist hierfür vor allem, ob es dem einstweiligen
Rechtsschutz Begehrenden zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, vgl. hierzu zB Keller in:
Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage 2005, § 86b Rn 28. Besondere Anforderungen gelten,
wenn ohne die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare
Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, vgl. hierzu
zB Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05.
2. Zwischen den Beteiligten besteht ein (Rechts-) Verhältnis der Grundsicherung für Arbeitsuchende und somit ein
Rechtsverhältnis im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Denn die Ast. ist leistungsberechtigt im Sinne des § 7 Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II). Die Ag. nimmt die Aufgaben der Träger der Grundsicherung für
Arbeitsuchende einheitlich wahr, vgl. hierzu §§ 6 Abs. 1 Satz 1, 44b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 2f SGB II sowie
zur Organisationsform der Arbeitsgemeinschaften zB BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 6/06 R (Rn 13f).
Soweit die Ast. die o.g. Leistungen vor dem Antrag bei Gericht am 29. März 2007 begehren sollte, besteht kein
Anordnungsgrund. Denn nach allgemeiner Auffassung besteht grundsätzlich kein Anordnungsgrund, soweit (Geld-)
Leistungen im einstweiligen Rechtsschutz für vergangene Zeiten begehrt werden, vgl. hierzu zB Conradis in: Münder,
SGB II, Lehr- und Praxiskommentar (LPK), 2. Auflage 2007, Anhang Verfahren Rn 123; Berlit, Vorläufiger gerichtlicher
Rechtsschutz im Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende - ein Überblick, info also 1/05, 3, 11 und
Keller, aaO, Rn 28. Ausnahmen hiervon sind nicht ersichtlich, vgl. hierzu zB Sächsisches (Sächs.)
Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 19. September 2005 - L 3 B 155/05 AS-ER (Rn 40).
3. Tatsachen für das Bestehen eines Rechts auf Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt und somit einen
Anordnungsanspruch hat die Ast. nicht glaubhaft gemacht.
a) Als erwerbsfähige Hilfebedürftige (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) erhält die Ast. nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in
der ab dem 1. August 2006 geltenden Fassung) als Arbeitslosengeld II (Geldleistung im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2
SGB II) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und
Heizung. Bei der Festsetzung ihrer Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) geht die Ag. von einer monatlichen Regelleistung
zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Ast. in Höhe von 345 EUR aus, vgl. Bescheid vom 27. Februar 2007 für
März bis August 2007, Seite 4 (Berechnungsbogen). Rechtsgrundlage hierfür kann nur § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II (in
der ab dem 1. Juli 2006 geltenden Fassung) sein. Ob die (Tatbestands-) Voraussetzungen dieser Norm gegeben sind,
ist zwar fragwürdig. Denn die Ast. ist nicht "allein erziehend" im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II, vgl. hierzu
unter II. 3. c). Davon geht ebenso die Ag. aus. Einen minderjährigen Partner hat die Ast. nicht. Somit kommt die o.g.
Regelleistung nur in Betracht, falls die Ast. "allein stehend" ist, vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b
AS 6/06 R. Daran zweifelt bereits die Ag., vgl. Schreiben vom 4. April 2007 (aE). Denn die Ast. ist verheiratet. Daher
kann sie allenfalls "allein stehend" im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II sein, wenn sie von ihrem Ehemann
dauernd getrennt lebt, vgl. zB Lang in: Eicher / Spellbrink, SGB II, Kommentar, 1. Auflage 2005, § 20 Rn 87 und zum
Getrenntleben zB Urteil der Kammer vom 19. Februar 2007 - S 19 AS 629/05. Ansonsten bildet sie (auch) mit ihm
eine Bedarfsgemeinschaft (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II) und erhalten beide jeweils nur 311 EUR monatlich als
Regelleistung, vgl. § 20 Abs. 3 SGB II (in der ab dem 1. Juli 2006 geltenden Fassung). Der weitere Vollzug der Ehe
(so die Ag.) zwischen der Ast. und ihrem Mann ist nach Aktenlage nicht von vornherein ausgeschlossen, mithin
möglich. Jedoch sind Vermutungen keine Tatsachen oder Beweisergebnisse, um Entscheidungen zu stützen. Bei
Aufrechterhaltung ihrer entsprechenden Auffassung hat zunächst die Ag. im Widerspruchsverfahren insoweit den
Sachverhalt zu ermitteln (§§ 20f SGB X) und danach zu entscheiden. Gerichtlicher Ermittlungen, Entscheidungen und
weiterer Erörterungen hierzu bedurfte es in diesem Verfahren nicht. Denn die Ast. hat auch als "allein stehende
Person" die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Recht auf Erbringung höherer Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nicht glaubhaft gemacht.
b) Bei den Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) hat die Ag. die tatsächlichen
Aufwendungen der Ast. in Höhe von 100,54 EUR berücksichtigt, vgl. o.g. Bescheid, aaO. Für die zu ihrer
Bedarfsgemeinschaft gehörenden Kinder (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II in der ab dem 1. Juli 2006 geltenden Fassung)
gilt jeweils entsprechendes. Die Differenz zwischen den tatsächlichen Gesamtaufwendungen (316,96 EUR monatlich,
vgl. Mietvertrag vom 7. Dezember 2004) und den Gesamtleistungen für alle (drei) Angehörige der
Bedarfsgemeinschaft (301,62 EUR) beruht auf den Abzug des Anteils für die Zubereitung von Warmwasser (sog.
Warmwasserpauschale) in Höhe von 8,18 EUR für die Ast. und jeweils 3,58 EUR für deren Kinder, soweit aus der
Verwaltungspraxis andere Grundsicherungsträger bekannt. Eine Begründung der Ag. hierzu erfolgte nicht.
Gesetzlicher Grund für o.g. Abzug ist § 20 Abs. 1 SGB II (in der ab dem 1. August 2006 geltenden Fassung). Denn
danach umfaßt (bereits) die Regelleistung u.a. "Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile". Ob
und wenn, inwieweit dies mit dem Grundgesetz vereinbar ist, kann in diesem Verfahren dahingestellt bleiben, vgl. zur
bis zum 31. Juli 2006 geltenden Rechtslage nunmehr Sächs. LSG, Urteil vom 29. März 2007 - L 3 AS 101/06. Denn
insoweit besteht kein Grund für eine Anordnung "zur Abwendung wesentlicher Nachteile" (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Aufteilung der o.g. Leistungen nach "Kopfzahl" auf die Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft erfolgte rechtmäßig,
vgl. nunmehr ebenso zB BSG, Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R (Rn 28f). Denn die Unterkunft wird
von drei Personen genutzt.
c) Die tatsächlichen Voraussetzungen für den begehrten Mehrbedarf für Alleinerziehende hat die Ast. nicht glaubhaft
gemacht.
Nach § 21 Abs. 3 SGB II ist ein Mehrbedarf für Personen anzuerkennen, die mit einem oder mehreren minderjährigen
Kindern zusammen leben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen. Die Höhe (der Wert) dieses Mehrbedarfes
wird in den Nr. 1f des § 21 Abs. 3 SGB II bestimmt.
aa) Die Ast. lebt mit zwei minderjährigen Kindern in einer Wohnung zusammen. Ob und wenn, inwieweit diese sich
zeitweise ebenso in der Wohnung ihres Vaters aufhalten, ist weiterhin zunächst im Widerspruchsverfahren zu klären.
Anhaltspunkte hierfür bestehen. Auf die Wiedergabe der Ergebnisse einer (bisher nicht aktenkundigen) Anhörung der
Ast. am 16. Mai 2006 beim Jugendamt in den Aufhebungsbescheiden vom 18. Mai 2006 wird verwiesen (jeweils unter
2., vorletzter Absatz). Die Ablehnung der vom ASD der Ag. am 24. Juli 2006 beim Mann der Ast. begehrten
"Wohnraumbesichtigung" (vgl. deren Bericht vom 22. August 2006) könnte auch dafür sprechen.
Entscheidungserheblich ist dies nicht. Denn die Ast. hat nicht glaubhaft gemacht, allein für deren Pflege und
Erziehung zu sorgen.
bb) Unter Pflege wird die Sorge für das körperliche Wohl und unter Erziehung die Sorge für die seelische und geistige
Entwicklung, die Bildung und Ausbildung verstanden, so zB Lang, aaO, § 21 Rn 35. Nach Hofmann in:
Bundessozialhilfegesetz (BSHG), LPK, 6. Auflage 2003, § 23 Rn 23 sind darunter die Hilfeleistungen zu verstehen,
die gesunden Kindern wegen ihrer naturgegebenen Sorgebedürftigkeit gewährt werden müssen. Ob der letztgenannten
Auffassung gefolgt wird, kann mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen. Denn die Kinder der Ast. sind nicht
"ungesund" im vorgenannten Sinne, soweit dies beurteilt werden kann und wird.
Die Auffassung der Rechtsanwältin, der Ast. sei der Mehrbedarf zu erbringen, da sie "überwiegend" allein für ihre
Kinder sorge, ist mit dem Wortlaut des § 21 Abs. 3 SGB II nicht vereinbar. Denn dem Gesetz kann eine derartige
Einschränkung nicht entnommen werden. Vielmehr wird die alleinige Sorge für die Pflege und Erziehung verlangt.
Nichts anderes galt (bis zum 31. Dezember 2004) und gilt (seit dem 1. Januar 2005) im übrigen kraft Gesetzes in der
Sozialhilfe, vgl. § 23 Abs. 2 BSHG bzw. § 30 Abs. 3 SGB Zwölftes Buch.
Dessen ungeachtet hat die Ast. die alleinige Sorge im o.g. Sinne auch unter Würdigung des Sinn und Zweckes des §
21 Abs. 3 SGB II nicht glaubhaft gemacht.
Die Gesetzesbegründung zu § 21 Abs. 3 SGB II verweist auf § 23 Abs. 2 BSHG. Denn die "Regelung (Anmerkung: §
21 Abs. 3 SGB II) entspricht der Mehrbedarfsregelung der Sozialhilfe für allein erziehende Personen, die mit einem
oder mehreren jungen Kindern zusammenleben", vgl. BT-Drucks. 15/1516, 57. Aus der Begründung des Entwurfes
eines Vierten Gesetzes zur Änderung des BSHG (BT-Drucks. 10/3079, 5) können folgende Gründe für den Mehrbedarf
im allgemeinen und die Einführung eines Mehrbedarfes für Alleinerziehende mit einem Kind unter sieben Jahren durch
das o.g. Änderungsgesetz (mit Wirkung zum 1. Juli 1985) im besonderen entnommen werden: "Die Rechtfertigung
dieses Mehrbedarfszuschlages ergibt sich vor allem dadurch, daß Alleinerziehende wegen der Sorge für ihre Kinder
weniger Zeit haben, preisbewußt einzukaufen und zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur
Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssen. Ähnlich ist die Situation bei Alleinerziehenden mit nur einem Kind,
solange es noch nicht schulpflichtig ist. Auch sie sind weniger mobil, finden keine ausreichende Zeit zum
Preisvergleich, müssen die nächstgelegene Einkaufsmöglichkeit nutzen und haben ein höheres Informations- und
Kontaktbedürfnis." Vgl. ausführlicher hierzu Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Gutachterliche
Äußerung: Mehrbedarf nach §§ 23f BSHG u.a., 1991, (teilweise) wiedergegeben zB von Grube in: Grube / Wahrendorf,
SGB XII, Kommentar, 1. Auflage 2005, § 30 Rn 28f und Tattermusch in: Estelmann, SGB II, Kommentar, § 21 Rn 11.
Daraus kann zunächst die Maßgeblichkeit der tatsächlichen und nicht der rechtlichen Verhältnisse entnommen
werden, (im Ergebnis) allgemeine Auffassung, vgl. zB Hofmann, aaO; Lang, aaO; Löns / Herold-Tews, SGB II, 1.
Auflage 2005, § 21 Rn 14f und Münder in: ders. aaO, § 21 Rn 9. Weiterhin liegt nach insoweit dem Grunde nach
übereinstimmender Auffassung eine alleinige Sorge nur vor, wenn ein anderer bei der Pflege und Erziehung nicht
mitwirkt, wobei eine geringfügige bzw. unwesentliche Mitwirkung hingegen nicht schadet, vgl. ausführlicher zB Grube,
aaO, Rn 32ff; Hofmann, aaO, Rn 23ff; ders. in: LPK-SGB XII, 7. Auflage 2005, § 30 Rn 15; Kalhorn in: Hauck / Noftz,
SGB II, Kommentar, Band 1, K § 21 Rn 14; Lang, aaO, Rn 35ff; Löns / Herold-Tews, aaO; Münder, aaO, Rn 9ff; W.
Schellhorn in: Schellhorn / Schellhorn / Hohm, SGB XII, Kommentar, 17. Auflage 2006, § 30 Rn 14 sowie (auch
ausführlich zum Sinn und Zweck der Regelung) Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 22. März 2005 - S 59522/05 ER
und Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 26. September 2005 - L 5 B 196/05 AS-ER, jeweils mwN,
insbesondere aus der Rechtsprechung zum vergleichbaren und bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Recht.
Unter Würdigung dieser Kriterien hat die Ast. nicht glaubhaft gemacht, die Pflege und Erziehung ihrer Kinder ohne
Hilfe Dritter zu leisten. Denn nach den bisher bekannten Tatsachen ist es überwiegend wahrscheinlich, daß die Ast.
nicht allein, sondern (weiterhin) mit ihrem Ehemann für die Pflege und Erziehung ihrer beiden Kinder sorgt. Hierfür
sprechen sämtliche (teils wiedergegebene) Äußerungen der Ast. und ihres Mannes in den Verwaltungsverfahren, die
zunächst durch den Vortrag der Ast. im gerichtlichen Verfahren bestätigt wurden. Soweit das Verwaltungsverfahren
bei der Ag. betroffen ist, hat das Gericht hierzu bereits im Beschluss vom 11. April 2007 ausgeführt: "Dies ergibt sich
zum einen aus dessen Angaben am 24. Juli 2006 gegenüber Mitarbeitern der Antragsgegnerin (Ag.) im Rahmen eines
sog. Hausbesuches. Danach verbringe er täglich Zeit mit seinen Kindern, die Freizeit mit seiner Familie und nehme
aktiv am Erziehungsprozeß teil. Bestätigt wird dies zum anderen durch die Stellungnahme der Ast. vom 29. Januar
2007. Denn sie teilte mit: "Selbstverständlich nimmt er an der Erziehung unserer Kinder teil. Er besucht uns
regelmäßig und kümmert sich um das Wohlbefinden unserer Kinder. So versteht er seine Rolle als ein guter Vater."
Weiterhin steht beiden Eltern selbst unter Annahme eines Getrenntlebens die elterliche Sorge noch gemeinsam zu.
Anhaltspunkte für eine (Einfügung: tatsächlich) eingeschränkte Ausübung dieses Rechts durch den Ehemann der Ast.
bestehen nicht. Im Gegenteil. Denn eigenen Angaben der Ast. zufolge nehme ihr Ehemann "ein regelmäßiges
Besuchs- und Umgangsrecht wahr" (Erklärung vom 27. März 2007). Soweit die Bevollmächtigte in Anlehnung an
Münder in: ders., SGB II, Lehr- und Praxiskommentar, 2. Auflage 2007, § 21 Rn 10, darzulegen versucht, der
Ehemann der Ast. schließe lediglich "Versorgungslücken", überzeugt dies nicht. Dem stehen einerseits o.g.
Tatsachen entgegen. Andererseits ist weder vorgetragen noch erkennbar, aus welchen Gründen o.g. Defizite bestehen
sollen. Denn beide Elternteile beziehen Leistungen nach dem SGB II. Die Ast. ist somit insbesondere nicht aufgrund
einer Erwerbstätigkeit oder vergleichbaren Umständen gehindert (vgl. Münder, aaO), die elterliche Sorge regelmäßig in
einem gewissen zeitlichen Umfang auszuüben. Daher besteht keine "Lücke", die ihr Ehemann schließen könne. Die
elterliche Sorge wird vielmehr weiterhin gemeinsam zum Wohle der Kinder ausgeübt."
Daran hält das Gericht fest. Ergänzend hierzu wird noch auf einen weiteren Inhalt der o.g. "Eidesstattlichen
Versicherung" der Ast. vom 27. März 2007 verwiesen. Danach versuche ihr Mann, (nach vorgetragener Trennung von
ihr) "für unsere Kinder ein guter Vater zu sein". Damit bekräftigte die Ast. ihren entsprechenden Tatsachenvortrag im
(zumindest eigenhändig unterzeichneten) Schreiben vom 29. Januar 2007 ohne Einschränkungen. Diese
Beschreibungen der "Vaterrolle" des Mannes der Ast. ist nicht mit Auffassung vereinbar, daß er sich tatsächlich nicht
bzw. nur unwesentlich um die Erziehung und Pflege seiner Kinder sorgt. Vielmehr wirkt er hieran weiterhin nicht nur
unwesentlich zumindest mit.
Dieses Ergebnis wird auch durch den Inhalt der beigezogenen Akten des Jugendamtes gestützt. Die
widersprüchlichen Angaben über die mitgeteilte Trennung der Ast. von ihrem Mann, März 2003 einerseits (Antrag vom
4. November 2004, Schreiben der Rechtsanwältin vom 2. November 2004 und 22. März 2005) und November 2004
andererseits (Antrag vom 23. März 2005, Schreiben der Rechtsanwältin vom 29. März 2005) weichen nicht von denen
im Verwaltungsverfahren bei der Ag. ab. Nichts anderes gilt in bezug auf die Angaben über die Sorge für die o.g.
Kinder. Denn beim Hausbesuch am 22. Februar 2006 teilte die Ast. dem ASD mit, ihr Mann sei regelmäßig im
Wohnraum und dann nur für die Kinder da. Er gehe mit ihnen spazieren, auf den Spielplatz und übernehme ab und an
deren Aufsicht. Auf das Protokoll vom 20. März 2006 wird verwiesen. Diese Angaben wurden bei der Anhörung am 16.
Mai 2006 bestätigt (vgl. die o.g. Bescheide vom 18. Mai 2006 jeweils unter 2.) und entsprechen denen im
Verwaltungsverfahren bei der Ag., vgl. hierzu oben. Somit spricht mehr dafür als dagegen, daß sie mit der Wirklichkeit
übereinstimmen. Die Sorge des Mannes der Ast. beschränkte sich im übrigen nicht auf seine Kinder. Denn er sprach
wiederholt beim Jugendamt in (finanziellen) Angelegenheiten seiner "alleinstehenden" Frau vor (zB am 2. und 14.
Dezember 2004), die eigenen Angaben zufolge von ihm seit März 2003 oder November 2004 (siehe oben) dauerhaft
getrennt lebe.
Schließlich sind die bindenden Aufhebungen der Leistungen nach dem Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von
Kindern allein stehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfalleistungen für beide Kinder mit
Wirkung zum 30. April 2006 ein weiteres, wenn auch nicht tragendes Indiz für die Ablehnung der in diesem Verfahren
begehrten Leistung. Darauf wurde bereits hingewiesen, vgl. Beschluss vom 11. April 2007. Denn "wenn nicht eindeutig
festzustellen ist, bei welchem Elternteil das (jeweilige) Kind seinen Lebensmittelpunkt hat" (vgl. die o.g. Bescheide
vom 18. Mai 2006 jeweils unter 1.), ist eine alleinige Sorge für deren Erziehung und Pflege nicht überwiegend
wahrscheinlich, mithin glaubhaft gemacht.
Sollten die Ast. und ihr Mann tatsächlich dauernd getrennt leben, ist der bisher fehlende Antrag auf Übertragung der
alleinigen Sorge auf die Ast. (vgl. § 1671 BGB) im übrigen ein ergänzendes Indiz für die tatsächlich weiterhin
gemeinsam ausgeübte elterliche Sorge. Entscheidungserheblich ist dies allerdings ebenso nicht. Denn auf das
Sorgerecht kommt es hier nicht an, vgl. bereits oben.
Soweit die Ast. in Kenntnis des vorab von der Rechtsanwältin mit Nachdruck erwirkten Beschlusses vom 11. April
2007 im Termin am 16. April 2007 versuchte, ihre bisherigen Angaben einzuschränken, überzeugt dies nicht. Den
regelmäßigen Kontakt ihres Mannes mit ihren o.g. Kindern bestätigte sie mit: "ca. fünfmal in der Woche". Die
genannte Bedingung hierfür, wenn er "Lust" habe, ist mit den o.g. Angaben ("guter Vater") nicht andeutungsweise
vereinbar. Gleiches gilt für die Behauptung, er gehe mit ihnen nur für "maximal 2 Stunden spazieren". Diese Aussage
ist nicht glaubhaft. Dessen ungeachtet ist weder vorgetragen noch erkennbar, aus welchen Gründen der Mann der
Ast. nicht (auch) für die Erziehung und Pflege seiner Kinder sorgen soll, wenn er mit ihnen nahezu täglich bis zu zwei
Stunden verbringt. Insoweit steht ihm zumindest werktäglich mehr Zeit für seine Kinder zur Verfügung als manch
anderen (gerichtsbekannten) berufstätigen Elternteil. Erörterungen zur eingeschränkten Glaubwürdigkeit der Ast. im
o.g. Termin bedarf es angesichts dessen nicht mehr.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.