Urteil des SozG Landshut vom 27.11.2008

SozG Landshut: bemessung der beiträge, kapitalleistung, direktversicherung, beitragspflicht, anteil, auszahlung, form, krankenversicherung, unteilbarkeit, betrug

Sozialgericht Landshut
Urteil vom 27.11.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 1 KR 231/07
I. Die Bescheide der Beklagten vom 11.05.2006 und 18.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
14.08.2007 werden aufgehoben, soweit die Festsetzung des monatlichen beitragspflichtigen Betrages 65,59 Euro
übersteigt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte hat 1/4 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
III. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Beitragspflicht der Kapitalleistung aus einer Lebensversicherung.
Die 1940 geborene Klägerin ist seit dem 01.07.2004 aufgrund des Bezugs einer Altersrente aus der gesetzlichen
Rentenversicherung versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Krankenkasse. Zum Fälligkeitszeitpunkt
01.04.2006 wurde ihr von der ... L. AG aus der Versicherungsnummer 5642101 ein Betrag in Höhe von Euro 35.420,10
als Kapitalleistung ausgezahlt. Seitens der ... L. AG wurde der Beklagten zudem die Auszahlung einer weiteren
Lebensversicherung Nr. 5665751 als Kapitalleistung in Höhe von 19.232,30 Euro gemeldet. Mit Schreiben vom
11.05.2006 und 08.06.2006 teilte die Beklagte der Klägerin zunächst mit, dass beide Kapitalleistungen
beitragspflichtig zur Kranken- und Pflegeversicherung seien und forderte die entsprechenden Beiträge an. Mit
Bescheid vom 18.10.2006 korrigierte die Beklagte ihre frühere Entscheidung: Nur die Kapitalleistung in Höhe von
35.420,10 Euro sei Ausfluss der betrieblichen Altersversorgung und damit beitragspflichtig; umgerechnet auf 120
Monate betrage der monatliche Beitrag ab 01.05.2006 295,17 Euro. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit
Widerspruchsbescheid vom 14.08.2007 zurückgewiesen: Bei der zum 01.04.2006 ausgezahlten Kapitalleistung in
Höhe von 35.420,10 Euro handele es sich um eine einmalige Leistung der betrieblichen Altersversorgung, da ein
Bezug zum früheren Berufsleben gegeben sei. Unerheblich sei dabei, dass die Klägerin die Versicherung zunächst
privat abgeschlossen und auch zwischenzeitlich sowie nach dem Ausscheiden aus der Beschäftigung privat
weitergeführt und aus eigenen Mitteln finanziert habe. Der insgesamt erworbene Versorgungsanspruch sei unteilbar.
Das Bundessozialgericht habe u.a. mit Urteil vom 13. September 2006 – Az. B 12 KR 1/06 R – entschieden, dass
eine Kapitalleistung aus einem ursprünglichen Direktversicherungsvertrag in vollem Umfang als Versorgungsbezug
beitragspflichtig sei. Ungeachtet der Finanzierung im Einzelnen genüge ein formaler Bezug zum Arbeitsleben.
Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. Zur Begründung trug der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im
Wesentlichen vor: Die Besonderheit des vorliegenden Falles bestehe darin, dass die Lebensversicherung unabhängig
von einer betrieblichen Tätigkeit durch die Klägerin selbst begründet wurde und lediglich im Rahmen des bereits
bestehenden Versicherungsverhältnisses während bestimmter Zeiträume (01.08.1989 bis 28.02.1993 sowie
01.03.1997 bis 31.07.1997) Beiträge eines Arbeitgebers eingezahlt wurden. Bei dieser Sachlage sei es bereits
fraglich, ob überhaupt eine Direktversicherung im Sinne des § 1 Abs.2 des Gesetzes zur Verbesserung der
betrieblichen Altersversorgung vom 19.12.1974 (BetrAVG) vorliege, da die Lebensversicherung nicht durch den
Arbeitgeber abgeschlossen wurde, wie es gemäß der Definition der Direktversicherung nach § 1b Abs.2 Satz 1
BetrAVG erforderlich sei. Jedenfalls aber fehle es an dem gemäß der institutionellen Betrachtungsweise notwendigen
formalen Bezug zum Arbeitsleben in der Gestalt, dass eine betriebliche Altersversorgung im beitragsrechtlichen Sinne
immer dann – aber auch nur dann – vorliege, wenn die betreffende zusätzliche Altersversorgung einen formalen Bezug
zum Arbeitsleben aufweise. Wenn – wie hier – die Versicherte unabhängig von einem Arbeitsverhältnis als beliebige
Form der privaten Altersvorsorge einen Versicherungsvertrag über eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen
hatte und lediglich später durch einen Arbeitgeber im Wege der "Direktversicherung" Versicherungsbeiträge hierauf
gezahlt wurden, könne von einem derartigen formalen Bezug zum Arbeitsleben nicht gesprochen werden. Ausgehend
von einer beitragsrechtlichen Unteilbarkeit der Versorgungsleistung könne man in diesem Fall nicht einmal den auf die
Direktversicherungsbeiträge des Arbeitgebers entfallenen Anteil der Versorgungsleistung beitragsrechtlich als
betriebliche Altersversorgung ansehen, sodass beitragsrechtlich überhaupt kein Versorgungsbezug im Sinne des §
229 Abs.1 Satz 1 Nr.5 SGB V vorliege. Allenfalls im Hinblick darauf, dass eine Direktversicherung jeweils eben so gut
unter Begründung eines neuen, weiteren Versicherungsverhältnisses hätte stattfinden können, erscheine es bei der
vorliegenden Konstellation vertretbar, unter ausnahmsweiser Durchbrechung des Grundsatzes der Unteilbarkeit der
Versorgungsleistung den auf den Direktversicherungsbeiträgen beruhenden Anteil der Versorgungsleistung, also einen
Kapitalbetrag von Euro 7.871,13, beitragsrechtlich als betriebliche Altersversorgung zu behandeln.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin stellte den Antrag, die Bescheide der Beklagten vom 11.05.2006 und
18.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2007 aufzuheben, sowie hilfsweise aufzuheben,
soweit die Festsetzung des beitragspflichtigen Betrages Euro 65,59 übersteigt und die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte stellte den Antrag, die Klage abzuweisen.
Auch wenn die Lebensversicherung zunächst als private Versicherung abgeschlossen wurde, habe sie – da während
unterschiedlicher Zeiträume Beiträge durch die jeweiligen Arbeitgeber entrichtet wurden – letztlich der betrieblichen
Altersversorgung gedient. Es bestehe damit auch in diesen Fällen der notwendige Bezug zum Arbeitsleben. Mit einer
Zulassung der Revision erklärte sich die Beklagte einverstanden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der
angefochtenen Bescheide, auf die zwischen den Beteiligten im Klageverfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf
die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und im Rahmen des hilfsweise gestellten Antrags auch begründet. Die Beklagte hat zu Unrecht
die gesamte Kapitalleistung aus der Versicherungs-Nr. 5642101 in Höhe von 35.420,10 Euro als Leistung der
betrieblichen Altersversorgung der Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung unterworfen. Nach Auffassung
der Kammer war die Beklagte lediglich berechtigt, den auf den "Direktversicherungsbeiträgen" beruhenden Anteil der
Versorgungsleistung, also einen Kapitalbetrag in Höhe von Euro 7.871,13, beitragsrechtlich als betriebliche
Altersversorgung zu behandeln und Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung einzufordern.
Im Übrigen, d.h. insoweit die vollständige Aufhebung der Bescheide der Beklagten vom 11.05.2006 und 18.10.2006 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2007 beantragt wurde, war die Klage abzuweisen.
1. Der Bemessung der Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner ist nach § 237 SGB V neben dem Zahlbetrag
der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung auch der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen
zugrunde zu legen. Als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge) gelten Renten der betrieblichen
Altersversorgung, soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder
Hinterbliebenenversorgung erzielt werden (§ 237 Satz 2, § 229 Abs.1 Satz 1 Nr.5 SGB V).
2. Das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass alle Leistungen, die aus einer vom
Arbeitgeber abgeschlossenen Direktversicherung erbracht werden, als Versorgungsbezüge beitragspflichtig sind. Für
die Beitragspflicht sei es dabei grundsätzlich unerheblich, wer diese Leistung finanziert hat und wer letztlich die
Finanzierung wirtschaftlich getragen hat. Versorgungsbezüge, die als Renten- oder Kapitalleistung in der betrieblichen
Altersversorgung aus einer Direktversicherung gezahlt werden, seien insoweit nicht anders zu behandeln als andere
Versorgungsbezüge oder beitragspflichtige Einnahmen. Die gesetzliche Regelung unterwerfe mit den Renten aus der
gesetzlichen Rentenversicherung und den Versorgungsbezügen im Sinne von § 229 Abs.1 Satz 1 Nr.5 SGB V
grundsätzlich Bezüge von Institutionen und aus anderen Sicherungssystemen der Beitragspflicht, bei denen in der
Regel ein Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu diesem System und einer Erwerbstätigkeit bestehe.
Dadurch soll auch die praktische Schwierigkeit, Zahlungen in einen beitragsfreien und einen beitragspflichtigen Teil
aufspalten zu müssen, vermieden werden (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 12.12.2007, B 12 KR 6/06 R
mwN).
3. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung käme es demnach für die Entscheidung nicht darauf an, dass im
vorliegenden Falle die Kapitalleistung lediglich in Höhe von Euro 7.871,13 auf Beitragszahlungen eines Arbeitgebers
beruht, während die Klägerin selbst den weitaus größeren Teil (in Höhe von Euro 27.548,27) durch eigene
Beitragszahlung erwirtschaftet hat. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen,
dass – im Gegensatz zu den vom Bundessozialgericht entschiedenen Fällen – die Lebensversicherung unabhängig
von einer betrieblichen Tätigkeit durch die Klägerin selbst abgeschlossen wurde und lediglich im Rahmen des bereits
bestehenden Versicherungsverhältnisses während bestimmter Zeiträume Beiträge eines Arbeitgebers eingezahlt
wurden. Die Kammer ist im Anschluss an das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 14.09.2007, Az. L 4 B
1312/07, der Auffassung, dass bei dieser Konstellation, d.h. Einzahlung des Arbeitgebers auf eine bereits
vorbestehende private Kapitallebensversicherung, eine differenzierte Betrachtungsweise angezeigt ist. Laut
Aufstellung der ... L. AG wurde die am 01.04.1988 abgeschlossene Versicherung 5642101 am 01.08.1989 in die
Versicherungen 5642101.2 und 5665751 aufgeteilt. In die Versicherung Nr.5642101.2 wurden während der Zeit vom
01.08.1989 bis 28.02.1993 sowie vom 01.03.1997 bis 31. Juli 1997 von den jeweiligen Arbeitgebern
Direktversicherungsbeiträge einbezahlt, der Versicherungsvertrag 5665751 wurde durchgehend als private
Versicherung geführt. Die Gesamtleistung der Versicherung 5642101.2 betrug bei Auszahlung zum 01.04.2006
35.420,10 Euro. Hiervon entfielen auf die von Arbeitgebern überwiesenen Prämienanteile 7.871,13 Euro, auf die der
von der Versicherten überwiesenen Prämienanteile 27.548,97 Euro.
4. Nach Auffassung der Kammer ist lediglich für die Zeiträume 01.08.1989 bis 28.02.1993 und 01.03.1997 bis
31.07.1997 ein rechtlich relevanter Bezug zum Arbeitsverhältnis gegeben. Nur die diesen Zeiten zuzurechnende
Ablaufleistung kann als Versorgungsbezug im Sinne des § 229 Abs.1 Ziffer 5 SGB V gewertet werden. Der vom BSG
aufgestellte Grundsatz der sog. institutionellen Abgrenzung bezieht sich nur auf den Fall, dass der
Lebensversicherungsvertrag vom Arbeitgeber als Direktversicherung abgeschlossen wurde. Nach Auffassung der
Kammer ist es jedenfalls in den Fällen, in denen die Lebensversicherung ohne konkreten Bezug zu einem
Arbeitsverhältnis abgeschlossen wurde, diese nicht insgesamt der Beitragspflicht zu unterwerfen, wenn nur
vorübergehend für weniger als ein Viertel der gesamten Laufzeit vom Arbeitgeber Beiträge einbezahlt wurden.
5. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in seiner Entscheidung vom 07.04.2008 (Az. 1 BvR 1924/07)
Verfassungsbeschwerden gegen die Urteile des Bundessozialgerichts vom 25.04.2007 (Az. B 12 KR 25/05 R und B
12 KR 26/05 R) nicht zur Entscheidung angenommen und festgestellt, dass die Heranziehung einer Kapitalzahlung
aus der betrieblichen Direktversicherung zur Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 229
Abs.1 Satz 3 SGB V mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Insbesondere verstoße die Einbeziehung der nicht
wiederkehrenden Versorgungsleistungen in die Beitragspflicht nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
oder den rechtstaatlichen Vertrauensschutz.
6. Der Umstand, dass die Verbeitragung von Versorgungsbezügen in Form von einmaligen Kapitalleistungen zur
Kranken- und Pflegeversicherung grundsätzlich nicht gegen das Grundgesetz verstößt, lässt jedoch nicht den
Schluss zu, dass insoweit keinerlei verfassungsrechtliche Schranken bestehen. Im vorliegenden Fall beruht die
Ablaufleistung der Lebensversicherung auf Prämienzahlungen der Klägerin für 168 Monate, insgesamt 48 Monate
wurden Prämien von (zwei) Arbeitgebern einbezahlt. Auch wenn man bei dieser Konstellation die
verfassungsrechtlichen Schranken nicht verletzt sieht, so kann nach Auffassung der Kammer doch kein Zweifel
bestehen, dass verfassungsrechtliche Grundsätze (z.B. Verhältnismäßigkeit, Übermaßverbot) verletzt wären, wenn im
konkreten Fall nicht 48 Monate, sondern beispielsweise nur 48 Wochen Direktversicherungsbeiträge in die
Ablaufleistung der Lebensversicherung eingeflossen wären. Die verfassungsrechtliche Problematik lässt sich nach
Auffassung der Kammer nur sachgerecht lösen, wenn man die Ablaufleistung der Lebensversicherung in einen
beitragsfreien und einen beitragspflichtigen Teil aufspaltet. Dass dies offensichtlich unter
versicherungsmathematischen Gesichtspunkten ohne größere Schwierigkeiten möglich ist, zeigt der vorliegende Fall.
Der Klage war daher im ausgesprochenen Umfang stattzugeben, im Übrigen jedoch in Anwendung der §§ 237, 229
SGB V abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Kammer hat die Sprungrevision gem. § 161 SGG zugelassen. Die für die Entscheidung erhebliche Rechtsfrage,
ob beitragsrechtlich eine betriebliche Altersversorgung auch dann vorliegt, wenn der Arbeitnehmer/Bezugberechtigte
einen Versicherungsvertrag über eine Kapitallebensversicherung begründet und sodann später durch einen (oder
mehrere) Arbeitgeber im Wege der Direktversicherung Versicherungsbeiträge hierauf gezahlt werden, ist bisher durch
die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht geklärt. Die Beklagte hat der Zulassung der Sprungrevision
zugestimmt.
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