Urteil des SozG Landshut vom 14.09.2009

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Sozialgericht Landshut
Beschluss vom 14.09.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 4 KR 129/09 ER
I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragsteller rückwirkend zum 01. April 2007 vorläufig bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Pflichtmitglied zu versichern und ihm die gesetzlich
vorgesehenen Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse zu gewähren.
II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes darüber, ob der Antragsteller Anspruch auf
Krankenversicherungsschutz als versicherungspflichtiges Mitglied nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB
V) hat.
I.
1.
Der Antragsteller bezieht seit 01.11.2007 eine Regelaltersrente von monatlich 333,48 Euro von der Deutschen
Rentenversicherung Bayern Süd. Die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht als Rentner sind wegen fehlender
Vorversicherungszeiten nicht gegeben. Leistungen der Grundsicherung wurden vom Beigeladenen mit Bescheid vom
11.02.2009 abgelehnt, da der Antragsteller aus dem vorhandenen Einkommen seinen Lebensunterhalt selbst
bestreiten kann. Der Antragsteller war laut Mitgliedskarte der AOK Berlin bis 09.12.1972 aufgrund eines
Beschäftigungsverhältnisses bei der AOK Berlin pflichtversichert. Aus dem Rentenkonto der Deutschen
Rentenversicherung Bayern Süd geht hervor, dass für den Antragsteller vom 11.03.1974 bis 04.04.1974
Pflichtbeiträge durch einen Arbeitgeber abgeführt wurden. Bei welcher gesetzlichen Krankenkasse der Antragsteller in
diesem Zeitraum versichert war konnte nicht ermittelt werden, jedenfalls war der Antragsteller weder bei der AOK
Berlin noch bei der Antragsgegnerin versichert. Seit 05.04.1974 war der Antragsteller nicht mehr in einem
versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis und auch nicht bei einer gesetzlichen oder privaten Krankenkasse
versichert.
Der Antragsteller beantragte über seinen Betreuer am 10.03.2009 rückwirkend zum 01.04.2007 bei der AOK Berlin die
Pflichtversicherung für Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und
zuletzt gesetzlich krankenversichert waren. Die AOK Berlin hat das Verfahren zuständigkeitshalber an die
Antragsgegnerin abgegeben. Von der Antragsgegnerin würden Auskünfte von der Deutschen Rentenversicherung
Bayern Süd und der AOK Berlin eingeholt.
Mit Bescheid vom 26.05.2009 lehnte die Antragsgegnerin die Pflichtmitgliedschaft ab. Nach dem Willen des
Gesetzgebers sei die Pflichtversicherung bei der Krankenkasse durchzuführen, bei der zuletzt eine Absicherung für
den Krankheitsfall bestand. Da während der Zeit vom 11.03.1974 bis 04.04.1974 weder eine Versicherung bei der
AOK Berlin noch bei der Antragsgegnerin bestanden habe, sei die Krankenkasse zuständig, bei der der Antragsteller
während dieser Beschäftigung versichert gewesen sei.
Hiergegen legte der Betreuer des Antragstellers mit Schreiben vom 29.05.2009 Widerspruch ein. Der Antragsteller
gebe an, niemals bei einer anderen Krankenkasse als der AOK versichert gewesen zu sein. Auch bestehe kein Grund
zur Annahme, dass der Antragsteller anlässlich seiner letzten versicherungspflichtigen Tätigkeit im Jahr 1974 eine
andere Krankenkasse gewählt habe. Unterlagen über die Beschäftigung im Jahr 1974 besitze er nicht mehr, da diese
zusammen mit dem Rentenantrag bei der Deutschen Rentenversicherung eingereicht worden seien. Nachdem der
Antragsteller in seiner gesamten Arbeitszeit bei der AOK versichert gewesen sei, bestehe der Anscheinsbeweis, dass
er auch bei seiner letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der AOK versichert gewesen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2009 wurde der Widerspruch abgewiesen. Da nach Ausschöpfung aller
Erkenntnismöglichkeiten nicht ermittelt werden könne bei welcher gesetzlichen Krankenkasse der Antragsteller von
11.03.1974 bis 04.04.1974 als Pflichtmitglied versichert gewesen sei, und er für die Versicherungspflicht die
Feststellungslast trage, könne er sich nicht auf diese berufen.
2.
Mit Fax vom 28.07.2009 stellte der Antragsteller Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Der Antragsteller sei
Dialysepatient und somit ständig auf ärztliche Hilfe angewiesen. Da sich die Antragsgegnerin bisher geweigert habe,
den Antragsteller zu versichern, sei der Beigeladene in Vorleistung getreten und erbringe seit 01.03.2009 Hilfen zur
Gesundheit. Eine Regelung in Bezug auf den Krankenversicherungsschutz des Antragstellers sei erforderlich, um von
diesem unzumutbare Nachteile abzuwenden. Eilbedürftigkeit sei ebenfalls gegeben, denn der Antragsteller bedarf der
Krankenbehandlung, die er aus eigenen Mitteln nicht finanzieren könne. Wegen des Nachrangs der Hilfen zur
Gesundheit sei der Beigeladene nicht mehr bereit, diese zu erbringen.
Der Antragsteller beantragt, eine einstweilige Anordnung zu erlassen mit dem Inhalt, die Antragsgegnerin zu
verpflichten, den Antragsteller ab 01.04.2007 als pflichtversichertes Mitglied nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zu führen
und ihm die Leistungen der Krankenversicherung zu erbringen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.
Der Beigeladene stellt keine Anträge.
Ergänzend zu ihren bisherigen Ausführungen vertrat die Antragsgegnerin die Auffassung, dass kein Anordnungsgrund
gegeben sei, da Krankenhilfeleistungen vom Beigeladenen erbracht werden und sollte die Antragsgegnerin als letzte
Krankenkasse nachgewiesen werden, diese den bereits geltend gemachten Erstattungsansprüchen nachkommen
werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses
Verfahrens und die Gerichtsakte des Hauptsacheverfahrens mit dem Aktenzeichen S 4 KR 175/09 Bezug genommen.
II.
1.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Eine einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) darf nur ergehen, wenn dies zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antragsteller hat demnach sowohl das Bestehen des zu
sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, als auch die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung,
den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2
Zivilprozessordnung). Anordnungsanspruch ist der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen
Rechtsschutz sucht. Er ist identisch mit dem auch im Hauptsacheverfahren geltend zu machenden materiellen
Anspruch. Anordnungsgrund ist die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung. Glaubhaftmachung bedeutet
überwiegende Wahrscheinlichkeit, d.h. dass mehr dafür als dagegen spricht (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
9.Auflage 2008, § 86b Rn. 16b). Maßgebend sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der
Entscheidung des Gerichts.
Über diesen Gesetzeswortlaut hinaus hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass in Fällen, in denen es um
Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums geht, eine Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund
fehlender Erfolgsaussichten der Hauptsache nur dann zulässig ist, wenn das Gericht die Sach- und Rechtslage nicht
nur summarisch, sondern abschließend geprüft hat. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und
Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, wobei die Gerichte
eine Verletzung der Grundrechte des Einzelnen, insbesondere der Menschenwürde, auch wenn sie nur möglich
erscheint oder nur zeitweilig andauert, zu verhindern haben (Bundesverfassungsgericht Beschlüsse vom 22.11.2001 -
NJW 2003, 1236; vom 12.03.2004 1 BvR 131/04; vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 und vom 06.07.2007 - 1 BvR
3101/06; BayLSG Beschlusse vom 13.11.2006 - L 5 KR 324/06 KR ER und vom 18.04.2008 – L 5 B 182/08 KR).
2.
Ein Anordnungsanspruch liegt vor.
Der Antragsteller erfüllt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Voraussetzungen der Versicherungspflicht in der
gesetzlichen Krankenversicherung bei der Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a SGB V i.V.m. § 174
Abs. 5 Satz 1 HS.2 SGB V analog.
a. Der Antragsteller verfügt über keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall.
b. Der Antragsteller war zuletzt gesetzlich krankenversichert, nämlich aufgrund seiner versicherungspflichtigen
Beschäftigung vom 11.03.1974 bis 04.04.1974.
c. Es liegt auch kein Ausschlussgrund nach § 5 Abs. 8a SGB V vor:
aa. Der Antragsteller ist weder nach § 5 Abs. 1 Nrn. 1 bis 12 SGB V versicherungspflichtig noch freiwilliges Mitglied
noch familienversichert nach § 10 SGB V. Insbesondere liegt eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V
nicht vor, da die Voraussetzungen wegen fehlender Vorversicherungszeiten nicht gegeben sind.
bb. Der Antragsteller empfängt keine laufenden Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten oder Siebten Kapitel
SGB XII oder nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz. Die Leistung der Krankenhilfe nach § 48 SGB XII ist Teil der
Leistungen des Fünften Kapitels des SGB XII –Hilfen zur Gesundheit- und somit von der Ausnahmeregelung des § 5
Abs. 8a S. 2 SGB V nicht erfasst (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 28.07.2008 – Az.: L 5 B
57/08 KR ER, Hessisches Landessozialgericht Beschlüsse vom 11.02.2008 – Az.: L 8 KR 244/07 ER und 07.02.2008
– L 8 KR 218/07 ER, Sozialgericht Speyer Beschlüsse vom 23.04.2007 – Az.: S 7 ER 162/07 KR und 19.04.2007 –
Az.: S 11 ER 164/07 KR).
d. Der Antragsteller ist durch Ausübung des besonderen Wahlrechts entsprechend § 174 Abs. 5 Satz 1 HS.2 SGB V
Mitglied der Antragsgegnerin geworden.
aa. § 174 Abs. 5 SGB V gewährt dem Antragsteller nicht unmittelbar die Kassenzuständigkeit und das besondere
Wahlrecht zur Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin. § 174 Abs. 5 SGB V regelt, welche Krankenkasse für die
Durchführung der Krankenversicherung der Personen zuständig ist, die bisher ohne Absicherung im Krankheitsfall
gewesen sind und nunmehr der Versicherungspflicht unter- liegen (vgl. BT-Drs. 16/3100 S. 158).
Versicherungspflichtige die zuletzt gesetzlich krankenversichert waren ( § 5 Abs. 13 Buchst. a SGB V) werden
Mitglied der Krankenkasse oder des Rechtsnachfolgers der Krankenkasse, bei der sie zuletzt Mitglied oder
familienversichert waren. Die Zuweisung zur früheren Krankenkasse ist zwingend, den Betroffenen stehen allgemeine
Wahlrechte nach § 173 SGB V nicht offen wie schon aus der Formulierung "abweichend von § 173" folgt. Für
Versicherungspflichtige die vorher weder gesetzlich noch privat krankenversichert waren ( § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. b
SGB V), gilt das allgemeine Krankenkassenwahlrecht nach § 173Abs. 1 SGB V. Sie werden bei Eintritt der
Versicherungspflicht Mitglied der von ihm gewählten, nach § 173 Abs. 2 SGB V wählbaren Krankenkasse (ebenso
Baier in Krauskopf, Stand Mai 2009, § 174 Rn. 8; Peters in Kasseler Kommentar, Stand April 2009, § 174 Rn. 7; Just
in Becker/Kingreen, 2008, § 174 Rdnr. 5f; aA.: Blöcher, jurisPK-SGB V, § 174 Rn. 13). Der Antragsteller war vom
11.03.1974 bis 04.04.1974 versicherungspflichtig beschäftigt und in dieser Zeit nicht Mitglied der Antragsgegnerin.
Damit wird er gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 HS. 1 SGB V nicht Mitglied der Antragsgegnerin, sondern Mitglied der
Krankenkasse oder des Rechtsnachfolgers der Krankenkasse bei der er in dieser Zeit pflichtversichertes Mitglied war.
bb. Die entsprechende Anwendung des § 174 Abs. 5 Satz 1 HS. 2 SGB V gewährt dem Antragsteller das besondere
Wahlrecht des § 174 Abs. 5 i.V.m. § 173 Abs. 1 SGB V, sodass er mit Eintritt der Versicherungspflicht zum
01.04.2007 Mitglied der von ihm gewählten Antragsgegnerin wurde.
Die analoge Anwendung einer Vorschrift setzt zum einen eine planwidrige Regelungslücke voraus, zum anderen eine
gleichartige Interessenlage: Der lückenhaft geregelte Sachverhalt muss dem geregelten so ähnlich sein, dass der
Gesetzgeber ihn, hätte er die Regelungslücke erkannt, in gleicher Weise geregelt hätte (BSGE 83, 68, 71; 89, 199,
202 f.; 96, 257).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
(1) Die Regelung des § 174 Abs. 5 SGB V stellt eine unbeabsichtigte lückenhafte Regelung dar.
Eine solche Lücke besteht in erster Linie, wenn das Gesetz - gemessen an der Regelungsabsicht des Gesetzgebers -
unvollständig ist. Sie kann aber auch vorliegen, wenn das Gesetz zwar eine nach ihrem Wortlaut anwendbare
Regelung enthält, diese aber nach ihrem Sinn und Zweck nicht passt oder sich in dem System, in dem sie enthalten
ist, als Fremdkörper erweist. Solche Systemwidrigkeiten können z. B. nachträglich durch Gesetzesänderungen
eintreten. Die dadurch entstehende Regelungslücke ist dann durch Übertragung einer für einen anderen Tatbestand
vorgesehenen Rechtsfolge zu schließen (BSGE 82, 68, 71 f.).
Das Gesetz ist lückenhaft, da es unvollständig ist. Die Regelung des § 174 Abs. 5 SGB V stellt im Hinblick auf die
Zeit vom 11.03.1974 bis 04.04.1974 und der für diesen Zeitraum zuständigen gesetzlichen Krankenkasse eine nach
ihrem Wortlaut nicht einschlägige Regelung zur Ausübung des besonderen Wahlrechts dar, denn nicht erfasst ist der
vorliegende Fall bei dem feststeht, dass der Antragsteller zuletzt gesetzlich krankenversichert war, aber die frühere
gesetzliche Krankenkasse oder der Rechtsnachfolger der Krankenkasse nicht ermittelt werden kann.
Diese Lücke entspricht nicht der Regelungsabsicht des Gesetzgebers. Der gesetzgeberische Zweck der Regelung
des § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a SGB V ist, dass in Deutschland niemand ohne Schutz im Krankheitsfall sein soll.
Hierzu wurde mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG)
für alle Einwohner ohne Absicherung im Krankheitsfall Versicherungsschutz in der gesetzlichen oder privaten
Krankenversicherung gewährleistet. Dabei werden der gesetzlichen Krankenversicherung insbesondere Personen
ohne anderweitige Absicherung im Krankheitsfall zugewiesen, die zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sind,
ohne anderweitige Absicherung im Krankheitsfall zugewiesen, die zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sind,
sowie solche Personen, die zuletzt weder gesetzlich noch privat krankenversichert waren, aber zu dem Personenkreis
gehören, der seinem Status nach der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen ist (vgl. BT-Drs. 16/3100 S. 94).
Wie der Gesetzesbegründung des § 174 Abs. 5 SGB V zu entnehmen ist, wollte der Gesetzgeber regeln, welche
Krankenkasse für die Durchführung der Krankenversicherung der Personen zuständig ist, die bisher ohne Absicherung
im Krankheitsfall gewesen sind und nunmehr der Versicherungspflicht unterliegen (vgl. BT-Drs. 16/3100 S. 158). Den
Gesetzesmaterialien ist die Wertentscheidung zu entnehmen, dass mit der Versicherungspflicht nach §§ 5 Abs. 1 Nr.
13 Buchst. a, 174 Abs. 5 SGB V Schutz im Krankheitsfall für die gesamte Bevölkerung in Deutschland gewährleistet
werden soll und der gesetzlichen Krankenversicherung insbesondere Personen ohne anderweitige Absicherung im
Krankheitsfall zugewiesen werden, die zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sind. Von der
Gesetzessystematik her ist das besondere Wahlrecht als Annex zu verstehen, denn es regelt lediglich die
Kassenzuständigkeit für den Auffangversicherungsschutz der Bürgerversicherung. Trotz der Regelungsabsicht des
Gesetzgebers umfassenden Krankenversicherungsschutz zu gewährleisten sind von dieser Regelung die Fälle nicht
erfasst, in denen der Versicherungspflichtige zuletzt gesetzlich krankenversichert war, aber aufgrund der schon viele
Jahre zurückliegenden Mitgliedschaft die frühere Krankenkasse der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr
ermittelt werden kann. Da die gesetzgeberische Intention aber darin bestand den Krankenversicherungsschutz und die
Zuständigkeit der Krankenkassen umfassend zu regeln, und es bei Nichtanwendung dieser Regelungen zu einer
systemwidrigen Belastung des Beigeladenen kommt, liegt eine planwidrige Lücke vor.
(2) Die Interessenlage der vorher weder gesetzlich noch privat Krankenversicherten und die der zuletzt gesetzlich
Krankenversicherten bei denen die frühere Krankenkasse der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr ermittelt
werden kann ist gleichartig.
Hätte der Gesetzgeber die Regelungslücke erkannt, hätte er die Kassenzuständigkeit und das besondere Wahlrecht
bei Versicherungspflichtigen nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a SGB denen der Nachweis der letzten gesetzlichen
Krankenkasse nicht gelingt mutmaßlich ähnlich geregelt wie bei vorher weder gesetzlich noch privat
Krankenversicherten gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. b SGB V. Die Interessenlage von denjenigen die vorher nicht
gesetzlich oder privat krankenversichert waren und jenen, die zuletzt gesetzlich krankenversichert, denen aber der
Nachweis der letzten gesetzlichen Krankenkasse nicht gelingt, ist gleich. Beide Personengruppen befinden sich in der
Situation, dass sie auf keine letzte Krankenversicherung zurückgreifen können, entweder weil sie nie
krankenversichert waren oder weil die frühere Krankenkasse nicht ermittelt werden kann. Insbesondere besteht im
Hinblick auf die gesetzgeberische Grundentscheidung des GKV-WSG kein sachlicher Grund für eine Differenzierung
der Zuständigkeit der Absicherung im Krankheitsfall indem diejenigen, die vorher nicht gesetzlich oder privat
krankenversichert waren, der gesetzlichen Krankenversicherung zugeordnet werden und jene, die zuletzt gesetzlich
Krankenversicherten, denen aber der Nachweis der letzten gesetzlichen Krankenkasse nicht gelingt, Leistungen vom
örtlichen Sozialhilfeträger erhalten. Deshalb ist eine analoge Anwendung des § 174 Abs. 5 Satz 1 HS. 2 SGB V
gerechtfertigt. Nach dieser Vorschrift hat der Versicherungspflichtige das allgemeine Kassenwahlrecht nach § 173
Abs. 1 SGB V. Er wird bei Eintritt der Versicherungspflicht Mitglied der von ihm gewählten Krankenkasse.
3.
Auch ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller ist nach eigenen - von der Antragsgegnerin unwidersprochenen - Angaben Dialysepatient und auf
ständige ärztliche Hilfe angewiesen. Er hat ein nachvollziehbares Interesse an einer schnellen Klärung seines
krankenversicherungsrechtlichen Status, zumal eine endgültige Klärung der Rechtslage nicht kurzfristig zu erwarten
ist. Als Bezieher einer relativ geringen Altersrente und ohne größeres Vermögen ist er auch nicht in der Lage, die
Behandlung vorzufinanzieren. Er kann auch nicht auf einen nachrangigen Anspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger
verwiesen werden, wenn tatsächlich ein Anordnungsanspruch gegeben ist. Im vorliegenden Fall geht es um das
absolute Existenzminimum, da der kranke Antragsteller durch die Verweigerung von Krankenversicherungsschutz an
Leib und Leben unmittelbar gefährdet wird, wenn ihm die erforderliche medizinische Behandlung auch nur zeitweise
versagt wird.
4.
Die Kammer hat die Wirkung der einstweiligen Anordnung auf die Zeit bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der
Hauptsache befristet. Dies erscheint sachgerecht, aber auch notwendig, weil der Krankenversicherungsschutz eines
Dialysepatienten sichergestellt sein muss und aus den dargelegten Gründen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit
dafür spricht, dass der Antragsteller auf nicht absehbare Zeit versicherungspflichtiges Mitglied der Antragsgegnerin
ist.
5.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 SGG analog.
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