Urteil des SozG Landshut vom 25.01.2007

SozG Landshut: ärztliche verordnung, bayern, abgabe, einspruch, apotheker, rechtsgrundlage, rezept, formvorschrift, krankenkasse, kaufvertrag

Sozialgericht Landshut
Urteil vom 25.01.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 4 KR 169/05
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.287,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 07.08.2003 zu zahlen. II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. III. Der Streitwert wird
auf 3.287,40 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin Euro 3.287,40 nebst jeweils 8 %
Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 07.08.2003 zu zahlen.
Die Klägerin ist Leiterin der B.-Apotheke in J ... Sie macht gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch geltend,
nachdem diese ihre Arzneimittelabrechnung wegen eines ihr angeblich zustehenden Rückforderungsanspruches im
Wege der Retaxation gekürzt hat.
Im Oktober, November und Dezember 2002 sowie im Januar 2003 beanstandete die Beklagte die Abrechnung der
Klägerin für die Abgabe von Arzneimitteln in den Monaten Januar, Februar, März, April und Mai 2002. Konkret ging es
um eine Reihe von Rezepten, die als sog. Sprechstundenbedarfsverordnungen ausgestellt worden waren.
Als Sprechstundenbedarf bezeichnet man "diejenigen vom Arzt in der Praxis verbrauchten Medikamente, die ihrer Art
nach mehreren Versicherten zugute kommen oder für akute Fälle bereit gehalten werden müssen" (BSG vom
28.03.2000, ZfS 2000, 180 = SGb 2000, 3 12). Über derartige Arzneimittel wird kein versichertenbezogenes
Einzelrezept, sondern eine sog. Sprechstundenbedarfsverordnung ausgestellt. Ein solches Rezept weist keinen
Patientennamen aus, sondern ist mit "Sprechstundenbedarf" oder "p.c." (pro communitate) gekennzeichnet.
Nach einer Vereinbarung, die zwischen der KV Bayern und den Landesverbänden der Krankenkassen sowie den
Ersatzkassenverbänden getroffen worden ist, werden Sprechstundenbedarfsverordnungen in Bayern zentral über die
Beklagte abgerechnet (Vereinbarung über die ärztliche Verordnung von Sprechstundenbedarf vom 01.04.1999).
Zur Begründung ihrer Beanstandung macht die Beklagte geltend, der Klägerin sei im Zuge der Abgabe und
Abrechnung ein formaler Fehler unterlaufen. Sie habe es nämlich unterlassen, das Datum der Abgabe auf der
Vorderseite des Rezeptblattes aufzudrucken. Damit sei ein Verstoß gegen § 7 Abs.2 des Bayerischen
Apothekenvertrages vom 24.05.2000 in Kraft ab dem 01.07.2000 (AV-Bay) gegeben, denn diese Bestimmung
verpflichte den Apotheker zur Nennung des Abgabedatums auf der Vorderseite jedes Rezepts.
Unstreitig ist das Abgabedatum auf den streitgegenständlichen Verordnungsblättern nicht aufgedruckt. Ursächlich
dafür ist nach dem Vortrag der Klägerin ein Fehler in der Warenwirtschafts-Software, die die Klägerin verwandt hat.
Aufgrund einer fehlerhaften Einstellung druckte das EDV-Programm das Abgabedatum zwar bei den regulären
Einzelverordnungen, nicht aber bei Sprechstundenbedarfsverordnungen auf das Rezeptformular. Den Fehler entdeckte
die Klägerin mit Zugang des ersten Retaxationsschreibens der Beklagten. Am 13.09.2002 war der Fehler behoben und
abgestellt und seitdem wird offensichtlich das Abgabedatum auch auf jedes Sprechstundenbedarfsrezept (p.c.-
Rezept) gedruckt.
Mit den ausgesprochenen Taxbeanstandungen machte die Beklagte zunächst geltend, sie sei, wenn der Aufdruck des
Abgabedatums fehle, zur vollständigen Absetzung des jeweiligen Abrechnungsbetrages berechtigt. Gegen die
Taxbeanstandungen erhob die Klägerin daraufhin durchweg fristgerecht Einspruch. Diese Einsprüche wurden von der
Beklagten zwar jeweils anerkannt, doch das Anerkenntnis erfolgte nur zum Teil. Von Rezept zu Rezept
unterschiedlich zahlte die Beklagte der Klägerin entweder 80 % der Nettoabrechnungssumme oder denjenigen Betrag,
der Euro 100,00 der Nettoabrechnungssumme eines Rezepts überstieg, wieder zurück. Zur Begründung wies die
Beklagte in ihren Schreiben, mit denen die Einsprüche der Klägerin teilweise anerkannt wurden, durchweg darauf hin,
dass es sich "um keine schwerwiegende Verfehlung gehandelt" habe; es sei deshalb gerechtfertigt, den
Retaxationsbetrag zu reduzieren. Die dennoch vorgenommenen restlichen Absetzungen rechtfertigte die Beklagte mit
der Notwendigkeit einer Einbehaltung eines entstandenen Verwaltungskos- tenaufwandes, welcher bestehe, weil der
Gesetzgeber den Krankenkassen einen Verwaltungskosten-Deckel verordnen werde.
Im Einzelnen kürzte die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Vergütung für den Monat Januar 2002 um 262,82
Euro, für den Monat Februar 2002 um 504,62 Euro, für den Monat März 2002 um 299,08 Euro, für den Monat April
2002 um 771,50 Euro, und für den Monat Mai 2002 um 306,56 Euro.
Die Klägerin erhob dann Klage zum Sozialgericht München. Der Rechtsstreit wurde dann an das Sozialgericht
Landshut verwiesen.
Die Klägerin machte geltend, die Beklagte habe unberechtigterweise eine Retaxation vorgenommen und solle die noch
offen stehenden Beträge zahlen. Für die Absetzungen gebe es keine Grundlage. Es seien Euro 2.145,48
zurückzuzahlen. Für die Absetzungen gebe es keine Grundlage. Die offenen Beträge seien zurückzuzahlen. Die
Beklagte habe bei allen von ihr beanstandeten Rezepten die Einhaltung der Gültigkeitsbestimmungen überprüfen
können, denn die Rezepte seien alle innerhalb ihrer Gültigkeitsfristen zur Abrechnung gekommen. Zudem seien mit
den Einsprüchen die Rechnungsbelege in Kopie beigefügt gewesen, aus denen das Abgabedatum erkennbar sei.
Auch habe das Datum auf der Rückseite abgelesen werden können, denn alle Rezepte seien auf der Rückseite mit
einem Stempel versehen gewesen. Mit der Retaxation habe die Beklagte eine unzulässige Sanktion für den Verstoß
gegen die Formvorschrift des § 7 Abs.2 AV-Bay gewählt. Taxbeanstandungen würden dazu dienen, Rechnugnen auf
sachliche und rechnerische Richtigkeit zu prüfen. Die Rechnungen seien aber weder sachlich noch rechnerisch falsch.
Für eine Kaufpreiskürzung gebe es wegen eines Formfehlers keine Befugnis zur Kürzung aufgrund des
Retaxationsverfahrens. Den Katalog der zulässigen Maßnahmen bestimme der Rahmenvertrag nach § 129 Abs.2
SGB V. Dies seien: Verwarnung, Vertragsstrafe und Ausschluss von der Versorgung. Für eine Strafe fehle eine
Rechtsgrundlage. Auch lägen keine Aufwands- oder Entschädigungsregelungen vor.
In ihrer Klageerwiderung rechtfertigte die Beklagte ihr Vorgehen. Aufgrund der vertraglichen Regelungen sei die AOK
Bayern berechtigt, bei der Abrechnung von Verordnungsblättern mit fehlendem Abgabedatum auf der Vorderseite die
abgerechneten Kosten in voller Höhe abzusetzen. Das zwischen den Apotheken und Krankenkassen etablierte
Abrechnungssystem zeichne sich angesichts des erheblichen Umfangs (AOK Bayern: 38 Mio. Belege pro Jahr) und
der besonderen Komplexität durch sehr hohe Effizienz aus. Die Apotheken als Handelsunternehmen würden
besonders vom damit verbundenen schnellen Zahlungsfluss profitieren. Dieses Abrechnungssystem könne nur dann
effizient funktionieren, wenn die formalen Regeln konsequent beachtet würden. Die Abrechnungsprüfung der
Krankenkassen sei integraler Bestandteil dieses Systems. Sie sei nicht zu trennen von der zunächst ungeprüften
Zahlung aller abgerechneten Beträge. Auch diese Abrechnungsprüfung sei nur dann effizient möglich, wenn die
notwendigen Angaben bereits zum Zeitpunkt der Abrechnung richtig und vollständig übermittelt würden. Eine
Abrechnung auf Probe mit Nachbesserungsoption könne es hierbei nicht geben. Die vertraglichen Abrechnungsregeln
seien vor diesem Hintergrund zu verstehen. Gravierende Formfehler bei der Abrechnung würden zum Verwirken des
Vergütungsanspruchs für gelieferte Ware führen, weniger gravierende Formfehler würden hingenommen. Zu den
besonders gravierenden Formfehlern würde das Fehlen des Abgabedatums auf der Vorderseite von
Verordnungsblättern zählen.
Die von der Gegenseite kritisierten Teilzusetzungen nach Einspruch hätten folgenden Hintergrund: Der Verstoß gegen
bestimmte Abrechnungsregeln berechtige die Krankenkassen zur vollen Absetzung der abgerechneten Beträge. Je
teurer das abgerechnete Verordnungsblatt sei, desto mehr steht eine vollständige Absetzung aber außer Verhältnis
zum Pflichtverstoß. Dies gelte umso mehr, wenn der Apotheker nachträglich überzeugend darlegen könne, dass die
Leistung bis auf den Vertragsverstoß korrekt erbracht worden sei. Dies sei zwar für den grundsätzlichen Anspruch der
Krankenkasse nicht relevant, sehr wohl aber für die Verhältnismäßigkeit zwischen dem Vertragsverstoß und der
Sanktion, die eine solche Absetzung faktisch immer sei. Dagegen abzuwägen sei wiederum das öffentliche Interesse
der Kostenträger, nur für diejenigen Verordnungen zu bezahlen, die formell und materiell rechtmäßig unter Einhaltung
der vertraglichen und gesetzlichen Vorgaben zustande gekommen seien. Abschließend sei zu berücksichtigen, dass
die Verträge keine ausdrückliche Verpflichtung, sondern lediglich eine Berechtigung der Krankenkassen zur
Absetzung unrichtig angesetzter Abrechnungsbeträge enthalten würden.
Mit Schriftsatz vom 06.08.2003 erweiterte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dann die Klage und forderte eine
Summe von 3.287,40 Euro. Dazugekommen sei die Abrechnung der Klägerin für die Abgabe von Arzneimitteln in den
Monaten Juni 2002, Juli 2002 und August 2002. Die Ausführungen der Beklagten seien ein Dokument der Willkür.
Im Einzelnen kürzte die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Vergütung damit insgesamt für den Monat Januar
2002 um 262,82 Euro, für den Monat Februar 2002 um 504,62 Euro, für den Monat März 2002 um 299,08 Euro, für
den Monat April 2002 um 771,50 Euro, für den Monat Mai 2002 um 306,56 Euro, für den Monat Juni 2002 um 115,21
Euro, für den Monat Juli 2002 um 439,85 Euro, und für den Monat August 2002 um 486,86 Euro, also insgesamt um
3.287,40 Euro.
Die Beklagte machte dann weiter geltend, die Unterscheidung in gravierende und weniger gravierende Formfehler bei
der Frage des Umfanges der Absetzung beschreibe ein Prinzip, das den vertraglichen Regelungen und dem
praktischen Verwaltungshandeln bei der Abrechnungsprüfung zugrunde liege. Das Verwirken des
Vergütungsanspruches ergebe sich aus § 7 Abs.2 Buchst.h AV-Bay und der Tatsache, dass es keine Regelung über
Ausnahmen oder Nachbesserungsmöglichkeiten gebe.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie Euro 3.287,40 nebst jeweils 8 % Zinsen über dem
Basiszinssatz seit dem 07.08.2003 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die Klageakte sowie den Inhalt der beigezogenen Akten
verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und auch begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin Euro 3.287,40 für verausgabten
Sprechstundenbedarf zu zahlen.
Die Klägerin verlangt formal richtig im Wege der Leistungsklage nach § 54 Abs.4 Sozialgerichtsgesetz die Bezahlung
des verausgabten Sprechstundenbedarfs, weil über ihren Kostenanspruch ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat.
Voraussetzung für die echte Leistungsklage ist ein Gleichordnungsverhältnis zwischen den Beteiligten, das
gleichzeitig eine (einseitig) hoheitliche Regelung der handelnden Behörde durch Verwaltungsakt gegenüber dem
Adressaten - und damit eine Klage nach § 54 Abs.4 SGG - ausschließt (BSG, Urteil vom 24. Januar 1990 - 3 RK
11/88 - SozR 3-2200 § 376 d Nr.1). Eine gesetzliche Ermächtigung der Krankenkassen zum Erlass von
Verwaltungsakten gegenüber den freiberuflich tätigen Apothekern besteht ebenso wenig wie ein Über-
/Unterordnungsverhältnis. Vielmehr sieht das Gesetz in Form des § 129 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch -
Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) eine vertragliche Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen
Krankenkassen und Apothekern vor. Die Beklagte hat den Vergütungsanspruch auch nicht in der Form eines
Verwaltungsaktes abgelehnt. Die Taxbeanstandungen der Beklagten vom 10.09.2002, 10.10.2002, 11.11.2002,
10.12.2002, 10.01.2003, 11.02.20023, 10.03.2003 und vom 10.04.2003 stellen dem Erklärungswert nach lediglich
Zahlungsverweigerungen dar, nicht aber hoheitliche Regelungen. Der Klägerin wurde die Beanstandung lediglich
mitgeteilt, die Beträge in der monatlichen Abrechnung der Abrechnungsstelle berücksichtigt und darauf hingewiesen,
eventuelle Einwände könne die Klägerin geltend machen. Hierfür spricht auch die äußere Form der Schreiben, denn
sie sind weder als "Bescheid" bezeichnet noch enthalten sie eine Rechtsbehelfsbelehrung. Zwar wird die Ablehnung
der Kostenübernahme begründet, jedoch lediglich mit dem Zusatz: "Abgabedatum fehlt (§ 7 Abs.2
Apothekenvertrag)". Damit wurde auf die vertraglichen Regelungen verwiesen, die das Verhältnis der Beklagten und
der Klägerin auf vertraglicher Basis und damit im Gleichordnungsverhältnis regeln.
Der Klägerin steht ein Zahlungsanspruch in Höhe von Euro 3.287,40 wegen der von der Beklagten vorgenommenen
Kürzungen ihrer Rechnungen trotz fehlender Angabe des Abgabedatums auf der Vorderseite der ordnungsgemäß
erfolgten Verordnungen zu. Rechtsgrundlage des Zahlungsanspruchs der Klägerin ist der Apothekenvertrag für Bayern
(AV-Bay), den die (Landesverbände der) Primärkassen mit dem Bayerischen Apothekerverband e.V. (BAV) gemäß §
129 Abs.5 SGB V am 24. Mai 2000 geschlossen haben und der am 01.07.2000 in Kraft getreten ist. Er gilt für die
Klägerin als Mitglied des BAV und für die Beklagte als Vertragspartei für die streitgegenständlichen Abrechnungen im
Zeitraum Januar 2002 bis August 2002. Danach hat sie einen Anspruch auf Begleichung ihrer Rechnungen innerhalb
von zehn Kalendertagen nach ihrem Eingang bei der Krankenkasse (§ 8 Abs.1 AV-Bay).
Die Beklagte macht zu Unrecht geltend, sie habe gegen die Forderungen der Klägerin für Sprechstundenbedarf mit
gleichartigen und erfüllbaren Gegenforderungen aufgerechnet, nämlich mit Rückzahlungsansprüchen gegen die
Klägerin jeweils in Höhe von 262,82 Euro, 594,62 Euro, 299,08 Euro, 771,50 Euro, 306,56 Euro, 115,21 Euro, 439,85
Euro und 486,86 Euro.
Denn Voraussetzung dieses einseitigen Rechtsgeschäfts, mit dem die wechselseitige Tilgung zweier Forderungen
bewirkt wird, ist gemäß § 387 BGB, dass sich zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung (Retaxierung) gegenseitige,
gleichartige und fällige bzw. erfüllbare Forderungen gegenüberstehen. Dies war hier nicht der Fall. Eine
Rechtsgrundlage für einen Rückfordeurngsanspruch der Beklagten liegt nicht vor.
In § 7 Abs.2 Ziffer h dieses Apothekenvertrages für Bayern wird bestimmt, dass die Abrechnungen aufgrund
ordnungsgemäßer Verordnungen erfolgt, die zusätzlich unter anderem das Abgabedatum enthält, wobei die zugehörige
Fußnote 11 festlegt: Das Abgabedatum ist auf der Vorderseite des Verordnungsblattes zu vermerken. Unstreitig hat
die Klägerin dieses nicht vermerkt. Grund hierfür war ein Softwarefehler, der nach Kenntnis des Fehlers von der
Klägerin umgehend behoben wurde.
Das Verfahren bei Rechnungs- und Taxbeanstandungen ist in § 9 AV-Bay geregelt. Gemäß § 9 Abs.1 dürfen die
Krankenkassen die Rechnungen der Apotheker auf ihre rechnerische und sachliche Richtigkeit überprüfen. Die
Berichtigung muss innerhalb von 12 Monaten nach Ende des Liefermonats erfolgen (§ 9 Abs.2 AV-Bay). Gemäß § 9
Abs.4 AV-Bay kann der Apotheker gegen eine Beanstandung innerhalb von drei Monaten nach ihrem Zugang
Einspruch einlegen. Diesen Einspruch muss die Krankenkasse innerhalb von sechs Monaten prüfen und bescheiden,
andernfalls gilt der Einspruch als anerkannt. Lastschriften und Gutschriften, die sich aus der Rechnungsprüfung
ergeben, werden von der Krankenkasse mit der nächstfälligen Zahlung an den betroffenen Apotheker verrechnet (§ 9
Abs.5 AV-Bay).
Dieses Verfahren ist im vorliegenden Fall hinsichtlich des Verfahrens sowohl von der Beklagten als auch von der
Klägerin angewandt worden. Für die von der Beklagten vorgenommenen Kürzungen der Rechnungen der Klägerin
wegen fehlender Angabe des Abgabedatums auf der Vorderseite der Verordnung des Sprechstundenbedarfs findet
sich jedoch in diesem Regelwerk keine Rechtsgrundlage.
Ebeno enthält der übrige Teil des Bayerischen Apothekenvertrages in der hier anzuwendenden Fassung keine
Regelungen, die die Folgen einer fehlenden Angabe des Abgabedatums auf der Vorderseite einer Verordnung eines
Sprechstundenbedarfs regeln. Auch die Regelungen des im vorliegenden Fall anzuwendenden Rahmenvertrages
lassen eine Rechnungskürzung wegen fehlender Angabe des Abgabedatums auf der Vorderseite einer Verordnung in
Form eines Sprechstundenbedarfs nicht zu.
Nach § 7 Abs.1 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung - unter anderem geschlossen zwischen dem
AOK-Bundesverband und dem Deutschen Apothekerverband e.V. - können die zuständigen Landesverbände der
Krankenkassen bei Verstößen gegen diesen Vertrag ergänzende Verträge (also z.B. gegen den Bayerischen
Apothekenvertrag) nach Anhörung des Betroffenen aussprechen: 1. Verwarnung 2. Vertragsstrafe bis zu 50.000,00
DM 3. Bei gröblichen und wiederholten Verstößen Ausschluss der Apothekenleiterin von der Versorgung der
Versicherten bis zu drei Jahren.
Damit haben die Parteien des Rahmenvertrages festgelegt, welche Vertragsmaßnahmen im Falle einer
Vertragsverletzung ergriffen werden müssen. Es stehen also die Verwarnung, eine Vertragsstrafe oder der Ausschluss
des Apothekers zur Wahl. Der Begriff "können" bringt in diesem Zusammenhang nichts anderes zum Ausdruck als die
Möglichkeit, zwischen den verschiedenen ausdrücklich aufgezählten Sanktionsmaßnahmen auszuwählen. Wenn in
einem Vertrag ein Katalog spezieller Sanktionen für den Fall eines Vertragsverstoßes geregelt ist und ein Hinweis auf
weitere Rechte, die einer Vertragspartei an anderer Stelle eingeräumt sind, fehlt, ist dieser normierte Katalog
abschließend zu verstehen (so das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 31.01.2005, Az.: L 4 KR 30/01,
zitiert nach juris).
Diese Argumentation ist für die Kammer überzeugend. Dass die Beteiligten hiervon wohl auch ausgehen, wird auch
belegt durch Einlassung des in der mündlichen Verhandlung anwesenden Vertreters des Bayerischen
Apothekerverbandes, der von entsprechenden Verhandlungen über zu treffende neue Regelungen berichtete.
Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, nach der das Recht zur Rechnungs- und
Taxberichtigung und die damit verbundene Möglichkeit zur Aufrechnung gegen spätere Zahlungsansprüche aus
Arzneilieferungen umfassend ist und nicht nur die Korrektur von sog. Abrechnungsfehlern betrifft, gilt nichts anderes.
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass Taxberichtigungen/Retaxierungen grundsätzlich auch dann möglich
sind, wenn sich nachträglich herausstellt, dass es z.B. an einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung mangelt, ein
Medikament nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst wird oder unter Verstoß gegen
die Bestimmungen des AVL (also des einschlägigen Landesvertrages) abgegeben worden ist (vgl. Urteil vom
03.08.2006, Az.: B 3 KR 6/06 R, zitiert nach juris). Entsprechendes gilt, so das Bundessozialgericht, bei sonstigen
Verstößen gegen die Vorgaben des § 129 SGB V und die sie konkretisierenden Bestimmungen des Rahmenvertrages,
so auch bei einer Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebotes des § 12 SGB V, welches durch § 129 Abs.1 SGB V eine
Konkretisierung in der Arzneimittelversorgung erfahren hat.
Derartige Verstöße sind aber mit einem Verstoß gegen die Formvorschrift des § 7 Abs.2 Ziffer h dieses
Apothekenvertrages für Bayern nicht vergleichbar. Es handelt sich nicht um einen Verstoß gegen eine Formvorschrift,
der den Kaufvertrag über den Sprechstundenbedarf zwischen der Klägerin und der Beklagten nach § 125 BGB nichtig
machen würde. Denn der Mangel der durch Rechtsgeschäft bestimmten Form hat nur im Zweifel die Nichtigkeit des
Rechtsgeschäfts zur Folge. In den Fällen rechtsgeschäftlicher Formvorschriften ist ihre Tragweite durch Auslegung zu
ermitteln. Soll die Formvorschrift lediglich der Beweissicherung oder Klarstellung dienen - wie im vorliegenden Fall - ist
das Rechtsgeschäft auch bei Nichteinhaltung der Form wirksam; es besteht aber ein Anspruch auf Nachholung der
Form (vgl. Palandt 66.Auflage § 125 Rdnr.12).
Die Beklagte hat also keinen Bereicherungsanspruch, mit dem sie aufrechnen könnte, sondern der Kaufvertrag ist
wirksam und es liegt ein Rechtsgrund für den Zahlungsanspruch der Klägerin vor. Denn das von der Beklagten geltend
gemachte Rückforderungsbegehren - das im Übrigen konsequenterweise in vollem Umfang hätte geltend gemacht
werden müssen und nicht in Teilbeträgen oder sonstigen nicht im Einzelnen nachvollziehbaren Abschlägen - kann
sich nur auf einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch stützen. Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des
öffentlichen Rechts hergeleitete Rechtsinstitut setzt aber voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen
Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht worden sind (s. BSG a.a.O.). Für den Bereich des
Arzneimittelrechts müsste ein unwirksamer Kaufvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten vorliegen, damit die
Beklagte die bezahlte Arzneimittelvergütung zurückfordern könnte. Der Kaufvertrag ist jedoch wirksam.
Die Klägerin hat auch alles getan, um den Anspruch der Beklagten auf Nachholung der Form zu erfüllen. Alle
Abgabedaten wurden der Beklagten (durch die Ärzte bestätigt) mitgeteilt. Die Beklagte war daher zur Zahlung zu
verurteilen.
Auch das Zinsbegehren der Klägerin ist gerechtfertigt. In der mündlichen Verhandlung schränkte die Klägerin ihr
Zinsbegehren ein auf die Zeit ab der Geltendmachung, auch der für die Monate Juni, Juli und August 2002 gekürzten
Beträge in ihrer Klage, also ab dem 07.08.2003.
Hinsichtlich des von der Klägerin geltend gemachten Zinsanspruchs gelten mangels spezieller vertraglicher Regelung
die Bestimmugnen des BGB. Die Beklagte ist gemäß §§ 288, 291 BGB verpflichtet, die ausstehenden Beträge zu
verzinsen. Zwar hat das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass in den in die Zuständigkeit der
Sozialgerichtsbarkeit fallenden Rechtsgebieten für Verzugs- und Prozesszinsen grundsätzlich kein Raum ist. Eine
Ausnahme gilt jedoch für jene Zahlungsansprüche, bei denen das Gesetz eine Zinszahlung ausdrücklich anordnet
(BSG, Urteil vom 13.07.1992 - 7 RA 98/90, SozR 3-7610 § 291 Nr.1) oder bereichsspezifische Besonderheiten zu
beachten sind (BSG, Urteil vom 14.12.1988 - 9/4b RV 39/87, SozR 7610 § 291 Nr.2; BSG, Urteil vom 04.03.2004 - B
3 KR 4/03 R - juris). Dies gilt im vorliegenden Fall.
Für die Arzneimittelversorgung schreibt § 129 SGB vertragliche Regelungen für die Gewährleistung einer
wirtschaftlichen Abgabe von Arzneimitteln in Apotheken vor. Ein Anspruch auf Prozesszinsen steht mit diesem
Wirtschaftlichkeitsgebot der Abgabe nicht im Widerspruch. Die Modalitäten des Vergütungsanspruchs richten sich
mangels einer Regelung im Rahmenvertrag nach dem Bayerischen Apothekenvertrag. In diesem Vertragswerk selbst
sind Verzugszinsen bzw. Prozesszinsen nicht aufgenommen.
Die untergesetzliche Regelung kann jedoch als ergänzungsfähig und nicht abschließend angesehen werden, da die
Modalitäten des Vergütungsanspruchs nicht abschließend und völlig abweichend vom BGB geregelt sind.
Seit der Neufassung nimmt die Regelung in § 69 Satz 3 SGB V ausdrücklich Bezug auf die Anwendung der BGB-
Vorschriften, soweit die entsprechende Anwendung der Vorschriften des BGB mit den Vorgaben des § 70 und den
übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Viertel Kapitel des SGB V vereinbar sind.
Damit findet hier die Regelung des § 288 BGB Anwendung.
Der Anspruch auf Prozesszinsen steht der Klägerin ab 07.08.2003 zu, weil an diesem Tag die gesamte
Klageforderung beim Sozialgericht eingegangen und daher die sozialgerichtliche Rechtshängigkeit nach § 94 SGG
eingetreten ist. Zudem hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung Zinsen ausdrücklich ab diesem Zeitpunkt
beantragt und die von ihr bis dahin geltend gemachten Forderungen fallen lassen.
Der vertragliche Zahlungsanspruch war jedenfalls auch am 07.08.2003 fällig.
Die verschiedenen Teile der Klageforderung waren jeweils bereits zehn Tage nach Eingang der jeweiligen Rechnung
nach § 8 Abs.1 des Bayerishen Apothekenverbandes fällig. Für Rechtsgeschäfte, bei denen Verbraucher nicht
beteiligt sind, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen acht Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs.1 VwGO. Die Beklagte wurde in vollem Umfang
zur Zahlung verurteilt, hat also die Kosten des Verfahrens zu tragen.
In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach
der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52
As.1 Gerichtskostengesetz ). Nach § 52 Abs.3 GKG ist dann, wenn der Antrag des Klägers eine bezifferte
Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, die Höhe der Geldleistung für den Streitwert
maßgebend. Die Klägerin hat mit ihrer Klage Vergütung für Sprechstundenbedarf in Höhe von Euro 3.287,40 geltend
gemacht. Da es sich im vorliegenden Fall also um eine Geldforderung in Höhe von insgesamt Euro 3.287,40 handelt,
beträgt der Streitwert Euro 3.287,40 (in Worten: dreitausendzweihundertsieben- undachtzig Euro und vierzig Cent) (§
197 a Abs.1 SGG i.V.m. § 52 Abs.3 GKG).
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