Urteil des SozG Landshut vom 28.05.2010

SozG Landshut: aufschiebende wirkung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, wichtiger grund, verwaltungsakt, hauptsache, anfechtungsklage, form, arbeitsmarkt, anhörung, akte

Sozialgericht Landshut
Beschluss vom 28.05.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 7 AS 357/10 ER
I. Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche vom 28.04.2010 gegen die Bescheide vom 27.04.2010 wird
angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu tragen.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Absenkung der Regelleistung jeweils mit Bescheiden vom 27.04.2010 in Höhe von 30
% für den Zeitraum vom 01.05. bis 31.07.2010 streitig.
Die Antragsteller (Ast.) erhalten von der Antragsgegnerin (Ag.) laufend Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB)
II.
Mit Bescheid vom 23.02.2010 wurde dem Ast. zu 1) eine Eingliederungsvereinbarung mit Verwaltungsakt
bekanntgegeben. Unter Ziff. 2 wurde u. a. festgelegt, dass der Ast. zu 1) an folgender Arbeitsgelegenheit mit
Mehraufwandsentschädigung für zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten gemäß § 16d Satz 2
SGB II teilzunehmen habe: Art der Tätigkeit: Auslieferungsfahrer bei C ...; Tätigkeitsort: K.; zeitlicher Umfang: 30
Stunden/Woche; Höhe der Mehraufwandsentschädigung pro Stunde: 1 EUR; individuelles Maßnahmeziel: Heranführen
an den Arbeitsmarkt. In der beigelegten Rechtsfolgenbelehrung wurde u. a. ausgeführt, dass § 31 SGB II bei
Verstößen gegen die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten Leistungskürzungen vorsehe. Wenn der
Ast. zu 1) erstmals gegen die mit ihm vereinbarten Eingliederungsbemühungen verstoße, werde das Arbeitslosengeld
(ALG) II um einen Betrag in Höhe von 30 % der für ihn maßgebenden Regelleistung nach § 20 SGB II abgesenkt.
Gegen diesen Verwaltungsakt legte der Ast zu 1) mit Schreiben vom 01.03.2010 Widerspruch ein.
Mit Schreiben vom 23.02.2010 wurde dem Ast. zu 1) entsprechend der Eingliederungsvereinbarung vom 23.02.2010
die Arbeitsgelegenheit bei der C ... angeboten. In der beigelegten Rechtsfolgenbelehrung wurde u. a. ausgeführt, dass
für den Fall dass der Ast. zu 1) sich weigere, diesen Vermittlungsvorschlag anzunehmen, die Regelleistung um 30 %
gekürzt werde (in der Akte der Ag. befindet sich lediglich ein Nachdruck vom 05.05.2010).
Nach erfolgter Anhörung mit Schreiben vom 22.03.2010 senkte die Ag. mit Bescheid vom 27.04.2010 das ALG II um
30 % der Regelleistung gegenüber dem Ast zu 1), d. h. konkret um 96,60 EUR für den Zeitraum vom 01.05. bis
31.07.2010 ab. In der Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, dass der Ast. zu 1) mit
Eingliederungsvereinbarung vom 27.10.2010 verpflichtet worden sei, an der Arbeitsgelegenheit mit
Mehraufwandsentschädigung für zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten gemäß § 16d Satz 2
SGB II als Auslieferungsfahrer bei C ..., K ... teilzunehmen. Dieser Pflicht sei der Ast. zu 1) nach Mitteilung von C ...
, K ... nicht nachgekommen, weil sich der Ast. zu 1) dort weder gemeldet noch vorgestellt habe. Gründe, die dieses
Verhalten erklären würden, seien weder abgegeben noch nachgewiesen worden.
Auch gegen diesen Bescheid wurde mit Schreiben vom 28.04.2010 Widerspruch erhoben.
Entsprechend dem Bescheid vom 23.02.2010 gegenüber dem Ast. zu 1) wurde auch gegenüber der Ast. zu 2) eine
Eingliederungsvereinbarung mit Verwaltungsakt bekanntgegeben. Unter Ziff. 2 wurde u. a. festgelegt, dass die Ast. zu
2) an folgender Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung für zusätzliche und im öffentlichen Interesse
liegende Arbeiten gemäß § 16d Satz 2 SGB II teilzunehmen habe: Art der Tätigkeit: Helferin im Bewerberbüro;
Tätigkeitsort: N ...; zeitlicher Umfang: 30 Stunden/Woche; Höhe der Mehraufwandsentschädigung pro Stunde: 1 EUR;
individuelles Maßnahmeziel: Heranführen an den Arbeitsmarkt. In der beigelegten Rechtsfolgenbelehrung wurde u. a.
ausgeführt, dass § 31 SGB II bei Verstößen gegen die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten
Leistungskürzungen vorsehe. Wenn die Ast. zu 2) erstmals gegen die mit ihr vereinbarten Eingliederungsbemühungen
verstoße, werde das Arbeitslosengeld (ALG) II um einen Betrag in Höhe von 30 % der für ihn maßgebenden
Regelleistung nach § 20 SGB II abgesenkt.
Auch die Ast. zu 2) legte gegen diesen Verwaltungsakt mit Schreiben vom 01.03.2010 Widerspruch ein.
Ebenfalls mit Schreiben vom 23.02.2010 wurde der Ast. zu 2) entsprechend der Eingliederungsvereinbarung vom
23.02.2010 die Arbeitsgelegenheit bei der ... - soziale Dienstleistungen GmbH angeboten. In der beigelegten
Rechtsfolgenbelehrung wurde u. a. ausgeführt, dass für den Fall dass die Ast. zu 2) sich weigere, diesen
Vermittlungsvorschlag anzunehmen, die Regelleistung um 30 % gekürzt werde (in der Akte der Ag. befindet sich
lediglich ein Nachdruck vom 05.05.2010).
Nach erfolgter Anhörung mit Schreiben vom 15.03.2010 senkte die Ag. mit Bescheid vom 27.04.2010 das ALG II um
30 % der Regelleistung gegenüber der Ast. zu 2), d. h. konkret um 96,60 EUR für den Zeitraum vom 01.05. bis
31.07.2010 ab. In der Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, dass die Ast. zu 2) mit
Eingliederungsvereinbarung vom 27.10.2010 verpflichtet worden sei, an der Arbeitsgelegenheit mit
Mehraufwandsentschädigung für zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten gemäß § 16d Satz 2
SGB II als Helferin im Bewerberbüro bei den N ... Diensten teilzunehmen. Dieser Pflicht sei die Ast. zu 2) nicht
nachgekommen, weil sich die Ast. zu 2) dort weder gemeldet noch vorgestellt habe. Gründe, die dieses Verhalten
erklären würden, seien weder abgegeben noch nachgewiesen worden.
Auch gegen diesen Bescheid wurde mit Schreiben vom 28.04.2010 Widerspruch erhoben.
Mit Schreiben vom 29.04.2010 stellten die Ast. Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz. In der
Begründung wurde ausgeführt, dass die Bescheide der Ag. rechtswidrig seien. Die mit dem Arbeitsangebot erteilte
Rechtsfolgenbelehrung genüge nicht den Anforderungen der Rechtsprechung. Sie sei nicht konkret und auf den
Einzelfall bezogen. Die Belehrung habe im Wesentlichen aus einer Wiedergabe des Gesetzestextes bestanden.
Mit Schreiben vom 06.05.2010 äußerte die Ag., dass vor Erlass der Sanktionsbescheide ordnungsgemäße
Rechtsfolgenbelehrungen erteilt worden seien. Es seien bereits in den Eingliederungsvereinbarungen
Rechtsfolgenbelehrungen enthalten gewesen. Im Rahmen der Vermittlungsvorschläge seien ebenfalls
Rechtsfolgenbelehrungen erteilt worden.
Die Antragsteller äußerten daraufhin mit Schreiben vom 10.05.2010, dass schon die Rechtsfolgenbelehrungen in den
Eingliederungsvereinbarungen nicht ordnungsgemäß gewesen seien. Jedenfalls seien durch die erneuten
Rechtsfolgenbelehrungen im Zusammenhang mit den Vermittlungsvorschlägen die in den
Eingliederungsvereinbarungen enthaltenen Rechtsfolgenbelehrungen verfahrensrechtlich überholt. Im Übrigen würden
sich die Rechtsfolgenbelehrungen in den Eingliederungsvereinbarungen auf die formelhafte Wiederholung des
Gesetzestextes beschränken.
Die Antragsteller haben beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Widersprüche vom 28.04.2010 gegen die Bescheide vom 27.04.2010 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Ag. und die Prozessakte ergänzend Bezug
genommen.
II.
Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung sind zulässig und auch begründet.
Die Antragsteller haben Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Bescheide vom 27.04.2010.
Gemäß § 86b Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen
Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder
teilweise anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung
kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die Maßnahmen
jederzeit ändern oder aufheben.
Im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung hat eine Abwägung zwischen den privaten Interessen der Antragsteller
und dem öffentlichen Vollzugsinteresse stattzufinden. Wesentliches Kriterium sind die Erfolgsaussichten im
Hauptsacheverfahren, die summarisch zu prüfen sind. Da der Gesetzgeber in den Fällen der §§ 86a Abs. 2, 86b
Abs.1 Satz 1 Nr. 2 SGG durch den ausdrücklichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung zum Ausdruck gebracht
hat, dass das öffentliche Interesse am Sofortvollzug prinzipiell höher einzuschätzen ist als etwaige,
entgegenstehende private Interessen, kommt eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur in Betracht, wenn an
der Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsaktes ernsthafte Zweifel bestehen, d.h. ein Erfolg der
Antragsteller in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ihr Unterliegen (vgl. u. a. BayLSG, Beschluss v. 17.2.2004 - L
17 U 7/04 ER). Ist dies nicht der Fall, kann eine Anordnung ausnahmsweise dann ergehen, wenn ein Erfolg der
Antragsteller in der Hauptsache nicht offensichtlich ausgeschlossen werden kann und anderweitige, das öffentliche
Interesse wesentlich überwiegende Interessensgesichtspunkte bei den Antragstellern zu beachten sind (vgl. Meyer-
Ladewig SGG, § 86b Rn. 12 ff). Gemäß § 39 Abs. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen
Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet oder den Übergang eines
Anspruchs bewirkt keine aufschiebende Wirkung. Dies gilt vorliegend für die Bescheide der Ag. vom 27.04.2010.
Nach summarischer Prüfung hätte die Anfechtungsklage der Antragsteller Aussicht auf Erfolg. Im Hinblick auf die
Eingliederungsvereinbarungen fehlt es an hinreichenden Rechtsfolgenbelehrungen.
§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II setzt in allen dort geregelten Alternativen voraus, dass der Hilfebedürftige die von
ihm geforderte Handlung "trotz Belehrung über die Rechtsfolgen" unterlassen hat. Die Wirksamkeit einer solchen
Rechtsfolgenbelehrung setzt voraus, dass sie konkret, richtig und vollständig ist, zeitnah im Zusammenhang mit dem
jeweiligen Angebot einer Arbeitsgelegenheit erfolgt, sowie dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in verständlicher Form
erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen sich aus der Weigerung, die angebotene
Arbeitsgelegenheit anzutreten, für ihn ergeben, wenn für die Weigerung kein wichtiger Grund vorliegt. Diese strengen
Anforderungen ergeben sich aus der Funktion der Rechtsfolgenbelehrung, den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
hinreichend über die gravierenden Folgen des § 31 Abs. 1 SGB II (Absenkung der für ihn maßgebenden Regelleistung
um 30 % und Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II) zu informieren und ihn in allgemeiner Form vorzuwarnen. Nur
eine verständliche Rechtsfolgenbelehrung kann die mit den Sanktionen verfolgte Zweckbestimmung, das Verhalten
des Hilfebedürftigen zu steuern, verwirklichen, (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 10.12.2009, Az.: 10.12.2009 mit vielen
Nachweisen).
Alle den Antragstellern vorgelegten Rechtsfolgenbelehrungen müssen aber vorliegend nicht nur konkret, richtig,
vollständig und zeitnah sein, sondern dürfen sich auch nicht widersprechen. Den Antragstellern wurden ja nicht nur im
Zusammenhang mit der Eingliederungsvereinbarung sondern zusätzlich auch noch im Zusammenhang mit den
Vermittlungsangeboten jeweils unterschiedliche Rechtsfolgenbelehrungen übergeben.
Ein Widerspruch zwischen den beiden Rechtsfolgenbelehrungen ist jedoch nicht ersichtlich. Beide Belehrungen
weisen ausdrücklich darauf hin, dass das ALG II um einen Betrag in Höhe von 30 % der für den Betroffenen
maßgebenden Regelleistung abgesenkt werde, falls die angebotene Arbeitsgelegenheit abgelehnt werde, bzw. wenn
gegen die in Nr. 2 der Eingliederungsvereinbarung vereinbarten Eingliederungsbemühungen verstoßen werde (d. h. u.
a. die dort konkret benannte Arbeitsgelegenheit abgelehnt werde).
Die Rechtsfolgenbelehrungen in den Eingliederungsvereinbarungen vom 23.02.2010 sind aber unklar bzw. nicht
verständlich und daher nicht richtig, wobei in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen ist, dass die Widersprüche
im Hinblick auf die durch Verwaltungsakt erlassenen Eingliederungsvereinbarungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 1 SGB II
keine aufschiebende Wirkung haben.
In den Rechtsfolgenbelehrungen der Eingliederungsvereinbarungen vom 23.02.2010 wird ausgeführt, dass das ALG II
um einen Betrag in Höhe von 30 % der Regelleistung gekürzt werde, wenn erstmals gegen die in der
Eingliederungsvereinbarung vereinbarten Eingliederungsbemühungen verstoßen werde. Danach ist – wie die
Antragsteller zutreffend ausgeführt haben – unklar, ob die Sanktion bereits bei einmaligem Verstoß wirkt oder erst
wenn gegen alle Bemühungen verstoßen wurde, also kumulativ. Da also die Rechtsfolgenbelehrungen unklar gefasst
sind, kann dies nicht zum Nachteil der Antragsteller gereichen. Die Rechtsfolgenbelehrungen sind insoweit
unwirksam, mit der Folge dass die Sanktionen gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II rechtswidrig sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 ff SGG.