Urteil des SozG Landshut vom 12.08.2010

SozG Landshut: krankheit, arbeitsunfähigkeit, diabetes mellitus, krankengeld, osteoporose, diagnose, krankenversicherung, hypertonie, unterbrechung, einverständnis

Sozialgericht Landshut
Urteil vom 12.08.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 1 KR 22/09
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Krankengeldzahlung über den 08.09.2008 hinaus.
Der 1950 geborene Kläger war bis 30.04.2007 als Molkereifachmann versicherungspflichtig beschäftigt. Ab 25.04.2007
war er arbeitsunfähig krank mit Krankengeldbezug bis 02.06.2007. Vom 03.06.2007 bis 04.07.2007 bezog der Kläger
Arbeitslosengeld, vom 05.07.2007 bis 08.09.2008 erneut Krankengeld, vom 09.09.2008 bis 02.02.2009 wiederum
Arbeitslosengeld, vom 03.02.2009 bis 04.03.2009 erhielt er während einer stationären Rehamaßnahme in B. F.
Übergangsgeld und ab 05.03.2009 erneut Arbeitslosengeld. Den Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers lagen die
Diagnosen Impingementsyndrom rechte Schulter, Muskeldysbalance des Rumpf- und Extremitätenbereiches, Bursitis
trochanterica beidseits und mittelgradige depressive Episode zugrunde. Vom 18.10.2007 bis 25.10.2007 wurde der
Kläger stationär in der neurologischen Klinik des Klinikums P. behandelt. Der Arztbrief vom 24.10.2007 enthält die
Diagnosen endokrine Orbitopathie, latente Hyperthyreose bei V.a. Basedow-Krankheit, arterielle Hypertonie und
kombinierte Hyperlipidämie. Der medizinische Dienst der Krankenversicherung stellte am 30.06.2008 fest, dass zwar
ab Oktober 2007 die Beschwerden von Seiten der neu diagnostizierten und behandelten Morbus Basedow-Erkrankung
au-begründend in den Vordergrund getreten seien, gleichzeitig habe aber auch Arbeitsunfähigkeit wegen der
orthopädischen Diagnosen bestanden.
Mit Schreiben vom 10.07.2008 teilte die beklagte Krankenkasse dem Kläger mit, dass für die laufende
Arbeitsunfähigkeit die Höchstbezugsdauer von 546 Tagen am 08.09.2008 erreicht sei und mit diesem Tag der
Krankengeldanspruch ende. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2009
zurückgewiesen: Für die erstmals im Oktober 2007 diagnostizierte Morbus Basedow-Erkrankung beginne zwar
grundsätzlich ein neuer Drei-Jahres-Zeitraum. Allerdings hätten die orthopädischen Erkrankungen weiter bestanden,
so dass es sich bei der Morbus Basedow-Erkrankung um eine hinzutretende Krankheit im Rechtssinne handle;
hierdurch würde die Höchstbezugsdauer für Krankengeld grundsätzlich nicht verlängert.
Mit seiner Klage zum Sozialgericht Landshut widersprach der Kläger der Feststellung, dass der Krankengeldanspruch
wegen Erreichens der Höchstbezugsdauer mit Ablauf des 08.09.2008 erschöpft sei. Die höchstrichterliche
Rechtsprechung habe entschieden, dass es sich bei einer wiederholten Erkrankung im Rechtssinne um dieselbe
Krankheit handle, wenn ihr dieselbe nicht behobene Krankheitsursache zugrunde liege. Dies sei vorliegend nicht der
Fall. Die Krankheitszeiten in der Vergangenheit hätten nahezu ausschließlich auf einem orthopädischen
Beschwerdebild beruht, die Arbeitsunfähigkeit ab Oktober 2007 resultiere hingegen ausschließlich auf der
diagnostizierten Morbus Basedow-Erkrankung, so dass ab Oktober 2007 ein neuer Drei-Jahres-Zeitraum in Gang
gesetzt werde. Verwiesen wurde ferner darauf, dass auf den letzten Krankengeldauszahlscheinen der Dres.G. keine
M-Diagnosen au-begründend mehr aufgeführt worden seien.
In ihrer Klageerwiderung vom 07.04.2009 verwies die Beklagte u.a. auf das MDK-Gutachten vom 30.06.2008, worin
bestätigt wird, dass die M-Diagnosen nicht nur bis auf Weiteres vorliegen, sondern auch für sich allein noch weitere
Arbeitsunfähigkeit begründen. Das Fortbestehen der orthopädischen Erkrankungen würde auch in der Aufnahme- und
Entlassungsanzeige des Orthopädiezentrums B. F. bestätigt, wonach der Kläger wegen der Diagnose M 16 von der
Deutschen Rentenversicherung eine Rehabilitationsmaßnahme bewilligt bekam und am 04.03.2009 aus der Reha
weiterhin als arbeitsunfähig entlassen wurde. Auch die Folgebescheinigung der Gemeinschaftspraxis Dr. med. G. vom
01.04.2009 weise weiterhin eine M-Diagnose auf.
Das Gericht holte Befund- und Behandlungsberichte von den behandelnden Ärzten ein und ernannte den Chirurgen Dr.
N. zum ärztlichen Sachverständigen und beauftragte ihn mit der Erstellung eines Gutachtens nach Untersuchung des
Klägers. In seinem Gutachten vom 15.10.2009 gelangte Dr. N. zu der abschließenden Beurteilung, der Kläger wäre
keinesfalls auch ohne die nach dem 05.07.2007 neu aufgetretene Erkrankung (Morbus Basedow) über den gesamten
Zeitraum arbeitsunfähig gewesen. Eine Aussage darüber, ob der Kläger bei akuter Verstärkung seiner
verschleißbedingten Beschwerden zwischendurch notwendigerweise auch krankgeschrieben worden wäre, sei
spekulativ.
Auf die Einwendungen des Beklagten mit Schreiben vom 17.11.2009 nahm der gerichtliche Sachverständige am
11.12.2009 ergänzend Stellung. Hierzu äußerte sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.12.2009.
Mit Schriftsatz vom 20.04.2010 stellte der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Antrag, den Bescheid der
Beklagten vom 10.07.2008 in der Fassung des Widerspruchsbe-scheides vom 22.01.2009 aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, dem Kläger kalendertägliches Krankengeld über den 08.09.2008 hinaus bis zum 30.06.2009
nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hatte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Kammer hat im Rahmen der Beweisaufnahme die Akten der Beklagten, die Akte der Agentur für Arbeit P.
(einschließlich der ärztlichen Unterlagen) sowie die Schwerbehindertenakte des Zentrums Bayern Familie und
Soziales, Landshut, zum Verfahren beigezogen.
Auf die beigezogenen Akten und Unterlagen, auf die im Klageverfahren zwischen den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 30.03.2010 wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Beklagte hat zu Recht die Krankengeldzahlung mit Wirkung zum
08.09.2008 eingestellt, weil die Höchstbezugsdauer von 546 Tagen innerhalb des am 10.10.2005 beginnenden Drei-
Jahres-Zeitraums erreicht war. Der angefochtene Bescheid vom 10.07.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.01.2009 ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach § 48 Abs.1 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der
Arbeitsunfähigkeit wegen "derselben Krankheit" jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren,
gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Tritt während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit
hinzu, wird die Leistungsdauer nach Abs.1 Satz 2 nicht verlängert. Für Versicherte, die im letzten Drei-Jahreszeitraum
wegen derselben Krankheit für 78 Wochen Krankengeld bezogen haben, besteht gem. § 48 Abs.2 SGB V nach Beginn
eines neuen Drei-Jahreszeitraumes ein neuer Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Krankheit nur dann, wenn
sie bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krankengeld versichert sind und in der Zwischenzeit
mindestens sechs Monate nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig waren und erwerbstätig waren oder der
Arbeitsvermittlung zur Verfügung standen.
Entsprechend dieser gesetzlichen Regelung hat die Beklagte die Zahlung von Krankengeld am 08.09.2008 zu Recht
eingestellt, da die Höchstbezugsdauer erreicht war. Zwar handelte es sich bei der im Oktober 2007 erstmals
diagnostizierten Morbus Basedow-Erkrankung unzweifelhaft nicht um "dieselbe Krankheit" im Sinne des § 48 Abs.1
Satz 1 SGB V. Die Kammer geht jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mit der Beklagten davon aus, dass
der Kläger auch ohne die Morbus Basedow-Erkrankung im maßgeblichen Zeitraum weiterhin wegen seiner
Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems (M-Diagnosen) arbeitsunfähig gewesen wäre. Dies ergibt sich u.a. aus
den Feststellungen des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Gutachten Dr. G. vom 30.06.2008, den
orthopädischen Befundberichten des Dr. E. vom November 2007 bis Juni 2008 und der Arztanfrage des MDK bei
Dres. G. vom 21.05.2008). Das Fortbestehen von (zahlreichen) M-Diagnosen bestätigt auch der Entlassungsbericht
des Orthopädiezentrums B. F. vom 04.03.2009. Aussagekräftig sind in diesem Zusammenhang ferner die vom
ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit P. am 24.03.2009 und 02.10.2008 erstellten Gutachten. Als vermittlungs- und
beratungsrelevante Gesundheitsstörungen werden dort aufgeführt: Chronisches Brust- und
Lendenwirbelsäulensyndrom mit Minderbelastbarkeit. Minderbelastbarkeit beider Hüftgelenke bei Fehlstellung,
Osteoporose und nach operativem Eingriff. Minderbelastbarkeit der Schultergelenke rechts stärker als links.
Minderbelastbarkeit linkes Knie bei Innenmeniskusschaden. Bluthochdruck, medikamentös behandelt, Übergewicht.
Nächtliche Atemstörung (Schlafapnoesyndrom). Depressive Störung mit Schlafstörungen,
Schilddrüsenfunktionsstörung (Gutachten vom 24.03.2009). Trotz dieser Gesundheitsstörungen wird ein
vollschichtiges Leistungsbild für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes festgestellt. Das arbeitsamtsärztliche
Gutachten vom 02.10.2008 enthält folgende Diagnosen: Anschlussbehandlung der operativen Versorgung beider
Hüften. Chronische Wirbelsäulenbeschwerden. Chronische Schulterbeschwerden. Schilddrüsenerkrankung.
Schlafapnoesyndrom.
Schließlich wurden vom behandelnden Hausarzt mit Befundbericht vom 02.07.2009 fol-gende Diagnosen mitgeteilt:
Zunehmende Coxarthrosen beidseits bei Hüftkopfnekrose beidseits trotz Dekompressionsoperation beidseits, Z.n.
BWK 11 Deckplatteneinbruch bei Osteoporose. Chronisches Wirbelsäulensyndrom. Chronisches
Impingementsyndrom beider Schultern. Morbus Basedow mit endokriner Ophtalmopathie und Doppelbildern. Arterielle
Hypertonie. Kortisoninduzierter, derzeit subklinischer Diabetes mellitus. Hyperlipidämie. Schlafapnoesyndrom
(Schlafmaskenträger). Anhaltende depressive Episode mäßigen Grades. Übergewicht.
In Anbetracht dieser ärztlichen Feststellungen des MDK, des ärztlichen Dienstes des Arbeitsamtes, des Rehaträgers
sowie der behandelnden Hausärzte besteht für die Kammer kein Zweifel, dass der Kläger auch ohne die Morbus
Basedow-Erkrankung weiterhin arbeitsunfähig gewesen wäre. Demnach handelt es sich, wie von der Beklagten
zutreffend festgestellt, um eine sogenannte hinzutretende Erkrankung, die den Leistungsanspruch in der jeweiligen
Blockfrist nicht verlängert.
Dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. N. vermochte die Kammer nicht zu folgen. Hierbei kann
dahingestellt bleiben, ob die Erkrankung an Morbus Basedow bereits bei der am 05.07.2007 attestierten erneuten
Arbeitsunfähigkeit vorlag oder erst ab Oktober 2007. Auch wenn man mit dem gerichtlichen Sachverständigen Dr. N.
davon ausgeht, der Kläger wäre im maßgeblichen Zeitraum (09.09.2008 bis 30.06.2009) schon aufgrund der Morbus
Basedow-Erkrankung arbeitsunfähig gewesen, ändert dies jedoch nichts an der Charakterisierung als hinzugetretene
Erkrankung, denn der Kläger wäre auch ohne diese neue Erkrankung weiterhin wegen seiner orthopädischen Leiden
arbeitsunfähig gewesen.
Die Entscheidung der Kammer wird durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestätigt. Danach liegt
"dieselbe Krankheit" vor, solange eine Grunderkrankung nicht ausgeheilt ist und immer wieder zu
behandlungsbedürftigen bzw. Arbeitsunfähigkeit bedingenden Krankheitserscheinungen führt. Ob diese Erscheinungen
in gleicher Weise und ohne zeitliche Unterbrechung fortbestehen, ist demgegenüber unerheblich (Urteil des
Bundessozialgerichts vom 07.12.2004, B 1 KR 10/03 R).
Die Klage war daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Im ausdrücklichen Einverständnis der Beteiligten hat die Kammer nach § 124 Abs.2 SGG entschieden.
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