Urteil des SozG Landshut vom 25.02.2010

SozG Landshut: geschäftsführer, vertrauensschutz, anteil, firma, versicherungspflicht, einfluss, angestellter, urlaub, abhängigkeit, sperrminorität

Sozialgericht Landshut
Urteil vom 25.02.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 1 KR 272/08
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ab 01.04.2002.
Der Kläger ist seit 11.03.1999 Geschäftsführer der Beigeladenen zu 2 (E.T. GmbH, früher: G. K. GmbH, L.). Im
maßgeblichen Zeitraum war der Kläger, ebenso wie drei weitere Gesellschafter, mit einem Anteil von jeweils 10 % am
Stammkapital beteiligt, ein Gesellschafter (B. G.) hatte einen Anteil von 60 % inne. Der Geschäftsführervertrag vom
31.03.1999 enthält u.a. folgende Regelungen: - Der Kläger vertritt die Gesellschaft mit einem anderen Geschäftsführer
oder einem Prokuristen (§ 1 Ziff.1) - Der Vertrag kann mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt
werden. Die Gesellschafterversammlung kann die Bestellung des Klägers zum Geschäftsführer jederzeit durch
Beschluss widerrufen (§ 2 Ziff.1 und 3) - Der Geschäftsführer erhält ein Jahresgehalt von brutto 90.000 DM, ferner
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für sechs Wochen (§ 3 Ziff.1 und 2) - Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40
Stunden. Der Geschäftsführer hat Anspruch auf einen Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen (§ 4).
Nach dem Gesellschaftervertrag bedürfen Gesellschafterbeschlüsse grundsätzlich einer Mehrheit von 2/3 der
abgegebenen Stimmen.
Aufgrund eines vom Kläger gestellten Antrags auf Beurteilung der Sozialversicherungspflicht stellte die BKK K.
(Rechtsvorgängerin der Beklagten) mit Bescheid vom 28.10.2004 fest, dass die Tätigkeit des Klägers ab 01.04.1999
nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Begründet wurde diese Entscheidung u.a. damit, dass der Kläger mit
einem Anteil von 20 % an den Stammeinlagen beteiligt sei. Er verfüge als einziger Geschäftsführer über die für die
Führung des Unternehmens erforderlichen einschlägigen Branchenkenntnisse und übe seine Tätigkeit im
Wesentlichen weisungsfrei aus. Von dem Selbstkontrahierungsverbot nach § 181 BGB sei er befreit. Er könne
selbständig Personal einstellen und entlassen und müsse seinen Urlaub nicht genehmigen lassen.
Am 31.03.2005 traf die Beklagte eine analoge Entscheidung für die Zeit ab 01.04.2002.
Gegen die Entscheidung des Beklagten, den Kläger dem Personenkreis der selbständig Tätigen zuzuordnen, legte die
Deutsche Rentenversicherung Bund mit Schreiben vom 13.09.2006 Widerspruch ein und bat um erneute Prüfung der
Versicherungspflicht.
Mit Schreiben vom 09.10.2006 teilte hierauf die Beklagte dem Kläger und der Firma G. K. GmbH die Rücknahme des
Bescheides vom 31.03.2005 gem. §§ 45, 49 SGB X mit. Die erneute Prüfung im Rahmen des
Widerspruchsverfahrens habe ergeben, dass der Bescheid rechtswidrig sei. Die Beschäftigung bei der Firma G. K.
GmbH sei seit Beginn der Mitgliedschaft bei der BKK M. O. am 01.04.2002 nicht versicherungsfrei, sondern als
Beschäftigungsverhältnis gem. § 7 Abs.1 SGB IV anzusehen. Der vom Kläger gegen diese Entscheidung erhobene
Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2008 zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage.
Zur Begründung wurde vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Wesentlichen vorgetragen: Der Kläger genieße
Vertrauensschutz. Er habe eine private Altersversorgung abgeschlossen, die nur unter hohen Verlusten gekündigt
werden könne. Die Rücknahme des Verwaltungsaktes vom 31.03.2005 sei daher wegen § 45 Abs.2 SGB X
unzulässig. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift sei auch nicht durch § 49 SGB X ausgeschlossen. Bei dem
Schreiben der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 13.09.2006 handle es sich nicht um einen Drittwiderspruch,
da vorliegend ein Vorverfahren nicht zulässig sei.
In ihrer Klageerwiderung vom 28.05.2009 verwies die Beklagte darauf, dass nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts auch Versicherungsträger "Dritte" im Sinne des § 49 SGB X sein können. Auf Vertrauensschutz
könne sich der Kläger demnach nicht berufen.
Mit Beschluss vom 09.06.2009 hat die Kammer die Deutsche Rentenversicherung Bund, die G. K. GmbH, die
Bundesagentur f. Arbeit, sowie die BKK M.l O. - Pflegekasse - zum Verfahren beigeladen.
Zur Sache wurde vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragen: Der Kläger sei aufgrund seiner Kenntnisse
und seiner Stellung in dem Unternehmen in der Lage, maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen in der
Gesellschaft zu nehmen. In erster Linie bestimme der Kläger seine Tätigkeit selbst und trage auch das
Unternehmerrisiko. Der Kläger sei der "Kopf des Betriebes" und verfüge über die alleinigen Branchenkenntnisse bei
den Gesellschaftern. Rein tatsächlich sei es so, dass die Entscheidungen, die von der Gesellschafterversammlung
getroffen werden, ausschließlich im Sinne des Klägers erfolgen. Der Kläger sei zudem nicht hinsichtlich Ort und Zeit
an den Betrieb gebunden. Er könne seine Arbeit frei einteilen und müsse seinen Urlaub nicht genehmigen lassen.
Insofern sei lediglich eine Abstimmung mit den anderen Gesellschaftern erforderlich. Zu berücksichtigen sei auch,
dass der Kläger Gründungsgesellschafter und vom Selbstkontrahierungsverbot gem. § 181 BGB befreit sei. Der
Kläger trage als Gesellschafter auch maßgeblich das unternehmerische Risiko; er sei direkt am Misserfolg des
Unternehmens beteiligt. Aufgrund der schlechten Ertragslage habe sich sein Einkommen ab dem 01.03.2005
reduziert, in den Jahren 2000 bis 2002 habe er Gewinnausschüttungen erhalten. Wegen des weiteren Vorbringens wird
auf den Schriftsatz vom 08.07.2009 Bezug genommen.
Nach Angabe des Klägers in der mündlichen Verhandlung besteht die Gesellschaft nach dem Ausscheiden des
früheren Hauptgesellschafters seit Februar 2009 aus vier Gesellschaftern mit einem Kapitalanteil von jeweils 25 %.
Alle vier Gesellschafter würden im Unternehmen mitarbeiten, er selbst sei weiterhin Alleingeschäftsführer. Seine
Haupttätigkeit könne folgendermaßen beschrieben werden: Acquise, Kundenbetreuung, Angebotserstellung,
technische Konzeption, Rechnungserstellung, Vertragsverhandlungen mit Dritten, eigentlich sei er eine Art "Mädchen
für alles".
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte den Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 09.10.2006 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2008 aufzuheben.
Der Beklagtenvertreter stellte den Antrag, die Klage abzuweisen.
Für die Beigeladenen wurden keine Anträge gestellt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der
beigezogenen Beklagtenakte, auf die im Klageverfahren zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie
auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger war als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 2) in der Zeit ab
01.04.2002 versicherungspflichtig beschäftigt. Die Beklagte war auch berechtigt, ihre frühere Entscheidung vom
31.03.2005 aufzuheben und eine neue Entscheidung zu treffen. Wegen § 49 SGB X kann sich der Kläger nicht auf
Vertrauensschutz im Sinne des § 45 Abs.2 SGB X berufen. Die angefochtene Entscheidung vom 09.10.2006 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2008 ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Gemeinsame Voraussetzung für die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Renten, Pflege- und
Arbeitslosenversicherung ist, dass der Betreffende gegen Entgelt beschäftigt wird. Beschäftigung ist nach der
Legaldefinition des § 7 Abs.1 SGB IV die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Danach
ist Arbeitnehmer, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönliche Abhängigkeit bedeutet
Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers. Das Weisungsrecht kann
allerdings besonders bei Diensten höherer Art erheblich eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe
am Arbeitsplatz verfeinert" sein. Kennzeichnend für eine selbständige Tätigkeit sind demgegenüber das eigene
Unternehmerrisiko, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die Möglichkeit, frei über Arbeitsort
und Arbeitszeit zu verfügen. In Zweifelsfällen kommt es darauf an, welche Merkmale überwiegen. Dies richtet sich
nach den Umständen des Einzelfalles, wobei die vertragliche Ausgestaltung im Vordergrund steht, die allerdings
zurücktritt, wenn die tatsächlichen Verhältnisse entscheidend davon abweichen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts
vom 14.12.1999 B 2 U 38/98 R m.w.N.).
Bei einem Geschäftsführer einer GmbH, der zugleich deren Gesellschafter ist, hängt die Versicherungspflicht primär
von der Höhe seiner Kapitalbeteiligung ab. Ist der Geschäftsführer Mehrheitsgesellschafter oder, bei einer geringeren
Kapitalbeteiligung, verfügt er über eine Sperrminorität, aufgrund derer er ihm nicht genehme Beschlüsse verhindern
kann, fehlt es an der persönlichen Abhängigkeit im Verhältnis zur GmbH.
Nach den Gesamtumständen ist der Kläger aufgrund des Gesellschaftsvertrages und des Geschäftführervertrages als
(leitender) Angestellter der GmbH zu betrachten. Der Kläger besaß bis zum Ausscheiden des früheren
Hauptgesellschafters im Februar 2009 lediglich einen Kapitalanteil von 10 %, er verfügte auch nicht über eine
Sperrminorität in der GmbH, die ihm einen darüber hinausgehenden gesellschaftsrechtlichen Einfluss verschafft hätte.
Im Gegenteil, im Gesellschaftsvertrag ist vorgesehen, dass Gesellschafterbeschlüsse mit 2/3 Mehrheit der
abgegebenen Stimmen gefasst werden (§ 12 Ziff. 2). § 11 Ziff. 7 des Gesellschaftsvertrages enthält darüber hinaus
die ausdrückliche Bestimmung, dass die Geschäftsführer für alle über den gewöhnlichen Umfang des
Geschäftsbetriebes der Gesellschaft hinausgehenden Handlungen der vorherigen Zustimmung der Gesellschaft
bedürfen. Beispielhaft sind in diesem Zusammenhang u.a. aufgezählt: - Abschluss von Anstellungsverträgen ab
einem jährlichen Bruttogehalt von 80.000 Euro - Erteilung oder Entzug von Prokura - Aufnahme von Krediten und
Gewährung von Darlehen - Verträge, die die Gesellschaft im Einzelfall mit mehr als 25.000 Euro belasten
Auch die Ausgestaltung des Geschäftsführervertrages weist typische Bestandteile von Arbeitsverträgen abhängig
beschäftigter Personen auf. So hat der Geschäftsführer u.a. Anspruch auf eine feste jährliche Vergütung,
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, eine bestimmte wöchentliche Arbeitszeit sowie Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen
(der im Einvernehmen mit dem Gesellschaftern zu nehmen ist). Außerdem enthält der Anstellungsvertrag eine
Kündigungsfrist sowie die Klausel, dass der Geschäftsführer seine ganze Arbeit ausschließlich der Gesellschaft zu
widmen hat. Regelungen darüber, dass sich das Gehalt des Geschäftsführers am Verlust und Gewinn der
Gesellschaft orientiert oder sonstige Bestimmungen über die Zahlung gewinnabhängiger Tantiemen, neben dem
Festgehalt, enthält der Vertrag nicht.
In Anbetracht der vertraglichen Ausgestaltung des Geschäftsführervertrages i.V.m. dem Gesellschaftervertrag stand
der Kläger nach Auffassung der Kammer im maßgeblichen Zeitraum in einem Beschäftigungsverhältnis zur GmbH.
Die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgezeigten Aspekte vermögen die Annahme einer selbständigen
Tätigkeit nicht zu begründen. In welchem Umfang der frühere Hauptgesellschafter tatsächlich Einfluss auf die GmbH
genommen hat, ist unerheblich. Abzustellen ist in diesem Zusammenhang nicht auf die konkret erteilten Weisungen,
sondern entscheidend ist die Rechtsmacht des Mehrheitsgesellschafters. Dieser konnte, rechtlich gesehen,
zumindest gemeinsam mit einem weiteren Gesellschafter, die Geschicke der Gesellschaft bestimmen, z.B. auch den
Kläger als Geschäftsführer entlassen. Aus dem genannten Grund ist es auch unerheblich, ob, wie vorgetragen wird,
keine Entscheidungen existieren, die sich gegen den Kläger gerichtet hätten. Dass der Kläger als Geschäftsführer
sich den Urlaub nicht genehmigen lassen muss und auch nicht an feste Dienstzeiten gebunden ist, lässt sich in
Anbetracht seiner Position als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer ohne weiteres nachvollziehen. Nicht
nachvollziehen lässt sich jedoch die weitere Aussage, die G. K. GmbH bzw. E.T. GmbH werde "persönlich von dem
Kläger dominiert". Zum einen steht diese Aussage in eklatantem Widerspruch zur gesellschaftsrechtlichen Position
des Klägers, zum andern zu seiner eigenen Einlassung in der mündlichen Verhandlung, in der er sein Tätigkeitsfeld
folgendermaßen beschreibt: "Acquise, Kundenbetreuung, Angebotserstellung, technische Konzepte,
Rechnungserstellung, Vertragsverhandlungen mit Dritten, eigentlich sei er so eine Art Mädchen für alles". Der Kläger
trägt auch kein wesentliches Unternehmensrisiko. Mit Schriftsatz vom 08.07.2009 wurde zwar erstmalig vorgetragen,
dass es im Jahre 2005 und 2006 zu einer vorübergehenden Einkommensreduzierung aufgrund schlechter Ertragslage
gekommen sei. Worin diese "Einkommensreduzierung" bestand, wurde nicht näher ausgeführt oder unter Beweis
gestellt. Dass ein leitender Angestellter Teile seines Gehalts dem Betrieb vorübergehend als Darlehen gewährt, ist
zwar nicht der Normalfall, aber auch nicht so ungewöhnlich, dass sich ein solches Verhalten nicht mit der
sozialversicherungsrechtlichen Einordnung als Arbeitnehmer vereinbaren ließe.
Leitende Mitarbeiter, noch dazu wenn sie kapitalmäßig mit der Firma verflochten sind, haben oftmals wesentlichen
Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung und Ausrichtung "ihres" Unternehmens. Es liegt an den Beteiligten, ob und
welche arbeitsvertraglichen, eigentumsrechtlichen oder gesellschaftsrechtlichen Konsequenzen sie ziehen. Im
vorliegenden Fall hat man sich, aus welchen Gründen auch immer, dafür entschieden, dass der Kläger angestellter
Geschäftsführer der GmbH sein soll. Für eine nachträgliche anderweitige Beurteilung besteht keine Veranlassung.
Vertrauensschutz im Sinne des § 45 SGB X steht dem Kläger im Hinblick auf § 49 SGB X nicht zu. Dass die
Deutsche Rentenversicherung Bund als von der Entscheidung der Einzugsstelle unmittelbar betroffener
Versicherungsträger berechtigt war, Widerspruch zu erheben, entspricht der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 01.07.1999 B 12 KR 2/99 R). Im Übrigen wusste der Kläger spätestens seit
Erlass des Bescheides vom 09.10.2006, dass die ihm mit Bescheid vom 31.03.2005 konzedierte
Versicherungsfreiheit streitig ist. Als vorsichtiger Kaufmann hätte er finanzielle Vorsorge für den Fall treffen können,
dass es zu einer Revision der ursprünglichen Entscheidung kommt.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten.