Urteil des SozG Konstanz vom 30.04.2013

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SG Konstanz Beschluß vom 30.4.2013, S 6 SF 1922/12 E
Sozialgerichtliches Verfahren: Entschädigung von Zeitversäumnis infolge der
Teilnahme an einem Erörterungstermin durch Mitarbeiter einer Sozialbehörde
Tenor
Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
1 Die Erinnerungsführerin begehrt die Entschädigung von Zeitversäumnis für eigene
Bedienstete bei der Teilnahme an einem Erörterungstermin.
2 Im Verfahren S 6 U 2869/10 fand am 14.12.11 ein Erörterungstermin statt. Dieser
endete mit Vergleich. Der Kläger anerkannte die grundsätzliche Beitragspflicht für
die veranlagten Grundstücke. Der Beklagte sicherte eine Neuberechnung der
Beiträge zu. Die Kosten wurden halbiert.
3 Mit Schriftsatz vom 15.05.12 machte die Erinnerungsführerin ihre Kosten geltend.
Insgesamt errechnete sie 232,40 EUR, von denen die Hälfte in Höhe von 116,20
EUR geltend gemacht wurde. Hierin war mit enthalten eine Entschädigung für
Zeitversäumnis gem. § 202 SGG i.V.m. § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO, § 20 JVEG von 7,0
Std. a 3,00 EUR.
4 Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 04.07.12 wurden zu erstattende Kosten
von 105,70 EUR festgesetzt. Die Kosten für Zeitversäumnis wurde hierbei nicht
berücksichtigt. Nach § 197 a Rdziff. 27 SGG - gemeint ist wohl die Kommentierung
in Meyer-Ladewig - könnten Kosten für die Prozessvertretung durch eigene
Bedienstete nicht erstattet werden.
5 Am 23.07.12 hat die Antragstellerin Erinnerung eingelegt. Sie verweist darauf, dass
nach ihrer Auffassung sich der Kommentierung von Leitherer in Mayer-
Ladewig/Keller/Leitherer 9. Aufl. zu § 197 a SGG entnehmen lasse, dass die
Kosten für die Wahrnehmung eines Termins durch einen Behördenvertreter
erstattungsfähig seien. Ferner wurde auf diverse Entscheidungen verwiesen.
6 Nachdem das Gericht gebeten hatte, mindestens eine der zitierten
Entscheidungen vorzulegen und auf die Kommentierung zu § 193 SGG im
Kommentar von Henning hinwies, legte die Antragstellerin Entscheidungen der
Sozialgerichte Augsburg, Landshut, München, Meiningen und Gotha vor.
Bezüglich der zitierten Kommentierung zu § 193 SGG wurde die Auffassung
vertreten, dass diese vorliegendenfalls nicht anwendbar wäre, da eine
Kostenentscheidung auf Grundlage des § 197 a SGG zu treffen sei. Nochmals
wurde auf die Kommentierung in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer Bezug
genommen.
7 Im Aufklärungsschreiben vom 20.02.13 hat das Gericht auf Kommentierungen in
der Literatur zu § 162 VwGO hingewiesen, wonach eine Entschädigung für
Zeitversäumnis nicht möglich wäre. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass die
vorgelegten Entscheidungen im Grunde keine Rechtsausführungen machen
würden und dass § 162 VwGO lediglich auf die Nr. 7002 der Anlage 1 zum RVG
verweise, nicht jedoch auf die Nr. 7005, wie sie beispielsweise vom Sozialgericht
München im Beschluss vom 16.06.11 zugrunde gelegt wurde. Ferner wurde
generell darauf hingewiesen, dass diesen Entscheidungen nicht zu entnehmen
sei, inwieweit neben der Vorschrift des § 197 a SGG i.V.m. den Vorschriften des
SGG überhaupt Raum bestünde, auf die Regelungen der ZPO zurückzugreifen.
8 Mit Schreiben vom 22.03.13 verwies die Erinnerungsführerin nochmals auf die
Kommentierung im Kommentar von Mayer-Ladewig und legte ferner die
Kommentierung von Olbertz in Schoch/Schneider/Bier
Verwaltungsgerichtsordnung 23. Ergänzungslieferung 2012, § 162 Rdziff. 22 vor.
Dort werde ausführlich und überzeugend ausgeführt, weshalb die Kosten für die
Wahrnehmung eines Termins durch einen Behördenvertreter erstattungsfähig
seien. Entgegen den vom Gericht zitierten Kommentaren zur VwGO könnte diese
Argumentation auf die Antragstellerin als Berufsgenossenschaft nicht übertragen
werden, da sie sich aus Umlagen und nicht aus allgemeinen Steuermitteln
finanziere. Ferner sei unstrittig, dass Reisekosten zu erstatten wären. Desweiteren
wird noch ein Bezug hergestellt zur vergleichbaren Problematik bei juristischen
Personen des Privatrechts. Bezüglich der Verweisung des § 197 a SGG auf
Vorschriften der VwGO fehle dort eine nähere Festlegung, welche Aufwendungen
im Einzelfall erstattungsfähig seien. Deswegen sei auf § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO
zurückzugreifen. Diese Regelung sei im Verwaltungsprozess gem. § 173 S. 1
VwGO entsprechend anzuwenden. Die Aussage des § 162 Abs. 1 VwGO, was im
Einzelfall zu den Kosten gehöre, sei weitaus weniger bestimmt als in § 91 Abs. 1
ZPO. Über § 202 SGG finde die ZPO auch im Sozialgerichtsverfahren
entsprechend Anwendung. Die Bedenken des Gerichts könnten insoweit nicht
nachvollzogen werden. Es sei auch kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb ein
Bürger, der eine Verwaltungsentscheidung nicht akzeptiere und der eine
gerichtliche Überprüfung, als eine nicht nach § 183 SGG kostenmäßig privilegierte
Person im Klageverfahren betreibe, welches einen Zeitaufwand bei der Behörde
für die Verteidigung der Verwaltungsentscheidung verursache, nicht für das
Zeitversäumnis des Behördenvertreters eine Entschädigung leisten solle, wenn er
im Prozess unterliege.
II.
9 Die Erinnerung nach § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig, jedoch
nicht begründet.
10 Auf die Erinnerung hin prüft das Gericht die Erstattung der Kosten in dem Umfang,
in dem sie geltend gemacht werden. Das Gericht entscheidet nach eigenem
Ermessen (Mayer-Ladewig, SGG, § 197 Rdziff. 10).
11 Die Entschädigung für Zeitaufwand eigener Bediensteter zur Wahrnehmung des
Gerichtstermins steht der Erinnerungsführerin nicht zu.
12 Das Gericht folgt nicht der von Leitherer vertretenen Auffassung im Kommentar
von Mayer-Ladewig, 10. Aufl., § 197 a Rdziff. 27. Leitherer gibt an dieser Stelle
keine eigene Begründung, sondern verweist auf die Kommentierung von Olbertz in
Schoch/Schneider/Bier zu § 162 VwGO Rdziff. 22. Dort ist jedoch festzustellen,
dass auch Olbertz sich bewusst ist, im Bereich des § 162 VwGO nicht die
herrschende Meinung, sondern die Mindermeinung zu vertreten. Diesbezüglich
verweist das Gericht, wie bereits im Aufklärungsschreiben vom 20.02.13, auf die
eindeutigen Kommentierungen von Neumann in Sodan/Ziekow,
Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Aufl. § 162 Rdziff. 50 und des
Standardkommentars zur VwGO Kopp/Schenke 15. Aufl. § 162 Rdziff. 4. Auch das
Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass juristische Personen des
öffentlichen Rechts und Behörden keinen Anspruch auf Entschädigung wegen
Zeitversäumnis haben bei der Wahrnehmung eines Gerichtstermins durch
Behördenvertreter (Beschluss vom 29.12.04, AZ. 9 KSt 6/04).
13 Die Ausführungen von Olbertz im o.g. Kommentar überzeugen das Gericht im
Übrigen nicht. Zwar mag der Behörde, die einen Terminsvertreter zu einem
Gerichtstermin entsendet ein errechenbarer Nachteil dadurch entstehen, dass
dieser Behördenvertreter den Gerichtstermin wahrnimmt und damit für andere
Tätigkeiten innerhalb der Behörde nicht zur Verfügung steht. Hierbei handelt es
sich aber nach Auffassung des Gerichts, im Anschluss an die im Bereich der
VwGO herrschende Meinung, nicht um Kosten, die einem rechtsuchenden Bürger
belastet werden können. In Rdziff. 23 der o.g. Kommentarmeinung von Olbertz
findet sich der Satz, dass Behörden keine Organe der Rechtspflege seien,
sondern Verwaltungsorgane und dass Behörden nicht im öffentlichen Interesse
gehalten seien zur Bearbeitung von Rechtsangelegenheiten Personal bereit zu
stellen. Diese Auffassung teilt das erkennende Gericht so nicht. Auch das
vorliegende Verfahren bewegt sich, ungeachtet der kostenrechtlichen Sonder- und
Ausnahmeregelung des § 197 a SGG, im Bereich des öffentlichen Rechtes. Wie
sich mit Hinweis auf Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz sowie auf das Rechtsstaatsgebot
erkennen lässt hält das Gericht es durchaus für vom öffentlichem Interesse
geboten, dass eine Behörde zur Bearbeitung von Rechtsangelegenheiten
Personal abstellt. Auch der Hinweis darauf, dass Behörden es freisteht, sich von
Rechtsanwälten vertreten zu lassen, entbindet Behörden nicht, interne Stellen zu
schaffen, die die Vergabe von Aufträgen an Rechtsanwälten vornehmen,
überwachen und prüfen. Auch teilt das Gericht nicht die Auffassung von Olbertz,
dass zwischen juristischen Personen des Privatrechts einerseits und juristischen
Personen des öffentlichen Rechts nebst Behörden kostenrechtlich kein
Unterschied bestehe. Anders als bei juristischen Personen des Privatrechts ist der
Spielraum juristischer Personen des öffentlichen Rechts und Behörden streng an
Recht und Gesetz gebunden. Nochmals wird in diesem Zusammenhang auf die
Rechtsstaatsgarantie und auf Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz verwiesen. Da aber auch
die Möglichkeit zur Suche und Gewährung von Rechtschutz zu den Rechten des
Bürgers gegenüber öffentlichen Behörden und Personen des öffentlichen Rechts
gehört, liegt es auf der Hand, dass diese Institutionen für die Bearbeitung
entsprechender Fälle geschultes Personal bereithalten, wie dies ja auch in der
Praxis aus guten Gründen der Fall ist. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in
seiner oben zitierten Entscheidung ähnliche Erwägungen angestellt.
14 Das Sozialgericht sieht auch keine wesentlichen Unterschiede zu Behörden im
Hinblick darauf, dass die Antragstellerin als Berufsgenossenschaft sich aus
Beiträgen finanziert und nicht aus Steuermitteln. Als Sozialversicherungsträger
sind Berufsgenossenschaften eingebettet in den Bereich des öffentlichen Rechts
und haben die daraus folgenden Vorteile wie auch die daraus folgenden
Einschränkungen zu tragen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auch
staatliche Behörden zum verantwortungsvollen Umgang mit Steuermitteln
angehalten sind und auch dort Ausgaben die Solidargemeinschaft des Staates
belasten.
15 Das Gericht weist auch nochmals darauf hin, dass die dem Gericht vorgelegten
Entscheidungen diverser Sozialgerichte keine näheren Ausführungen erkennen
lassen, warum die dort zitierten Vorschriften den Anspruch der Antragstellerin
stützen sollen.
16 Auch aus dem Hinweis der Antragstellerin, dass Reisekosten im Rahmen der
Kostenerstattung gewährt werden, kann das Gericht keinen Erfolg der Erinnerung
ableiten. Bei den Reisekosten handelt es sich um, über die Kosten der
Bereithaltung von Personal hinausgehende, einzeln abgrenzbare und damit exakt
bestimmbare Kosten. Das Gericht sieht hier einen wesentlichen Unterschied zu
den rein rechnerisch ermittelten Kosten wegen Zeitversäumnis.
17 Das Gericht kann auch keine Ungleichbehandlung darin erkennen, dass
vorliegendenfalls ein Verfahren im Rahmen des § 197 a SGG durchgeführt wurde.
Bei dieser Vorschrift handelt es sich im Bereich des SGG um eine Sonder- und
Ausnahmevorschrift in kostenrechtlicher Hinsicht. Ihre dogmatische Einführung in
das Gefüge der bisherigen Kostenregelung des SGG ist sicherlich nicht
unproblematisch. Es ist jedoch zu sehen, dass außer dieser dort getroffenen
Kostenregelung die Verfahren nach identischen Grundsätzen ablaufen. So gilt
beispielsweise auch nach wie vor der Amtsermittlungsgrundsatz und nicht der
Parteibetrieb.
18 Soweit von der Antragstellerseite noch auf eine Ungleichbehandlung zu Personen
des Privatrechts gesehen wurde, verweist das Gericht auf die obigen
Ausführungen grundsätzlicher Art zu den unterschiedlichen Rechtsbereichen. Der
vorliegende Fall bemisst sich nach den Regelungen des öffentlichen Rechts, so
dass Analogien zum Zivilrecht und zum zivilrechtlichen Verfahren allenfalls
eingeschränkt möglich sind.
19 Das Gericht weist auch noch auf Folgendes hin. Grundlage der Überlegung des
Antragstellers ist, dass ein messbarer Nachteil beim Antragsteller entsteht
dadurch, dass er Personal nicht für die Bearbeitung von Verwaltungsverfahren
einsetzen kann, sondern dieses Personal vor Gericht auftritt. Im konkreten Fall hat
hier die Erinnerungsführerin, gestützt auf § 20 JVEG einen Stundensatz von 3,00
EUR angesetzt. Dies dürfte gemessen an den tatsächlichen betriebswirtschaftlich
errechenbaren Kosten allenfalls einen Bruchteil der so ermittelten Kosten decken.
Dies bedeutet, dass die von der Antragstellerin geltend gemachten Kosten von 3,-
EUR je Stunde in keinem sinnvollen Verhältnis stehen zu der zugrunde liegenden
Argumentationslinie. Da aber über die Verweisung von § 202 SGG auf § 91 Abs. 1
S. 2 ZPO und § 20 JVEG ein höherer Satz nicht auf gesetzlicher Grundlage
gebildet werden kann, zieht das Gericht hier den Schluß, dass der Gesetzgeber
eine entsprechende Entschädigung von Zeitverlust bei einer Behörde oder einer
sonstigen Vertreterin des öffentlichen Rechts nicht gewünscht hat. So sieht dies im
Ergebnis auch das Bundesverwaltungsgericht in den Schlußausführungen der
zitierten Entscheidung.
20 Abschließend weist das Gericht noch darauf hin, dass die Anwendung von § 91
Abs. 1 ZPO im Rahmen des § 202 SGG erfolgt. Danach sind die Bestimmungen
des GVG und der ZPO entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen
Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen. Nach den o.g.
grundsätzlichen Ausführungen zur Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlichen
und privatrechtlichen Prozessbeteiligten ist das Gericht jedoch der Auffassung,
dass die Vorschrift des § 91 ZPO nicht unkorrigiert durch die Betrachtungsweise
des öffentlichen Rechts und des Sozialgerichtsgesetzes angewandt werden
können. Es gehen die Besonderheiten des SGG-Verfahrens vor. Diese schließen
jedoch im Rahmen des § 162 VwGO die Erstattung von Zeitaufwand aus. Auch
hier befindet sich die vorliegende Entscheidung im Einklang mit dem zitierten
Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts.
21 Die Erinnerung war daher zurückzuweisen.
22 Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).