Urteil des SozG Köln vom 18.01.2003
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Sozialgericht Köln, S 9 KR 601/01
Datum:
18.01.2003
Gericht:
Sozialgericht Köln
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
S 9 KR 601/01
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Gründe:
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I.
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Streitig ist die Kostenübernahme einer außervertraglichen Behandlungsmethode, der
Liposuktion (Fettabsaugung).
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Die am 00.00.1979 geborene Klägerin leidet seit Jahren an einem erblich bedingten
schmerzhaften Lipolymphödem, das symmetrisch an den Oberschenkeln und Armen
ausgeprägt ist. Nach Angaben des behandelnden Facharztes für Haut- und
Geschlechtskrankheiten Dr. D ist die Krankheit alimentär nicht zu beeinflussen und
diätetisch nicht korrigierbar.
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Bereits im Jahre 1999 hatte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf
Kostenübernahme einer Liposuktion gestellt, die von Dr. D als medizinisch notwendige
und klar indizierte Therapiemaßnahme befürwortet worden war. Nachdem die Beklagte
den Antrag mit Bescheid vom 19.03.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 09.05.2000 abgelehnt hatte, hatte die Klägerin unter dem Aktenzeichen S 9 KR
116/00 vor dem Sozialgericht Köln Klage erhoben. Nach Einholung einer
Stellungnahme des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen,
Arbeitsausschuss "Ärztliche Behandlung" vom 09.08.2000 nahm die Klägerin die Klage
in der Sitzung vom 19.12.2000 nach einem Hinweis der Kammer zurück.
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Am 12.04.2001 beantragte die Klägerin erneut bei der Beklagten die Übernahme der
Kosten einer Liposuktion. Zur Begründung wies sie erneut darauf hin, dass diese
Behandlung dringend und zwingend erforderlich sei, wobei einige gesetzliche
Krankenkassen die Kosten in Einzelfällen übernommen hätten. Mit Bescheid vom
17.04.2001 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme erneut ab. Den dagegen
eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 06.12.2001 zurück.
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Dagegen hat die Klägerin am 21.12.2001 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren
weiter verfolgt. Ergänzend trägt sie vor, die Kostenübernahme bzw. -beteiligung z.B. der
DAK als auch der Bahn-BKK zeige, dass eine mögliche gesetzliche Lücke für die
Übernahme der bei der Klägerin zwingend und dringend notwendigen Liposuktion
bestehe. Dies könne im Verhältnis zur Beklagten nicht zu Lasten der Klägerin gehen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom17.04.2001 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 06.12.2001 zu verurteilen, die Kosten für eine
Liposuktions-Operations-Behandlung zu übernehmen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte verweist auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
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Das Gericht hat den Beteiligten mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die Streitsache ohne
mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.
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II.
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Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne
mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, denn die Streitsache
weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Der
Sachverhalt ist geklärt und die Beteiligten sind dazu angehört worden.
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Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die
Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht beschwert im
Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, denn die Bescheide sind rechtmäßig.
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Gemäß § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) ist, soweit sich im
Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig
angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig
erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu
Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar
geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass die bestandskräftig
gewordenen Bescheide der Beklagten vom 29.03.2000 und 09.05.2000 rechtswidrig
gewesen sind, denn die Beklagte hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen
Anspruch auf eine Kostenübernahme der beantragten Liposuktions-Operations-
Behandlung, einer außervertraglichen Behandlungsmethode, hat.
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Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) haben
Qualität und Wirksamkeit der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den
medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Neue Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden entsprechen in ihrer Qualität und Wirksamkeit nur insoweit dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, als sie Eingang in die
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kassen- und vertragsärztliche Versorgung gefunden haben. Das Verfahren der
Liposuktion ist nicht Bestandteil der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung. Der
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, Arbeitsausschuss "Ärztliche
Behandlung" hat in der gerichtlich eingeholten Stellungnahme vom 09.08.2000 im
vorangegangenen Streitverfahren, Az: S 9 KR 116/00 mitgeteilt, dass weder im bis 1997
zuständigen Arbeitsausschuss "Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden"
noch im damals zuständigen Arbeitsausschuss "Ärztliche Behandlung" des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen ein Antrag gestellt worden ist, diese
Behandlungsmethode einer Überprüfung gemäß § 135 Abs. 1 SGB V zu unterziehen.
Der Geschäftsführung des Arbeitsausschusses lagen auch keine Unterlagen vor, die
erkennen lassen würden, ob es sich hier um eine medizinische Methode handelt, die die
gesetzlich für die vertragsärztliche Versorgung vorgegebenen Kriterien diagnostischer
oder therapeutischer Nutzen, medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllen
würde.
Damit kommt eine Inanspruchnahme dieser Behandlung zu Lasten der
Solidargemeinschaft der Versicherten als Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung
auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen nicht in Betracht. Dies ergibt sich aus der
einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 16.09.1997 - 1
RK 14/96 - und vom 28.03.2000 - B 1 KR 11/98 R). Darin hat das BSG ausgeführt, dass
neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 Abs. 1 SGB V zu Lasten
der gesetzlichen Krankenkassen nur abgerechnet werden dürfen, wenn der dazu kraft
Gesetzes berufene Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien
Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens
der neuen Methode abgegeben hat. Die genannten Richtlinien haben die Qualität von
Rechtsnormen. Sie regeln im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung den Umfang und
die Modalitäten der Krankenbehandlung mit bindender Wirkung sowohl für die
behandelnden Vertragsärzte als auch für die Versicherten. Hat der Bundesausschuss
bereits eine (negative oder positive) Empfehlung über die Anerkennung der neuen
Behandlungsmethode abgegeben, so ist seine Entscheidung von der Verwaltung und
den Gerichten zu beachten. Hat der Bundesausschuss - wie vorliegend - noch keine
Empfehlung über die streitige Behandlungsmethode abgegeben, so kann sie (noch)
nicht zu Lasten der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherten erbracht
werden. Der Versicherte, der sich eine derart ausgeschlossene Behandlung auf eigene
Rechnung beschafft, kann im Kostenerstattungsverfahren nicht einwenden, die Methode
sei gleichwohl zweckmäßig und in seinem konkreten Fall wirksam gewesen.
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Soweit die Klägerin auf die Kostenübernahme der Behandlung in Einzelfällen durch
andere gesetzliche Krankenkassen verweist, handelt es sich nach der Rechtsprechung
des BSG um rechtswidrige Entscheidungen, aus denen sie keine Rechte gegenüber der
Beklagten begründen kann.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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