Urteil des SozG Köln vom 02.03.2010

SozG Köln (gegenstand des verfahrens, schutz der wohnung, kläger, höhe, vermögensbildung, darlehen, stand, verhältnis zu, bundesrepublik deutschland, tag)

Sozialgericht Köln, S 29 AS 16/08
Datum:
02.03.2010
Gericht:
Sozialgericht Köln
Spruchkörper:
29. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 29 AS 16/08
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab dem 26.02.2007 unter Berücksichtigung
von Tilgungsraten für ein selbstgenutztes Eigenheim.
2
Der am geborene Kläger bewohnt gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinen vier
Kindern ein Eigenheim mit einer Wohnfläche von 173 m² unter der Anschrift
3
Für den Erwerb des selbstgenutzten Eigenheims nahm der Kläger folgende Darlehen
auf:
4
Darlehensnummer Darlehensbetrag: 47.900,00 Euro Tag der Bewilligung: 30.01.2003
Laufzeit bis: 30.01.2033 monatliche Tilgungszinsen: 189,21 Euro (Stand: 01.07.2009)
monatliche Tilgungsraten: 0,00 Euro (Tilgungsbeginn 30.01.2033).
5
Darlehensnummer: Darlehensbetrag: 15.000,00 Euro Tag der Bewilligung: 04.01.2003
Laufzeit bis: 28.02.2038 monatliche Tilgungszinsen: 63,43 Euro (Stand: 01.07.2009)
monatliche Tilgungsraten: 16,95 Euro (Stand: 01.07.2009)
6
Darlehensnummer: Darlehensbetrag: 10.000,00 Euro Tag der Bewilligung: 28.05.2004
Laufzeit bis: 30.08.2028 monatliche Tilgungszinsen: 40,67 Euro (Stand: 01.07.2009)
monatliche Tilgungsraten: 21,38 Euro (Stand: 01.07.2009)
7
Darlehensnummer: Darlehensbetrag: 25.061,32 Euro Tag der Bewilligung: 28.09.2004
Laufzeit bis: 30.06.2013 monatliche Tilgungszinsen: 59,56 Euro (Stand: 31.08.2008)
monatliche Tilgungsraten: 306,78 Euro (Stand: 31.08.2008)
8
Darlehensnummer: Darlehensbetrag: 77.500,00 Euro Tag der Bewilligung: 04.03.2003
Laufzeit bis: voraussichtlich 2015 monatliche Tilgungszinsen: 0,00 Euro monatliche
9
Tilgungsraten: 581,25 Euro (Stand: 30.06.2009)
Darlehensnummer: Darlehensbetrag: 16.000,00 Euro Tag der Bewilligung: 04.03.2003
Laufzeit bis: 31.03.2009 jährliche Tilgungszinsen: 98,01 Euro (Stand: 20.03.2009)
jährliche Tilgungsraten: 2.377,99 Euro (Stand: 20.03.2009)
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Zur Sicherung der Darlehensverbindlichkeiten sind im Grundbuch (Amtsgericht)
Grundschulden in Höhe von 77.000,00 Euro, 15.000,00 Euro und 10.000,00 Euro sowie
eine Hypothek in Höhe von 93.500,00 Euro eingetragen.
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Die Bedarfsgemeinschaft des Klägers bezog in der Zeit vom 14.02.2005 bis 31.01.2010
zuletzt durch Bescheid vom 27.07.2007 in der Fassung des Bescheides vom
06.06.2008 (Leistungszeitraum: 01.09.2007 bis 29.02.2008); Bescheid vom 08.02.2008
in der Fassung der Bescheide vom 06.03.2008, 18.04.2008 und 17.05.2009 (01.03.2008
bis 31.08.2008); Bescheid vom 11.08.2008 in der Fassung der Bescheide vom
13.11.2008 und 24.02.2009 (01.09.2008 bis 28.02.2009); Bescheid vom 24.02.2009 in
der Fassung der Bescheide vom 01.07.2009 und 04.08.2009 (01.03.2009 bis
31.08.2009) und Bescheid vom 04.08.2009 in der Fassung der Bescheide vom
24.09.2009 und 29.09.2009 (01.08.2009 bis 31.01.2010) existenzsichernde Leistungen
nach dem SGB II.
12
Mit Schreiben vom 26.02.2007 beantragte der Kläger die Übernahme der Tilgungsraten
für sein selbstgenutztes Eigenheim. Zur Begründung führte er aus, dass ohne die
Übernahme der Tilgungsraten das Haus finanziell nicht zu halten sei.
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Mit Bescheid vom 09.05.2007 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Unter Hinweis auf
den Beschluss des Hessischen Landessozialgerichtes (LSG) vom 05.03.2007 (Az.: L 7
AS 225/06 ER) vertrat sie die Auffassung, dass der Aufbau von Vermögen nicht Aufgabe
der Allgemeinheit sei. Das Gesetz sehe als Zweck ausschließlich die Unterstützung der
Erwerbstätigkeit und die Sicherung des Lebensunterhaltes vor. Dies biete keine
Grundlage, um laufende Leistungen mit unmittelbar vermögensbildender Wirkung zu
gewähren.
14
Mit Schreiben vom 06.06.2007 legte der Kläger Widerspruch ein. Er führte aus, dass die
ihm zu gewährenden Kosten der Unterkunft sich an den für eine Mietwohnung maximal
angemessenen Unterkunftskosten zu orientieren hätten. Ein Umzug der sechsköpfigen
Bedarfsgemeinschaft in eine angemessene Mietunterkunft sei für die Beklagte
wirtschaftlich ungünstiger. In diesem Falle werde zudem eine Vermögensbildung auf
Vermieterseite unterstützt.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 03.01.2008 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück. Sie nahm Bezug auf das Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG)
vom 07.11.2006 (Az.: B 7b AS 8/06 R), wonach eine Übernahme von Tilgungsbeiträgen
im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich nicht in Betracht komme, da
Leistungen des SGB II nicht der Vermögensbildung dienten.
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Am 01.02.2008 hat der Kläger unter Wiederholung der im Antrags- und
Widerspruchsverfahren vorgetragenen Einwände Klage erhoben. Er führt ergänzend
aus, dass bei der Frage, ob Tilgungsraten übernahmefähig seien, allein der Faktor der
Wirtschaftlichkeit entscheidend sein müsse. Es könne nicht verlangt werden, ein
Eigenheim zu verkaufen und eine teurere Mietwohnung zu beziehen, für die seitens der
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Beklagten Kosten übernommen werden müssten. Der Steuerzahler wäre hierdurch
schwerwiegender belastet als wenn seine Tilgungsraten übernommen würden. Letztlich
mache es keinen Unterschied, ob die Vermögensbildung beim Vermieter oder beim
Kläger anfalle, weil die finanziellen Mittel für die Unterkunft ohnehin ausgegeben
werden müssten. Durch die unterlassene Übernahme der Tilgungsraten sei der Kläger
gezwungen, sein Eigenheim zu verkaufen und eine Wohnung anzumieten. Dies sei für
die Beklagte finanziell belastender. Gegenwärtig sei eine Tilgung der Darlehen nur
durch die wiederholte Aufnahme von Privatdarlehen bei einer Bekannten, Frau ,
möglich.
Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.05.2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 03.01.2008 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom
26.02.2007 bis 31.01.2010 Leistungen für Unterkunft und Heizung unter
Berücksichtigung der Tilgungsraten für das Eigenheim als Beihilfe zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
20
die Klage abzuweisen.
21
Sie nimmt auf ihre im angefochtenen Bescheid getroffenen Ausführungen Bezug.
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Auf gerichtliche Anfrage hat die mit Schreiben vom 17.03.2009 mitgeteilt, dass es nicht
möglich sei, die Darlehensraten auszusetzen. Bei Nichtzahlung dieser Raten werde das
Mahnverfahren eingeleitet und weitere Maßnahmen ergriffen. Die hat in ihrem
Schreiben vom 01.03.2009 ausgeführt, dass Tilgungsaussetzungen nicht zugestimmt
werden könnte. In besonders begründeten Ausnahmefällen könne eine Aussetzung für
einen Zeitraum von maximal 3 Monaten erfolgen. Ebenfalls könne eine
Tilgungsstreckung in Anspruch genommen werden. Die Ersparnis betrage &8531; des
Tilgungsbetrages. Für die Tilgungsstreckung würden übliche Kapitalmarktzinsen
anfallen. Voraussetzung hierfür sei eine erneute positive Bonitätsprüfung. Die hat mit
Schreiben vom 25.09.2009 eine Tilgungsaussetzung abgelehnt. Sollte der Kläger in
Verzug geraten, würden umgehend Zwangsmaßnahmen eingeleitet werden.
Rückstände könnten zur Kündigung der Darlehen und anschließenden
Zwangsversteigerung des geförderten Objektes führen.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
24
Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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1.) Gegenstand des Verfahrens sind allein Ansprüche des Klägers auf Kosten der
Unterkunft. Es handelt sich dabei um einen abtrennbaren selbständigen Anspruch, so
dass eine Beschränkung des Streitgegenstandes möglich ist. Nach der Rechtsprechung
des BSG sind zwar beim Streit um höhere Leistungen auch im SGB II grundsätzlich alle
Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen (vgl. BSG, Urteil
vom 16.05.2007, Az.: B 11b AS 29/06). Von diesem Grundsatz hat das BSG für den Fall
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der Kosten der Unterkunft indes eine Ausnahme gemacht (vgl. BSG, Urteil vom
18.06.2008, Az.: B 14/11b AS 67/06 R), weil die Zuständigkeit für die Regelleistung und
die Kosten der Unterkunft nach § 6 SGB II unterschiedlich und die Leistung inhaltlich
von anderen Leistungen abgrenzbar ist.
2.) Die geltend gemachten Ansprüche betreffen die Zeit ab dem 26.02.2007, d.h. dem
Tag, an dem der Kläger höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung unter
Berücksichtigung der Tilgungsraten für sein selbstgenutztes Eigenheim beantragte. Der
Bescheid vom 09.05.2007 lehnte die Berücksichtigung von Tilgungsraten bei der
Gewährung der Kosten der Unterkunft ohne zeitliche Begrenzung ab. Werden
Leistungen ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt, ist Gegenstand des gerichtlichen
Verfahrens die gesamte bis zur Entscheidung verstrichene Zeit (vgl. BSG, Urteil vom
07.11.2006, Az.: 7b AS 14/06 R). Der am 27.07.2007 ergangene Bescheid in der
Fassung des Bescheides vom 06.06.2008, mit dem der Bedarfsgemeinschaft des
Klägers für die Zeit vom 01.09.2007 bis 28.02.2008 Kosten der Unterkunft gewährt
wurden, ist gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und - soweit der Leistungszeitraum
01.03.2008 bis 31.01.2010 betroffen ist - der Bescheid vom 08.02.2008 in der Fassung
der Bescheide vom 06.03.2008, 18.04.2008 und 17.05.2009; der Bescheid vom
11.08.2008 in der Fassung der Bescheide vom 13.11.2008 und 24.02.2009; der
Bescheid vom 24.02.2009 in der Fassung der Bescheide vom 01.07.2009 und
04.08.2009 sowie der Bescheid vom 04.08.2009 in der Fassung der Bescheide vom
24.09.2009 und 29.09.2009 ist nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden.
Denn sie ersetzen für die späteren Zeiträume in Bezug auf die Höhe der zu
berücksichtigenden Kosten der Unterkunft den früheren Ablehnungsbescheid (vgl. BSG,
Urteil vom 07.11.2006, Az.: B 7b AS 14/06 R).
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3.) Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 09.05.2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 03.01.2008 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG
beschwert. Der Bescheid ist rechtmäßig.
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a) Der Kläger ist Berechtigter im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB II. Er hat das 15. Lebensjahr
vollendet, jedoch nicht das 65. Lebensjahr (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Er ist im
Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 8 Abs. 1 SGB II erwerbsfähig und hat
seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1
Nr. 4 SGB
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II).
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Der Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. §§ 9, 11 und 12
SGB II steht nicht bereits entgegen, dass der Kläger Eigentümer eines selbstgenutzten
Eigenheimes ist. Gemäß § 12 Abs. 1 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren
Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Nur nach den tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II ist ein selbstgenutztes
Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende
Eigentumswohnung nicht als Vermögen zu berücksichtigen. Bei dem Begriff der
angemessenen Größe handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der
vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. BSG, Urteil vom 02.07.2009, Az.: B 14
AS 33/08 R). Nach dem Willen des Gesetzgebers folgt die Berücksichtigung des
Vermögens nach § 12 SGB II im Wesentlichen dem bisherigen Recht der
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Arbeitslosenhilfe (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1516, S. 53). Dort wurde zur näheren
Bestimmung der angemessenen Größe eines Hausgrundstücks auf die
Wohnflächengrenzen des § 39 Abs. 1 i.V.m. § 82 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes
(2. WoBauG) zurückgegriffen. Eine Orientierung an diesen Vorschriften ist auch nach
deren Aufhebung mit Wirkung vom 01.01.2002 durch Artikel 12 des
Wohnungsbaureformgesetzes vom 13.09.2001 (BGBl. I 2001, 2376) geboten (vgl. BSG,
Urteil vom 07.11.2006, Az.: B 7b AS 2/05 R). Demnach sind Familienheime
grundsätzlich dann nicht unangemessen groß, wenn ihre Wohnfläche die Grenze von
130 m² nicht übersteigt (§ 39 Abs. 1 des 2. WoBauG). Gemäß § 82 Abs. 3 Satz 1 des 2.
WoBauG ist bei einem Haushalt mit mehr als vier Personen für jede weitere Person, die
zu dem Haushalt gehört eine Mehrfläche bis zu 20 m² zulässig. Wird dabei die
Wohnflächenobergrenze um nicht mehr als 10 v.H. überschritten, ist unter
Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes noch von einer angemessenen
Wohnflächengröße auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az.: B 7b AS 2/05 R).
Aus diesen Grundsätzen folgt, dass das vom Kläger, seiner Ehefrau und seinen vier
Kindern bewohnte Eigenheim mit einer Größe von 173 m² grundsätzlich als
angemessen zu betrachten ist; nach den Vorschriften des 2. WoBauG beträgt die
angemessene Obergrenze 170 m² (130 m² + 2 x 20 m²). Das geringfügige Überschreiten
dieser Obergrenze um 3 m² ist unschädlich.
Ob sonstiges verwertbares Vermögen im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB II oder Einkommen
im Sinne von § 11 SGB II, das die Bedürftigkeit des Klägers nach § 9 Abs. 1 SGB II
ausschließt, vorliegt, bedarf keiner weiteren Erörterung. Zweifel bestehen zwar, wenn
der Kläger ausführt, die bisherigen Tilgungsraten seien über mehrere Jahre durch ein
Privatdarlehen einer Bekannten, für das keine Sicherheiten gewährt worden seien,
getilgt worden. Im Ergebnis kann dies dahinstehen.
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b) Denn dem Kläger stehen keine höheren Leistungen nach § 22 Abs. 1 SGB II, als von
der Beklagten bisher bewilligt, zu.
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Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe
der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Als
angemessen sind die Aufwendungen für eine Wohnung anzusehen, die nach
Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt
und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist. Diese zur Mietwohnung entwickelten
Grundsätze gelten auch, soweit Hilfebedürftige Kosten für einen selbstgenutztes
Eigenheim geltend machen (vgl. BSG, Urteil vom 15.04.2008, Az.: B 14/7b AS 34/06 R).
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Ob hierbei die - zwischen den Beteiligten einzig streitige - Berücksichtigung von
Tilgungsraten für das vom Kläger selbstgenutzte Eigenheim zu erfolgen hat, ist nach
dem Gesetzeswortlaut offen. Auch die Gesetzesmaterialien des § 22 SGB II treffen
diesbezüglich keine Aussagen (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1516, S. 57).
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Folgt man der bisherigen Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az.: B 7b
AS 8/06 R) ist eine Berücksichtigung von Tilgungsraten nach dem SGB II nicht möglich.
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II dienten nicht der
Vermögensbildung, dem Vemögensaufbau oder der Schuldenübernahme. Das
Arbeitslosengeld II solle den Lebensunterhalt sichern und grundsätzlich nicht der
Vermögensbildung dienen. Die mit der Tilgung eintretende Minderung der auf dem
Wohneigentum ruhenden Belastung führe jedoch bei wirtschaftlicher Betrachtung zu
einer Vermehrung des Vermögens des (hilfebedürftigen) Eigentümers. Unter
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Bezugnahme auf die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zum
Bundessozialhilfegesetz - BSHG - (vgl. beispielsweise Bundesverwaltungsgericht -
BVerwG -, Urteil vom 24.04.1975, Az.: V C 61.73) führe die Anerkennung von
Tilgungsraten dieser Art als zu berücksichtigende Kosten der Unterkunft zu dem vom
Gesetz nicht gewollten Ergebnis, dass der Hilfesuchende es in der Hand hätte, durch
entsprechende Vereinbarungen mit seinen Gläubigern die Schuldentilgung in ihrer
Höhe so zu bestimmen, dass sein Grundstück alsbald schuldenfrei wäre, und er somit
auf diesem Wege Vermögen bilden könnte.
Diese Auffassung übersieht, dass die Tilgung von Schulden des Hilfeempfängers, die
durch Sozialleistungen nicht abgedeckt werden, zur Unterschreitung des
Existenzminimums führen kann und dem Hilfeempfänger dann nicht mehr die Führung
eines Lebens ermöglicht wird, dass der Würde des Menschen im Sinne von Art. 1 Abs. 1
Grundgesetz (GG) entspricht. Das würde zwar bei jeder Abtragung von Schulden eines
Hilfeempfängers aus den für den Lebensunterhalt bestimmten Mitteln des SGB II der
Fall sein. Wenn der Hilfeempfänger aber in Fällen der vorliegenden Art eine
Schuldentilgung in Wahrung seines Existenzminimums unterlässt, wird er seine
bisherige Unterkunft verlieren und gezwungen sein, eine Mietunterkunft zu beziehen.
Folge wäre, dass die dabei entstehenden tatsächlichen Unterkunftskosten in
angemessener Höhe dann in jedem Fall von der Beklagten gewährt werden müssten.
Die strikte Beachtung des Grundsatzes, dass die Leistungen nach dem SGB II nicht zur
Schuldentilgung Verwendung finden dürfen, führt in solchen Fällen eine neue Notlage
herbei, der wiederum nur mit dem Einsatz von staatlichen Leistungen entgegen
gesteuert werden könnte. Ein solches Ergebnis wäre ebenfalls nicht im Sinne des
Gesetzes.
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Folgerichtig hat das BSG in seinem Urteil vom 18.06.2008 (Az.: B 14/11b AS 67/06 R)
den Grundsatz "Sozialhilfe dient nicht der Vermögensbildung" zu Recht nicht als
unverbrüchliches Dogma angesehen und die Übernahme von Tilgungsleistungen als
Kosten der Unterkunft jedenfalls dann anerkannt, wenn der Hilfebedürftige ohne (ggf.
anteilige) Übernahme von Tilgungsraten gezwungen wäre, seine Wohnung aufzugeben.
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Hiermit wird dem Sinn und Zweck der Leistungen nach dem SGB II dahingehend
Rechnung getragen als der Gesetzgeber dem Erhalt der Wohnung allgemein einen
hohen Stellenwert einräumt, ohne Rücksicht darauf, ob diese gemietet ist oder im
Eigentum des Hilfebedürftigen steht. § 22 SGB II dient dem Schutz der Wohnung als
räumlichem Lebensmittelpunkt (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008, Az.: B 14/11b AS
67/06 R; Sächsisches LSG, Beschluss vom 26.07.2006, Az.: L 3 B 301/05 AS-ER; vgl.
aus dem Bereich der Arbeitslosenhilfe BSG, Urteil vom 05.06.2003, Az.: B 11 AL 55/02
R; BSG, Urteil vom 04.09.1979, Az.:7 RAr 115/78).
41
Hieraus ist allerdings nicht zu schlussfolgern, dass eine Übernahme von Tilgungsraten
im Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stets zu erfolgen hat. Denn
andernfalls wären auch sehr hohe Tilgungsleistungen zu übernehmen; bereits zu
Beginn einer Finanzierungsphase wäre der Grundsicherungsträger verpflichtet,
Tilgungsverbindlichkeiten des Hilfebedürftigen zu bedienen. Damit würde im
Vordergrund nicht der Erhalt des Wohneigentums gewährleistet werden, sondern primär
dessen Aufbau. Der Aspekt der Vermögensbildung würde gesetzeswidrig vollkommen
in den Hintergrund treten.
42
Auch würde man bei einer bedingungslosen Übernahme von Tilgungsraten im Rahmen
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des § 22 SGB II wegen der vermögensbildenden Wirkung der Tilgungsbeiträge
diejenigen benachteiligen, die zwar ein Eigenheim besitzen jedoch keine Schulden
haben. Insbesondere würde eine gegenteilige Ansicht zu erheblichen Bedenken Anlass
geben, ob damit nicht Mieter unter Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG benachteiligt
würden. Bewohnern von Eigenheimen würde letztendlich von staatlicher Seite
ermöglicht, Immobilienvermögen zu erwerben, während eine entsprechende
Unterstützung Mietern vorenthalten bliebe. Eine derartige Besserstellung der
Eigenheimbewohner ist nicht zu rechtfertigen. Insbesondere folgt dies nicht aus der
Überlegung, die Veräußerung von Eigenheimen stelle sich schwieriger dar als der
Wechsel einer Mietwohnung. Das mag zwar stimmen. Jedoch steht dieser geringfügige
faktische Nachteil der Eigenheimbewohner außer Verhältnis zu der außerordentlichen
rechtlichen Bevorzugung, die diese erfahren würden. Sonstige tragfähige
Differenzierungsgründe vermag die Kammer nicht zu erkennen. Insbesondere darf nicht
typisierend davon ausgegangen werden, Eigenheimbewohner hätten ein signifikant
höheres ideelles Interesse an der Beibehaltung der Wohnsituation; langjährigen Mietern
dürfte ein Wohnungswechsel affektiv ebenso schwer fallen (vgl. Bayerisches LSG, Urteil
vom 13.04.2007, Az.: L 7 AS 182/06). Unabhängig von diesen Erwägungen würde die
bedingungslose Übernahme von Tilgungsraten bei "grundschuldbeladenden"
Eigenheimen zur Einführung einer staatlichen Eigenheimförderung enormen Ausmaßes
führen, ohne dass Anzeichen dafür vorhanden sind, dass der Gesetzgeber dies wollte.
Abgesehen davon, dass damit zudem ein erheblicher sozialer Unfriede verbunden
wäre, würden "Leistungsbezieher erster Klasse" und "Leistungsbezieher zweiter
Klasse" geschaffen (so ausdrücklich Bayerisches LSG, Urteil vom 13.04.2007, Az.: L 7
AS 182/06).
Nichts anderes folgt aus der Überlegung, durch Mietzahlungen werde auch - auf
Vermieterseite - zur Vermögensbildung beigetragen. Es sei daher gleichgültig, ob
steuerfinanzierte Sozialleistungen in Gestalt von Mietzahlungen oder - in gleicher Höhe
- als Tilgungsraten unmittelbar gegenüber dem Hilfebedürftigen erbracht würden. Diese
Auffassung verkennt, dass die Vermögensbildung oder besser gesagt, die
Gewinnerzielung hier nicht bei dem Hilfeempfänger eintritt, sondern beim Vermieter, für
den es gleichgültig ist, von wem er seine Miete erhält (vgl. BVerwG, Urteil vom
05.10.1972, Az.: V C 50.71).
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Diesen Ausführungen widerspricht es nicht, dass dies zur Konsequenz haben kann,
dass die für ein selbstbewohntes Eigenheim vom Grundsicherungsträger zu
gewährenden Aufwendungen gegebenenfalls niedriger sind, als wenn der
Hilfesuchende zur Miete wohnt. Denn die Kosten der Unterkunft sind nicht stets bis zur
Höhe der angemessenen Vergleichsmiete zu übernehmen. § 22 SGB II sieht nicht
gleiche Leistungen in jedem Falle vor. Der Leistungsumfang ist vielmehr von der
jeweiligen Notlage abhängig. Es ist folgerichtig und entspricht dem Nachranggrundsatz
des SGB II (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB II; vgl. Bundestagsdrucksache 15/1516, S. 51),
wenn die Aufwendungen für die Unterkunft umso niedriger sind, je mehr der
Hilfesuchende aus eigenen Kräften den Wohnungsaufwand decken kann (vgl. zum
BSHG BVerwG, Urteil vom 05.10.1972, Az.: V C 50.71). Bei dem Kriterium der
Angemessenheit in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II handelt es sich lediglich um die
Festlegung einer Obergrenze, keinesfalls aber um eine Festlegung des Anspruchs der
Höhe nach. Im Einzelfall können die Kosten auch darunter liegen (vgl. LSG NRW,
Beschluss vom 03.07.2009, Az.: L 12b 42/09 AS ER).
45
Diese Auslegung steht zudem im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung des BSG
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im Urteil vom 18.06.2008 (Az.: B 14/11b AS 67/06 R). Das BSG hat in dieser
Entscheidung ausdrücklich seine Rechtsprechung, wonach Tilgungsleistungen
(generell) nicht als Kosten der Unterkunft zu übernehmen sind, nicht aufgegeben,
sondern lediglich unter Abwägung der widerstreitenden Zielvorgaben "eingeschränkt".
Insoweit besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz des
Wohnungseigentums einerseits und der Beschränkung der Leistungen nach dem SGB II
auf die aktuelle Existenzsicherung andererseits. Die Übernahme von Tilgungsraten im
Rahmen des § 22 SGB II kommt damit in Betracht, wenn im Rahmen einer Abwägung
der im SGB II normierte Schutz des Wohneigentums das Gebot überwiegt, dass eine
Vermögensbildung durch SGB II-Mittel nicht erfolgen darf. Dies wird insbesondere dann
der Fall sein, wenn zum Ende der Finanzierungsphase die Tilgungsleistungen sowohl
absolut als auch relativ zu den Zinsleistungen besonders hoch und damit aus den
Regelleistungen nicht zu bestreiten sind. Im Übrigen wird an dem Grundsatz
festgehalten werden müssen, dass steuerfinanzierte Sozialleistungen grundsätzlich
nicht der Vermögensbildung dienen (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 10.10.2008,
Az.: L 16b 449/08 AS ER).
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Unter Berücksichtigung und wertender Betrachtung der widerstreitenden
Leistungsprinzipien kommt somit eine Übernahme von Tilgungsraten im Rahmen des §
22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nur unter den folgenden drei Voraussetzungen in Betracht:
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Erstens ist erforderlich, dass die Kosten in Form von Tilgungsleistungen zur Erhaltung
des Wohneigentums unvermeidbar sind. Dies ist nur der Fall, wenn der Hilfebedürftige
vor einer Inanspruchnahme staatlicher Leistungen alles unternimmt, um
Tilgungsverpflichtungen während des Bezugs von Grundsicherungsleistungen so
niedrig wie möglich zu halten (vgl. sogleich aa.).
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Zweitens muss das selbstgenutzte Wohneigentum bereits weitestgehend finanziert und
abgezahlt worden sein und deswegen die Übernahme der Tilgungsrate durch den
Grundsicherungsträger schwerpunktmäßig nicht mehr dem Aufbau, sondern dem Erhalt
bereits bestehender Vermögenswerte dienen (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom
10.10.2008, Az.: L 16b 449/08 AS ER; vgl. auch Groth, in: JurisPR - SozR 4/2009 Anm.
1; vgl. sodann bb.).
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Drittens können Finanzierungskosten einschließlich der Tilgungsleistungen insgesamt
vom Grundsicherungsträger nur bis zu der Höhe übernommen werden, die er auch bei
einer angemessenen Mietwohnung als Kosten der Unterkunft zu tragen hätte (vgl. BSG,
Urteil vom 18.06.2008, Az.: B 14/11b AS 67/06 R).
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze kommt vorliegend eine Übernahme der
streitgegenständlichen Tilgungsraten nicht in Betracht.
52
aa.) Hierbei kann es dahinstehen, ob einer Übernahme bereits entgegensteht, dass der
Kläger vor Antragstellung nicht mit seinen Gläubigerbanken in Kontakt getreten ist, um
die Tilgungsverpflichtungen so niedrig wie möglich zu halten. Denn selbst bei einer
erfolgten Kontaktaufnahme wäre diese nicht erfolgreich gewesen.
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Die hat mit Schreiben vom 17.03.2009 ausgeführt, dass keine Möglichkeit bestehe, die
Darlehensraten auszusetzen. Bei Nichtzahlung werde das Mahnverfahren eingeleitet.
Gleichlautend hat die mit Schreiben vom 18.02.2009 mitgeteilt, dass eine
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Tilgungsaussetzung nicht in Betracht komme. Eine Tilgungsstreckung werde nur nach
erneuter positiver Bonitätsprüfung, die nach Auffassung der Kammer bei
Leistungsbeziehern nach dem SGB II ausgeschlossen werden kann, gewährt. Die hat
mit Schreiben vom 25.09.2009 dargelegt, dass eine Tilgungsaussetzung grundsätzlich
abgelehnt werde und bei Zahlungsverzug umgehend Zwangsmaßnahmen eingeleitet
würden.
bb.) Die Übernahme der streitgegenständlichen Tilgungsraten dient im Wesentlichen
nicht dem Erhalt bereits bestehender Vermögenswerte, sondern deren Aufbau.
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Hierbei gilt zu beachten, dass die bei der gewährten Darlehen (Nr. ) eine Laufzeit bis
zum 28.02.2038 bzw. 30.08.2028 aufweisen. Eine nennenswerte Tilgung dieser
Darlehen, die in den Erhalt bereits bestehender Vermögenswerte gemündet ist, ist nicht
erfolgt. Diese Darlehensverbindlichkeiten sind erst zu einem geringen Anteil bedient
worden. In Anbetracht der noch beträchtlichen Laufzeit steht der Kläger bezüglich dieser
Kredite erst am Beginn der Finanzierungsphase.
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Ansprüche auf Übernahme von Tilgungsraten in Bezug auf das ebenfalls bei der unter
der Nr. geführte weitere Darlehen können angesichts der erst im Jahre 2033
beginnenden Tilgungsverpflichtungen nicht bestehen.
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Gleichermaßen gelten diese Ausführungen auch in Bezug auf das von der gewährte
Darlehen (Nr. ). Die Tilgung dieses Darlehens begann am 31.08.2008. Eine letzte
Schlussrate ist zum 30.06.2013 fällig. Im streitgegenständlichen Zeitraum (26.02.2007
bis 31.01.2010) ist dieses Darlehen erst zu einem geringen Anteil bedient worden. Von
den zu entrichtenden 58 Monatsraten waren zum Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung lediglich 19 getilgt.
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Auch das von der gewährte Darlehen (Nr. ), das halbjährlich seit dem 30.06.2004 in
Raten von 581,25 Euro zurückgezahlt wird, ist in Anbetracht der Darlehenshöhe von
77.500,00 Euro zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erst in Höhe eines sehr
geringen Teils von 6.975,00 Euro (12 x 581,25 Euro) getilgt. Ein Ende der
Finanzierungsphase steht nicht kurz bevor.
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Ebenfalls sind die auf das von der gewährte Darlehen mit der Nr. zu entrichtenden
Tilgungsraten nicht gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II von der Beklagten zu erstatten.
Dem widerspricht es nicht, dass die seit dem 31.03.2004 laufende Tilgung bereits zum
31.03.2010 abgeschlossen sein wird. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass
das vom Kläger bewohnte Eigenheim aufgrund der offenen Darlehensverbindlichkeiten
bei der , der und der als nicht weitestgehend finanziert bzw. abbezahlt betrachtet werden
kann. Eine Übernahme der aus dem Vertrag bei der mit der Nr. resultierenden
Darlehensraten hätte nicht zur Folge, dass der Erhalt der bereits bestehenden
Vermögenswerte gesichert werden könnte. Die kreditgewährenden Banken würden aus
den übrigen - nicht übernahmefähigen - Darlehensverbindlichkeiten vollstrecken; d.h.
der Schutz der Wohnung als räumlichem Lebensmittelpunkt könnte hierdurch nicht
gewährleistet werden.
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Das Gericht hat im Übrigen hinsichtlich der korrekten Berechnung der im
streitgegenständlichen Zeitraum gewährten Kosten der Unterkunft, die im Weiteren vom
Kläger nicht angegriffen wurde, keine Zweifel.
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4.) Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
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