Urteil des SozG Köln vom 23.02.2010

SozG Köln (antragsteller, gewöhnlicher aufenthalt, unterkunft und verpflegung, aufenthalt, aufnahme, klinik, anspruch auf bewilligung, gegenstand des verfahrens, berechnung der frist, krankenhaus)

Sozialgericht Köln, S 32 AS 290/10 ER
Datum:
23.02.2010
Gericht:
Sozialgericht Köln
Spruchkörper:
32. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 32 AS 290/10 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung
verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 25.01.2010 bis
26.05.2010 Regelleistungen in Höhe von monatlich 359,00 EUR zu
gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des
Antragstellers.
Gründe:
1
I.
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Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige
Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für
die Zeit einer stationären Rehabilitationsmaßnahme.
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Der Antragsteller lebte bis April 2008 in Viersen bei seiner inzwischen getrennt
lebenden Lebensgefährtin. Am 23.04.2008 wurde er in der JVA Remscheid inhaftiert.
Mit Bescheid vom 13.08.2009 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung dem
Antragsteller eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme für die Dauer von 26 Wochen in
der Eschenberg-Wildpark-Klinik in Hennef. Am 25.11.2009 wurde der Antragsteller unter
Auszahlung eines Überbrückungsgeldes in Höhe von 434,46 EUR aus der Haft in der
JVA Remscheid entlassen und in der Eschenberg-Wildpark-Klinik in Hennef zur
stationären Rehabilitation aufgenommen.
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Am 30.11.2009 stellte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf
Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Dabei gab er an, vom 25.11.2009 bis 26.05.2010 in einer stationären Einrichtung
untergebracht zu sein. Mit Bescheid vom 10.12.2009 lehnte die Antragsgegnerin den
Antrag unter Hinweis auf § 7 Abs. 4 SGB II ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch
vom 19.12.2009 wies die Antragsgegnerin durch Widerspruchsbescheid vom
11.01.2010 als unbegründet zurück, da ein Leistungsanspruch nach dem SGB II wegen
einer über sechs Monate dauernden Unterbringung in einer stationären Einrichtung
ausgeschlossen sei.
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Am 25.01.2010 hat der Antragsteller Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Der Antragsteller verfüge - nachdem er
das nach der Haftentlassung erhaltene Überbrückungsgeld für Kleidung und
Sanitärartikel ausgegeben habe - über keinerlei Einkommen oder Vermögen. Er könne
angesichts der voraussichtlichen Dauer des Hauptsacheverfahrens nicht darauf
verwiesen werden, dass er in der Klinik kostenlos Unterkunft und Verpflegung erhalte.
Er sei dringend darauf angewiesen, sich in regelmäßigen Abständen Kleidung, Wasch-
und Hygieneartikel zu beschaffen. Die Benutzung der von der Klinik gestellten
Waschmaschinen sei ebenso kostenpflichtig, wie der Kauf zusätzlicher Getränke
jenseits der Mahlzeiten. Außerdem benötige er Geld, um mit seinen Kindern telefonieren
zu können. Auch Gruppenaktivitäten im Rahmen der Therapie seien kostenpflichtig. Der
Antragsteller ist der Auffassung, dass ein Anspruch auf Bewilligung von Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bestehe. Insbesondere stehe dem
nicht der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II entgegen, da die Therapiedauer
vorliegend weniger als sechs Monate betrage. Dabei sei, da die Anzahl der Tage pro
Monat variiere, schon aus Gründen der Gleichbehandlung nicht von einer Berechnung
in Monaten, sondern von einer Berechnung in Tagen oder Wochen auszugehen. Dem
Antragsteller sei eine stationäre Therapie von 26 Wochen, also insgesamt 182 Tagen,
bewilligt worden. Da dem Jahr 365 Tage und sechs Monaten mithin 182,5 Tage
entsprächen, betrage die voraussichtliche Aufenthaltsdauer weniger als sechs Monate.
Entsprechendes gelte bei einer Berechnung in Wochen, da sich das Jahr in 52 Wochen
plus einen weiteren Tag aufteile.
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Der Antragsteller beantragt,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem
Antragsteller vorläufig ab dem Tag der Antragstellung beim Sozialgericht Leistungen
nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass ein Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 4
SGB II ausgeschlossen sei, da der Aufenthalt in der Eschenberg-Wildpark-Klinik
voraussichtlich nicht weniger als sechs Monate betrage. Dabei sei nach § 188 Abs. 2
BGB eine nach Monaten bemessene Frist auch nach Monaten zu berechnen.
Prognosezeitpunkt sei die Aufnahme in die Klinik.
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Die Beigeladene teilt die Auffassung der Antragsgegnerin zur Berechnung der Frist, ist
aber der Auffassung, dass als maßgeblicher Prognosezeitpunkt vorliegend nicht auf den
Tag der Aufnahme in die Eschenberg-Wildpark-Klinik, sondern auf den Tag der
Antragstellung abzustellen sei. Davon ausgehend betrage der Aufenthalt des
Antragstellers weniger als sechs Monate.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin
verwiesen, die Gegenstand des Verfahrens gewesen ist.
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II.
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Der zulässige Antrag ist begründet.
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Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine
einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung
setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für
den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines
Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen
Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Sowohl
Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein.
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Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch gegenüber der Antragsgegnerin auf
die Gewährung monatlicher Regelleistungen in Höhe von 359,00 EUR gemäß § 20 Abs.
1 SGB II glaubhaft gemacht.
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Die Antragsgegnerin ist bei einer im Rahmen eines Eilverfahrens vorzunehmenden
summarischen Prüfung des Sachverhalts gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 SGB II für die
Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zuständig. Danach
werden die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende durch den jeweiligen
Träger erbracht, in dessen Bezirk der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen
tatsächlichen Aufenthalt hat, wenn ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht feststellbar ist.
Gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er
sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in
diesem Gebiet nicht nur vorrübergehend verweilt. Bei einem Aufenthalt in einer
stationären Einrichtung kann ein gewöhnlicher Aufenthalt am Ort der Einrichtung
begründet werden, wenn subjektive und objektive Anhaltspunkte dafür sprechen, dass
der bisherige Aufenthalt aufgegeben worden ist. Allerdings muss der Aufenthalt in der
Einrichtung grundsätzlich zukunftsoffen sein, was insbesondere in den Fällen des § 7
Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II fraglich sein kann, da die Unterbringung höchstens sechs
Monate betragen darf. Wurde der bisherige gewöhnliche Aufenthalt aufgegeben und ist
mangels Zukunftsoffenheit ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt am Ort der stationären
Einrichtung nicht begründet, so ist der Grundsicherungsträger am tatsächlichen
Aufenthaltsort zuständig (vgl. Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 36 Rn.
25a). So liegt es hier. Der Antragsteller hielt sich bis zu seiner Inhaftierung im April 2008
in Viersen bei seiner damaligen Lebensgefährtin auf, auch wenn er dort nach Auskunft
der Beigeladenen niemals mit Wohnsitz gemeldet war. Anschließend war der
Antragsteller in der JVA Remscheid inhaftiert bis er im November 2009 zur
Entzugstherapie in der Eschenberg-Wildpark-Klinik in Hennef aufgenommen wurde.
Damit hält sich der Antragsteller seit nunmehr annähernd zwei Jahren nicht mehr am
früheren Ort des gewöhnlichen Aufenthalts auf. Außerdem leben der Antragsteller und
seine damalige Lebensgefährtin nach eigenen Angaben inzwischen getrennt. Seine
Lebensgefährtin habe alle persönlichen Gegenstände des Antragstellers entsorgt. Der
Aufenthalt in der Eschenberg-Wildpark-Klinik in Hennef ist nur bis zum 26.05.2010
geplant, so dass auch nicht von einem zukunftsoffenen Aufenthalt im
Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin ausgegangen werden kann.
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Der Antragsteller ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II leistungsberechtigt. Insbesondere
hat der Antragsteller seine Hilfebedürftigkeit glaubhaft gemacht. Gemäß § 9 Abs. 1 SGB
II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den
Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht
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oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch die
Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen
oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen,
insbesondere Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Der
Antragsteller hat im Wege der eidesstattlichen Versicherung erklärt, alleinstehend zu
sein und über keinerlei Einkünfte oder Vermögen zu verfügen. Das nach der
Haftentlassung am 25.11.2009 gezahlte Überbrückungsgeld in Höhe von 434,46 EUR
habe er bereits für die Anschaffung einer Erstausstattung für Hygieneartikel und
Kleidung ausgegeben, da seine ehemalige Lebensgefährtin seine persönliche Habe
entsorgt habe. Auch über eine Krankenversicherung verfüge er nicht. Er leide jedoch an
Diabetes und sei auf regelmäßige medikamentöse Versorgung angewiesen.
Anhaltspunkte dafür, dass diese Angaben nicht der Wahrheit entsprechen, sind nicht
ersichtlich und werden auch von der Antragsgegnerin nicht vorgetragen.
Der Anordnungsanspruch ist schließlich nicht aufgrund des Aufenthalts des
Antragstellers in einer stationären Therapieeinrichtung durch § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II
ausgeschlossen, da vorliegend die Ausnahmevorschrift des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB
II greift. Danach erhält abweichend von Satz 1 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II, wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in
einem Krankenhaus oder einer sonstigen Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahme im
Sinne von § 107 SGB V untergebracht ist. Dies ist vorliegend der Fall.
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Die Antragsgegnerin hat insoweit zunächst zutreffend darauf abgestellt, dass die von § 7
Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II vorausgesetzte Dauer von weniger als sechs Monaten
überschritten ist, wenn hinsichtlich des Fristbeginns auf die Aufnahme in die
Therapieeinrichtung am 25.11.2009 abzustellen wäre. Entgegen der Auffassung des
Antragstellers ist das Fristende nämlich gemäß §§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, 26 Abs. 1
SGB X nach § 188 Abs. 2 BGB und damit nicht nach Tagen oder Wochen, sondern nach
Monaten zu berechnen. Danach endete eine von der Aufnahme in die Eschenberg-
Wildpark-Klinik am 25.11.2006 an gerechnete sechsmonatige Frist am 25.05.2010. Eine
darin liegende Ungleichbehandlung - weil nicht alle Monate gleich an Tagen sind - wäre
als sachlich gerechtfertigte Vereinfachung der Fristberechnung wie bei allen
materiellrechtlichen oder prozessualen Monatsfristen durch den Antragsteller
hinzunehmen.
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Allerdings ist nach Auffassung der Kammer vorliegend als maßgeblicher
Prognosezeitpunkt nicht auf die Aufnahme in die Eschenberg-Wildpark-Klinik am
25.11.2006, sondern auf die Antragstellung am 30.11.2009 abzustellen. Von diesem
Zeitpunkt ausgehend dauert der Aufenthalt des Antragstellers voraussichtlich weniger
als sechs Monate, da die sechsmonatige Frist am 30.05.2009 verstreichen würde, der
Antragsteller aber voraussichtlich schon am 26.05.2010 entlassen wird. Ob bei der
Anwendung von § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II auf den Tag der Aufnahme in die
Einrichtung oder auf den Zeitpunkt der Antragstellung als maßgeblicher
Prognosezeitpunkt abzustellen ist, ist in Rechtsprechung und Schrifttum nicht
abschließend geklärt.
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Das BSG hat durch Urteil vom 06.09.2007, Az. B 14/7b AS 60/06 R, zur Rechtslage vor
Inkrafttreten des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende
vom 20.07.2006 (BGBl. I S. 1706) mit Wirkung zum 01.08.2006 entschieden, dass als
maßgeblicher Prognosezeitpunkt zunächst auf den Tag der Aufnahme in das
Krankenhaus bzw. die Therapieeinrichtung abzustellen ist, darüber hinaus aber offen
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gelassen, ob der Prognosezeitraum durch eine gezielte Antragstellung auch nach hinten
verschoben werden kann. Der entscheidende Senat teilte zwar die Bedenken, dass
einem solchen beliebigen Verschieben des Prognosezeitpunkts ein gewisses
Missbrauchspotential innewohne. Allerdings entspreche es der Grundintention des SGB
II, jeden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Erwerbsarbeit zu integrieren. Gehe der
Leistungsausschluss durch Unterbringung in einer Einrichtung gemäß § 7 Abs. 4 SGB II
absehbar zeitlich zu Ende, so entspreche es dem Aktualitätsprinzip des SGB II, den
Prognosezeitraum grundsätzlich ab dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, zu dem der
Antragsteller Leistungen nach dem SGB II begehre und damit zugleich anzeige, dass er
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit gemäß §§ 14 ff. SGB II erhalten möchte. Diese
Erwägungen sind im Schrifttum teils positiv aufgegriffen und auch auf die aktuelle
Fassung von § 7 Abs. 4 SGB II übertragen worden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die von §
7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II verlangte Prognoseentscheidung sei zwar im Grundsatz der
Tag der Aufnahme in das Krankenhaus bzw. die Therapieeinrichtung. Allerdings solle
bei einem länger als sechs Monate dauernden Aufenthalt in einer Einrichtung bei einer
späteren Antragstellung dem Charakter einer Prognoseentscheidung entsprechend nur
noch auf die prognostizierte Restzeit in der Einrichtung abzustellen sein (Spellbrink, in:
Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 7 Rn. 67). Die Gegenmeinung stellt maßgeblich
auf das bereits durch das BSG problematisierte vermeintliche Missbrauchspotential
einer solchen Handhabung ab und verweist für die Interpretation von § 7 Abs. 4 Satz 3
Nr. 1 SGB II jedenfalls ab Inkrafttreten des Gesetzes zur Fortentwicklung der
Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20.07.2006 (a.a.O.) auf die entsprechende
Gesetzesbegründung, nach der die Prognosentscheidung zu Beginn des Aufenthalts im
Krankenhaus zu treffen sei (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.12.2008, Az. L 5 AS
31/08 unter Verweis auf BT-Drs. 16/1410 S. 20). Vielfach findet sich keine ausdrückliche
Auseinandersetzung mit der hier zu entscheidenen Frage (vgl. Hackethal, in: jurisPK
SGB II, § 7 Rn. 52, Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 7 Rn. 67). Auch das LSG
Nordrhein-Westfalen hat die Frage im Beschluss vom 20.02.2008, Az. L 7 B 274/07 AS,
nicht entscheiden müssen, da der Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung dort mit
dem Zeitpunkt der Antragstellung zusammenfiel.
Nach Auffassung der Kammer ist jedenfalls dann, wenn die Aufnahme in ein
Krankenhaus oder eine sonstige Therapieeinrichtung nicht während des laufenden
Leistungsbezugs nach dem SGB II erfolgt, sondern der erstmaligen Beantragung von
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende vorausgeht, auf den Zeitpunkt der
Antragstellung abzustellen. Die Kammer macht sich dabei zunächst die Erwägungen
des Bundessozialgerichts (a.a.O.) zu eigen, nach denen der Leistungsausschluss nach
§ 7 Abs. 4 Satz 1 in erster Linie vor dem Hintergrund der in § 1 SGB II niedergelegten
Grundintention des SGB II, erwerbsfähige Hilfebedürftige in den Arbeitsmarkt zu
integrieren, auszulegen ist. Soweit § 7 Abs. 4 SGB II Personen, die in stationären
Einrichtungen untergebracht sind, trotz grundsätzlich bestehender Erwerbsfähigkeit vom
Leistungsbezug ausschließt und damit zugleich dem Sozialhilfebezug nach dem SGB
XII zuweist, geschieht dies, weil die Betroffenen einer Integration in der Arbeitsmarkt für
die Dauer ihrer Unterbringung nicht zur Verfügung stehen. Im Schrifttum wird daher
gelegentlich von einer Fiktion der Nichterwerbsfähigkeit gesprochen (vgl. Spellbrink, in:
Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 7 Rn. 60). Dieser Konzeption entsprechend gilt
der Leistungsauschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II dann nicht, wenn der
Betroffene trotz Unterbringung in einer stationären Einrichtung unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich
arbeiten kann. Auch die Regelung des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II ist vor diesem
Hintergrund zu sehen, wenn sie den Leistungsausschluss ausnahmsweise suspendiert,
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wenn der Betroffene voraussichtlich weniger als sechs Monate stationär untergebracht
ist. In diesem Fall machte eine Überführung in den Sozialhilfebezug nach dem SGB XII
nur wenig Sinn, weil der Betroffene in absehbarer Zeit wieder in den Leistungsbezug
nach dem SGB II aufzunehmen wäre. Verlangt wird damit eine rein zukunftsgerichtete
Prognoseentscheidung auf der Grundlage eines jeweils aktuellen Informationstandes.
Der Prognosezeitpunkt dürfte dabei von den jeweiligen Umständen anhängen. Für den
Regelfall eines laufenden Leistungsbezugs nach dem SGB II dürfte als
Prognosezeitpunkt regelmäßig auf den Tag der Aufnahme in das Krankenhaus oder die
Therapieeinrichtung abzustellen sein, da die Aufnahme in eine Einrichtung im Sinne
von § 7 Abs. 4 SGB II hier Anlass gibt, eine Prognoseentscheidung über die künftige
Verfügbarkeit des Leistungsempfängers zur Integration in den Arbeitsmarkt zu treffen.
Wenn dagegen erstmals Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende beantragt
werden, kann sich auch die Frage nach der künftigen Verfügbarkeit für
Integrationsmaßnahmen frühstens zu diesem Zeitpunkt stellen. Eine
Prognoseentscheidung muss dann dem Aktualitätsprinzip entsprechend als
Prognosezeitpunkt auf den Zeitpunkt der Antragstellung abstellen, so dass bei einem
bereits begonnenen Aufenthalt in einer Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II nur
die voraussichtliche Restdauer zu berücksichtigen ist. Die Einbeziehung
zurückliegender Aufenthaltszeiten widerspräche dem zukunftsgerichteten Charakter der
zu treffenden Prognosentscheidung.
Der durch das BSG (a.a.O.) entwickelte Ansatz für die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur
Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20.07.2006 geltende
Fassung von § 7 Abs. 4 SGB II ist nach Auffassung der Kammer auch auf die aktuelle
Gesetzeslage übertragbar. Auch nach aktueller Gesetzeslage ist nach § 7 Abs. 4 Satz 3
Nr. 1 SGB II ist eine Prognoseentscheidung über die voraussichtliche Dauer des
Aufenthalts in einem Krankenhaus oder einer sonstigen Therapieeinrichtung zu treffen.
Der Gesetzgeber hat die Regelung in § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II gerade nicht so
formuliert, so dass ein Leistungsauschluss immer dann greift, wenn der Aufenthalt
tatsächlich länger sechs Monate dauert. Auch aus der Gesetzesbegründung zur
Neufassung von § 7 Abs. 4 SGB II lässt sich nicht zwingend Gegenteiliges schließen.
Soweit dort ausgeführt wird, dass eine Prognoseentscheidung zu Beginn des
Aufenthaltes im Krankenhaus zu treffen sei (BT-Drs. 16/1410 S. 20), mag der
Gesetzgeber dabei allein den Regelfall eines Krankenaufenthaltes während des
laufenden Leistungsbezugs nach dem SGB II vor Augen gehabt haben, indem es auch
nach der hier vertretenen Auffassung als Prognosezeitpunkt regelmäßig auf den
Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung ankommen dürfte.
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Schließlich überzeugt die Kammer auch das der hier vertretenen Auffassung
entgegengehaltene Missbrauchspotential nicht. Richtig ist zwar, dass der Betroffene
hiernach durch eine geschickte Wahl des Antragszeitpunkts, einen aufgrund der
pauschalierten Regelsätze gegenüber § 35 Abs. 2 SGB XII attraktiveren Anspruch auf
Leistungen nach dem SGB II zielgerichtet herbeiführen kann. Indes wird einem
Missbrauch durch die Regelung des § 37 Abs. 2 SGB II vorgebeugt, wonach Leistungen
der Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht
werden. Damit steht derjenige, der sich zwar tatsächlich länger als sechs Monate in
einem Krankenhaus oder einer sonstigen Therapieeinrichtung aufhält, seinen Antrag
aber erst dann stellt, wenn absehbar ist, dass der Aufenthalt in weniger als sechs
Monaten zu Ende geht, nicht besser, als derjenige der von vornherein nur für einen
voraussichtlich weniger als sechs Monate dauernden Aufenthalt in ein Krankenhaus
oder eine sonstige Therapieeinrichtung aufgenommen wird.
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In der Sache hat der Antragsteller gemäß § 20 Abs. 1 SGB II Anspruch auf monatliche
Regelleistungen in Höhe von 359,00 EUR. Dies bedingt zugleich die Übernahme der
Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V. Ein
Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II besteht
hingegen nicht, da diese nur insoweit übernommen werden, als sie tatsächlich anfallen.
Unterkunfts- und Heizungskosten hat der Antragsteller für die Zeit seiner Unterbringung
in der Eschenberg-Wildpark-Klinik nicht.
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Der Antragsteller hat schließlich auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Anordnungsgrund kann nur die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile sein. Entscheidend ist insoweit, ob es nach den
Umständen des Einzelfalles für den Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in der
Hauptsache abzuwarten. Ein wesentlicher Nachteil liegt vor, wenn der Antragsteller
konkret in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist oder ihm sogar die Vernichtung
der Lebensgrundlage droht. Auch erhebliche wirtschaftliche Nachteile, die entstehen,
wenn das Ergebnis eines langwierigen Hauptsacheverfahrens abgewartet werden
müsste, können ausreichen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.02.2008,
Az. L 9 B 21/08 AS ER). Der Antragsteller ist in diesem Sinne zur Sicherung seiner
wirtschaftlichen Existenz auf eine vorläufige Bewilligung von Leistungen angewiesen.
Dem Antragsteller wird für die Dauer seiner Unterbringung zwar Unterkunft und
Verpflegung mit drei Mahlzeiten am Tag gestellt. Darüber hinaus ist der Antragsteller
jedoch insbesondere für die Ausstattung mit Kleidung, notwendigem Sanitärbedarf,
zusätzlichen Getränken, die Nutzung der Gemeinschaftswaschmaschinen und für die
kostenpflichtige Teilnahme an therapiebedingten Gruppenaktivitäten auf zusätzliche
Hilfe angewiesen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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